Bildung/Training

Es wird jetzt viel von Bildung gesprochen, von politischer Bildung, von Bildung allgemein und von Führungsbildung im besonderen. Blickt man jedoch auf die Bildungslandschaft von Unternehmen, dann ist da wenig Bildung zu finden. Was zu finden ist, ist vielmehr der Versuch, den reichen Schatz der Kulturen nach geeigneten Tricks und Methoden zur Performancesteigerung zu durchsuchen und auszubeuten. Es geht um Werkzeuge, die direkt umsetzbar sind und die einem möglichst messbaren Nutzen bringen. Nachvollziehbar, denn das entspricht der Logik unternehmerischer Systeme. Dabei wird das Potenzial von Kultur und Bildung leider verfehlt und die Methoden und Tricks verflachen wie jede Modewelle nach einiger Zeit.

In der Bildung geht es um das Vermögen der Distanznahme, mit der auf der Grundlage vieler zweckfrei gewonnener Erfahrung Reflexion und Differenzierung möglich wird, weil ein weiter Raum unterschiedlichster Perspektiven eingenommen werden kann. Bildung braucht Zeit, freie, entlastete Zeit und neben dem Mut zur Auseinandersetzung auch die innere Freiheit, sich auf den Reichtum der Kultur einzulassen und sich in seinen sicheren Denk- und Urteilsmodellen erschüttern zu lassen. Wo soll bei dem Performancedruck und des doch stetig ansteigenden Investments von Lebenszeit für eine Karriere die entlastete Zeit herkommen?

Es gibt solche Zeitflecken in der Unternehmenswelt – sie wurden früher mal Seminare genannt und sind heute Trainings. Leider werden sie mehr und mehr zu Trainings, zu Räumen der Vermittlung der Techniken, von denen sich Trainingsstrategen unter dem Druck der eigenen Führung schnellen Nutzen versprechen. So wird Empathie zu einer psychologischen Technik, einem Führungsinstrument, um den eigenen Führungswillen besser durchzusetzen und Leistungssteigerungen beim Mitarbeiter zu erzielen. Narzissten, und sie stellen eine Mehrheit in den Führungsriegen, verstehen sich gut darauf, Empathie als Mittel einzusetzen. Würden wir uns um Bildung kümmern, dann würden wir anstatt von Empathie von Compassion sprechen und sehr schnell erkennen, dass diese nur möglich ist, wenn Menschen in einem weiten Horizont von Verständnissen der menschlichen Möglichkeiten leben und dies nicht nur wissen, wie ein Speichermedium etwas weiß, sondern als Erfahrung gewonnen haben – also etwas haben, das man früher Herzensbildung genannt hat.

Darüber mit Trainingsspezialisten, die selber unter Performancedruck stehen, zu sprechen, führt dann häufig zu Ergebnissen wie: Kann man das auch in zwei Tagen machen? Oder können wir es nicht durch blended learning gestalten? Wiederum sehr verständlich in der leitenden Unternehmenslogik, aber sicher nicht sehr klug. Oft wird vergessen, wie wesentlich für Bildungserlebnisse die Begegnung mit Menschen ist und oft mit einem Lehrer, der mit seinem Herzen für die Bildungsinhalte steht. In Indien gibt es noch das Wissen, dass es eines Gurus bedarf, wenn man Menschen die Möglichkeit gibt, auf dem Weg der Bildung zu wachsen und so ohne den Zweckkurzschluss am Ende doch bessere Führungskräfte zu werden. Für Bildung bleibt Schillers ästhetische Erziehung der Schlüsseltext und sein Votum für das zweckfreie Spiel der Königsweg zu einer Bildungsreise.

Rüdiger Müngersdorff

Vertikal/Horizontal

In fast allen Change-Projekten oder Organisationsentwicklungsreisen stoßen wir an die Barrieren der vertikalen Organisation – sie begrenzt die Energie der horizontalen Netzwerke, in der fast alles Wissen der Organisation gespeichert ist. Immer wieder scheitern horizontale Ansätze am Primat der Vertikalen, der hierarchischen Verfasstheit der Unternehmen.

Dem Festhalten an diesem Primat der Vertikalen liegt ein tiefer Glauben zu Grunde, nur so ein Unternehmen führen und kontrollieren zu können. So glauben Unternehmen weiterhin an Ausleseprozesse und versuchen eine Führungselite zu bilden – die aber ist immer eine alte Elite, ist immer von gestern. Das war in der Vergangenheit, als die Entwicklung der Märkte, die Entwicklung der technischen Möglichkeiten, die Entwicklung der Bedürfnisse langsam waren, unproblematisch, jetzt aber in der dynamisch beschleunigten Welt, in der das Unerwartete stets schon am Horizont wartet, ist es eine Blockade. Diese Blockade zu überwinden wird eine der Aufgaben der Zukunft sein.

