Die politische Dynamik der Organisationsentwicklung II

Ein Unternehmen ist immer auch eine Gemeinschaft und so ein Ort politischen Handelns. Damit meine ich nicht die mikropolitischen Konzepte, die sich im Wesentlichen auf die taktisch-technischen Aspekte des Karrieremachens und des sich Durchsetzens beziehen, sondern auf die Notwendigkeit, Diversität, die Unterschiedlichkeit von Interessen und Perspektiven der Gemeinschaft in der Gemeinschaft zu vermitteln, um ein zielgerichtetes Verhalten und Arbeiten zu ermöglichen.

Das hat einen unternehmensinternen Grund – nämlich die ständige Konstitution des Unternehmens als gemeinsames Anliegen, in dem die Interessen verschiedener Gruppen berücksichtigt werden und es hat einen externen auf den Markt bezogenen Grund, nämlich das Wissen und die Einsichten der Mitarbeiter_innengruppen für Entscheidungsfindungen nutzen zu können.

Es ist derzeit eine allgemein vertretene Meinung, dass hierarchische Konzepte (König/CEO oder Oligarchie/Vorstand/Führungsteam) die agile, diverse, vielperspektivische Kompetenz der Gemeinschaft nicht nutzen können und so die komplexe und kontingente Dynamik des Marktes (VUCA) nicht abzubilden vermögen. Daher gibt es viele Vorschläge, wie die Stimme der Mitarbeiter_innen mehr Bedeutung erlangen und in Entscheidungsprozesse einfließen kann. Dies wird im Allgemeinen mit dem Begriff Demokratisierung sowohl der Unternehmen und als auch der Führung bezeichnet.

Im athenischen Konzept der Demokratie hat die »Agora«, der Ort, an dem die Gemeinschaft zusammentritt und bestimmt, was zu besprechen und was zu entscheiden ist, eine große Bedeutung. Nun ist in einem eher überschaubaren Stadtstaat mit den deutlichen Restriktionen, wer als Bürger zu gelten hat, die Bestimmung eines Ortes und einer Zeit zum Zusammenkommen eher einfacher als in den heutigen global aufgestellten Unternehmen. Dennoch möchte ich über die Idee, dass es so etwas wie eine »Agora« in Unternehmen geben kann, diskutieren und fragen, wie denn Schritte zu einem leistungsfähigen demokratisierenden Prozess der Unternehmensentwicklung aussehen können.

In den heute noch überwiegend hierarchischen Strukturen der Unternehmen bestimmen Hierarchen, wo die Agora des Unternehmens ist und wer zu ihr Zugang hat. Und so bestimmt ein kleiner Zirkel, was es zu besprechen gilt und was zu entscheiden ist. Es ist ein Kreis von Menschen, die eine ähnliche Sozialisation erfahren haben und einander in wesentlichen Grundzügen ähnlich sind. Der große Rest der Organisation wird dann darüber informiert, was nun wichtig ist und was entschieden wurde. Die Information geschieht in einer bürokratisch organisierten Form durch Methoden wie z.B. Zielvereinbarungen, unterstützt von zentral gesteuerten Kampagnen, die die Aufmerksamkeit der Vielen fokussieren sollen. Verstärkung erhält dieses System der Durchsetzung von Führungsentscheidungen durch Belohnungs- und Bestrafungsanreize.

In der Regel sind Unternehmen heute politisch oligarchisch verfasst (ausgenommen Inhaberunternehmen, die eher monarchisch verfasst sind). Das heißt, eine kleine homogene Gruppe bestimmt, wer Zugang zum Ort der thematischen Diskussion und Entscheidung hat, bestimmt die Regeln und Formalien des »Gesprächs« und bewahrt seine Exklusivität (die Erfahrung zeigt, dass es bei Entscheidungen zur Teilnahme an Gesprächen oft mehr um den Status, als um den möglichen inhaltlichen Beitrag geht). Da diese Gruppe gleichzeitig die Hoheit über die Kommunikationsmedien hat, ist die Geschlossenheit der Gruppe gewährleistet – es gibt keine Gewaltenteilung, kein System von »Check and Balance«.

