Spektrum der Balance – Ein Kulturmodell für Organisationen

Das Kulturmodell »Spektrum der Balance« wurde von SYNNECTA entworfen und in Co-Creation mit Partner*innen aus der Unternehmenswelt weiterentwickelt. Es verleiht Kultur eine Sprache und damit Menschen in Organisationen eine Reflexions- und Diskussionsgrundlage. Das Modell ist beschreibend und im Gegensatz zu vielen populären Ansätzen nicht normativ. Es ist leicht verständlich und kann einfach und flexibel eingesetzt werden.

Zu Beginn eines umfassenden Transformationsprozesses in einem mehr als 30.000 Frau*Mann starken Industrieunternehmen betonte der verantwortliche CEO eindrücklich und wiederholend: 50% des Erfolgs bringe die Reorganisation und die Umsetzung der neuen Strategie, 50% liege jedoch in der Veränderung der Unternehmenskultur! Peter Drucker mit seiner Aussage »Culture eats strategy for breakfast« lässt grüßen.

Nun macht es aus unserer Sicht wenig Sinn Kulturveränderung als weiteres Projekt im Rahmen einer Veränderung auf- und umzusetzen, ganz nach dem Prinzip: Ist-Kultur analysieren, Leitkultur definieren und »Go« (siehe dazu »Unternehmensleitbilder in Zeiten hybrider Gesellschaften«). Warum?

Kultur ist einerseits allgegenwärtig und manifestiert sich permanent in unserem Fühlen, Denken und Handeln und somit in der Kommunikation, Zusammenarbeit und Führung von Organisationen. Andererseits ist Kultur wenig greifbar, ständig im Fluss und ihre Wirkung den Handelnden oft nicht bewusst. Vieles liegt im Zwischenmenschlichen verborgen und ist Teil der Beziehungen beteiligter sozialer Akteure. Subjektive Wahrnehmung und Interpretation der Individuen und sozialen Gruppen haben einen Einfluss auf das Erleben der Kultur. Zudem spielt der aktuelle Kontext eine wichtige Rolle. Folglich gibt es weder »die« oder »die richtige« Kultur für alle in einer Organisation, noch lässt sie sich im mechanistischen Sinne planmäßig transformieren.

Kultur und kulturelle Muster werden am besten über Reflexion und im gemeinsamen Diskurs erkannt und verstanden. Dies verlangt nach Worten und einer gemeinsamen Sprache sowie Möglichkeiten der Differenzierung. Nun existieren bereits viele Kulturmodelle, die man für diese Übung nutzen kann. Häufig beinhalten sie jedoch einen normativen Entwicklungsansatz (z.B. Spiral Dynamics oder auch das von F. Laloux in »Reinventing Organizations« beschriebene Stufenmodell).

Rüdiger Müngersdorff entwarf deshalb ein nicht-normatives Kulturmodell, basierend auf fünf kulturellen Aspekten bzw. Dimensionen, welches zunächst in einer SYNNECTA-internen Projektgruppe weiter ausgearbeitet wurde. Es kann im Gespräch mit Einzelnen und kleinen Gruppen ad hoc oder strukturiert in Workshops und Großveranstaltungen eingesetzt werden. Im Rahmen eines umfassenden kulturellen Transformationsprozesses mag es als grundlegendes Modell dienen. Inhaltlich-sprachlich sowie methodisch-prozessual lässt es sich kundenspezifisch anpassen. Wir konnten damit in unterschiedlichen Organisationen bereits vielfach positive Erfahrungen sammeln.

Darüber hinaus entwickelten wir unser Ursprungsmodell mit Partner*innen aus verschiedenen HR- und OE-Bereichen der Bosch-Gruppe weiter. Nach mehreren Iterationsschleifen in einem sieben-köpfigen Team (s.u.) setzt sich das »Spektrum der Balance« Kulturmodell nunmehr aus sechs kulturellen Aspekten zusammen:

  • Der Offenheitsaspekt (aquamarin)
  • Der Autonomieaspekt (gelb)
  • Der Gemeinschaftsaspekt (grün)
  • Der Bewegungsaspekt (orange)
  • Der Strukturaspekt (blau)
  • Der Energieaspekt (rot)

Zu jedem Aspekt gibt es eine prägnante Beschreibung in Form sogenannter Aspektkarten sowie eine Bewertungskarte, die mögliche Ausprägungen des jeweiligen Aspekts skizziert, wie dieser im positiven bzw. gesunden oder im negativen bzw. ungesunden Sinne von den Menschen erlebt werden kann.