Für die Übergangszeit wird es wohl nötig sein, dem Horizontalen mehr Aufmerksamkeit zu schenken, den in der Breite der Organisation verborgenen Clustern Stimmen zu geben. Urban gardening war die erste gelebte Metapher für diese Situation: Menschen gestalteten jenseits behördlicher Betreuung den Stadtraum, nahmen ihn in Besitz, Durchwegung ist die aktuelle Metapher, Wege durch die Stadt jenseits der Straßen- und Verkehrsplanung. Hier liegen die Zugänge für das Wissen und Können der Zukunft. Nicht mit dem Umzeichnen der Organigramme wird eine Organisation flacher, sondern durch durchwegtes Gespräch, der Schaffung anderer Begegnungsräume – seien sie analog oder digital.

Rüdiger Müngersdorff

Führungstraining

Führungstraining – einmal nicht in ein Programm gepresst, sondern ein freier Austausch zwischen Menschen in Verantwortung. Sie fragen nach Orientierung jenseits der unternehmenseigenen Leitlinien. Es ist eine Gruppe asiatischer Führungskräfte. Wir lesen Abschnitte aus Max Webers Vortrag von 1919 »Politik als Beruf« und übertragen es auf Führungskräfte – ersetzen das Wort Politiker immer wieder durch das Wort Führungskraft. Wir verstehen unsere Aufgabe mit Webers bekannten Satz: »Man kann sagen, dass drei Qualitäten vornehmlich entscheidend sind für den Politiker (und wir setzen Führungskraft ein): Leidenschaft – Verantwortungsgefühl – Augenmaß.«

Es ist eine lange und intensive Diskussion und schließlich enden wir bei einem Satz Webers: »Einen ganz trivialen, allzu menschlichen Feind hat daher der Politiker (und wir ersetzen wieder Führungskraft) täglich und stündlich in sich zu überwinden: die ganz gemeine Eitelkeit, die Todfeindin aller sachlichen Hingabe und aller Distanz, in diesem Fall: der Distanz sich selbst gegenüber.« Am Ende frage ich mich, ob denn eine z.B. deutsche Führungsgruppe die Geduld und Offenheit hätte, einen solchen Text zu lesen und reflektierend auf sich selbst zu beziehen.

Führungstraining ohne Restriktion

Ein anderer Satz sorgte für Diskussion und intensivere Selbstreflexion – bei manchem mit dem Ergebnis, zwar ein guter Manager sein zu können, aber wohl doch nicht ein »Leader«. Max Weber in Politik als Beruf: »Nur wer sicher ist, dass er nicht daran zerbricht, wenn die Welt, von seinem Standpunkt aus gesehen, zu dumm oder zu gemein ist für das, was er ihr bieten will, dass er all dem gegenüber: ›dennoch!‹ zu sagen vermag, nur der hat den ›Beruf‹ zur Politik.« Politik hier wieder durch Leadership ersetzt.

Eintauchen in den offen vor uns liegenden Bildungsschatz bringt für die eigenen Selbstbestimmung oft mehr als die zu häufig Marketing getriebenen Konzepte der Managementliteratur. Und ganz nebenbei sorgt die Tiefe der Diskussion ganz von selbst für ein offeneres und ein ehrliches Teamklima.

Rüdiger Müngersdorff

Furcht und Vertrauen

In jedem Veränderungsprozess, welcher Art auch immer, mag es eine Krise sein oder eine große Chance, gibt es zwei Faktoren, die für den Prozess von entscheidender Bedeutung sind. Furcht und Vertrauen. Es gibt im Leben keine Sicherheit, es gibt sie nie und noch viel deutlicher spürbar gibt es keine Sicherheit in einem Prozess, dessen erste Eigenschaft die der Veränderung ist.

Unsicherheit aber löst Angst aus, Unsicherheit über das, was uns erwartet, bedeutet mögliche Gefahr und die Möglichkeit von Gefahr ist der Grundauslöser aller Angst. Die Angst vor Ungewissem beinhaltet Erwartungsangst, die Angst vor der Angst – eben jene Angst, die wie kaum etwas anderes den Menschen lähmt, ihn blind macht. Chronische Erwartungsangst und Angst im Übermaß verhindert einen klaren Blick auf die Wirklichkeit und verpasst somit die Erkenntnis des Möglichen, sie verhindert Lernen, Flexibilität und Entwicklung – überlebensnotwendige Fähigkeiten, um Krisen zu überstehen.

