Ein Anfang

Wir haben viel zu sagen.
Viel über: New Organization, New Work, New Mindset.

Vor fünf Jahren hätten wir das, was wir zu sagen haben, auch noch in einem Vortrag konzis sagen können – das können wir heute nicht mehr. Es ist zu facettenreich, es ist zu differenziert. So greifen wir Aspekte heraus, die uns in unseren internen Diskussionen und in Gesprächen mit Kunden beschäftigen.

Wir erleben, neben viel Beständigem, Umbrüche, Experimente, Ausbrüche, Neues – und das auf allen Ebenen, in den Organisationen als neue Formen der Organisation, in Gruppen als neue Dynamik der sozialen Vergemeinschaftung, bei einzelnen Menschen mit neuen, nicht dem Karrieremainstream gehorchenden Lebensentwürfen.

Was treibt da eigentlich?

Vordergründig treibt die Unternehmen vielleicht die Angst, Anschluss zu verlieren, Anschluss an die chinesische Dynamik – vielleicht –, vielleicht treibt der Vertrauensverlust in die europäische Erfolgsgeschichte: der systematischen Planung, des Managen von Projekten, der doch einmal so erfolgreichen Wasserfallplanung, vielleicht der Zweifel an der Voraussagekraft der strategischen Abteilungen? Vielleicht die Konfrontation mit dem Zweifel vieler an der Qualität der Führung? Möglicherweise der so breite Vertrauensverlust in die »Eliten«? Vielleicht aber auch, weil es unübersehbar ist, dass wir nun mehr und mehr mit unlinear dynamisch deterministischen Systemen konfrontiert sind: in den Märkten, im Wettbewerb, in der Gesellschaft, in der Gemeinschaft unseres eigenen Unternehmens, und wir doch so sehr daran gearbeitet haben, die Welt linear dynamisch deterministisch zu gestalten. Wir können noch so oft »Warum« fragen, wir werden nicht die Ursache finden –, aber wir finden Bedingungen, Bedingtheiten, Relationen.

Für NEW WORK sticht da eine Bedingung hervor, eine gesellschaftliche, eine globale Tendenz, die sich seit sehr langer Zeit stabil durchsetzt: Der Gewinn von mehr und mehr individueller Freiheit. Wir erleben es deutlich in den Metropolregionen – dort, wo die soziale Kontrolle minimiert ist und es Raum für viele Nischen, für viel Andersheit gibt, eine Andersheit, die sich als Gruppe und Gruppenzugehörigkeit organisieren kann.

Es geht um Eigenbestimmtheit, um die je eigene Individualität und ihre gesellschaftliche Anerkennung, es geht, um ein altes Konzept zu nutzen, um Selbstverwirklichung. In den gerade gängigen Motivationstheorien wird es mit den Begriffen Autonomie und Lernen (Wachsen) benannt und mit der Idee, dass wir Purpose-geleitet sind. Dies ist heute ein elementarer Aspekt einer Unternehmenskultur. Mit der Orientierung an Purpose, der die Prozesse der Visions- oder Missionsbildung ersetzt, wird auch das Anstrengende, das Herausfordernde deutlich – wie können wir das Eigene mit dem Gemeinsamen in eine Balance bringen, die sich durch eine gewisse Beständigkeit auszeichnet? Wie kann der je eigene Purpose zu einem gemeinsamen werden und wie beständig kann dies sein? Im Hintergrund die Frage nach dem Verhältnis von Solidarität zu individueller Selbstheit. Individualität und die Qualität der Vergemeinschaftung gehören zusammen und sie machen die neuen Arbeitsformen so interessant, so aufregend und zugleich so herausfordernd. Denn wir sind dabei, auf den großen versorgenden Bruder zu verzichten.

Und natürlich ist die Freiheit vieler, die gelebte Diversität der Vielen, ein Treiber von Komplexität, und im Zulassen dieser Vielheit, der Eigenheiten erleben wir auch den Verlust der einen bindenden moralischen, der Sicherheit gebenden Institution. Die wird ja nicht nur politisch, sondern auch in den Unternehmen gerade eingefordert – leider nicht nach vorne schauend, sondern mit einer wachsenden Sehnsucht nach alter Autorität, um im psychoanalytischen Bild zu sprechen, nach dem alles richtenden Vater. New Work geht den anderen Weg – New Work will die Freiheit gestalten, so dass dennoch Zusammenarbeit und Gemeinschaft möglich sind.