Das SYNNECTA Ursprungsmodell beinhaltet zusätzlich Veränderungskarten, die erste Ideen und Hinweise geben, was je nach Ausgangssituation getan werden kann, um einen bestimmten Kulturaspekt in einer Organisation zu stärken. Die Modelle wurden bisher strukturiert in Workshops, Großveranstaltungen und im Rahmen von Open Office Veranstaltungen eingesetzt. Dafür existieren unterschiedliche Dramaturgien.

In einem nächsten Schritt der Co-Creation mit unseren Partner*innen ist angedacht kontextspezifische »Kulturbalancen« zu definieren und zu beschreiben (z.B. Kulturbalance »Digitale Transformation«), die als weitere Reflexionsmöglichkeit für Mitarbeiter*innen und Führungskräfte in Organisation dienen können.

Thomas Meilinger

Unsere Co-creativen Partner*innen: Benjamin Berger (Bosch Powertrain Solutions, Business Transformation), Germán Barona & Laura Heim (Bosch Corporate, Kulturentwicklung und Transformation), Harald Baumann (Bosch Rexroth, Business Excellenz), Sybille Payer & Anna Prieschl (ETAS GmbH, Personal- und Organisationsentwicklung)

Titelfoto: Paul Hanaoka by unsplash.com

Kulturarbeit in Organisationen ist Arbeit am kollektiven Mindset

Radikale Kollaboration, Transformation, neues Denken, Digitalisierung – kaum ein Thema, welches nicht durch Mindsetarbeit bewegt und unterstützt werden soll. Auffällig dabei, es geht immer um die Mindsetarbeit des einzelnen Mitarbeiters. Aber kann man durch die Summierung der Veränderung individueller Mindsets wirklich eine Organisationskultur bewegen?

Die sich derzeit durchsetzende Arbeit am Mindset konzentriert sich vor allem auf individuelle Muster der Wahrnehmung, Bewertung und Beurteilung von Situationen. Mit vielfältigen Methoden werden Individuen die Möglichkeit gegeben, eigene Prädispositionen in der Begegnung mit der Welt zu erkennen und zu verstehen, wo diese Vorannahmen hilfreich sind und auch wo sie das Feld möglicher Antworten auf die Herausforderungen der Welt einschränken. Dieses Vorgehen hat sich in Coachingsettings als sehr hilfreich erwiesen. Und so ist die Arbeit an einem individuellen Mindset auch ein Baustein in der Arbeit von MyndLeap. MyndLeap geht aber darüber hinaus.

Der Begriff Mindset ist in der Mentalitätsforschung verankert. Hier wurde verstanden, wie sich die Einstellungen, Wahrnehmungen und Wertungen sozialer Schichten in Bezug auf Situationen und Ereignisse unterscheiden, was gravierende Auswirkungen auf die jeweilige Stellung innerhalb der gesellschaftlichen Strukturen hat. Auch hierdurch wird die Durchlässigkeit der gesellschaftlichen Schichten vermindert (ein Aspekt, den SYNNECTA in den eigenen Diversitätsansätzen verankert hat). Dieser Arbeitsansatz wurde dann auch auf das Verständnis unterschiedlicher Lebensräume und Nationen ausgedehnt und ist bis heute Grundlage der Modelle interkultureller Zusammenarbeit.