Wie Sie mit Furcht und Angst umgehen, mit Ihrer eigenen und denen Ihrer Kollegen und Mitarbeiter, wie Sie Ihr Verhältnis zu Zuversicht und Hoffnung beeinflussen, wird maßgeblich darüber entscheiden, ob dieser Prozess erfolgreich verläuft. Wie also können Führungskräfte in einer Situation handeln, die von Unsicherheit geprägt ist? Wie können Sie Furcht reduzieren und Vertrauen herstellen und dafür sorgen, dass Sie und Ihre Mitarbeiter angesichts möglicher Gefahren und Bedrohungen nicht in lähmende Angst verfallen? Wer diesen Fragen Raum gibt und versucht, darauf eine Antwort zu finden, wird jede Krise bewältigen können.

Realangst: In Veränderungsprozessen liegen konkrete Bedrohungen für alle Beteiligten. Es kann der Arbeitsplatzverlust sein, ein Statusverlust, eine Zunahme an Arbeitsaufwand, die Furcht, nicht zu genügen. In jedem Veränderungsprozess gibt es Gewinner und Verlierer. Diese Ängste sind real oder werden als real empfunden und entsprechen möglichen Wirklichkeitsszenarien. Sie sind konkret und zielgerichtet.

Diffuse Angst: Diffuse Angstzustände brauchen kein konkretes Objekt der Angst. Es sind Grundängste, die im Wesen der menschlichen Existenz begründet liegen und die je nach persönlicher Lebensgeschichte unterschiedlich ausgeprägt sind und sich an individuellen Auslösern manifestieren.

Auf beide Formen der Angst können Führungskräfte positiv Einfluss nehmen. Als Grundängste des Menschen werden beschrieben:

  • die Angst vor Veränderung – erlebt als Vergänglichkeit und Unsicherheit
  • die Angst vor Endgültigkeit – erlebt als Unfreiheit
  • die Angst vor Nähe – erlebt als Abhängigkeit
  • die Angst vor Selbstwerdung – erlebt als Isolierung, mangelnde Geborgenheit

Vermeidungsverhalten bei Angst

  • Vermeidung: Man weicht Situationen und Personen aus, die Angst auslösen.
  • Bagatellisierung: Die wird Angst klein geredet, Symptome heruntergespielt.
  • Verdrängung: Man lenkt sich von der Angst ab, betäubt sie und gibt sich selbst schonende Erklärungen dafür.
  • Leugnung: Angst wird vollständig ausgeblendet. Sie hat keinen Platz im Spektrum der eigenen Empfindungen.
  • Übertreibung: Überzogene Sicherheitsvorkehrungen und deren zwanghafte Wiederholung sollen die Angst reduzieren.
  • Generalisierung: Die eigenen Ängste werden als Norm angesehen.
  • Heroisierung: Wer die Angst aushalten kann, ist stark. Man ist ein Held.

Diese Handlungsstrategien sind kurzfristig dazu geeignet, Angst zu reduzieren. Alle führen jedoch dazu, dass ein klarer, situationsangemessener und zielführender Umgang mit der bedrohlichen Situation nicht möglich ist. Die Ressourcen zu einem konstruktiven Umgang mit der Krise können nicht genutzt werden. Inhaltlich wird somit die Chance auf eine Lösung der Krise verspielt. Langfristig führt das Vermeidungsverhalten auf der persönlichen Ebene dazu, dass das Angstniveau steigt und sich, wenn die Vermeidungsstrategien zunehmend versagen, soziale, psychische und körperliche Krankheitssymptome einstellen.

Psychische Störungen tragen in der EU mit mehr als 26 Prozent zur Krankheitsstatistik bei – mehr als Herzerkrankungen oder Krebs. Dabei tragen Angststörungen und Depressionen den maßgeblichen Anteil. 14 Prozent der Gesamtbevölkerung Europas erkranken an Angststörungen!

Damit ist die Angst, neben dem persönlichen Leid und dem Verlust an kreativer und produktiver Arbeitskraft in den einzelnen Unternehmen, ein enormer gesamtwirtschaftlicher Faktor. Jede vierte Krankschreibung und jeder 12. Ausfalltag gehen in Deutschland inzwischen auf psychische Erkrankungen zurück, so zeigen Statistiken des Bundesverbands der Betriebskrankenkassen. Der Anteil dieser Störungen an den Krankheitstagen hat sich seit Beginn der neunziger Jahre mehr als verdoppelt.