Mit der Verbreitung sozialer Medien in der Gesellschaft, die in das Unternehmen hineinwirken aber auch durch den Aufbau interner sozialer Medien ist das Monopol der Kommunikation in Frage gestellt. Es gibt nun einen sich laut äußernden Resonanzkörper, noch zögerlich, aber immer deutlicher vernehmbarer. Die sozialen Medien bilden »Netzwerke«, thematisch bezogene Gemeinschaften – noch sehr fragmentiert – doch stabiler werdend. So entwickelt sich jenseits der Oligarchie (der Führung) eine eigene Agora, ein Ort oder Orte, in denen Mitglieder der Gemeinschaft des Unternehmens ihre Perspektiven einbringen, Kontroversen sichtbar machen und sich über das, was jetzt nottäte, verständigen. Unternehmen werden laut. Diese Foren sind von der Idee der Teilhabe getragen und verändern so die Führungsrealität. Je mehr unternehmensinterne Plattformen zu einer Agora werden, desto mehr werden sie auf wesentliche Fragen der Unternehmen Einfluss nehmen – sie werden mitbestimmen, welche Themen denn wichtig und zu besprechen sind und, was zu entscheiden ist.

Es ist ein starker Trend, einer der Trends, die sich nicht ignorieren lassen: Alle aktuellen Debatten, so verschieden sie im Einzelnen auch sind, ob Demokratisierung der Unternehmen, #metoo, Gender und Diversity insgesamt, Inklusion, breitere politische Beteiligung – sie haben alle eins gemeinsam: Sie verlangen Gleichheit, Mitsprache, Teilhabe und damit eine Reduzierung der Hierarchie, der Ungleichverteilung von Macht.

Es ist unausweichlich, dass Unternehmen sich in dieser Dynamik damit beschäftigen, wie sie Teilhabe in erheblich größerem Maße als heute ermöglichen können. Und dabei gibt es einen zusätzlichen Gewinn: die Klugheit, die Vielstimmigkeit der Perspektiven und das Engagement der Vielen.

SYNNECTA hat mit dem Durchwegungskonzept (1) Übergangsformen beschrieben, mit denen sich Teilhabe jenseits der üblichen Kampagnenkonzepte einüben lässt. Und in einer Diskussion um eine Teilhabe ermöglichende Unternehmensverfassung geht es nicht um die Abschaffung von Führung, sondern um die Gestaltung von Foren, in denen verschiedenen Interessen und Perspektiven zu einem Gespräch werden können – zum Nutzen der Fähigkeit des Unternehmens, auf Veränderungen im Innen und im Außen agil reagieren zu können.

Differenz ist auch in Unternehmen der wichtigste Motor für Veränderung. Es geht dabei nicht um die Differenz, die schweigend immer schon da ist, sondern um die Unterschiede, die zur Sprache kommen können und für die es einen Ort des Sprechens gibt. Die geschlossenen oligarchischen Strukturen lassen diesen Motor stottern. Heraklit hat in einem Lob auf die Differenz gesagt: »Das Widereinanderstehende zusammenstimmend und aus dem Unstimmigen die schönste Harmonie.«

Rüdiger Müngersdorff

(1) Rüdiger Müngersdorff/Jörg Müngersdorff: Netzwerke in Unternehmen in Jens Hollmann, Katharina Daniels (Hrsg.) »Anders wirtschaften – was Erfolgreiche besser machen«.

Die politische Dynamik der Organisationsentwicklung

Politik als treibende Kraft in Unternehmen – ein Thema, das Unternehmen in der Regel zurückweisen. Sie akzeptieren Konzepte der Mikropolitik, die eher auf Karriere abheben und mehr oder weniger das Einflussgefüge in Netzwerken beschreiben. Aber politische Konzepte zur Beschreibung des eigenen Unternehmens und zur Konzeption von Veränderungen, das lehnen Unternehmen ab. Politik ist für die meisten Unternehmen irrational – und sie bestehen darauf, dass das eigene Unternehmen Gesetzen der Rationalität und Logik folgt. Emotionale Aspekte sind eher Störgeräusche und Barrieren, die es mit ebenfalls rationalen Methoden einzudämmen gilt. So wird zum Beispiel Empathie zu einem Führungsinstrument und in Seminaren als Methode trainiert.