So lassen sie uns Aspekte nachzeichnen, Aspekte, denen wir in unserer Arbeit begegnen und bei denen es keine einfachen Rezepte gibt.

Die agile Organisation – im Kern die Suche nach einer Organisation, die in der Lage ist sich schnell anzupassen, in der Innenorientierung reduziert wird und in der es möglich wird, in kleineren Einheiten eine Außenperspektive intern wirksam zu machen. Zygmunt Bauman nannte dies schon vor Jahrzehnten eine fluide Organisation. Die Blueprints liegen vor – die soziale und psychologische Dynamik solcher Unternehmen lassen jedoch noch viele Themen offen.

Was können wir beobachten – neben den trivialen Themen, dass solche Veränderungen nicht von allen gemocht werden, dass sich Skepsis breitmacht, dass Herren der Beständigkeit (es sind meistens Herren) um Machtverlust fürchten:

Flucht in die Methode

Methoden sind hilfreich und notwendig – aber sie sind bestenfalls die Hälfte der Reise. Wir stehen etwas verwundert vor der Gründlichkeit, mit der das methodische Set mehr und mehr ausformuliert wird und mehr und mehr der kleinteiligen Prozesslandschaft ähnelt, die man ja grade mit der neuen Organisation zumindest vermindern wollte. Beschriebene Methoden geben Sicherheit, sie entlasten das Individuum der Eigengestaltung und sind oft eine Flucht vor der Freiheit. Um die geht es aber, will man Flexibilität, den Reichtum der Vielstimmigkeit erreichen. Sie sind zu oft eine Flucht vor der Chance der Selbstwirksamkeit und der mit ihrer kommenden Verantwortung.

Der Mangel an gruppendynamischer Kompetenz

Was geschieht, wenn wir Hierarchie einebnen und die Rolle so beschreiben, dass sie mehr ein Enabler für Eigenverantwortung wird. Tatsächlich fehlt uns das Verständnis gruppendynamischer und sozialdynamischer Prozesse. Es wird mit dem Konzept Empathie gewunken, aber das, in sich selbst schon schwierig, greift zu kurz, wenn wir Menschen in der Gestaltung informeller, also emotional nicht entlastender, sozialer Führungsprozesse alleinlassen. Es wird Zeit gruppendynamische Kompetenz wieder einzuüben. Informelle Führung öffnet ein weites Feld für Egomanen und Narzissten und wir kennen die verheerenden Folgen des Bullying im Schulkontext. Gruppendynamik als Erfahrungslernen tut not.

Wir wollen Deine Seele, Dein Herz

Dies wird umso mehr wichtig, je mehr wir beginnen das Arbeits- und das Privatleben nicht mehr zu trennen. Wir verschmelzen zwei bisher trennbare Identitäten. Und wir tun es, weil wir verstanden haben, dass wir in den neuen Organisationen den ganzen Menschen brauchen und nicht nur die Zeit, die er uns zur Verfügung stellt. Der alte Deal war klar: Du bekommst Geld und Sicherheit (die berühmte goldene Uhr später) und du gibst uns deine vereinbart begrenzte Zeit, deinen Gehorsam und deine Loyalität. Wenn wir an die motivierende Kraft eines Purpose glauben, also daran, dass ein Mensch sich mit seiner ganzen Existenz für etwas einsetzt, weil sein tiefer eigener Sinn und der der Arbeit mehr und mehr übereinstimmen, dann geht der alte Deal nicht mehr. Ich kann das Herz, die Seele eines Menschen nicht kaufen – das Unternehmen muss mehr bieten – Orte, Räume, Plätze, Beziehungen, soziale Strukturen, sinnstiftende Konzepte, die es Menschen ermöglichen, sich ganz einzubringen. Und eben die Freiheit, die Angebote anzunehmen, für eine Zeit, die Freiheit, sie auch wieder zu verlassen – in der längeren Perspektive werden Unternehmensgrenzen fließend werden. Und so wird die Attraktivität als »Lebensplatz« immer wichtiger.