MyndLeap ist sich dieser Verankerung der Mindsetarbeit in primär kollektiv gedachten Prädispositionen bewusst und hat sich so auch auf Arbeitsformen konzentriert, die es möglich machen, kollektive Wahrnehmungs- und Bewertungsmuster zu erkennen und Chancen zu deren Beeinflussung zu öffnen. MyndLeap kann so effektiv kollektive »Mindsets« wahrnehmen und Arbeitsformen zur Verfügung stellen, die es Kollektiven ermöglichen, den jeweiligen Nutzen und die Begrenzungen dieser kollektiven Prädispositionen zu erkennen. Und wie in jeder Kulturarbeit öffnet das Bewusstsein die Chance zur Veränderung und Entwicklung. MyndLeap stellt so der eher psychologisch orientierten Mindsetarbeit eine soziologisch fundierte Perspektive zur Seite und bietet damit die Chance zu einer effektiven Arbeit an der Kultur eines Kollektivs, einer Organisation.

(In der Organisationsentwicklung ist die von Didier Eribon und Annie Ernaux angestoßene Verschiebung von einer dominant psychologischen Perspektive hin zu einer soziologisch politischen Perspektive noch kaum angekommen. Dabei bietet diese Perspektive für die Anstrengungen einer transformativen Kulturarbeit und speziell einer wirksamen und effektiven Erhöhung der Diversität in Organisationen eine große Chance.)

www.myndleap.com

Rüdiger Müngersdorff
Foto: GoaShape by unsplash.com

Die Wiederkehr der Masse

Zu Beginn des letzten Jahrhunderts trat das Phänomen der Masse in den Vordergrund theoretischer Erörterungen. Von Gustave Le Bon ausgehend beschäftigten sich unter anderem Elias Canetti, Hermann Broch und Sigmund Freud mit dieser neuen politischen, gesellschaftlichen Realität. Hier schon wird gesehen, dass die Masse dem starken Trend zur Individualisierung entgegensteht. Die meisten Autoren sehen dabei vor allem das Bedenkliche der Massenphänomene, die sie als primär emotional gesteuert und als unvernünftig bzw. vernunftfeindlich sehen. Canetti nimmt eine ambivalente Stellung ein. Dies wird in einem Zitat deutlich:

»Nichts fürchtet der Mensch mehr als die Berührung durch das Unbekannte, (…) Es ist die Masse allein, in der der Mensch von seiner Berührungsangst erlöst werden kann.«

Diese Erlösung hat ihren Preis, sie löscht Individualität und Differenzierung aus.

Der Trend zum Individualismus wurde von Nationalkonservativen und später vor allem von faschistischen Bewegungen bekämpft. Die sich geschichtlich öffnende Chance, individuelle Lebensentwürfe zu wählen, Differenz zu leben weckte wohl die Furcht vor dem Unbekannten, von der Canetti sprach. Mit der Wahl der NSDAP in Deutschland wurde das liberale Projekt der Freiheit zunächst gestoppt. In Massenkundgebungen, in ästhetischen Inszenierungen gestaltet, wurde die Entindividualisierung sichtbar vollzogen. Unterstützt wurde diese Bewegung durch das neue Medium: das Massenmedium Radio, das wohl nicht unbeabsichtigt den Namen Volksempfänger trug.

Und heute, in den beginnenden neuen Zwanzigern? Eine Nachricht an Facebook, Instagram oder irgendein anderes soziales Netzwerk: Eine freundliche automatische Antwort: »Danke, dass Du uns das mitgeteilt hast.« Was auch immer individuell und spezifisch Du auch gesagt, gewollt hast, es spielt keine Rolle, Deine individuelle Stimme zählt nichts. Erst wenn Du Teil einer sozialen, ökonomisch oder politisch relevanten Menge bist, wird das Netzwerk aufmerksam. Nicht auf Dich, sondern auf die sich formende Masse. Dann reagiert es – Du selbst kommst nicht vor, du bist nur als ein Teil der Masse interessant.

In den sozialen Medien erleben wir heute, entgegen derer Propaganda, dass sie einen Raum für den Ausdruck eines jeden Einzelnen öffnen, das Gegenteil: einen Prozess der Entindividualisierung. Nur noch die Masse und die Inszenierung der Masse zählt. Digitalisierung wird hier zum Instrument einer Entwicklung, die den mühsamen Weg Europas hin zum Gewinn individueller Freiheit gefährdet und Menschen wieder zur manipulierbaren Masse werden lässt. Wie am Beginn des letzten Jahrhunderts wird die Gegenstimme zum liberal, individualistisch orientierten Trend, der vor allem in den Metropolregionen stark ist, durch die technischen Möglichkeiten der Digitalisierung und der sozialen Netzwerke befördert oder erst ermöglicht.