Blickt man jedoch auf die Organisationsveränderungen, die mit dem Thema Agilität einhergehen, analysiert man die sich in Richtung Beziehungskompetenz entwickelnden Führungsleitlinien und schaut man auf die Überlegungen zu einer mehr demokratischen Legitimierung von Hierarchie, dann wird deutlich, dass genuin politische Konzepte in der Organisationsentwicklung ihren Platz haben sollten.
Ausgehend von einer soziologisch-politischen Analyse von Didier Eribon übertragen wir eine politische Frage auf die Situation in Unternehmen:

Eribon: »Wir stehen damit vor der Frage, wer das Recht hat, das Wort zu ergreifen, und wer auf welche Weise an welchen politischen Entscheidungsprozessen teilnimmt – und zwar nicht nur am Erarbeiten von Lösungen, sondern bereits an der kollektiven Diskussion darüber, welche Fragen überhaupt legitim sind und daher in Angriff genommen werden sollten. Wenn die Linke sich als unfähig erweist, einen Resonanzraum zu organisieren, wo solche Fragen diskutiert und wo Sehnsüchte und Energien investiert werden können, dann ziehen Rechte und Rechtsradikale diese Sehnsüchte und Energien auf sich.« (Diedier Eribon, Rückkehr nach Reims, Berlin 2016)

Umformuliert und auf die Situation von Unternehmen bezogen, würde der Satz wie folgt lauten (Änderungen kursiv): Wir stehen damit vor der Frage, wer das Recht hat, das Wort zu ergreifen, und wer auf welche Weise an welchen unternehmerischen Entscheidungsprozessen teilnimmt – und zwar nicht nur am Erarbeiten von Lösungen, sondern bereits an der kollektiven Diskussion darüber, welche Fragen überhaupt legitim sind und daher in Angriff genommen werden sollten. Wenn die Hierarchien sich als unfähig erweisen, einen Resonanzraum zu organisieren, wo solche Fragen diskutiert und wo Sehnsüchte und Energien investiert werden können, dann ziehen unternehmensfremde Kräfte diese Sehnsüchte und Energien auf sich.

Wer wirklich engagierte Mitarbeiter_innen gewinnen möchte und wer das Potenzial der Diversität heben möchte, kommt an der Beantwortung dieser genuin politischen Frage nicht vorbei. In der Organisationsentwicklung sehen wir nur dann kulturelle Veränderungen, wenn Mitarbeiter_innen in diesem Entwicklungsprozess das Unternehmen zu ihrem Unternehmen machen können.

Rüdiger Müngersdorff

Ein Plädoyer für gruppendynamisches Erfahrungslernen und gegen die Übermethodisierung agilen Vorgehens

In letzter Zeit begegnen uns immer häufiger Mitarbeiter und Führungskräfte, die in einem agilen Umfeld arbeiten und uns fragen, wie geht man mit dominanten informellen Führern um. Informelle Führung ist sowohl in der Soziometrie als auch in der Gruppendynamik ein wesentliches Phänomen, das oftmals zu erheblichen sozialen Spannungen in Gruppen und Teams führt.

Es geht um Gruppen- und Organisationsmitglieder, die keine andere Legitimation haben, als ihre Durchsetzungskraft in Gruppen. Sie dominieren durch ihr Verhalten. Ihre Motivation zur Dominanz hat oft wenig mit einem sachlichen Vorsprung zu tun. Informelle Führung wäre unproblematisch, wenn sie der Sache dienen würde, jedoch geht sie oft mit negativen Nebenwirkungen einher: Motivationsverlust, Frustration und Leistungsminderung bei den anderen Teammitgliedern.