Früher trat man in ein Unternehmen ein, mit der Gewissheit dort irgendwann die goldene Uhr zum 25. Dienstjubiläum überreicht zu bekommen. Inzwischen hat man donnerstags noch das Gefühl, alles sei in Ordnung – und am Montag wird der eigene Geschäftsbereich geschlossen. Als Angstauslöser gelten auch betriebliche Umstrukturierungen, bei denen die Persönlichkeit und die Anforderungen des Jobs in ein Missverhältnis geraten, wenn zum Beispiel ein gewissenhafter und zahlenorientierter Buchhalter plötzlich als Servicekraft Kunden beraten soll. Die Tatsache, dass in der modernen Gesellschaft im Grunde alle Beziehungen unter Trennungsvorbehalt stehen, trägt zu einem Gefühl der Verunsicherung deutlich bei.

Was also tun?

1. Anerkennung

  • Der erste Ansatzpunkt zu einem angemessenen Umgang von Führungskräften mit den in einer Veränderungssituation aktiven Ängsten ist, sie anzuerkennen. Dabei spielt es keine Rolle, ob es sich um konkrete oder diffuse Ängste handelt, ob die Ängste realistisch oder unrealistisch sind.
  • Wenn Sie dabei für sich selbst in der Lage sind, grundsätzlich eigene Angstanteile in Ihrem eigenen Leben zu erkennen, wird es Ihnen leichter fallen, mit den Ängsten anderer umzugehen. Wenn Sie Ihre eigenen Ängste anerkennen, dann brauchen Sie nicht mit Abwehr reagieren, wenn Sie mit Angst konfrontiert werden.

2. Angstreduktion
Vertrauen ist jene Emotion, die der Angst gegenüber liegt. Es gibt zwei Arten von Vertrauen, die beide miteinander zusammenhängen:

  • Vertrauen in sich selbst und in seine Fähigkeiten und
  • Vertrauen zu anderen Menschen

Angst klopfte an. Vertrauen öffnete. Niemand war draußen. (Aus China)

In einer angstauslösenden Veränderungssituation innerhalb eines Unternehmens werden sich die Mitarbeiter auf die Führungskräfte beziehen. Als Führungskraft gilt es also, dazu beizutragen, dass

  • Ihre Mitarbeiter Ihnen Vertrauen entgegenbringen
  • Sie Situationen und ein Klima schaffen, in dem Ihre Mitarbeiter sich selbst und ihren Fähigkeiten besser vertrauen können (Selbstwirksamkeit).

Aus der Kinderpsychologie ist bekannt, welche Erfahrungen es sind, die bei einem Kind dazu führen, dass ihr absolutes Vertrauen in sich und in die Umwelt enttäuscht wird. Diese Formen der Enttäuschung reduzieren auch bei Erwachsenen das Vertrauen in sich und ihre Umgebung, z.B. ihr Unternehmen:

I. Vertrauen in die Führung sinkt, wenn:

  • das Gefühl entsteht, allein gelassen zu werden – wenn niemand da ist, wenn Hilfe benötigt wird
  • wenn Vorgesetzte etwas ankündigen und es nicht einhalten
  • wenn Vorgesetzte scheinbar grundlos und beliebig handeln, insbesondere bei negativen Sanktionen
  • wenn Vorgesetzte ihre Launen am Mitarbeiter auslassen
  • Wenn es keine Kontinuität im Verhalten der Führungsebene gibt. Das heißt, ohne eine klare und funktionierende Führungskoalition werden Ihre Mitarbeiter Ihnen nicht vertrauen.

II. Vertrauen in sich selbst und in die eigenen Fähigkeiten sinkt, wenn:

  • chronisch zu hohe Anforderungen gestellt werden, sodass Mitarbeiter immer wieder erleben, etwas nicht zu schaffen
  • sehr viel mehr kritisiert wird als dass Wertschätzung vermittelt wird
  • Mitarbeiter sich einer Situation hilflos ausgeliefert fühlen
  • Vorgesetzte überbehüten und kontrollieren, den Mitarbeitern keinen Raum für eigenen Erfahrungen lassen
  • und sie sich nicht als lernend, selbstwirksam und selbständig erleben können
  • nicht zwischen Selbstunsicherheit und Situationsunsicherheit unterschieden wird
  • Vorgesetzte oder Mitarbeiter den Anspruch haben, fehlerfrei sein zu müssen.

Vertrauen in sich selbst und in die eigenen Fähigkeiten steigt bei:

Erlebnissen von Selbstwirksamkeit
Wann immer Menschen sich als selbstwirksam erleben, als Handelnde, deren Tun einen Unterschied macht, steigt das Vertrauen in sie selbst. Dies gilt im am stärksten bei erfolgreicher Bewältigung einer schwierigen Situation. Werden diese Erfolge dann zudem der eigenen Person zugeschrieben, steigt die Selbstwirksamkeitserwartung am meisten – man traut sich auch in Zukunft schwierige Situationen zu und zeigt bei einzelnen Misserfolgen eine höhere Frustrationstoleranz.

