Krisenkommunikation III

Wenige Bemerkungen zur Verkündigung der schlechten Nachrichten

Es ist für die beteiligten Führungskräfte eine alle Aufmerksamkeit bindendes Ereignis. Obwohl es nur ein Schritt in einem längeren Prozess ist: es ist das zentrale Ereignis, denn hier wird der Ton für den ganzen folgenden Prozess gesetzt: die offizielle Erstverkündigung.

Für die Moderation einer solchen Veranstaltung bedarf es einer hohen emotionalen Stabilität, der Fähigkeit, Stimmungen in einer Gruppe früh wahrzunehmen und sensibel anzusprechen. Ohne eine solche Steuerung übernehmen Missverständnisse, vielfältige Befindlichkeiten und nicht aufgenommene Emotion die Regie des Geschehens.

In der Vorbereitung ist es wichtig, alle Führungskräfte einzubeziehen – denn sie bestimmen in Nebengesprächen, in ihrer Körperhaltung, in dem, was sie nicht sagen und dem, was sie im Nachhinein sagen, einen wichtigen Teil der wertenden Beurteilung der Situation – sie sind ein wichtiger Teil der sozialen Kalibrierung. Oft werden sie nicht genug eingebunden, es wird übersehen, dass sie ja selbst auch Betroffene sind und indem sie sich auf die Veranstaltung und den Prozess danach vorbereiten, auch ihre eigene Haltung klären müssen und können. Es gilt das Mantra: Präsenz zeigen!

Es ist verständlich, dass immer wieder die intensive Vorbereitung gescheut wird – man geht mit einem emotional belastenden und schwierigen Thema um und manchmal überwiegt der Wunsch, es schon hinter sich gelassen zu haben. Mit einer gemeinsamen intensiven Vorbereitung dieser Veranstaltung wird jedoch das Fundament für die Tragfähigkeit des ganzen folgenden Prozesses gelegt und dieser Prozess ist nicht linear, er braucht die Fähigkeit als Führungsgruppe iterativ zu arbeiten und mit den Überraschungen, Kehrtwendungen und Korrekturen umzugehen.

Zu oft werden sehr differenzierte Präsentationen gezeigt – sie sind politisch und juristisch abgestimmt und in der Regel zu kompliziert. Es ist daher wichtig, mit den auf der Bühne stehenden Führungskräften die komplizierten und differenzierten Slides in einfache Aussagen zu fassen – zumindest im Sprechen. Es geht darum, den lokalen Ton zu treffen.

Immer wieder zu kurz, zu lieblos, die Wichtigkeit nur teilweise verstehend – der Dialogteil der Verkündigung. Hier geht es nicht nur um das Stellen von Fragen, sondern es geht darum, Raum für das Sprechen zu schaffen. Hier gibt es oft nur Aussagen, die nichts fragen, jedoch sagen, was gerade emotional geschieht. Dieser Raum ist von größter Wichtigkeit, denn hier erleben die Menschen, ob es auch um sie geht, oder nur um die Abwicklung eines ökonomischen Problems. Hier wird auch vermittelt, dass es gut, richtig und erlaubt ist, Emotionen zu zeigen. Schließlich ist das eine Situation, in der dann auch die Führungskräfte nicht mehr nur Verkündiger sind und erklären, sondern auch in ihrer eigenen Emotionalität sicht- und spürbar werden. In diesen Augenblicken entsteht das Gefühl von Gemeinsamkeit, eines von Miteinander, auch wenn die Aufgaben und die Sorgen je sehr andere sind.

Wenn ein Mitarbeiter, der weiß, dass er seine Anstellung verlieren wird und der noch ratlos ist, was denn nun kommt, nach einer solchen Veranstaltung zur verantwortlichen Führungskraft geht, ihm in die Augen blicken kann und sagen kann: »Das ist echt übel und ich weiß gar nicht, was ich jetzt machen kann, aber danke für Ihre klaren Worte«, dann haben wir gemeinsam – die Moderation, die Führungskräfte und die Gruppe – den Grundstein für einen Prozess gelegt, in dem alle wissen: Wir tun miteinander das Beste in dieser Situation und wir tun es für die Gemeinschaft aller Betroffenen.