Selbstorganisation ist eine sehr anspruchsvolle Form der Zusammenarbeit – in ihr fällt die regelnde Funktion eines formellen Führers oft weg oder sie wird aus Unsicherheit nicht mehr wahrgenommen. Es entfalten sich gruppendynamische Prozesse mit den bekannten Nebeneffekten – Stressphänomene, Rückzug Einzelner, Rangkämpfe und oft bleibt das Ganze dann in einer dysfunktionalen Normierung der Gruppe stecken. Hier wird dann gerne auf methodische Reinheit verwiesen und die Methoden werden in klassischem Organisationsdenken weiter verfeinert und werden bürokratisiert. Jedoch der Glaube trügt, dass methodische Reinheit dem Phänomen beikommt. Rationale Regeln können ein emotionales Phänomen kaum begreifen und schon gar nicht in sie sinnvoll eingreifen. Emotionalität, wenn sie denn beeinflusst werden soll, braucht Emotionalität.

Es gibt ein gutes Beispiel für die negative Wirkung der Übermethodisierung. Wir haben in den letzten Jahren beobachten können, wie Continious Improvement Ansätze durch eine Übermethodisierung und durch Regulationseifer an Kraft und Wirkung verloren haben. Ihr ursprünglicher Impuls mit wenigen einfachen Methoden, Menschen lustvoll zu einer Beteiligung einzuladen, wurde erstickt. Wer Leidenschaft, Gestaltungswillen und Selbstwirksamkeit in ein methodisches Korsett zu zwingen versucht, erstickt diese emotional so wirksamen und wichtigen Kräfte.

In allen agilen Methoden und Arbeitsformen sind durch den Aspekt der Selbstorganisation und das Zurücknehmen einer formal mächtigen Führungsrolle deutlich gruppendynamische Aspekte zu bemerken – sie haben viel positive Energie, wenn sie die Teilnehmer einbinden, ihnen eine gemeinsame Mitte geben können und das Spiel der Dominanz in der Gruppe reflektiert werden kann. Genau dies aber geschieht häufig nicht und die Gruppendynamik entfaltet ihre negativen Wirkungen. Wenn wir agil erfolgreich arbeiten wollen, dann brauchen wir gemeinsam ein hohes Verständnis für die sozialen Phänomene und eine gemeinsame Sprache, um mit ihnen umgehen zu können.

Die in den Arbeitsbeschreibungen vorgesehenen Begleiter achten auf die Einhaltung der Methoden, können in gruppendynamische Phänomene aber kaum eingreifen – ihnen fehlt Ausbildung und Erfahrung. Agile Coaches können hier helfen, wenn sie über gruppendynamische Erfahrungen verfügen. Das kommt jedoch in den meisten Ausbildungen zu kurz.

Und will man Gruppen helfen einen Weg zu einer gelingenden Selbstorganisation zu finden, dann brauchen die Gruppen begleitende Erfahrung über das, was mit ihnen und anderen in Gruppen geschieht. Wir sind heute oft in Gruppencoachings aktiv, in Gruppen, die agil arbeiten oder doch zumindest agil arbeiten sollen und wollen. In diesen Coachings reichen bereits wenige Erfahrungen, die in der Gruppe reflektiert werden, aus, um aus manchen der negativen Dynamiken aussteigen zu können und so das Potenzial einer Gruppe zu entfalten.

Eine unreflektierte, dominante informelle Führerschaft macht die potenziell so reichen Gruppen ärmer als es der Einzelne sein könnte. Damit verlieren wir Engagement, Wissen und Können. Deshalb hier ein Plädoyer für ein breiteres gruppendynamisches Lernen in Organisationen und eine Warnung vor einer Übermethodisierung von Arbeitsformen, deren Grundlage ein emotionales Engagement bilden.

Rüdiger Müngersdorff

»Von einem der auszog, Agilität zu lernen«, Teil 3

Passen »Agilität« und »Controlling« zusammen? – Im ICV-ControllingBlog berichtet Hans-Peter Sander, Leiter ICV-Team PR/New Media, von seiner Agile Culture Coach Ausbildung, die er in fünf Bausteinen im Jahr 2017 bei SYNNECTA absolviert hat. Heute: »Agile Teams und Collaboration«.

