Im loftartigen, herbstlich-warmen Ambiente des Kölner Kunstsalons, mit Blick über die bunten Dächer des Kölner Südens trafen sich SYNNECTA BeraterInnen und Trainer und Teilnehmende aus Wirtschaft, Wissenschaft und Kultur zur SOPHIA 2014. Das Ziel: gemeinsam Ergebnisse zu den neuesten Entwicklungen aus Organisationsentwicklung und Change Management zu erarbeiten.

Flüchtigkeit/Volatilität, Unbestimmtheit/Unsicherheit, Komplexität und Ambiguität/Mehrdeutigkeit – kurz: VUCA – waren die Schlagwörter der Veranstaltung. Sie fassen das allgegenwärtige Lebensgefühl – die Wahrnehmung der Realität – treffend zusammen. Märkte und Kultur entwickeln sich rasend schnell, genauso schnell müssen Entscheidungen getroffen werden. Auf der einen Seite fehlen oft die nötigen Entscheidungsgrundlagen, um eine Eindeutigkeit herzustellen. Es gibt nicht (mehr?) das Richtig und das Falsch. Auf der anderen Seite können Unternehmen ihren Mitarbeitern längst nicht mehr eine derartige Sicherheit (einmal Eisenwaren Schmitz – immer Eisenwaren Schmitz) bieten.

Es geschieht nicht ohne Grund, dass Unternehmen die relative Sicherheit einer hierarchisch bürokratischen Organisation zumindest teilweise verlassen und so ganz neue Verhaltensfelder öffnen. Große Chance für einige, empfundene Bedrohung für andere. Was als Globalisierung in den Industrienationen früher oft nur als Erweiterung der Märkte gesehen wurde, entfaltet eine ganz neue Dynamik – die exponentielle Steigerung von Vernetzungen hat Märkte beschleunigt, das Feld der Konkurrenz weit geöffnet und Markteintrittsmöglichkeiten und auch die Innovationsgeschwindigkeit erhöht. Diese Dynamik verlangt organisatorische Antworten und zugleich neue Fähigkeiten und Haltungen bei den Führungskräften. In Köln wurde beides sichtbar – Unternehmen stellen sich dieser Herausforderung und suchen danach, wie dies in tradiertes, bisher erfolgreiches Handeln integriert werden kann. Eine belebende Atmosphäre des suchenden Dialogs entstand.

Wie können wir als Menschen und als Organisationen auf VUCA reagieren? Oder vielmehr: Wie kommen wir aus der reaktiven Rolle heraus und nutzen die Chancen, die VUCA uns bietet? Wieviel VUCA verantworten wir selbst und wie wollen wir unsere Unternehmen weiter gestalten? Die Sophia, als Dialog, Lern- und Erfahrungsort ist ein Workshopformat, das selbst schon eine Antwort ist. Es belässt viel Eigeninitiative bei den Teilnehmern, gibt die Lernverantwortung an die Teilnehmer zurück und sorgt dennoch für sichernde und stabilisierende Situationen. Individualität, Freiheit und Gemeinschaftlichkeit werden hier in eine produktive Balance gebracht.

Raus aus dem Gewohnten, den starren Prozessen, der eingeschränkten Sichtweise, etwas ganz anderes tun – oder etwas Gewohntes ganz anders. Eine bereichernde und inspirierende Erfahrung, die manchmal aber auch das Verlassen der eigenen Komfortzone verlangt. »Das kann ich sowieso nicht«, »OK, mach ich, aber schön ist’s nicht«, »Was soll das überhaupt« – typische Gedanken und Gefühle von Menschen in Change-Prozessen, und seien sie selbst noch so veränderungswillig, kreativ, flexibel, initiativ und resilient.

Dennoch gelang es dank dem freundschaftlichen und inspirierenden Rahmen der SOPHIA, einen geschützten Raum zu schaffen, in dem die Teilnehmenden sich ausprobieren, darstellen, Grenzen ausloten konnten. So zum Beispiel anhand des Projekts »Me-enactment – inszenierte Selbstportraits«. Gemeinsam mit der Berliner Fotokünstlerin Bettina Cohnen erarbeitete jeder Teilnehmer ein individuelles Konzept zur Selbstdarstellung. Sofort stellten sich nicht nur die Fragen »Wer bin ich und was macht mich aus?«, sondern vor allem auch »Was will ich nach außen preisgeben und auf welche meiner vielen Facetten lege ich mich in der Kommunikation fest?«.

Tag für Tag leben wir mit der eigenen Komplexität, ja sogar Widersprüchlichkeit. Doch in Zeiten von Social Networks & Co. müssen wir zusätzlich damit umgehen, dass Botschaften, die wir aussenden, eine ganz eigene Dynamik entwickeln, die wir kaum noch beeinflussen können. Am Ende der SOPHIA hielten die Teilnehmer nicht nur spektakuläre Selbstportraits von sich in der Hand, wie sie unterschiedlicher nicht hätten sein können. Die Fotografien wurden auch den anderen Teilnehmern präsentiert und so »der Öffentlichkeit« preisgegeben. Jeder durfte die Portraits der anderen mit Begriffen auf Zetteln bestücken, so dass die Vieldeutigkeit einer Darstellung ebenso wie die ganz individuellen Interpretationsmöglichkeiten auch direkt »ausgehalten« werden mussten.

Apropos »aushalten«: Dass es in der heutigen Zeit fast unmöglich ist, in einem Thema Experte zu sein und auch zu bleiben, durften die Teilnehmer an mancher Stelle erfahren. Ob beim kreativen Lego-Zusammenbauen oder beim Brainstormen und Clustern zu den Fragen, wie man als Mensch/Führungskraft/Organisation auf VUCA reagiert – stets war die Kunst der Improvisation gefragt.