Rüdiger Müngersdorff, Fetiye Sisko
Foto: David Straight by unsplash.com

Krisenkommunikation II

Das Dilemma lokaler Führung oder Ein tiefer Loyalitätskonflikt

Es gibt den Beschluss. Kosten müssen reduziert werden, ein Personalabbau steht an, vielleicht die Schließung eines Standortes oder der Verkauf eines Teils des Unternehmens. Die lokale Führung hat die Aufgabe, den Beschluss umzusetzen. Eine schwierige Aufgabe, die viele Führungskräfte in Loyalitätskonflikte stürzt. Sie selbst sind verunsichert, wollen und sollen jedoch für ein überlegtes und sicheres Handeln sorgen.

Was passierte denn, bevor es zu einer breiteren Kommunikation kommt? Es gab eine Entscheidung der Zentrale – die lokalen Führungskräfte waren in diesem Prozess kaum einbezogen und wenn, dann vor allem als Zulieferer von Analysen, Daten und Informationen. Mit dem Beschluss liegt die Aufgabe der Umsetzung bei der lokalen Führung, die die sich einmischende Unterstützung der Zentrale zunächst als hilfreich, später aber doch vor allem als störend wahrnimmt. Die Aufgabe ist es jetzt nicht nur, die Menschen zu informieren, sie mit ihren Sorgen und Nöten ernst zu nehmen und zu begleiten, Sozialpakete zu verhandeln, Initiativen zu starten, um den betroffenen MA eine Chance außerhalb zu vermitteln, sondern auch noch bis zum letzten Tag die Produktivität aufrecht zu erhalten. Der Kontakt zu den eigenen Mitarbeitern wird intensiver, sie rücken mit ihrem Leben viel näher und es entwickelt sich die Erwartung, dass die lokale Führung alles tut, um die eigene Organisation zu schützen, zu erhalten. Natürlich entstehen hier Konflikte zwischen dem, was eine Zentrale will und dem, was die lokalen Mitarbeitenden erwartet – und die verantwortliche lokale Führung steht zwischen beiden Erwartungen. Die persönlich herausfordernde Aufgabe ist es nun, beide Interessen in einer Balance zu halten und selbst emotional im Gleichgewicht zu bleiben. Gute Führungskräfte fühlen sich beiden Seiten tief verpflichtet – den Mitarbeitenden in ihrer Not, ihren Sorgen und Unsicherheiten, dem Unternehmen, das eine solche Entscheidung aus guten Gründen und mit dem Blick auf das Ganze gefällt hat. Ein Dilemma, oft ein moralisches Dilemma, immer aber ein emotionales Dilemma.

Eine besondere Herausforderung ist es dabei, den schon mit dem Beginnen unvermeidlichen Verlust von Glaubwürdigkeit wieder auszugleichen. Am Anfang weiß die lokale Führung schon, was geschehen wird, ist aber durch sehr harte Vertraulichkeitserklärungen zu Stillschweigen verpflichtet. Kommt es dann zur Kommunikation, ist eine der ersten Vorwürfe der Mitarbeiter: Warum habt ihr so lange geschwiegen? Wie sollen wir euch eigentlich vertrauen, ihr habt doch das alles miteingefädelt?

Es ist eine schwierige Aufgabe, eine Aufgabe, die tief das eigene Glaubenssystem in Frage stellt. Es ist eine Aufgabe, auf die die meisten Führungskräfte nicht vorbereitet sind. Wie können sie sich verhalten? Wie können sie in den Widersprüchen, dem Kopf und dem Herzen gleichermaßen Raum geben? Wie können sie mit den eigenen Unsicherheiten und Sorgen umgehen und sich in ihrer Aufgabe davon nicht ablenken zu lassen?