Will ein Unternehmen am Markt erfolgreich sein, braucht es kreative, gut arbeitende Mitarbeiter. Gut arbeiten Menschen dann, wenn sie es gerne tun. Dazu müssen sie in ihrem Tun Befriedigung finden. Sie brauchen vor allem eine sinnvolle Aufgabe, eine Chance arbeiten zu können, wann und wie viel sie wollen. Und sie brauchen Anerkennung der Community. Für agile Teams gilt: Die Führung muss für entsprechende Bedingungen sorgen. Denn agiles Arbeiten ist keineswegs Beliebigkeit, sondern hat klare Frames und Aufträge. – Wie das alles geht, vermittelt Baustein 4 der Agile Culture Coach Ausbildung unter der Überschrift »Agile Teams und Colaboration«. Mit Renate Standfest und Fetiye Sisko, beide sind Prinzipale bei SYNNECTA, leiten zwei erfahrene weibliche Coaches diesen elementaren, spannenden, lehrreichen, wie auch bereits in der Teilnehmergruppe tiefe Einblicke schaffenden Ausbildungsteil.

Zum Einstieg geht es um die Frage, wie ein »agiles Team« zusammengesetzt ist, und welche Faktoren seinen Erfolg bestimmen. Interessante Diskussionen entspannen sich u.a. um das skizzierte Idealbild vom »crossfunktionalen« und »selbstorganisierten« Team, in dem eine so genannte »Musketier-Haltung« (»Einer für alle – alle für einen!«) herrscht, und in dem der so genannte »Bus«-Faktor gilt (keine Kopf-Monopole, Pair-Programming) und in dem »T-Shaped Professionals« wirken; Mitarbeiter, die die Stärken des Generalisten und des Spezialisten in sich vereinen.

Viele spannende Gespräche ranken sich in diesem Workshop, der auf Baustein III »Agile Methoden und Scrum«, aufbaut, um die Erfolgsfaktoren agiler Teams:

  • Klarer abgegrenzter Auftrag für das Team
  • Gemeinsames Lernen (z.B. den Umgang mit fehlender Hierarchie)
  • Rollenklarheit, Rolleneindeutigkeit
  • Impediments werden identifiziert, aber ignoriert
  • Retros/Reviews nicht nach Schema F!
  • Schlüsselfähigkeiten: Selbstreflexion, Selbstkritik, Alles hinterfrage!
  • »Rollen statt Stellen« (flache bzw. keine Hierarchie, Verantwortlichkeiten)

Nahrung zum Nachdenken liefert eine lebhafte Diskussion zum Thema »Grundordnungen in sozialen Systemen«. Welche Konsequenzen ergeben sich zum Beispiel daraus, wenn »Zugehörigkeit Vorrang« hat (im Sinne von: »jeder Mitarbeiter ist gleichwertig«)? Alle Mitglieder sind bei wichtigen Entscheidungen zu berücksichtigen; auch schwierige. Und wird das zweite »Prinzip der zeitlichen Reihenfolge« (»Wer länger da ist, hat Vorrang«) nicht bei Veränderungsprozessen häufig verletzt, indem nur noch bevorzugt und gelobt wird, was neu ist?

Das nächste Prinzip, »Höherer Einsatz hat Vorrang«, weist vor allem darauf hin, dass Führung bzw. Führungskräfte nicht in Frage gestellt werden dürfen; Führungskräfte aber ihre Stellung durch höheren Einsatz, Führungskompetenzen und -verhalten erarbeiten müssen. Und wenn das Prinzip, »Kompetenz und Leistung haben Vorrang«, gilt, und also für besondere Leistung, Effektivität, Fähigkeiten besondere Anerkennung gezeigt werden soll; wie werden daraus erwachsende (Macht)konflikte gelöst? Das nächste Prinzip, »Anerkennen, was ist«, meint nicht mehr zu ändernde Realitäten anzuerkennen: Persönliche Energie zu sparen, Altes loszulassen hilft, sich leichter Neuem zuzuwenden. Und schließlich hat auch das Prinzip, »Ausgleich von Geben und Nehmen«, seinen tiefen Sinn: Dort, wo Geben und Nehmen ausgeglichen sind, können soziale Beziehungen auch harmonieren.