Das System der sozialen Netzwerke, die sich in ihren Community Standards eher an konservativ evangelikalen und amerikanischen »Werten« orientieren, wird durch ein großes Netzwerk von Denunzianten unterstützt. Kaum ein Posting, ohne die Aufforderung doch etwas zu melden, was möglicherweise gegen die Standards, die nebenbei sehr undurchsichtig sind, verstoßen könnte. Dies hat eine bedrückende Parallele zu dem Blockwart der NS-Zeit in deutschen Städten und Gemeinden. Früher wurden diese Standards wohl als »gute Sitte« oder auch als »Volkswille« präsentiert.

In dieser Entwicklung sind die naturgemäß stark zersplitterten, liberal und individualistisch orientierten Kräfte hilflos, denn wie kann Individualismus zu einer relevanten Masse geformt werden? In den demokratischen Wahlen werden die liberal orientierten Kandidaten nicht von den rechts konservativen Mengen geschlagen, sondern sie scheitern an der eigenen möglichen Wählerschaft, weil sie immer einige der sehr diversen Anliegen nicht abdecken können.

Es wird eine Aufgabe der neuen Zwanziger sein, der Digitalisierung Individualisierung beizubringen und es wird die große Herausforderung sein, sich als liberal individualistische Gemeinschaft zu sammeln und aus dem Prozess der Selbstzerstörung auszusteigen.

Rüdiger Müngersdorff
Foto: Davide Ragusa by unsplash.com

11th Peter Drucker Forum (GPDF19) – The Power of Ecosystems

SYNNECTA und die Peter Drucker Society

SYNNECTA engagiert sich seit einigen Jahren als Mitglied des Internationalen Beirats für die Peter Drucker Gesellschaft und das Peter Drucker Forum. Im Beirat werden sowohl die Zukunftsthemen für die Peter Drucker Society diskutiert, als auch das jährliche Peter Drucker Forum vorgedacht. Gerade konnten 1.000 Teilnehmer aus der ganzen Welt die 11. Ausgabe zum Thema »The Power of Ecosystems« in der Wiener Hofburg erleben. Weitere 1.000 Interessierte verfolgten das Programm im Livestream. Eine diesjährige Besonderheit war, dass alleine aus China nahe 100 Teilnehmende nach Wien kamen und die Konferenz bereicherten.

Das Peter Drucker Forum darf sich der Anerkennung als international führendes Management Forum erfreuen. Es wird nicht nur von der Stadt Wien, dem Geburtsort Peter Druckers, unterstützt, sondern auch von bedeutenden Medien wie Financial Times, Harvard Business Review und The Economist.

Wer die Philosophie und das Wirken der SYNNECTA kennt, wird leicht erkennen, wo die Resonanz zum Werk von Peter Drucker liegt. Peter Drucker hat den Menschen in den Mittelpunkt all seiner Management-Überlegungen gestellt und wir freuen uns, seine weitsichtigen, visionären, aber auch sehr praxisbezogenen Einsichten zu Management, Organisationen und Gesellschaft in den aktuellen Diskurs einzubringen. Seine vielen geistreichen und pointierten Zitate begegnen uns immer wieder, wenn Manager*innen und Leader in ihren Präsentationen grundlegende Sachverhalte erläutern.

Das von der übergewichtigen Bedeutung der Kultur gegenüber der Strategie muss wahrscheinlich nicht einmal mehr ausformuliert werden. Drucker verstand Management als eine »soziale Technologie« und hat die gesellschaftliche Verantwortung der Unternehmen und der Leader und Manager*innen betont. Er hat sehr früh die einseitige Fixierung auf einen Shareholder Value als Irrweg entlarvt und Stellung für einen »shared value« der Unternehmen bezogen. Ein Unternehmen könne nicht nur für sich selbst einen Sinn und Zweck erfüllen, sondern müsse dies auch für die Gesellschaft tun. Einen Mehrwert für alle schaffen und zum höchsten Wohle aller wirken.