Sollten Führungskräfte in solchen Aufgaben begleitet werden? In allen sozialen Berufen hat es sich bewährt, sowohl für die Individuen als auch für Teams Supervisionen anzubieten. Dabei geht es darum, auch in schwierigen Situationen sich über die Lage selbst und das eigene Handeln im Klaren zu sein. Nur eine geführte Selbstreflektion kann hier helfen, handlungsfähig zu sein und so am Ende im Interesse aller Beteiligten handeln zu können. Wir haben in all den Prozessen, die wir begleitet haben, mit einem Supervisionsansatz sehr gute Erfahrungen gemacht. Die Unterstützung hilft allen Seiten – der Zentrale, weil sie ihr Ziel erreicht, der lokalen Führung, weil sie das Interesse keiner Seite verrät und selbst mit einem geklärten Bewusstsein aus dem Prozess herausgehen kann und den Mitarbeitenden, weil nur eine stabile lokale Führung gewährleisten kann, dass auch in dieser Not neue Optionen für die eigene Zukunft entstehen können.

Rüdiger Müngersdorff/Fetiye Sisko
Foto: Mauro Mora by unsplash.com

Krisenkommunikation I

Transparenz macht glaubwürdig – zur Notwendigkeit von ehrlichem Führungsverhalten

Es ist eine klassische Ausgangssituation: Ein General Manager, ein/e Werkleiter*in, ein/e Bereichsleiter*in wird informiert, dass in seinem/ihrem Bereich signifikante Entlassungen anstehen, dass ein Standort geschlossen oder ein ganzes Geschäftsfeld verkauft wird. Es mag eine Ahnung da gewesen sein und es ist doch immer schockierend. Der/die Verantwortliche erlebt, was er/sie den Mitarbeitenden in naher Zukunft wird vermitteln müssen. Und er/sie spürt sehr schnell, dass er/sie sich alleingelassen fühlt und selbst nur scheibchenweise verlässliche Informationen erhält. Die Situation ist unübersichtlich und sie wird es eine ganze Weile bleiben. Es ist die erste Szene in einem nun folgenden Prozess, in der jede Szene wieder und wieder neu durchdacht und gestaltet werden muss.

SYNNECTA unterstützt seit vielen Jahren Unternehmen und verantwortliche Führungskräfte in der Gestaltung solcher Prozesse, in deren Mittelpunkt die Kommunikation steht. Es ist eine andere Art der Kommunikation – sie verlangt ein viel höheres Maß an Transparenz, Ehrlichkeit und Glaubwürdigkeit als die Standardkommunikationen und sie ist nicht delegierbar. Die Kommunikationskaskaden sind schon in normalen Zeiten problematisch, in der Krisenkommunikation sind sie gefährlich – es entstehen die unkontrollierbaren infektiösen Gerüchtetaschen.

Unsere selbst betroffene Führungskraft hat eine erste Aufgabe – sie muss ein Team, ein Führungsteam formen, das aus der eigenen Betroffenheit heraus in der Lage ist, sensibel mit der Situation umzugehen und bereit ist, im gesamten Prozess eine hohe Präsenz zu zeigen. Wir kennen den Schließungstourismus von Führungskräften, die in solchen Zeiten gerne die Zentralen besuchen. Das Führungsteam mit klarem Wissen um die Aufgabe und ehrlicher Bereitschaft, mit allen Mitarbeitenden diesen Weg zu gehen, ist das Rückgrat des Prozesses. Es ist der Zeitpunkt, in dem die lokal Verantwortlichen, die in Seminaren gelernte Mikropolitik und eigenes taktisches Verhalten hinter sich lassen müssen. Fetiye Sisko, die viele Unternehmen in diesen Phasen unterstützt hat, sagt dazu, dass am Anfang immer auch die Unterstützung darin besteht, eine gemeinsame Haltung zu entwickeln, in der deutlich wird, dass immer die Gesamtheit der betroffenen Menschen im Fokus steht.