Agilität und Konflikte

Großen Raum nehmen in diesem Ausbildungsbaustein Konflikte im agilen Kontext ein. Der Einstieg erfolgt über eine interessante Diskussion zum Umgang mit Konflikten bezüglich der Kultur – Unternehmens-, Führungs- bzw. Fehlerkultur. Intensiv wird dann – wie in allen Bausteinen der Ausbildung auch wieder mit spielerischen Übeungen – gelehrt, wie mit Konflikten innerhalb agiler Teams umgegangen werden kann. Die Teilnehmer erfahren z.B. etwas über »systemisches Konsensieren«: Anstatt nach der Holzhammermethode »Der Stärkere gewinnt« vorzugehen mit dem Ansatz »Was ist uns gemeinsam wichtig?« eine Lösung zu finden. Ich notiere ein interessantes Zitat: »Die Achtung vor einem Menschen zeigt sich im Umgang mit seinem Nein.«

»Conflict Dojo« ist schließlich ein Höhepunkt am ersten Seminartag. Bei dem spielerischen Konflikttraining treffen die Mitspieler in kleinen Gruppen in mehreren Runden auf verschiedene Charaktertypen und müssen mit diesen umgehen: vom hartnäckigen Widerständler über den Konfliktignorant oder auch den Mitfühlenden bis zum Lösung-Suchenden. (Bild: Rollenspiel beim »Conflict Dojo«)

Diversity: elementares Thema für erfolgreiche agile Teams

Einen wichtigen Teil des Bausteins IV nimmt »Diversity« ein. Die Seminarleiterinnen überzeugen einfühlsam, dass es ein elementares Thema für erfolgreiche agile Teams ist. Ihnen gelingt es, für die einfach klingende und im Alltag herausfordernde Aufgabe, Gemeinsamkeiten und Unterschiede zu erkennen und anzuerkennen, jegliche Diskriminierung zu unterbinden, in verschiedenen Übungen zu sensibilisieren. Die Seminarteilnehmer machen sich damit vertraut, die nötige Transparenz auch bei Tabuthemen zu schaffen und lernen formelle wie informelle Regeln sowie Tools für agile Teams kennen.

Zum Beispiel geht es bei der Arbeit mit einem »Diversity Einsichtsbild« um die Reflexion der Teilnehmer über Diversity in sich selber, aber auch im Erleben, im Beruflichen, wie auch in der Welt überhaupt. In Organisationen kann dies ein Analyseinstrument sein, Bedarfe im Kontext der Unternehmensziele auszuloten. Es kann bei der Diversity-Strategie-Entwicklung bis hin zum Change der Unternehmenskultur helfen. In einer anderen Übung wird die Diversity-Aufstellung erprobt: Für einige Teilnehmer ein höchst emotionales Erlebnis.

Ein Wochenendseminar mit vielen Gruppenübungen – in malerischer Umgebung, dem Seminarhotel Schloss Wissen.

Hans-Peter Sander
blog.icv-controlling.com

Sprintworkshop: eine agile Alternative zum klassischen Teamworkshop

Die sich ausbreitende Sensibilität für Agilität in Unternehmen eröffnet ein neues Spielfeld, in welchem Experimente gewagt werden dürfen. In diesem Blogbeitrag möchte ich das Format eines Sprintworkshops vorstellen, das aus einem solchen Experiment entstanden ist und mit dem ich in mehreren Projekten gute Erfahrungen gemacht habe.

Den ersten Prototypen entwickelte ich bereits vor einigen Jahren aus einer gewissen Frustration heraus: Eine Veranstaltung mit 50 hochrangigen Führungskräften zum Thema Agilität war in die Sackgasse geraten. Statt der Bearbeitung relevanter Themen hatten nur Scheindiskussionen stattgefunden, die jede tiefe Reflexion verhindert hatten. Eine Taktik des Dauerkommentars hatte jegliche Maßnahmenbildung unmöglich gemacht. Auch ein kontinuierliches Spiegeln der wirkenden destruktiven Muster in die Gruppe hinein hatte keine Effekte generiert. Irgendwie hatten wir es dann doch noch einigermaßen fertiggebracht, den Workshop zu einem Minimalziel zu bringen. Aber die Frustration war sowohl auf Seiten der Teilnehmenden als beim Moderator groß.

