Unternehmensleitbilder in Zeiten hybrider Gesellschaften
Ein Leitbild gehört spätestens seit der Jahrtausendwende in jedes richtige Unternehmen. Wer keines hat, sollte nicht lange fackeln und sich eines zulegen! Warum?
Um in Zeiten der Globalisierung, des Wertverfalls, des Verschwimmens altbekannter Grenzen und Verlusts persönlicher Sicherheiten, des postuliert nachhaltigen Wirtschaftens, steigender Komplexität und Größe von Unternehmen, Post- und Post-Post-Merger Kulturen und damit verbundener Steuerungsschwierigkeiten, kontinuierlicher Veränderung etc., etc., etc. – neue Leitplanken für die Orientierung zu bieten. Diese sollen dann handlungsleitend und motivierend für die Organisation als Ganzes und die einzelnen Mitarbeiter wirken. Eine (zu) anspruchsvolle Aufgabe für ein Leitbild?! Oder geht es bei einem Leitbild doch eher nur darum, ein gutes Image nach innen und außen zu vermitteln? Dies würde seinen Ansprüchen nicht gerecht werden, wenig bis keine Wirkung entfalten und somit ein Leitbild von vorneherein obsolet machen. Was dann?
Grundsätzlich ist die Etablierung von Leitbildern in Unternehmen in hohem Maße an die Mechanismen der Entwicklung von Nationen und der damit verbundenen (National-)Kultur und (National-)Gesellschaft angelehnt. Diese wiederum werden festgemacht an so unterschiedlichen Dingen wie einheitliche Sprache, Bildung, Feiertage, Hauptstadt, Nationalmannschaft, Erzählungen und Mythen etc., um Gemeinsamkeit und Gemeinschaft zu erzeugen.
Die Umsetzung des Konzepts »Nation«, insbesondere durch die politische und intellektuelle Führung eines Landes, hat für lange Zeit große Erfolge verbuchen können, vor allem wenn man auf die soziale und wirtschaftliche Entwicklung vieler Nationalstaaten zurückblickt. Dass damit auch der Weg für einen radikalen Nationalismus mit all seinen negativen Auswüchsen geebnet wurde, muss an dieser Stelle nicht extra betont werden.
Heute ist vielmehr die interessante Frage, inwieweit das Konstrukt eines homogenen Nationalstaats aufgrund der politischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Entwicklungen noch zeitgemäß ist und seine integrative/inkludierende und Orientierung stiftende Funktion erfüllen kann. Nicht zuletzt wird dies immer wieder kontrovers am Beispiel einer vermeintlich »deutschen Leitkultur« diskutiert.
Eine Theorie, die verstärkt die Heterogenität moderner Migrationsgesellschaften berücksichtigt, firmiert unter dem Schlagwort »Hybride Gesellschaft«. Für Homi Bhabha, einem wichtigen Vertreter dieser Denkrichtung, bedeutet Hybridisierung nicht einfach ein Vermischen, sondern die strategische und selektive Aneignung von Bedeutungen, Raum schaffen für Handelnde, deren Freiheit und Gleichheit gefährdet sind. Es geht in diesem Konzept also nicht mehr darum, eine gemeinsame Sprache, Bildung etc. – letztlich eine gemeinsame nationale Kultur – zu formen. Vielmehr muss der (Frei-)Raum für ein heterogenes Mit- und Nebeneinander geschaffen werden, das vielfach sowieso schon weit mehr der Realität entspricht, als eine homogen gelebte nationale Kultur.
Übersetzt man diese gesellschaftliche Beschreibung wiederum auf Unternehmen, die ja ebenso wie Nationalstaaten, gerade aufgrund von zunehmender Internationalisierung sowie Fusionen und/oder Zukäufen von anderen Firmen, im verstärkten Maße mit Heterogenität umgehen müssen, so ist fraglich, inwieweit dafür ein klassisches Unternehmensleitbild noch tragfähig sein kann bzw. was an dessen Stelle als soziales Führungs- bzw. Steuerungselement treten kann.
Diversity Management greift diese Thematik auf, wird jedoch häufig als ein Aspekt oder nur parallel zur Etablierung einer möglichst homogenen Unternehmenskultur verfolgt und dabei zu oft auf einzelne Aspekte wie Gender, Alter oder Behinderung reduziert. Radikaler wäre ein Konzept im Sinne »Hybrides Unternehmen«, bei dem gar nicht mehr versucht wird, so etwas wie Homogenität als Ziel zu verfolgen, sondern die real gegebene Vielfalt akzeptiert und die darin liegenden Chancen und Potenziale der Menschen stärker genutzt werden. Google mag da vielleicht manchem als ein Beispiel gelten.
In der Beratungs- und Begleitungsarbeit der SYNNECTA bewegen wir uns mit unseren Community-Konzepten und Durchwegungsansätzen bereits seit längerem in diese Richtung. Einen echten »Gegenentwurf« zum Unternehmensleitbild durchdenken und diskutieren wir derzeit noch im Kollegenkreis. Auf diesen weiteren Entwicklungsprozess und Austausch mit Kollegen und unseren Kunden freue ich mich!
Thomas Meilinger