Die mit der Kommunikation betrauten Menschen sind zu oft noch junge Mitarbeiter*innen, ohne eigenes Netzwerk, mit wenig Erfahrung und geringem inhaltlichen Einfluss. Ihr Engagement ist oft bemerkenswert und doch brauchen sie Unterstützung. Denn Krisenkommunikation weist ein paar Besonderheiten auf. Immer wieder erleben wir Phasen der Verwirrung, des Ärgers, der Wut, wenn Diskrepanzen auf den verschiedenen Kommunikationskanälen sichtbar werden. Insbesondere bedarf es einer synchronisierten Außen- und Innenkommunikation – jede Abweichung, die durch Presse, soziale Medien verbreitet werden, müssen in der internen Kommunikation aufgenommen werden. Nur so lässt sich vermeiden, dass die Irritationen von außen nach innen durchschlagen und hier starke emotionale Reaktionen verursachen. Differenzen in der Kommunikation macht Stimmung und die Situation ist stimmungslabil.

Die lebendige Q&A ist ein wichtiger Baustein in einer gelingenden Krisenkommunikation – jede Frage steht für ein Bedürfnis und eine Not, jede Frage muss beantwortet werden. Und lässt sie sich im Status des Prozesses noch nicht beantworten, muss genau dies gesagt und begründet werden. Nur so lässt sich der Stimmungsteil einer Krise aktiv gestalten und erfahrungsgemäß die emotionalen Ersatzhandlungen, wie Aktionen von Sabotage, von Arbeitsverweigerung etc. verhindern. Das macht auch deutlich, dass Krisenkommunikation ein iterativer Prozess ist, keine verläuft so, wie es sich sehr kluge Menschen, die weit vom Geschehen entfernt sind, im Vorhinein ausgemalt haben.

Wir sagten es schon, die Delegation an eine Kommunikationskaskade ist nicht hilfreich – sie erzeugt Unterschiede in der Kommunikation und sie ist von dem verantwortlichen Führungsteam nicht mehr kontrollierbar. Daher ist es für uns wesentlich, so oft wie möglich mit allen gleichzeitig zu kommunizieren. Dialog ist schon in einer normalen Situation wichtig, hier wird er entscheidend. Es ist ein Ziel der Krisenkommunikation, Gerüchte zu reduzieren und dafür bedarf es gemeinsamer Kommunikationserlebnisse. Sie sind emotional, zuweilen in der Mitte turbulent – aber was in einer Versammlung geschieht, das geschieht dann nicht mehr draußen. Natürlich bedarf es da einer erfahrenen Moderation, die auch in emotional heftigen Reaktionen den Überblick behält und mit angemessener Empathie sich gegenüber allen verhalten kann.

Wir haben gute Erfahrungen gemacht, die Kommunikationsversammlungen gemeinsam mit Betriebsrat/Arbeitnehmer*innenvertretung und Führung zu gestalten. Hier werden Gemeinsamkeiten sichtbar und hier werden Unterschiede transparent. Jede Seite hat eine andere Rolle und doch sind sie gemeinsam verantwortlich, die Situation für die Menschen zu gestalten. Und auch hier wieder, jedes Anliegen ist ernst zu nehmen. In einem Fall, die Führung hatte ein Abbauziel, das in ihren Augen marginal war (unter der 10% Marke) und hielt daher eine ausführliche Kommunikation für nicht nötig. An einem Morgen kamen die Führungskräfte in den Standort und sahen am Zaun 100 Vogelscheuchen mit schwarzen T-Shirts. Es war die Zahl derer, die abgebaut werden sollten. Es mag am Ende zwar 100 Menschen treffen, am Anfang aber trifft es jeden. Und es gilt der Grundsatz, was du einem tust, tust du allen.

