Coaching 2025 - Bewegung, Wandel und neue Perspektiven

1. Die Coaching-Landschaft im Wandel

Die Coaching-Szene ist in Bewegung. Neue Methoden und Zertifikate entstehen ständig. Neben etablierten psychotherapeutischen Ansätzen und wirtschaftsorientierten Karriere-Coachings integriert die Branche zunehmend esoterische und spirituelle Perspektiven. Auch gesellschaftliche Trends finden ihren Weg ins Coaching. Ein Beispiel: Männercoaching mit traditionellen Männerbildern. Zertifikate und Ausbildungen schießen aus dem Boden – mit teils phantasievollen Titeln wie »wertorientierter Master of Business Coaching« oder »Naturopathic Wellness Coach«.

1.1 Regulierung und Professionalisierung

Die wachsende Zahl an Coaches hat eine Bewegung ausgelöst, die Coaching gesetzlich schützen will. Dabei spielen auch wirtschaftliche Interessen eine Rolle. Besonders relevant wird dies im digitalen Raum: Sobald Coaching Lern- und Trainingsinhalte umfasst, wird eine Zulassung benötigt. Die Frage »Wo hört Coaching auf und wo beginnt Training?« beschäftigt die Branche. Erfahrene Coaches versuchen sich durch Mentoring von Anfängern abzusetzen. Diese Dynamik erinnert an die Psychotherapieszene, wo verschiedene Schulen um Anerkennung kämpften.

1.2 Der entscheidende Faktor: Beziehungsqualität

Eine Metastudie in der Psychotherapie zeigte: Der entscheidende Wirkfaktor ist die Beziehungsqualität zwischen Therapeut und Klient. Im Coaching wird es nicht anders sein.

2. Aktuelle Entwicklungen und Trends

2.1 Herausforderung des systemischen Ansatzes

Der dominante systemische Ansatz wird zunehmend hinterfragt. Erfahrene Coaches wollen ihr Wissen weitergeben. Das früher verpönte »Rat geben« wird gegenüber dem reinen Hebammenansatz rehabilitiert. Externes Mentoring bringt eine wertvolle Außenperspektive mit. Das Einbringen von Erfahrung und Kenntnis gestaltet einen Raum, in dem Emergenz möglich wird. Aus einem guten Gespräch geht jeder Teilnehmende verändert heraus.

2.2 KI als Coaching-Partner

Vorteile der KI:

  • Breite und tiefe Datenverfügbarkeit
  • Eine schamreduzierte Begegnung ist möglich, KI ist gut in der Simulierung von Empathie.
  • Immer dann eine wertvolle Quelle der Entwicklung, wenn die Beziehung KI – Mensch reflektiert werden kann. Dies geschieht wirkungsvoll mit einem Coach. Die KI also als Teil einer Dreiecksgeschichte.

Grenzen der KI:

  • Analoge Signale (Tonfall, Atmosphäre) werden kaum in Beziehungsgestaltung aufgenommen.
  • Keine Wahrnehmung von Körperspannung, Mimik, Gestik
  • Sehr reduzierte sinnliche Dimension
  • Kaum die Möglichkeit das Übertragungsgeschehen wahrzunehmen und als Ausgangspunkt für die Reflexion zu nutzen.

Ein Coach blickt hinter die Prompts. Die Beziehung zwischen zwei Menschen bleibt immer eine sinnliche, keine abstrakt-intellektuelle.

2.3 Von Agilität zu High Perfomance

In der Beratung lösen Buzzwords einander ab. Erst war es Agilität, dann Purpose, nun High Performance. Dabei wird High Performance oft fälschlicherweise gegen Purpose gestellt.

Die Realität:

  • Purpose ist die unabdingbare Basis für High Performance.
  • Purpose haben ist keine ethische Kategorie an sich.
  • Das Unternehmen kann keinen Purpose geben, nur Raum dafür schaffen.
  • Antrieb und Energie kommen vom individuellen Subjekt.

Der Coachingraum ist kein Platz der Klage über das Unternehmen oder Vorgesetzte. Er ist ein Raum der Selbstwirksamkeit. Diese setzt Selbstermächtigung voraus.

Viktor Frankl formulierte es pointiert: Ohne Opferbereitschaft kein sinnerfülltes Leben – und damit auch kein sinnerfülltes Arbeiten.

3. Coaching als Organisationsentwicklungstool

Coaching wird zunehmend als Instrument der Organisationsentwicklung eingesetzt. Ist dies Ausdruck von Ratlosigkeit oder Ergebnis einer zu kurz greifenden Analyse? Beides ist möglich – aber es liegt auch eine Chance darin.

3.1 Die Fallstricke aktueller Coachingprogramme

Typischer Ablauf:

  • Wahrgenommene Wettbewerbsschwäche des Unternehmens
  • Ursache wird in Führungsschwäche gesehen
  • Assessment zur Identifikation von Stärken und Schwächen
  • Individuelles Coaching zur »Reparatur«

Das Problem: Coaching positioniert sich hier in der Wahrnehmung der Meisten als Reparaturbetrieb. Dabei begann Coaching sich gerade als best practice des Führungsverhaltens zu positionieren.

3.2 Strukturelle Probleme

Assessment-Tools:

  • Arbeiten oft mit antiquierten Führungsbildern
  • Nutzen nicht das soziale Wissen der Organisation
  • Werden als Bewertungstools wahrgenommen
  • Und vor allem: sie verlagern die konkrete Arbeit an dem Führungsbild, das diese Organisation jetzt braucht, an eine dritte Instanz, anstatt im Führungskreis selbst die konkreten, priorisierten Anforderungen miteinander zu erstreiten. Geschieht das, dann ist dieses Vorgehen bereits ein Lern- und Coachingprozess.

Selbst wenn Führungskräfte das oben genannte typische Vorgehen mitentschieden haben: Es ist keine gute Voraussetzung für erfolgreiches Coaching. Für Individuen bietet sich zwar eine Entwicklungschance – ob diese in der Organisation wirksam wird, ist fraglich.

Der Trugschluss: »Wenn jeder einzelne besser wird, wird das Ganze besser.« Nach unserer Erfahrung: Nein!

3.3 Wirksame Gestaltung

Zwei zentrale Fragen:

  • Wie muss ein Coachingprogramm gestaltet werden, um relevanten Einfluss auf die Performance der ganzen Organisation zu haben?
  • Wie wird Coaching in einen gemeinsamen Führungsprozess eingebunden, in dem Führungsqualität intern entwickelt und gemeinsam reflektiert wird?

Für beide Fragen gibt es Antworten, über die wir ausführlich gesprochen haben. Coaching kann dann zu einem wirksamen Organisationsentwicklungsprozess werden.

4. Wer ist der Coach?

4.1 Der Coach als Kurator

In einer chinesischen Wüste. Still. Man hört die Erde atmen.
Man sieht und staunt über den Sternenhimmel – wie schon alle vor uns. Staunen ohne zu wollen.
Die kleine Gruppe von Führungskräften verändert sich. Sie ist anders berührt, anders gestimmt. Und blickt anders auf das, was gerade noch sehr dominant war.

Coaching kann sein: Zu Orten führen. Zu Erfahrungen einladen, die unter dem Druck des Alltags verborgen liegen.

Autor: Rüdiger Müngersdorff
Erstveröffentlichung: 11. November 2025
Foto: SYNNECTA

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