Zurück zum Forum. Zurück nach Wien im November 2019.

Das Forum bringt Forschung und Praxis aus der ganzen Welt zusammen. So sprechen Professor*innen der großen renommierten Business Schools und die CEO´s der erfolgreichsten Unternehmen, Vertreter*innen großer Traditionsunternehmen gleichermaßen wie Vertreter*innen von Start-Ups. Und unter den Teilnehmenden finden sich ebenfalls Politik, Unternehmen, Berater*innen und die Akademia wieder; sie setzen sich mit den Impulsen auseinander, gehen in einen durch den vielfältigen Input inspirierten Dialog und vernetzen sich.

Die schiere Zahl an Speakern und Beiträgern von beinahe 100 aus der ganzen Welt ist überwältigend, die Qualität der Beiträge ebenfalls (zumindest größtenteils!). Alleine 11 Speaker gehören der Liga der Top50-Thinker an, mit Amy Edmondson, Alexander Osterwalder und Rita McGrath werden drei von ihnen unter den Top 10 gelistet. Und noch ein bisschen »name dropping«: Vint Cerf (VP Google), Ed Catmull (Gründer von Pixar), Zhang Ruimin (CEO Haier Group), Young K. Sohn (President Samsung), Miriam Meckel (ADA), Jos de Blok (Gründer von Buurtzorg), Tony Tan Keng Yam (früherer Präsident Singapores) und viele andere mehr.

Von den Namen zu den Inhalten.

»The Power of Ecosystems« trifft den Nerv der Zeit. Erfolgreiche Unternehmen mit geschlossenen Außengrenzen lassen sich nicht mehr finden. Ökosysteme und Plattformen sind die neue Organisationsrealität.

Autor: Alexander Osterwalder

Wir leben und arbeiten in Ökosystemen, die in Bewegung sind und ein neues Denken im Management verlangen. Wir entwickeln andauernd und intentional Wertschöpfungspartnerschaften, die Innovationen ermöglichen, Kompetenzen bündeln oder kundenorientierte Verrichtungen skalieren. Wettbewerber werden in bedeutsamen Dimensionen des unternehmerischen Handelns zu Partnern, ohne die grundsätzliche Konkurrenz aufzugeben. Dies geschieht mit einem »win-win«-Versprechen, das nur erfüllt werden kann, wenn Transparenz und Fairness gelebt werden und »Vertrauen« die Zusammenarbeit prägt.

Es steht außer Frage, dass technologische, digitale Fortschritte ein neues Denken und unternehmerisches Handeln erst ermöglichen, und auf dem Forum wurden sehr konkrete Beispiele geschildert, wie Plattformen und neue Geschäftsmodelle entwickelt und realisiert werden. Erläuterte z.B. Carsten Linz (Digital Officer BASF) im Panel »Capitalizing on New Technology and Connectivity« das strategische Vorgehen, so betonte Karennan Terrell (Chief Digital & Technology Officer GSK) die große Bedeutung des Menschen am Erfolg von Plattformen und der Navigation in Ökosystemen.

Wenn die CEO´s auf der Konferenz von ihren Transformationen und der Nutzung neuer Geschäftsmodelle berichten, dann spielen sowohl die Plattformen eine wesentliche Rolle, auf der alle Einheiten ankoppeln und bestimmte Serviceleistungen abrufen können, als auch die Schaffung kleinerer Einheiten, die sich auf ihre Kunden, Produkte und Dienstleistungen fokussieren können. Zhang Ruimin (CEO and Chairman of the Board of Directors, Haier Group) berichtet von über 200 eigenständigen entities, die ihr Geschäft erfolgreich vorantreiben und über eine Service- und Kommunikationsplattform verbunden sind.