Es gibt viele, wichtige Eigenheiten in der Krisenkommunikation – ihre Qualität macht einen großen Unterschied, für die betroffenen Mitarbeitenden und für das Unternehmen. Es braucht Erfahrung für die Gestaltung solcher Prozesse – immer auch eine hohe emotionale Kompetenz. Führungskräfte, die täglich mit verunsicherten Menschen umgehen müssen und die es ja oft auch selbst sind, brauchen in diesen Phasen eine Begleitung. Stimmt die Haltung im Führungskreis, dann ist ein stetes empathisches Verhalten lernbar. Transparenz, Ehrlichkeit und Empathie sind wesentliche Verhaltensaspekte in diesen Prozessen. Wir von SYNNECTA machen diese Aufgabe, auch da wo sie sehr schwierig ist, gern, wenn eins gegeben ist: Die verantwortliche Führung will den Prozess für alle Beteiligten so ehrlich und wertschätzend wie möglich gestalten.

Rüdiger Müngersdorff/Fetiye Sisko
Foto: Hanna Göhler

ExEdService Pack – die nützliche Datenbank für Ihre Führungskräfteentwicklung

Sie sind auf der Suche nach einem erfahrenen Speaker? Dr. Rüdiger Müngersdorff ist gelistet als Speaker bei EdEx. Führungskräfteentwicklung leicht gemacht: Ein ExEdService Pack, das einen klugen Überblick und direkten Zugriff auf mehr als 100 Trainer der besten Business Schools weltweit bietet.

Die Vorteile des Pakets auf einen Blick

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Ein weiterer Pluspunkt ist: Als Kunde von SYNNECTA erhalten Sie das Paket zum reduzierten Preis von 399,- Euro, anstelle der regulären 499,00 Euro.

Weitere Infos finden Sie unter exedservicepack.com.

Für weitere Informationen oder wenn Sie Interesse an der Buchung des Pakets haben, melden Sie sich unverbindlich bei Sabine Römisch: roemisch@synnecta.com

Verantwortung – Eine Erinnerung an eine noch nicht erledigte Aufgabe

Ein Text aus dem Dezember 2008 – Gerade leben wir in einer Boomphase der Wirtschaft, gestiegene Gewinne, Anlegerglück und zugleich befürchten wir – folgt man den Stimmungen der Medien – Krisen, Abstürze. Die großen Themen: Digitalisierung, IoT, Agilität verdecken das Krisengefühl und zeichnen Chancen, sprechen von neuen lukrativen Märkten und Geschäftsmodellen. Das alles überdeckt die Aufgabe, die Unternehmen immer noch und immer wieder haben, sich in den Gesellschaften zu verorten und zu verstehen, was denn eigentlich ihre Aufgabe in unserer politisch, gesellschaftlichen Konfiguration ist. Eine Erinnerung an eine noch nicht erledigte Aufgabe.


 

Fanzel, 19. Dezember 2008:

Krise: Wendung und Chance

Im Augenblick überwiegt die Sorge und Furcht in den Gesprächen über die Wirtschaftskrise, über die neue große Rezession. Als sie noch eine Finanzkrise war, das ist gerade mal zwei Monate her, standen Fragen nach der Verantwortlichkeit im Vordergrund. Man war sich schnell einig: die Gier der Manager, ihr bindungsloses Profitstreben, ihr Denken in kurzen Takten und ihr Streben nach einem schnellen, hohen Gewinn sind die Auslöser der Krise. Spekulanten und gierige Vorstände haben uns das angetan. Diese schnelle Zuschreibung zeigte Wirkung in der Gruppe der Führungskräfte – auch wenn sie oft nicht über sich selbst als Person sprachen, so begannen sie dennoch darüber zu sprechen, was es denn unter ethischen Kriterien heute heißt, ein Manager zu sein. Dieser Diskurs ist derzeit in den Hintergrund gedrängt, der Krisendruck entlastet und ethische Fragen verlieren ihre Dringlichkeit.