Die Endlichkeit von Purpose

Purpose kommt oft sehr gravitätisch daher – mit so einem Hauch von Ewigkeit. Aber das ist eine Verengung. Wir folgen nicht dem einen Sinn in unserem Leben, den wir irgendwie auf dieser Lebensreise entdecken müssen. Unsere Energie, das Engagement finden viele »Sinne« und sie suchen sich soziale Zusammenhänge, in denen sie gelebt werden können. Sie sind leitend für eine Zeit, dann verlassen wir sie für etwas, was nun in dieser Lebensphase, in diesem sozialen Zusammenhang uns mehr berührt. Hier findet man die zweite Bedeutungsebene von Zygmunt Baumans Begriff der fluiden Organisation – auch wir fließen in unserer Organisation, aber auch zunehmend zwischen den Organisationen und immer mehr auch zwischen unterschiedlichen Lebenskonzepten. Unternehmen stehen vor der Aufgabe, immer wieder und immer neu einladende Orte, Strukturen zu schaffen, die ein Sinnangebot in sich tragen und so fähig sind, die Sinnsucher anzuziehen. Wir werden lernen müssen, das Fließende selbst als Stabiles zu erleben.

Der psychologische Fokus

Für uns, in unserer Arbeitstradition, kommt dem psychologischen Fokus, also der Verfasstheit des Menschen in diesen Veränderungen, große Bedeutung zu. Wie lernen Menschen ihre Rollen, ihre Möglichkeiten in den neuen Formen kennen, wie geben wir ihnen eine Chance, sich im Neuen auch selbst in bisher verschlossenen Möglichkeiten neu zu erfinden? Hierzu bedarf es z.B. tiefer Eingriffe in die selten thematisierten normativen Grundannahmen eines Coachings oder der Führungstrainings. Wenn wir lateral arbeiten und eher laterale Möglichkeiten erkunden, dann lassen wir den bisher dominanten vertikalen Aspekt, den Organisationen heute primär als Karriere anbieten, hinter uns. Karriere, bisher an Aufstieg als Hoffnung und als Schmerz gekoppelt, wird anders definiert – mehr und mehr als die Fähigkeit immer wieder Orte der Attraktivität zu finden, selbst sich als fluid zu begreifen. Da stoßen Unternehmen allerdings recht schnell an die Grenzen der Gesellschaft, die ja immer noch den Helden des Aufstiegs feiert.

Wie lernen wir?

Schließlich stellt sich die Frage, auf welche Lebenskonzepte hin wir denn Menschen bilden. Mehr denn je wird Gregory Batesons Unterscheidung vom Lernen erster Ordnung und Lernen zweiter Ordnung bedeutsam. Wir werden mit einem PISA-orientiertem Ansatz kaum weiterkommen, denn das trainiert und lehrt, was sich bewährt hat, bewährt in einer alten und stabilen Welt. Lernen für das Neue, das, was wir noch nicht eingeübt haben, das bedarf einer Öffnung zu dem Teil unserer Gesellschaft, den wir mit den Worten Kunst gerne etwas ausgrenzen und als ein Ort der Glückseligen beschreiben. Aber gerade dort kann man mehr über die Zukunft lernen, als in jeder Strategie- oder Marketingabteilung der großen Konzerne und Beratungen. Lange bevor Unternehmen das nennen konnten, was sie heute VUCA nennen, hat die Kunst uns mit einer performativen Wendung gezeigt, was Ereignis bedeutet, was Brüche bedeuten und was es heißt, fluid agieren zu können. Aber unsere derzeitigen Führungseliten sind recht kunstavers geworden.

Das Glück der Andersheit

Für uns rückt zudem in den Vordergrund, was unter dem Stichwort Diversität abgehandelt wird. Es geht hier um mehr als Statistiken, in denen man zeigt, man habe ja Vielfalt … Frauenquoten, Inderquoten, LGBTIQ*Quoten und so weiter. Wie lernen wir tatsächlich Respekt voreinander, wie lernen wir über Differenzen so zu sprechen und zu handeln, dass sie eher Reichtum als Ausschluss bedeuten. Es wird keine wirkliche Agilität geben, ohne sich mit der Diversität auseinanderzusetzen. Und das beginnt bei den kleineren Unterschieden, über die in der alten Arbeitswelt (Trennung von Privat und Beruf) eben nicht gesprochen wurde, und die im Verschweigen oder der fehlenden Plattform für den Ausdruck erhebliche Energien zurückhalten. In meiner Arbeit in den in sich vielfältig unterschiedlichen asiatischen Kulturen weiß ich, dass wir nun wirklich etwas erreicht haben, wenn die Menschen sagen, »du hast mein Herz berührt« und wenn sie mein Herz berührt haben. Dann beginnen wir voreinander und so miteinander Respekt zu haben.