Gemeinsam mit einer mutigen Auftraggeberin kam ich im Nachgang zu dem Schluss, dass wir – um mit dieser Gruppe Wert und Wirksamkeit stiften zu können – im nächsten Workshop die Muster komplett brechen mussten. Aus dieser Erkenntnis heraus entwickelte ich das im Folgenden beschriebene Format eines Sprintworkshops. Dieses Format half nicht nur, die oben geschilderte Gruppe in eine produktive Diskussion relevanter Themen zu bringen und sie greifbare und greifende Maßnahmen entwickeln zu lassen; es bewährte sich auch in der Umsetzung mit mehreren anderen Großgruppen und in anderen Kontexten. Heute setze ich dieses Format vielfach ein, um agile Prinzipien in der konkreten Arbeit an drängenden und komplexen Themen erlebbar und wirksam zu machen.

Das Format versucht zum einen, die drei von Dan Pink prominent beschriebenen Hauptmotivatoren des Menschen anzutriggern: Es setzt auf Purpose, Autonomy und Mastery. Zum anderen nimmt es die Vorzüge einer Scrum- bzw. Sprintlogik in Dienst, kombiniert mit supervisorischen Rollen und kontinuierlichem Feedback. Es setzt dabei folgendes Framework:

1. Erstellung eines Themenbacklogs (90 min)
Die Teilnehmenden werden in kleine Teams von ca. sechs Personen aufgeteilt. Gemeinsam sammeln sie in einem ersten Schritt unter einer geeigneten Leitfrage die Herausforderungen bzw. Hürden der aktuellen Situation. Anschließend schreiben sie aus Perspektive entsprechender Stakeholder- bzw. Zielgruppen (mit Hilfe von Templates) User Stories zur Bearbeitung der jeweiligen Herausforderung bzw. Beseitigung der Hürde.

Im Falle eines Workshops mit Führungskräften könnten User Stories zum Beispiel wie folgt klingen:

  • »Als MitarbeiterIn möchte von meiner Führungskraft regelmäßig über die Ziele orientiert werden, damit ich für mich gut planen kann.«
  • »Als KollegIn möchte ich von anderen Führungskräften maximal unterstützt werden, um die mir zugeordneten komplexen Ziele wirklich erfüllen zu können.«
  • »Als Vorgesetzte(r) möchte ich von der mir unterstellten Führungskraft frühzeitig über Probleme informiert werden, damit ich mich sicher fühle.«

Alle aus der Diskussion abgeleiteten User Stories werden dann im Plenum vorgestellt. Im nächsten Schritt werden sie in eine priorisierte Reihenfolge gebracht. Hierzu bietet sich eine einfache Schwarmbewertung an: Jede(r) Teilnehmende erhält die gleiche Anzahl von Punkten und kann sie auf die User Stories verteilen. Letztere werden dann entsprechend der Punkte von oben nach unten im Themenbacklog sortiert.

2. Sprinteinheiten (je 90 min)
Ist das Themenbacklog fertiggestellt, geht es in den Sprintmodus. Die Teilnehmenden werden in cross-funktional/divers zusammengesetzte Sprintteams (fünf bis sieben Personen) aufgeteilt, deren Aufgabe es nun ist, die Backlogthemen von oben nach unten zu bearbeiten. Ziel ist es, aus den User Stories konkrete Maßnahmen abzuleiten und deren Umsetzung konzeptionell abzusichern.

2.1. Arbeitsphase (45 min)
In der Arbeitsphase jedes Sprints »zieht« sich jedes Sprintteam jeweils das oberste Thema und arbeitet an der Erstellung eines Maßnahmenprototyps, der auf einer Pinnwand präsentiert werden soll. Es hat sich hier bewährt, Canvas-Poster zur Verfügung zu stellen, die über Leitfragen einen groben Orientierungsrahmen setzen, von den Teams jedoch in selbstorganisierten Brainstorming-, Diskussions- und Ableitungsphasen unmoderiert befüllt werden. Ziel ist es, dass jedes Sprintteam den Maßnahmenprototyp an der Pinnwand jeweils so aufbereitet, dass er quasi selbsterklärend präsentiert werden kann. Befindet das Sprintteam eine User Story als zufriedenstellend in Maßnahmen übersetzt, »zieht« es sich die nächste, oberste User Story vom Backlog und startet sofort deren Bearbeitung. Zu Beginn jeder Arbeitsphase bestimmt jedes Sprintteam aus der eigenen Mitte einen stillen Beobachter. Dieser hat die Aufgabe, das Team in der Arbeitsphase supervisorisch zu beobachten, um später Feedback geben zu können.