Das wird nicht lange so bleiben. Schon jetzt spricht der Mittelstand über das Verhalten der Banken, die, selbst von Staatshilfen geschützt, die kleinen Firmen kalt in den Ruin gehen lassen. Und schon werden die Gespräche mit Führungskräften in Werken dunkler – sie stehen jetzt schon in einer Position der Rechtfertigung – sie müssen die Konsequenzen ausführen: Menschen entlassen, Bezüge kürzen, durch lange Arbeit verdiente Positionen und Arbeitsinhalte wegnehmen. Und ihnen hilft die Krisenrhetorik der Medien nicht mehr, sie müssen begründen, warum sie es tun und sie müssen sich fragen lassen, ob und warum es sie denn nicht trifft. Oft noch unausgesprochen eine dahinterliegende Botschaft: uns trifft es und dich, der du das mit verschuldet hast, dich trifft es nicht. Die Frage nach der Legitimität von Führung in einer Marktwirtschaft wird sich zurückmelden und sie wird Unternehmen zwingen, sich in ihrer Identität auch ethisch zu begründen. Noch überlässt man derzeit der Politik die gestalterische Rolle – wenn aber die Marktwirtschaft als freier Bereich der Gesellschaft überleben soll, dann müssen die Unternehmen als Handelnde in diesem System sich aus sich selbst legitimieren.

Es sind die Gier und der Eigennutz als das große Fehlverhalten identifiziert worden. Es wird konzentriert den Spekulanten, dann den Vorständen und schließlich der Managementgruppe als Ganzes zugeschrieben. Dahinter steht jedoch das Wissen, dass viele, sehr viele über ihre Verhältnisse gelebt haben. Die Kreditvergabekriterien an so viele Hauskäufer mögen fahrlässig gewesen sein, aber es waren die vielen, die auf Kredit gelebt haben – beim Kauf der Häuser, beim Konsum über die Kreditkartenschulden. Und damit stehen wir nicht nur vor der Frage nach dem Ethos der Manager, sondern nach einem der Grundprinzipien unserer Wirtschaftsordnung, dem Prinzip, dass egoistischer Eigennutz, dass das »gierige« Streben nach mehr im Endeffekt schließlich allen nutzt.

Adam Smith’s unsichtbare Hand, die den Markt zum besten aller reguliert und sich dabei des Eigennutzes, der Gier als Quelle der Kraft, der Motivation bedient, ist eine der Grundfesten unserer Wirtschaftsordnung. Und sofern das Wissen um die Fähigkeiten der Marktwirtschaft nicht verloren geht, wird dieses Prinzip auch ein leitendes bleiben. Differenzierter beginnt man nun, den Neoliberalismus, die Beratergruppen um den republikanischen Präsidenten der USA herum, für das Entgleisen der Marktwirtschaft verantwortlich zu machen. Mit dieser Argumentation wird zugleich das Thema des Verhältnisses von Freiheit und Sicherheit angesprochen – wir erleben, wie das Pendel in Richtung Sicherheit schlägt und damit in eine Stärkung der Rolle der Staaten. (Diese erleben allerdings gerade, wie wenig nationalstaatliches Handeln geeignet ist, sinnvoll und effektvoll in dieser Situation zu handeln.)

Wenn wir bei der Überzeugung bleiben, daß eine »freie« Marktwirtschaft am ehesten geeignet ist, die Bedürfnisse der Menschen nach einem »guten« Leben zu erfüllen, dann müssen wir uns fragen, welche Regulative zu ihr hinzutreten müssen, damit sie ihren Zweck zuverlässig und langfristig zu erfüllen vermag.

In Deutschland wurde mit der »sozialen Marktwirtschaft« eine regulierte Marktwirtschaft geschaffen. Ihr zur Seite trat im rheinischen Kapitalismus ein Korporationismus, in dem Verbände, Arbeitervertretungen, Unternehmen und Politik zusammenarbeiteten. Dies geschah am auffälligsten in der konzertierten Aktion der ersten großen Koalition. Folgt man dieser Richtung, dann bleibt die Politik in der Pflicht, die Regulative zu formulieren und durchzusetzen. Reicht das? Heißt das nicht, dass wir uns damit abfinden, in unserem wirtschaftlichen Handeln innerhalb von Wirtschaftsorganisationen im Hang zu verantwortungslosem Eigennutz nur durch äußere Zwänge gebremst werden zu können?