Stellvertretenden Erfahrungen
Meistern andere Menschen eine schwierige Aufgabe oder trauen sie sich zu, dann traut man sie sich selbst auch eher zu. Je größer die Ähnlichkeit und die Nähe zur beobachteten Person, desto stärker die Beeinflussung durch das Vorbild.

Verbaler Ermutigung
Menschen, denen mit Zuversicht und Wohlwollen begegnet wird und denen von anderen zugetraut wird, eine bestimmte Situation zu meistern, glauben mehr an sich, als wenn andere an ihren Fähigkeiten zweifeln. Zugleich ist es wichtig, nicht unrealistisch zu fordern.

Emotionsregulation
Menschen, die ihr Erregungsniveau selbst beeinflussen (durch z.B. Atemtechniken, diszipliniertes Denken und Eigenreflektion, Sport zur Abfuhr körperlicher Erregung, und vieles mehr), haben mehr Vertrauen zu sich und ihrer Selbstwirksamkeit, da sie erleben, dass sie ihren eigenen Gefühlen und Erregungszuständen nicht hilflos ausgeliefert sind.

Es gilt also: Es gibt viele Gründe, Angst zu haben. Wenn die Ängste anerkannt und nicht vermieden werden, bleibt die Handlungsfähigkeit erhalten und Menschen können Krisen bewältigen. Und gesund bleiben. Es gibt keine Sicherheit. Aber Zuversicht.

Angst und Freude sind Vergrößerungsgläser. (Jeremias Gotthelf)

Rüdiger Müngersdorff, Katja Schröder

Warum dynamische Fähigkeiten jetzt so wichtig werden

Die Anforderungen an Organisationen wachsen stetig, die private und Geschäftswelt wird komplexer und zunehmend weniger vorhersagbar. Nicht nur die Digitalisierung als eine der großen Treiber, sondern auch andere Trends wie Urbanisierung, fortschreitende Globalisierung, Fragen der Umwelt oder politische Entwicklungen fordern uns täglich heraus und sind auch immer wieder für Überraschungen gut, wie die jüngste Vergangenheit ja deutlich gezeigt hat.

Viele Unternehmen sind für diese Entwicklungen eher schlecht vorbereitet und nutzen ihre eigenen Potenziale und das Wissen von eigentlich bestens qualifizierten Mitarbeitern nur unzureichend. Sehr oft verharren sie in bisher erfolgreichen Verhaltensweisen und reagieren auf neue Anforderungen mit bekannten Mustern. Vor allem das Management nutzt noch immer in großem Umfang Methoden, die ihren Ursprung im Industriezeitalter hatten und vielfach wenig geeignet sind, die neuen Anforderungen zu bewältigen. Obwohl die Einsicht ja grundsätzlich da ist und auf vielen der unzähligen Konferenzen immer wieder bestätigt wird, ändert sich in der Realität bislang nur wenig und wenn, dann eher langsam.

Warum ist das so? Weshalb wird dieses ja vorhandene Wissen nicht in dem Maße umgesetzt, wie es erforderlich wäre? Die Antwort ist relativ einfach: klassische Managementprinzipien waren in der alten Welt über viele Jahrzehnte erfolgreich. Sie zu ersetzen oder zu verändern, bedeutet sich auf unbekanntes Terrain zu begeben und damit ein Risiko einzugehen. Insbesondere für über viele Jahre gewachsene Organisationen führt das zu großer Unsicherheit. Denn immerhin gibt es ja ein bestehendes Geschäft, das man nicht gefährden möchte. Wo und wie also anfangen?

Die Erfahrung zeigt, dass sehr häufig detaillierte Kenntnisse über den Zustand der eigenen Organisation fehlen, oder aber die Einschätzungen und Bilder auf der oberen Führungsebene erheblich divergieren. Oft mangelt es auch an Informationen, wo denn konkret eine erfolgreiche Intervention angesetzt werden kann, oder es gibt negative Erfahrungen mit am Ende dann doch eher wirkungslosen Veränderungsprojekten. Die Führungskräfteentwicklung, insofern sie überhaupt als festes Element besteht, verfehlt oft die gewünschte Wirkung, was dann ein klares Signal für verpasste oder unzureichende Umsetzungen ist. Ursachen und Zusammenhänge für diese oft zu beobachtenden Effekte sind vielschichtig und zumeist nicht auf den ersten Blick offensichtlich.