Das Zauberwort – Mindset Change

Klingt ja einfach. Aber um was geht es denn? Es gibt dafür viele Beschreibungen. Z.B. von inside–outside thinking and acting zu outside–inside thinking and acting. Oder vom Gefangensein in der Inbox zur Öffnung zur Outbox, oder in dem Wortspiel ist es dein Ziel to come forward or to come along. Wie immer es genannt wird, es geht darum, aus der Perspektive der Egozentrik, des Egos auszusteigen. Nicht wirklich weltbewegend neu, jedoch wichtig, weil in der Wirtschaft und den Wirtschaftswissenschaften zu lange der Egomaximizer im Zentrum stand. Die Egomaximizer in ihrem Wettkampf um immer geringer werdende Ressourcen wurden als der Garant von Dynamik gesehen – die kooperierenden Mitglieder der Gemeinschaft eher als die etwas dummen Mitglieder der Herde. Ein sehr verkürzter Darwinismus, bei dem schon früh klar war, dass der wirkliche Egoist eben keiner ist, sondern jemand der kooperiert und darin und dadurch erfolgreich ist. Dafür gab es früher einmal in der christlichen Welt das Wort vom Geben ist seliger denn nehmen. Kooperation ist hier nicht eine weitere Methode oder, nach buddhistischen Selbstoptimierungskonzepten, ein neuer Trick des Egoismus, sondern die Selbsterfahrung, dass in einem sich selbst einklammernden Ich die Freude, die Erfüllung, das Glück von Kooperation gefunden werden kann. So kann das, was Kooperation oder heute gerne auch Kollaboration genannt wird, die tiefe Struktur des eigenen Denkens und Fühlens verändern, in der wir der Welt begegnen. Und dies eben ermöglicht, über Differenzen, Abgrenzungen, Zugehörigkeiten hinweg Gemeinsames zu gestalten.

Gegenseitigkeit

Ich erinnere mich gerne an Gespräche mit Helm Stierlin, einer der Gründerväter der systemischen Therapie, der Kooperation als Gegenseitigkeit verstand. Nicht im Sinne eines Deals, sondern eher als Gabe, in der ein Verhältnis begründet wird, das dem anderen Freiheit ermöglicht. Hier scheint ein Widerspruch zur These des Individualismus aufzutreten – denn in den neuen Arbeitsformen ist das Kollektiv der Held.

Nun leben wir unseren Individualismus in Kollektiven, in Gruppen, in denen wir uns in unserem Sosein aufgehoben fühlen, und die wir je nach Identitätsverlauf auch wechseln. In der Gegenseitigkeit der Kooperation bleibe ich in meiner Individualität gewahrt und bin zugleich Teil eines für das Ganze verantwortliche Kollektiv. Dies ist die Stelle, an der in die Diskussion um den mindset, der so abstrakt, neutral klingt, eine spirituelle Note eindringt. Es ist die Idee der Allverbundenheit, die wiederum der Erfahrung, dass wir in einer nicht linear dynamisch deterministischen Welt leben, sehr entspricht.

Organisationen doch oder endlich politisch denken?

Und mit all dem, was wir heute schon tun, greifen wir zu kurz, wenn wir nicht tiefer in die Art und Weise eingreifen, in der in Unternehmen heute Zukunft verhandelt wird (Zukunft heißt hier, Markt, Produkt, Prozess, Strategie usw.) Wenn wir die Grundidee der Agilität, die Fähigkeit schnell und flexibel auf Änderungen reagieren zu können oder auch iterativ vorausschauend agieren zu können, nur in den operativen Einheiten verankern, dann werden wir weiter langsam bleiben und eher das tun, was in der Vergangenheit erfolgreich war. Wenn wir die oligarchische Struktur der Unternehmen, wo eine mehr oder weniger homogene Gruppe, die über lange Zeit in großen Programmen eingenordet worden ist und dabei Süden, Westen und Osten vergessen hat, über die Themen der Organisation bestimmen lassen, dann wird New Work keinen Platz in den Unternehmen finden.

Es stellt sich an die Organisationsentwicklung die Frage: Wer darf sprechen, wer wird gehört, wer hat Orte um zu sprechen und um sich Gehör zu verschaffen. Es geht um einen genuinen Diskursprozess, an dem die vielen Unterschiedlichen Teil haben an den Entscheidungen, die festlegen, was im Unternehmen und was in den Märkten geschehen soll. Gesellschaftlich wird es kaum eine Teilhabe an den Besitzverhältnissen sein, aber eine echte Teilhabe an der Gestaltung der Gemeinschaft, die das Unternehmen mit engagiertem Einsatz gestaltet. Wir haben mit unseren Durchwegungskozepten leicht gangbare Wege aufgezeigt, um das Oligarchische der Unternehmen aufzubrechen und so Stimmen Raum verschafft, die sehr viel eher als die lang gedienten Führungsmenschen verstehen, was denn Zukunft bedeuten wird und wo der Platz sein kann, den das Unternehmen in dieser Zukunft mit seinen Leistungen einnehmen kann.