Arthur Young (Senior Advisor Tencent Holdings Limited) stellt eine konkrete Transformation dieses chinesischen Internetunternehmens vor, das 1998 gegründet wurde und mittlerweile einen Jahresumsatz von € 20 Mrd. erreicht hat. Tencent hat acht große Studios in 20 kleinere, völlig autonom agierende Studios verändert, die eine gemeinsame Plattform teilen, um auf Marketing und weitere Supportfunktionen zurückzugreifen.

Die vielen unterschiedlichen Unternehmen, die sich vorgestellt haben, erlauben die Schlussfolgerung, dass das aktuelle Erfolgsmodell auf einer radikalen Kundenorientierung bzw. User-Fokus und die Gestaltung spezifischer User-Experiences beruht, hierarchiearmer bzw. agiler Zusammenarbeit, die in kleineren Einheiten verwirklicht wird.

Aber auch die Auswirkungen auf den einzelnen Menschen wurden beleuchtet. In einer Welt, die uns mit Informationen und Daten überflutet und in der viele in immer unsicheren, unvorhersehbaren Situationen Höchstleistungen erbringen sollen, stellt sich die Frage nach Gesundheit und Seelenheil. Michael J.Gelb, einer der Pioniere von Achtsamkeit und Meditation, Kreativität und Innovation machte klar, dass das Wichtigste, was ein Manager managen sollte, seine/ihre eigene Energie sei. Seine Umdeutung des CEO zum Chief Empathy Officer ist dann auch programmatisch.

Von den Kompetenzen des Einzelnen führte uns Amy Edmondson (Harvard Business School) in die »fearless organization«. Da, wo der am wenigsten machtvolle Mensch im Raum frei sprechen und seine/ihre Meinung äußern kann, ein angstfreier Raum vorhanden ist, da können auch außergewöhnliche Leistungen erbracht werden. Dies beweist die Harvard-Professorin natürlich auch mit sehr eindrucksvollen Zahlen und Vergleichen.

Ed Catmull (Co-Founder Pixar Animation Studios) berührte den Saal, als er nach dem Geheimnis des Erfolgs in einem so kreativen Umfeld, wie es Hollywood bietet, gefragt wurde. Sinngemäß antwortete er: Wenn wir zusammengesessen und gearbeitet haben, dann haben wir das Ego aus dem Raum geschickt. Wir sind neugierig, lösungsorientiert und am gemeinsamen Thema interessiert. Es ging eine große Glaubwürdigkeit in diesem Moment von ihm aus und flutete den Saal.

Die Futuristin Amy Webb zeigte konkret auf, wie die Konsument*innen durch die Convenience von Produkten in erster Linie zu Datenlieferanten für die Technologieunternehmen werden. Sie führte uns in die verführerische Welt der Künstlichen Intelligenz als dem dritten Computerzeitalter ein und sieht verschiedene mögliche Szenarien für die weitere Entwicklung, zu dem auch ein Katastrophenszenario gehört. Gleichwohl entscheidet sie sich am Ende für ein optimistisches, in dem KI die Menschheit unterstützen kann, eine bessere Zukunft aufzubauen.

Auch wenn in einem anderen Panel, so machte Young K.Sohn (President Samsung) zu diesem Thema deutlich, dass nach seiner Ansicht die Daten den Menschen und nicht den Unternehmen gehören sollten. Er sah übrigens eine wichtige übergreifende Aufgabe darin, die Fragmentierung der Welt in unterschiedliche Standards in China, den USA oder Europa zu überwinden und eine gemeinsame technologische Sprache zu finden.

Und Miriam Meckel, wieder in einem anderen Panel, schwamm erfrischend gegen den Strom der Diskussion, als sie bei der Lobeshymne auf die convenience digitaler Lösungen und Problemlösungen ein Hoch auf »Probleme« sang, da es dem Menschen nicht guttäte, wenn ihm alle Probleme abgenommen werden. Herausforderungen seien ein wichtiger Teil unserer Entwicklung und unseres persönlichen Wachstums. Als das Panel auf die Vernetzung und das Internet of Things zu sprechen kommt, wirft Miriam Meckel zurecht ein, das es ja mittlerweile schon eher das Internet of Everything geworden sei.