Die Geschichte von Unternehmen gibt uns hier andere Erfahrungen. Zum Eigennutz trat oft eine Position der sozialen Verantwortung hinzu. Sie bezog sich auf die eigenen Mitarbeiter, auf die Region, in der man tätig war und je nach Größe auf eine gesellschaftliche Rolle. Neben dem Streben nach Profit, das oft ein Streben nach Erhaltung des eigenen Unternehmens ist, trat immer wieder die Rückbindung an die Gemeinschaft aus der und in der man handelte. Erst dem Neoliberalismus schreibt man zu, diese Rückbindung vernachlässigt zu haben. Sie war nicht konstitutionell im Unternehmertum verankert, sie war das altruistische Hobby reicher Bürger. Der Privatmensch kümmert sich um die Bedürftigen, um die Kultur, nicht das Unternehmen. Gab das Unternehmen Geld aus, dann musste sich das Sponsoring und die im Zusammenhang mit sozialer Verantwortung geldausgebenden Stellen auch immer wieder fragen lassen, was denn der »Benefit« sei und der sollte sich dann auch stets an Kriterien messen lassen, die auf die Finanzzwecke des Unternehmens bezogen waren. Die privaten Menschen waren zurückgebunden an ihre ethischen Konzepte, nicht das Unternehmen.

Als Marktwirtschaft und Unternehmertum noch an religiöse Kriterien gebunden war, wie zum Beispiel im Protestantismus, war die Bindung an eine Verantwortlichkeit gegenüber einer Instanz gegeben. Die christlichen Werte durchzogen viele Einzelsysteme der Gesellschaft, so auch die Unternehmen. Der englische Utilitarismus lotete die Bedingungen der freien Marktwirtschaft aus, konnte den in der Praxis wirksamen Zusammenhang von religiöser Rechtfertigung und unternehmerischen Handeln aber nicht lösen.

Wenn wir uns heute die Frage nach einer Rückbindung stellen, wohin sollen wir da blicken? In die Religionen? Die Wissenschaft? Die Politik?

Gegenüber den Verfechtern der Marktwirtschaft gab es schon früh Kritik. England musste nicht auf Marx und Engels warten, John Ruskin hat die Folgen der Marktwirtschaft, der Ideologie der goddes of getting on schon früh bitter und deutlich aufgezeigt. Mit Rousseau verbindet sich eine bis heute wirksame Gegenbewegung, die sich immer wieder des Rufs »Zurück zur Natur« bedient und ein nicht nach Wohlstand und Besitz strebendes Leben als Weg aus dem »immer weiter und immer mehr« der Marktwirtschaft anbietet. In den Diskussionen um Nachhaltigkeit mit ihrer impliziten Verzichtsrhetorik scheint Rousseaus Denken über den Naturzustand wieder auf, allerdings in einer in die Marktwirtschaft integrierten Form. Mit dem Anstieg der Weltbevölkerung, der Globalisierung und der Unverzichtbarkeit von Technik ist und bleibt die Marktwirtschaft der Garant für die Aussicht auf lebenswerte Verhältnisse für alle Menschen.

Umso mehr müssen wir uns die Frage stellen, ob wir Unternehmen, Unternehmer und Manager als durch die Politik gebändigte egoistische Kräfte sehen oder ob wir Unternehmen innerhalb des Rahmenwerks einer sozialen Marktwirtschaft als ethisch handelnde Subjekte begreifen können. Wenn wir die Notwendigkeit sehen, dass sich Unternehmen ethisch rechtfertigen müssen, dann müssen wir allerdings auch beantworten, woher wir die Kriterien dieser Verantwortung nehmen wollen? Und damit sind wir wieder bei der Frage: Aus der Religion, den Wissenschaften, der Politik?