In einem zunehmend dynamischen (VUCA-)Umfeld, in dem Unternehmensführung immer anspruchsvoller wird, wirken etablierte Rezepte und Vorgehensweisen, die vielfach noch aus stabilen und damit besser planbaren Zeiten stammen, eher schlecht. Oder sie verfehlen gänzlich ihre Wirkung, wenn sie die falschen Antworten auf aktuelle Herausforderungen liefern.

Ein typisches Beispiel dafür ist das noch immer weit verbreitete Instrument der Führung über Ziele (Management by Objectives, MbO). Oft sind Ziele bereits überholt, wenn sie vereinbart werden oder sie passen nach kurzer Zeit nicht mehr zu den veränderten Anforderungen des Geschäfts. Neue Entwicklungen, die asynchron, also innerhalb des Ziele-Zeitraums entstehen, können nicht entsprechend bedient werden, wenn sie nicht zu den zuvor vereinbarten Zielen passen, was dann oft dazu führt, dass keine Ressourcen, Budgets, und ähnliches verfügbar sind. Darüber hinaus verführt eine konsequente Zielentfaltung bis hinunter auf den einzelnen Mitarbeiter vielfach zur Selbstoptimierung des Einzelnen statt des Unternehmens(-bereichs).

Effekte wie diese gibt es zahlreich, sie etablieren sich oft über Jahre, schleichen sich unwissentlich und unbeabsichtigt als immer größere Störungen gegenüber einem sich verändernden Umfeld ein und werden letztendlich manifestierter Teil einer Unternehmenskultur. Diese zu ändern, ist äußerst schwierig und letztendlich nur über eine veränderte Führung möglich.

Führungskräfte haben die Aufgabe, ein Umfeld mit möglichst wenigen Störungen zu schaffen, damit Spitzenleistungen möglich werden. Der wichtigste erste Schritt ist dabei die Erarbeitung des präzisen Wissens um die Art und Wirkung dieser »Störungen« über eine vollständige und umfassende Analyse des Status-quo. Um eine solche Analyse sinnvoll machen zu können, braucht es ein umfassendes (Management-)Modell, das die wichtigsten Aspekte und ihre Wechselwirkungen im Unternehmenskontext ausreichend berücksichtigt.

Das Performance-Dreieck, über Jahre entwickelt von Lukas Michel und seinem weltweiten Agility Insights-Netzwerk, ist ein solches wissenschaftlich fundiertes Modell und bildet eine Brücke zwischen den Fähigkeiten von Menschen und den Herausforderungen von Organisationen.

Der Kerngedanke dabei ist, frühzeitig zukünftige organisationale Fähigkeiten zu identifizieren, so dass man hierfür die notwendigen Talente, Teams und Strukturen entwickeln kann.

Menschen mit ihren Talenten und Fähigkeiten sind das Herzstück des Dreiecks. Im Sinne der Erkenntnis, dass »Selbstverantwortung eine wesentliche Grundlage für Wissensarbeit und Motivation ist« (Peter F. Drucker) und dass »Vertrauen führt« (Reinhard K. Sprenger), fördert das die Geschwindigkeit in Organisationen durch kompetente Entscheidungen an der Kundenfront, die Nutzung des Wissens fähiger Mitarbeiter und eine Führung, die vorrangig als Befähiger agiert.

Kultur, Führung und Systeme bilden die Ecken des Dreiecks. Gute Entscheidungen und effektive Handlungen erfordern eine Kultur, die einen gemeinsamen Kontext schafft. Führung muss den Dialog und die Interaktion über Sinn (»purpose«), Orientierung und Leistung (»performance«) aktiv fördern. Systeme müssen diagnostisch arbeiten, um die Aufmerksamkeit auf das Wichtige zu lenken und jederzeit Korrekturen ermöglichen. Intensive Interaktionen und eine diagnostische Steuerung sind grundlegende Fähigkeiten agiler Organisationen, da sie die frühe Erkennung und Interpretation von Signalen und entsprechende Handlungen ermöglichen.

Gute Entscheidungen von Menschen erfordern neben Wissen vor allem Sinn, was gleichzeitig eine entscheidende Grundlage für intrinsische Motivation ist. Interne und externe Beziehungen helfen, dieses Wissen kontinuierlich weiter zu entwickeln, auszutauschen und als Mehrwert für den Kunden zu nutzen. Kombiniertes Wissen, die gemeinsame Erfahrung und der geteilte Nutzen daraus lässt Neues entstehen und fördert die Innovationskraft. Sinn, Zusammenarbeit und Beziehungen sind jene organisationalen Fähigkeiten, die helfen, unerwartete externe Schocks und Einflüsse gut abfedern zu können. Sie halten als Seiten das Dreieck von Kultur, Führung und Systemen zusammen.