Das Panel zu Beginn des zweiten Tages begeisterte die Teilnehmer und auch mich besonders. Es ging um die Notwendigkeit einer Generalüberholung des Ökosystems Gesundheitswesen und die Sprecher*innen hätten wirklich nicht besser ausgesucht werden können. Als Gastgeberin der Gesprächsrunde spürte man bei Marie Ringler (Ashoka Europe Leader) eine Vertrautheit mit dem Thema und dank ihrer Vorgespräche mit Jos de Blok (Founder & CEO Buurtzorg), Kevin Hrusovsky CEO (Quanterix) und Caroline Kant (Founder & CEO EspeRare Foundation) war sie nicht nur inhaltlich gut vorbereitet, sondern konnte auch die Gesprächsatmosphäre angenehm gestalten. Bei Quanterix und EspeRare ist der radikale Blickwechsel von der Behandlung von Krankheiten zur Vorbeugung von Krankheiten und der vorbeugenden Erhaltung von Gesundheit verwirklicht. Die Integrität und Authentizität der Gründer und Unternehmensführer dieser Organisation waren wohl Grund für die besondere Intensität und Wirkung der Beiträge.

Jos de Blok, der Gründer und CEO von Buurtzorg, auf den wir im Essay »New Leadership for a New World – New Leadership – New Organizations« von 2015 als ein Beispiel für gelungene Selbstorganisation verwiesen hatten, schilderte eindrucksvoll seinen Weg vom Krankenpfleger zu demjenigen, der auf seine Erkenntnis, dass Krankenpflege in Holland falsch organisiert ist, mit der Gründung von »Buurtzorg« reagiert hat. Inzwischen arbeiten 15.000 nurses, die sich selbst in kleinen Einheiten in ihren Wohnvierteln organisieren, für Buurtzorg. 50 Mitarbeitende arbeiten im Backoffice, 21 als Coaches und zwei als Direktoren, von denen Jos einer ist. Eine intelligente IT-Plattform erlaubt die radikale Selbstorganisation. Kleine selbstorganisierte Einheiten betreuen die Patient*innen, und die Krankenpfleger*innen legen großen Wert auf die Beziehungen zu ihren Patient*innen. Die Patientenzufriedenheit liegt bei 9 von 10, genauso wie die Mitarbeiterzufriedenheit. 5mal hintereinander ist Buurtzorg als bester Arbeitgeber in Holland ausgezeichnet worden. Jedes Jahr kommen 1.200 neue Mitarbeiter hinzu. Durch die äußerst flache Hierarchie liegen die Overhead-Kosten mit 8 % extrem günstig. Jos de Blok, als mutiger »Social Entrepeneur« hat eine Industrie revolutioniert und die Verantwortung in die Hände derer gelegt, die das Geschäft auch machen. Dabei half ihm seine eigene langjährige Erfahrung als Nurse und Manager im Gesundheitswesen sehr. Auf die Bemerkung, dass er die Macht an das Pflegepersonal abgegeben habe, antwortet er, dass die Macht eigentlich beim Klienten/Patienten liegen würde. Der Kunde im Mittelpunkt, Vertrauen und Transparenz und Prozesse so einfach wie möglich gestalten, sind sicher einige der Erfolgskriterien. Sein Mantra: »Keep it small, keep it simpel« ist der Bezugspunkt für alle Entscheidungen zum Wohle der Patienten und der Gesellschaft.

Auffällig war, dass in fast allen Panels neben den riesigen technologischen, digitalen Möglichkeiten und Potentialen der KI immer wieder der Mensch, Kultur und ein notwendiger Mindset Change in den Mittelpunkt gerieten. Die Themen, die SYNNECTA seit 20 Jahren kraftvoll vorantreibt.

Die Bedeutung von Leadership wird nochmals erhöht, was uns bereits den Weg zum GPDF20 weist.

Jörg Müngersdorff

Krisenkommunikation III

Wenige Bemerkungen zur Verkündigung der schlechten Nachrichten

Es ist für die beteiligten Führungskräfte eine alle Aufmerksamkeit bindendes Ereignis. Obwohl es nur ein Schritt in einem längeren Prozess ist: es ist das zentrale Ereignis, denn hier wird der Ton für den ganzen folgenden Prozess gesetzt: die offizielle Erstverkündigung.