Und zum Ende etwas nach vorne greifend – wie verändern wir unsere innere Einstellung zu dem, was als Neues in den Lebenskonzepten auf uns zukommt? Wie verstehen wir sie? Ein Ausflug in die Pop-Welt einer Generation, die noch gar keinen Buchstaben hat.

Demographie – wie radikal sind die Veränderungen in den Lebensentwürfen?

BTS – eine koreanische Boy-Band (Nr. 1 in den US Billboard Charts als erste koreanische Band mit »Idol«): Eine vollständig inszenierte Boy Group – jede Information, jede Äußerung, jede Bewegung ist choreographiert oder kuratiert. Zugleich die einzige K-Pop Band, die politische Botschaften sendet – stark auf Individualismus bezogene Kernbotschaft: Sei du selbst, was immer Du auch bist oder sein willst. Die Videos senden neben dem Identifikationsangebot – die Gruppen bestehen immer aus einem Angebotsmix von Personen (würde die Besetzungsstrategien für Vorstände deutlich ändern) – eine inklusive Botschaft – Du bist ein Teil von uns – wir sind divers und du gehörst zu uns. Die Videos werden auch beschrieben als Repräsentanten einer hyperinklusiven Ästhetik. Es gibt in den Performances nicht mehr die Differenz zwischen Oberfläche (der Performance) und den eigentlichen Identitäten – die Oberfläche ist das Ganze. So ist Beuys in der Jugendkultur angekommen.

Unser tiefes Denken – es gibt den Vordergrund und den Hintergrund, es gibt die Erscheinung und dahinter das Eigentliche, der tiefsitzende Platonismus wird hier ausgehebelt; die Frage, was denn dahinter sein wird, obsolet, weil die Oberfläche das Eigentliche schon ist.

Was heißt das für die Arbeitswelt? Auflösung der Differenz von Privat und Arbeit? Das Ende der Rollenspiele und damit eine neue Art der Authentizität? Orte der Arbeit als Lebensorte, an denen Identität gebildet, gelebt wird? Orte der Arbeit als Ereignisräume – die in schnelleren Schnitten durchlaufen werden – die Schwächung der Kontinuitäten zugunsten der Bruchlinien und Lebenssprünge? Auch das sind Aspekte von New Work.

Ein Blick in Coaching-Erfahrungen der letzten Zeit. Auf welcher Folie von Lebensentwürfen formuliere ich meine Fragen? Wie sehr ist das ganze Setting von den Alt-Erwartungen der Unternehmen geprägt? Michelle Obama schreibt in ihrer Autobiographie über ihren Großvater, in dem sie die Bitterkeit zerstörter Träume sah. Einer Bitterkeit, der ich im mittleren Management großer Unternehmen immer wieder begegne. Während diese Bitterkeit im Hintergrund von Organisationen spürbar ist, ist die junge Welt von der Kraft der Träume bewegt. Lassen sie uns der Hoffnung folgen und nicht der Bitterkeit.

 


 

Anhang: Geschichten zum Vortrag

I.
Die Gruppe schwieg, sie schwieg länger als eine Stunde. Sie war traumatisiert. Dabei war es ein so guter Start – hierarchiefreies Arbeiten, Arbeiten in kleinen Gruppen mit gemeinsamem Interesse, tun können, was man immer schon wollte. Dann kamen die Einschläge – zuerst das Einstellen von Projekten, die in der Gruppe weiterhin als sehr aussichtsreich erlebt wurden, aber nun aus strategischen Gründen kein Budget mehr hatten. Wie Abschied nehmen? Und wie damit umgehen, dass man nun auch selbst umgesteuert wurde und sich in Projekten und Gruppen fand, die man ohne Not nicht gewählt hätte. Dann nahm die Gruppendynamik ihren Lauf – informelle Führer bildetet sich heraus, die zwar über gute soziale Manipulationsskills verfügten, aber nicht wirklich geeignet waren, die Aufgabe einer steuernden Funktion auszuüben, und dann der Wunsch der Organisation, es wirklich hierarchiefrei zu machen, und die Einführung einer Peerbewertung. Das Letzte war dann definitiv zu viel – so schwieg die Gruppe und hatte all die Energie, das Engagement des Anfangs verloren.