2.2. Review-Marktplatz (15 min)
Nach der Arbeitsphase findet in Marktplatzlogik ein Review der Maßnahmenprotoypen statt. Hierzu bleibt jeweils ein Vertreter des Sprintteams als Repräsentant an der Pinnwand des Sprintteams stehen; die anderen schwärmen aus, um sich die Prototypen der anderen Sprintteams anzusehen bzw. vorstellen zu lassen und zum jeweiligen Arbeitsstand Feedback zu geben. Der Repräsentant des Sprintteams sammelt dieses Feedback, sodass sein Sprintteam den Maßnahmenprototypen im nächsten Sprint gegebenenfalls optimieren kann.

2.3. Sprintteam-Retrospektive (15 min)
Anschließend trifft sich jedes Sprintteam wieder im eigenen Kreis. Der Beobachter teilt der Gruppe innerhalb von fünf Minuten seine Beobachtungen mit, adressiert wahrgenommene Hürden und macht Verbesserungsvorschläge für den nächsten Sprint. In den nächsten fünf Minuten melden alle Sprintteammitglieder kurz zurück, wie sie die allgemeine Zusammenarbeit in der Arbeitsphase wahrgenommen haben. Die letzten fünf Minuten der Retrospektive werden dazu genutzt, dass sich die Sprintteammitglieder in einem 1:1-Dialog jeweils gegenseitig kurz rückmelden, wie sie den jeweils anderen in seinem Einzelverhalten in der Arbeitsphase wahrgenommen haben.

2.4. Pause (15 min)
Bevor der nächste Sprint beginnt, wird eine Pause eingelegt.

Der nächste Sprint läuft wie der erste ab. Hat das Sprintteam von den anderen Teilnehmenden die Rückmeldung erhalten, dass der Maßnahmenprototyp noch nicht zufriedenstellend ist, wird an diesem weitergearbeitet. Ist dieser von der Gesamtgruppe für gut befunden, holt sich das Sprintteam das nächste Thema. Es wählt einen neuen Beobachter aus und startet in die selbstorganisierte Themenbearbeitung…

3. Schlussplenum (60 min)
In einer letzten Runde werden die fertigen Maßnahmen noch einmal kurz vorgestellt und – so kein Veto geäußert wird – gemeinsam verabschiedet. Der Sprintworkshop endet mit einer finalen Feedbackrunde, in welcher individuelle Erfahrungen mit dem Format vergemeinschaftet und gegebenenfalls Schlussfolgerungen für eine folgende Veranstaltung gezogen werden.

Ein so gestalteter Sprintworkshop kann an einem Tag mit insgesamt vier Sprints bereits hohe Wirksamkeit erzielen. Werden anderthalb oder gar zwei Tage in diesem Format gestaltet, kann eine beachtliche Anzahl an Maßnahmen mit hoher Umsetzungswahrscheinlichkeit generiert werden. Je nach Zielgruppe, Themenfokus und Dauer des Workshops können die Maßnahmentemplates, Leitfragen und Sprintlängen individuell angepasst sowie Zwischenplena oder Gesamtretrospektiven eingezogen werden. Der vorgestellt Gesamtframework des Formats hat sich jedoch in dieser Form in mehreren Projekten als tragfähig und überaus produktiv erwiesen. Das Feedback der Teilnehmenden thematisiert immer wieder das eigene Erstaunen, wie zielfokussiert und produktiv das Format wirkt; gleichzeitig melden viele Teilnehmende zurück, dass sie aus dem eigenen Erleben von Sprintlogik, Retrospektiven und Feedback einen wertvollen Zugang zum Thema Agilität erhalten hätten.

Johannes Ries