Für die Moderation einer solchen Veranstaltung bedarf es einer hohen emotionalen Stabilität, der Fähigkeit, Stimmungen in einer Gruppe früh wahrzunehmen und sensibel anzusprechen. Ohne eine solche Steuerung übernehmen Missverständnisse, vielfältige Befindlichkeiten und nicht aufgenommene Emotion die Regie des Geschehens.

In der Vorbereitung ist es wichtig, alle Führungskräfte einzubeziehen – denn sie bestimmen in Nebengesprächen, in ihrer Körperhaltung, in dem, was sie nicht sagen und dem, was sie im Nachhinein sagen, einen wichtigen Teil der wertenden Beurteilung der Situation – sie sind ein wichtiger Teil der sozialen Kalibrierung. Oft werden sie nicht genug eingebunden, es wird übersehen, dass sie ja selbst auch Betroffene sind und indem sie sich auf die Veranstaltung und den Prozess danach vorbereiten, auch ihre eigene Haltung klären müssen und können. Es gilt das Mantra: Präsenz zeigen!

Es ist verständlich, dass immer wieder die intensive Vorbereitung gescheut wird – man geht mit einem emotional belastenden und schwierigen Thema um und manchmal überwiegt der Wunsch, es schon hinter sich gelassen zu haben. Mit einer gemeinsamen intensiven Vorbereitung dieser Veranstaltung wird jedoch das Fundament für die Tragfähigkeit des ganzen folgenden Prozesses gelegt und dieser Prozess ist nicht linear, er braucht die Fähigkeit als Führungsgruppe iterativ zu arbeiten und mit den Überraschungen, Kehrtwendungen und Korrekturen umzugehen.

Zu oft werden sehr differenzierte Präsentationen gezeigt – sie sind politisch und juristisch abgestimmt und in der Regel zu kompliziert. Es ist daher wichtig, mit den auf der Bühne stehenden Führungskräften die komplizierten und differenzierten Slides in einfache Aussagen zu fassen – zumindest im Sprechen. Es geht darum, den lokalen Ton zu treffen.

Immer wieder zu kurz, zu lieblos, die Wichtigkeit nur teilweise verstehend – der Dialogteil der Verkündigung. Hier geht es nicht nur um das Stellen von Fragen, sondern es geht darum, Raum für das Sprechen zu schaffen. Hier gibt es oft nur Aussagen, die nichts fragen, jedoch sagen, was gerade emotional geschieht. Dieser Raum ist von größter Wichtigkeit, denn hier erleben die Menschen, ob es auch um sie geht, oder nur um die Abwicklung eines ökonomischen Problems. Hier wird auch vermittelt, dass es gut, richtig und erlaubt ist, Emotionen zu zeigen. Schließlich ist das eine Situation, in der dann auch die Führungskräfte nicht mehr nur Verkündiger sind und erklären, sondern auch in ihrer eigenen Emotionalität sicht- und spürbar werden. In diesen Augenblicken entsteht das Gefühl von Gemeinsamkeit, eines von Miteinander, auch wenn die Aufgaben und die Sorgen je sehr andere sind.

Wenn ein Mitarbeiter, der weiß, dass er seine Anstellung verlieren wird und der noch ratlos ist, was denn nun kommt, nach einer solchen Veranstaltung zur verantwortlichen Führungskraft geht, ihm in die Augen blicken kann und sagen kann: »Das ist echt übel und ich weiß gar nicht, was ich jetzt machen kann, aber danke für Ihre klaren Worte«, dann haben wir gemeinsam – die Moderation, die Führungskräfte und die Gruppe – den Grundstein für einen Prozess gelegt, in dem alle wissen: Wir tun miteinander das Beste in dieser Situation und wir tun es für die Gemeinschaft aller Betroffenen.

Rüdiger Müngersdorff, Fetiye Sisko
Foto: David Straight by unsplash.com