II.
Aus einem Gespräch mit einem Betriebsrat. Er war wirklich besorgt. Er blickte in den Raum und sah, dass all die ergonomischen Errungenschaften der organisierten Arbeitnehmerschaft verloren waren. Mitarbeiter saßen auf Holzpaletten, die Tische, die es vereinzelt gab, völlig ungeeignet – und er sagte, wie wird deren Rücken wohl aussehen, wenn sie zwanzig Jahre lang gearbeitet haben? Die jungen Menschen haben sich von uns gelöst, sie verstehen nicht mehr, dass im Gegeneinander von Unternehmen und Betriebsrat für sie um die bessere Lösung gestritten wird. Sie liefern sich ganz den oberen Herren aus.

III.
Aus einem Coaching. Ich traf diesen sehr begabten Menschen, als er noch Teamleiter war und vom CEO erfahren hatte, dass er über alle Hierarchiestufen hinweg in den Vorstand der für die Zukunft wichtigsten Division berufen war. In dem ersten Treffen sprachen wir viel über Theater und vor allem Literatur – wir verglichen unsere Leseerfahrungen, es war ein zartes und sehr energiereiches Gespräch. Nach einem Jahr sprach ich mit ihm, der immer noch feurig und energetisch war, über seine Leseerfahrungen der letzten Monate. Und er erbleichte, weil ihm auffiel, er hatte nur noch Managementratgeber gelesen und in seinem Reflektieren verstand er, dass seine tiefste Quelle für »Leadership« nicht aus den Ratgebern stammte, sondern aus den tiefen Schichten literarischer Erfahrungen. Er liest jetzt wieder.

IV.
Ein völlig ratloser Manager. In seinem Führungsbereich hat er eine sehr begabte Frau, die viel mehr tut, erfolgreich tut, als sie müsste und was ihrer Position entspräche. So kämpfte er in seiner Fürsorge und in seinem Gerechtigkeitsempfinden um eine Beförderung und konnte sie dann stolz der jungen Frau anbieten. Er erwartete Freude und Dankbarkeit, doch er erhielt ein freundliches, doch bestimmtes Nein – sie wollte es nicht. Und er fragte nach der Begründung: Und sie sagte, was ich jetzt tue, tue ich freiwillig und es macht mir Spaß, wenn ich dein Angebot annehme, dann muss ich es tun und das will ich nicht.

V.
Ein anderes Gespräch mit einem Boten, der einem das im Internet ausgesuchte Essen eines Restaurants vorbeibringt. Ich sagte, du weißt, dass du dich ausnutzen lässt? Du bekommst wenig Geld, nur wenn du dich zeitlich ganz auf die Bedürfnisse deines Unternehmens einlässt, das keinerlei Fürsorgepflicht dir gegenüber hat, bekommst du gute Schichten, und selbst den Kasten auf deinem Rücken hast du selbst bezahlst, das Fahrrad ist dein eigenes – warum tust du das? Aber ich bin frei sagte er und das war alles.

VI.
Ein letztes: Eine Expat Führungskraft in Thailand. Sie mokiert sich über diese Magiegläubigkeit der Thais, lacht über ihre Gaben in den Tempeln und dieses tägliche Verehren eines Schreins. Er ist aufgeklärt, hypermodern, rational. Der Abend ist lang, und nach dem sich zu Ende neigen des rituellen Berauschungsprozesses (es waren vor allem Cocktails) erzählte er von seinen großartigen Erfahrungen mit positiven Affirmationen. Er hatte einen Dienstleister (früher nannte man sie Priester) gefunden, der ihm gegen kleines Geld jeden Morgen einen positiv affirmierenden Satz zusandte und den er dann vor sich hinsagte. Es sei sehr wirksam, sagte er, und war sich der Ironie der Situation nicht bewusst.

VII.
Es ist nun 30 Jahre her. Ich sprach mit einer Franziskanerin in einem Krankenhaus, sie schob Bücherwagen durch die Zimmer und sprach mit den Kranken – wobei das Sprechen wohl das wichtigste war. Wir unterhielten uns und so erfuhr ich, dass diese Frau, die nun in der untersten Hierarchiereihe der Franziskaner stand, noch vor einem Jahr in Rom war und dort Äbtissin des gesamten Frauenordens. Und es war keinerlei Bitterkeit in ihr zu spüren. Sie war glücklich und fröhlich. Es gibt sie schon lange, die andere Besetzung der Hierarchieposten.

Rüdiger Müngersdorff