Das Performance-Dreieck führt über Geschwindigkeit, Agilität und Resilienz zur Handlungsfähigkeit. Organisationen mit diesen Fähigkeiten nutzen das Wissen in den Netzwerken von Mitarbeitern und schaffen gleichzeitig die organisationalen Fähigkeiten, um mit der Dynamik des Umfelds bestmöglich umzugehen.

Unternehmen mit einem handlungsfähigen Management, das die eigene Organisation für ihre (Wissens-)Mitarbeiter aktiv gestaltet und die Menschen in den Mittelpunkt stellt, haben das Potenzial, als Gewinner der neuen Ära hervorzugehen.

Diagnostisches Mentoring ist der zugehörige Prozess, der die systematische Entwicklung dieser dynamischen Fähigkeiten ermöglicht. Er beruht auf 3 Schritten:

  1. Decodieren
    Analyse der bestehenden Fähigkeiten durch umfassende Diagnostik und Benchmarking (Online-Tool)
  2. Gestalten
    Erarbeiten des Zielbilds der zukünftigen organisationalen Fähigkeiten (CEO-Briefing und Executive Team-Workshops)
  3. Entwickeln
    Erarbeitung von Veränderungsschritten und deren Umsetzung über das Performance-Dreieck unter Einbindung der operativen Organisation (Mentoring und Tages-Workshops)

Auch wenn es für das Diagnostische Mentoring eine Fülle von Hilfsmitteln und Unterstützung durch speziell ausgebildete Mentoren aus dem Agility Insights-Netzwerk gibt, so bedeutet diese Weiterentwicklung für die betroffenen Unternehmen immer eine Transformation, die Verhaltensweisen und Kompetenzen grundlegend verändert, Bestehendes in Frage stellt, in etablierte Abläufe eingreift, und somit immer auch Risiken beinhaltet.

Eine grundlegende Entwicklung betrifft die Entscheidungskompetenzen. Führungskräfte müssen sich im Rahmen der Weiterentwicklung entscheiden,

  • wie sie Mitarbeiter involvieren bzw. einbinden wollen
  • wie Arbeit koordiniert und gesteuert wird
  • wie Ziele gesetzt und verfolgt werden
  • wie Veränderungen / Anpassungen erfolgen
  • wie Entscheidungen gefällt werden

Bei jeder dieser 5 Schlüsselfragen besteht die Wahl und Notwendigkeit einer Festlegung für entweder

a) mehr Selbstverantwortung der Mitarbeiter oder
b) Steuerung durch die Führung.

Abhängig von der Kombination der Antworten ergeben sich jeweils andere Konzepte für das Management und die Organisation.

Diese »Arbeit am System«, das richtige Design von Führung und Organisation, ist keine Aufgabe für die Belegschaft oder etwa das untere und mittlere Management. Sie kann nicht delegiert werden, sondern muss im Führungsteam an der Spitze einer Organisation beginnen.

Idealerweise steht am Anfang eine saubere Diagnose, Analyse und Interpretation der Ergebnisse sowie im Konsens getroffene Antworten auf die oben aufgeführten fünf Grundsatzfragen. Erst dann beginnen die Konkretisierung in den verschiedenen funktionalen Bereichen der Organisation und die Formulierung von präzisen Interventionen.

Es ist und bleibt die Verantwortung und Entscheidung der Geschäftsführung, die notwendigen Veränderungen anzupacken, um damit die Potenziale zu aktivieren und diese zu Gunsten der Organisation, der Kunden und des Geschäfts umzusetzen.

Rüdiger Schönbohm
TYSCON Management Consulting & Business Partner Agility Insights

Bilder und einzelne Textpassagen
© Agility Insights AG, 2016 / Titelfoto: Pixabay

Industrie 4.0

Es ist das aktuelle Wirtschaftsthema schlechthin und es gibt kaum ein Thema, bei dem die Auswirkungen auf die Industrie und die Gesellschaft so kontrovers diskutiert werden. Geht es um die Frage, wie die Digitalisierung die Arbeitswelt verändert, bestimmen unterschiedliche Meinungen die öffentliche Debatte. Pessimisten befürchten die Vernichtung von Jobs, Optimisten sehen Industrie 4.0 als Wachstums- und Beschäftigungsmotor. In welche Richtung es auch geht, eines steht fest: Der Veränderungsdruck auf Beschäftigte, Arbeitgeber und Staat wird deutlich steigen.