Es wird wenig Sinn machen, auf ein bestehendes Normengerüst zu setzen. Transnationalität der Unternehmen macht sie zu Bürgern einer vielfältigen Wertelandschaft und in bezug auf den Selbsterhalt haben sie hier eine integrative Pflicht. Blickt man sich um, dann kann man sich an den Überlegungen der Stiftung für Weltethos orientieren. Sie lassen sich jedoch nicht einfach verordnen – Unternehmen werden die Aufgabe haben, aus ihrem eigenen Diskurs heraus die Normen zu bilden, die sie an eine Verantwortung für die Gesellschaft und die Lebensgrundlagen rückbinden. Die Überlegungen der Diskursethik (Habermas et. alt.) können uns hier orientieren. Die Überlegungen der Stiftung Weltethos können ein Ausgangspunkt sein, wie es auch die Werte der Unternehmen, in den Überlieferungen der Gründer verankert oder gesetzt Unternehmensleitwerte sein können. Sie aber werden erst real, wenn sie in den Diskursen der Unternehmen selbst eine Bedeutung haben, wenn sie in einen Bildungsprozess einmünden.

Blickt man auf einen Prozess der Gestaltung solcher Diskurse und ihren letztlichen Sinn einer Verantwortung in der Gesellschaft, dann kann so ein Diskurs nicht nur unternehmensintern geführt werden, sondern er sollte die »Gemeinschaft«, in der ein Unternehmen handelt, mit einbeziehen. Das Unternehmen muss sich in einem fundamentalen Dialog der Gesellschaft gegenüber öffnen. Zu den Partnern gehören die Kunden, Verbände, die Organisationen der Regionen, in der ein Unternehmen tätig ist, die Politik. Erst in einem so breit gefächerten Diskurs kann ein Unternehmen seine Verantwortung formulieren und damit aus sich selbst heraus seiner notwendigen Gier, seinem Streben nach Erfolg von Innen Grenzen setzen und so schließlich dem eigenen Management die Würde zurückgeben, die ihnen gerade in einem chaotischen öffentlichen Diskurs abgesprochen wird.

Rüdiger Müngersdorff

Empathie oder Compassion?

Es gibt einen guten Grund für die Business-Karriere des Begriffs Empathie: Während wir relativ zuversichtlich sind, dass die neuen, flacheren Hierarchien und eher selbstorganisierten Organisationsformen für die einzelnen Individuen Spiel- und Gestaltungsraum bieten, sehen wir zugleich, dass der von ihnen provozierte Individualismus noch kein adäquates Gegengewicht im Sinne einer Gemeinschaftorientierung gefunden hat.

Dieser Mangel wird spürbar in der Häufung konkreter Anfragen an uns, die immer nach größerem Zusammenhalt, Stärkung gegenseitiger Rücksicht, besserem Umgang mit Konflikten fragen. Auch die notwenigen »Retros« der agilen Arbeitsmethodiken werden fast immer im Sinne von Gemeinschaftsbildung angefragt – die sogenannten weichen Faktoren stehen im Vordergrund.

Ob die Treffen, Workshops nun als Retro, als Subversion, als Teambildung oder als Konfliktmoderation angefragt werden, es geht in ihnen um die Qualität der Gemeinschaft, um Zusammenhalt, um gemeinsames Verständnis dessen, was man will und soll. Es geht darum, den anderen mit zu berücksichtigen – in der Gruppe und in übergreifenden Zusammenhängen. Das Konzept Empathie folgt dabei dem Individualisierungstrend – es ist die Forderung an Individuen eine Fähigkeit zu entwickeln, die Bedürfnisse des anderen wahrzunehmen und im eigenen Kalkül zu berücksichtigen.

Empathie als Werkzeug des besseren Verständnisses und recht oft als Befähigung zur besseren Manipulation greift für die Organisationsentwicklung zu kurz. Es geht hier um ein notwendiges Gegengewicht zur individuellen Performancesteigerung – es geht um die Bildung einer gemeinsamen Mitte, die Orientierung stiftet und individuelles Handeln an den Nutzen für die Gemeinschaft zurückbindet. Es geht um das Feuer der Mitte – und das braucht mehr als Empathie, es braucht Compassion – die emotionale Bereitschaft für andere zu handeln.

Rüdiger Müngersdorff