Dasselbe galt auch für die zwei Musiker, die am Freitagabend ins SYNNECTA-Haus eingeladen waren. Der Gitarrist Vincent Themba und die Bassistin Ulla Oster hatten sich zuvor noch nie gesehen. Die Teilnehmer durften miterleben, wie aus dem Stegreif ein minimalistisch inszeniertes Konzert entstand, in dem die Künstler teils dialogisch, teils sich in der Führung abwechselnd, teils im gemeinsamen Flow große Wirkung erzielten. Im Anschluss entstand ein anregendes Gespräch über Improvisation, eigene Haltungen, Rollen und Beziehungen zwischen Menschen und Zusammenarbeiten und -sein. Entgegen den Vermutungen vieler Teilnehmer, die in ihren Fragen immer wieder auf Führen und Machtverhältnisse zu sprechen kamen, ging es den Musikern im Gespräch um das Vertrauen – in sich selbst, und auch in den Anderen. Vertrauen sozusagen als Grundhaltung: dass man gemeinsam wie auch alleine schon etwas Gutes schaffen wird.

Auch an anderen Orten der SOPHIA tauchte der Begriff »Vertrauen« immer wieder auf. Wichtig dabei: Es geht nicht um Vertrauen, das auf Tradition und Erfahrung ruht. Sondern jenes, das man schenkt und geschenkt bekommt. Die Erwartung, jemand solle es sich erst einmal verdienen, wird so gut wie immer enttäuscht – denn gerade in der VUCA-Welt werden wir alle an großen und kleinen Dingen immer wieder scheitern. Vertrauen macht uns verletzlich, und das verlangt sozialen Mut. Und soll es denn eine beständige Haltung werden, impliziert Vertrauen auch die Fähigkeit zur Vergebung – seinen Mitmenschen, Mitarbeitern, vor allem aber auch sich selbst. Vergebung sorgt dafür, dass Vertrauen weiter bestehen kann und dass wir wertvolle Energie nicht ans »Warum« des Scheiterns verschwenden, sondern den Blick weiten, Neues ausprobieren, an Probleme mit ungewohnten Strategien herangehen. Das macht uns einerseits resilient, und ermöglicht andererseits Innovation und »weiche« Werte wie Intuition, kindliche Naivität (als Voraussetzung für Kreativität), das Aushalten von Ambiguität und nicht zuletzt Selbstreflexion.

Selbstreflexion war ein großer Bestandteil der Tour de Cologne. In drei ganz unterschiedlichen Führungen über den Kölner Melaten-Friedhof, das Rautenstrauch-Jost-Museum und zwei Kölner Kirchen wurden mit behutsamen Inputs und Interaktionen Schwerpunkte auf das Erleben gesetzt, gleichzeitig hatten die Teilnehmer Zeit zu reflektieren. Neben der Erfahrung, sich die Stadt als Erlebnisraum und als Ort zum Innehalten verfügbar zu machen, entstanden ganz spontan und überraschend einige überwältigende Momente.

Der Sinn menschlichen Handelns und irdischen Daseins wurde mit dem Vortrag von »Astro-Entertainer« Christian Preuß gewaltig in Frage gestellt. Fundierte und bewusstseinserweiternde Perspektiven, die er auf die Erde, die Galaxien und das gesamte Universum gab, eröffneten ganz neue Varianten von VUCA: In der Undurchschaubarkeit, Unvorhersehbarkeit und fehlenden Systematik des Alls herrschen »echte« VUCA-Zustände. Damit stellte sich gleichzeitig die Frage, ob die von uns wahrgenommenen VUCA-Zustände in unseren Alltagen nicht eigentlich harmlos sind – im Vergleich dazu. Auf mitreißende Art vermittelte Christian Preuß die für den Menschen kaum erfassbare Vielfalt und unendliche Größe des Alls, die erstaunlichen Dynamiken der Galaxien und Planeten. Diese Aha-Erlebnisse führten dazu, dass plötzlich jeder Teilnehmer sich selbst auf angenehme Art und Weise »klein« und unsere Welt als viel weniger bedeutend und bedrohlich erlebte. Anschließend guckte man auf dem Dach des Maritim-Hotels mit Teleskopen in den Nachthimmel und ließ das Erfahrene noch tiefer wirken.

Klein sein, oder sogar auch mal Kind sein, konnte sicherlich als eine der vielen VUCA-Resilienz-Strategien von der SOPHIA mit nach Hause genommen werden. Wir – privat und in Unternehmen – können VUCA nicht nur überleben, sondern leben und nutzen, wenn wir zwischendurch wie Kinder unvoreingenommen und ohne definiertes Ziel an Probleme und Aufgaben herangehen. Wenn wir nach jedem gescheiterten Versuch einfach wieder aufstehen und es mit neuer Taktik versuchen – und erfolgreiche Taktiken verwerfen, sobald diese zu bröckeln beginnen. Und wenn wir die Fülle, die sich uns bietet, ungeniert ausnutzen, um damit zu spielen, experimentieren und schließlich zu produzieren. Bewusst ganz ohne erklärten Sinn dahinter marschierten alle SOPHIA-Teilnehmer nach getaner Arbeit zu »Kölns bester Eisdiele«, ein nagelneues Aufzieh-Spielzeug in der Tasche, um die letzten gemeinsamen Momente zu genießen und VUCA-gestärkt ins »echte«, vielleicht aber gar nicht immer so ernste Leben zurückzukehren.