Nach Mechanisierung, Elektrifizierung und Informatisierung der Industrie läutet der Einzug des Internets der Dinge und Dienste in die Fabrik eine 4. Industrielle Revolution ein. Unternehmen werden zukünftig ihre Maschinen, Lagersysteme und Betriebsmittel als Cyber-Physical Systems (CPS) weltweit vernetzen. So lassen sich die industriellen Prozesse in der Produktion, dem Engineering und der Supply Chain grundlegend verbessern. In neu entstehenden Smart Factories herrscht eine völlig neue Produktionslogik. Die eingebetteten Produktionssysteme sind mit betriebswirtschaftlichen Prozessen innerhalb von Fabriken und Unternehmen vernetzt und zu Wertschöpfungsnetzwerken verknüpft – von der Bestellung bis zur Ausgangslogistik. Gleichzeitig ermöglichen und erfordern sie eine durchgängige Betrachtung über die gesamte Wertschöpfungskette hinweg.

Durch Industrie 4.0 entstehen neue Formen von Wertschöpfung und neuartige Geschäftsmodelle. Gerade für Start-ups und kleine Unternehmen bietet sich hier die Chance, nachgelagerte Dienstleistungen zu entwickeln und anbieten.

Der Arbeitskreis Industrie 4.0 sieht für die Unternehmen unter anderem Handlungsbedarf in folgenden Handlungsfeldern:

  • Beherrschung komplexer Systeme: Produkte und Produktionssysteme werden immer komplexer. Adäquate Planungs- und Erklärungsmodelle sind eine Basis, um die zunehmende Komplexität zu beherrschen. Ingenieuren müssen Methoden und Werkzeuge an die Hand gegeben werden, um solche Modelle zu erstellen.
  • Sicherheit: Die Betriebs- und Angriffssicherheit sind in den intelligenten Produktionssystemen erfolgskritische Faktoren. Zum einen sollen von den Produktionsanlagen und Produkten keine Gefahren für Menschen und Umgebung ausgehen; zum anderen müssen die Anlagen und Produkte selbst vor Missbrauch und unbefugtem Zugriff geschützt werden – insbesondere die darin enthaltenen Daten und Informationen. Dazu sind zum Beispiel integrierte Sicherheitsarchitekturen und eindeutige Identitätsnachweise zu verwirklichen, aber auch Aus- und Weiterbildungsinhalte entsprechend zu ergänzen.
  • Arbeitsorganisation und -gestaltung: Die Rolle der Beschäftigten erfährt in der Smart Factory einen erheblichen Wandel. Die zunehmende echtzeitorientierte Steuerung verändert Arbeitsinhalte, -prozesse und -umgebungen. Das bietet Chancen für eine stärkere Eigenverantwortung und Selbstentfaltung der Arbeitnehmer, die durch einen sozio-technischen Gestaltungsansatz verwirklicht werden können. Dazu sollten eine partizipative Arbeitsgestaltung sowie lebensbegleitende Qualifizierungsmaßnahmen in den Blick genommen und Referenzprojekte mit Vorbildcharakter initiiert werden.
  • Aus- und Weiterbildung: Die Aufgaben- und Kompetenzprofile der Mitarbeiter werden sich in Industrie 4.0 stark verändern. Das macht adäquate Qualifizierungsstrategien und eine lernförderliche Arbeitsorganisation notwendig, die lebensbegleitendes Lernen und eine arbeitsplatznahe Weiterbildung ermöglichen. Dazu sollten zum Beispiel Modellvorhaben und »Netzwerke guter Praxis« gefördert sowie digitale Lerntechniken erforscht werden.

Dies bedeutet für die Unternehmen sich schneller als bisher zu verändern, schneller auf Impulse zu reagieren und kompetent mit der gestiegenen Komplexität umzugehen. Die Führungskräfte und die HR-Bereiche in den Unternehmen sind gefordert, die Entwicklung ihres Personals schneller und stärker als bisher auf neue und veränderte Anforderungen anzupassen und Arbeitsorganisationen zu etablieren, die wesentlich mehr Freiräume als bisher bieten. Feste Schichten und harte Abteilungsgrenzen werden ebenso auf dem Prüfstand stehen wie rigide Stellenbeschreibungen. Entscheidungen werden zunehmend dort getroffen werden müssen, wo die zu entscheidende Situation entsteht. Eine Vertrauenskultur und der Ausbau von Entscheidungsfähigkeiten sind dafür unbedingte Voraussetzung. Industrie 4.0 führt so zu mehr selbstbestimmten, eigenverantwortlichen und damit höher motivierten Mitarbeiter*innen. Um das zu erreichen bedarf es neuer und innovativer Ideen und Möglichkeiten der Weiterbildung, der schulischen und universitären Ausbildung sowie für das duale Ausbildungssystem und die Organisationsentwicklung.

Wilhelm Dick