Krisenkommunikation III

Wenige Bemerkungen zur Verkündigung der schlechten Nachrichten

Es ist für die beteiligten Führungskräfte eine alle Aufmerksamkeit bindendes Ereignis. Obwohl es nur ein Schritt in einem längeren Prozess ist: es ist das zentrale Ereignis, denn hier wird der Ton für den ganzen folgenden Prozess gesetzt: die offizielle Erstverkündigung.

Für die Moderation einer solchen Veranstaltung bedarf es einer hohen emotionalen Stabilität, der Fähigkeit, Stimmungen in einer Gruppe früh wahrzunehmen und sensibel anzusprechen. Ohne eine solche Steuerung übernehmen Missverständnisse, vielfältige Befindlichkeiten und nicht aufgenommene Emotion die Regie des Geschehens.

In der Vorbereitung ist es wichtig, alle Führungskräfte einzubeziehen – denn sie bestimmen in Nebengesprächen, in ihrer Körperhaltung, in dem, was sie nicht sagen und dem, was sie im Nachhinein sagen, einen wichtigen Teil der wertenden Beurteilung der Situation – sie sind ein wichtiger Teil der sozialen Kalibrierung. Oft werden sie nicht genug eingebunden, es wird übersehen, dass sie ja selbst auch Betroffene sind und indem sie sich auf die Veranstaltung und den Prozess danach vorbereiten, auch ihre eigene Haltung klären müssen und können. Es gilt das Mantra: Präsenz zeigen!

Es ist verständlich, dass immer wieder die intensive Vorbereitung gescheut wird – man geht mit einem emotional belastenden und schwierigen Thema um und manchmal überwiegt der Wunsch, es schon hinter sich gelassen zu haben. Mit einer gemeinsamen intensiven Vorbereitung dieser Veranstaltung wird jedoch das Fundament für die Tragfähigkeit des ganzen folgenden Prozesses gelegt und dieser Prozess ist nicht linear, er braucht die Fähigkeit als Führungsgruppe iterativ zu arbeiten und mit den Überraschungen, Kehrtwendungen und Korrekturen umzugehen.

Zu oft werden sehr differenzierte Präsentationen gezeigt – sie sind politisch und juristisch abgestimmt und in der Regel zu kompliziert. Es ist daher wichtig, mit den auf der Bühne stehenden Führungskräften die komplizierten und differenzierten Slides in einfache Aussagen zu fassen – zumindest im Sprechen. Es geht darum, den lokalen Ton zu treffen.

Immer wieder zu kurz, zu lieblos, die Wichtigkeit nur teilweise verstehend – der Dialogteil der Verkündigung. Hier geht es nicht nur um das Stellen von Fragen, sondern es geht darum, Raum für das Sprechen zu schaffen. Hier gibt es oft nur Aussagen, die nichts fragen, jedoch sagen, was gerade emotional geschieht. Dieser Raum ist von größter Wichtigkeit, denn hier erleben die Menschen, ob es auch um sie geht, oder nur um die Abwicklung eines ökonomischen Problems. Hier wird auch vermittelt, dass es gut, richtig und erlaubt ist, Emotionen zu zeigen. Schließlich ist das eine Situation, in der dann auch die Führungskräfte nicht mehr nur Verkündiger sind und erklären, sondern auch in ihrer eigenen Emotionalität sicht- und spürbar werden. In diesen Augenblicken entsteht das Gefühl von Gemeinsamkeit, eines von Miteinander, auch wenn die Aufgaben und die Sorgen je sehr andere sind.

Wenn ein Mitarbeiter, der weiß, dass er seine Anstellung verlieren wird und der noch ratlos ist, was denn nun kommt, nach einer solchen Veranstaltung zur verantwortlichen Führungskraft geht, ihm in die Augen blicken kann und sagen kann: »Das ist echt übel und ich weiß gar nicht, was ich jetzt machen kann, aber danke für Ihre klaren Worte«, dann haben wir gemeinsam – die Moderation, die Führungskräfte und die Gruppe – den Grundstein für einen Prozess gelegt, in dem alle wissen: Wir tun miteinander das Beste in dieser Situation und wir tun es für die Gemeinschaft aller Betroffenen.

Rüdiger Müngersdorff, Fetiye Sisko
Foto: David Straight by unsplash.com

Krisenkommunikation II

Das Dilemma lokaler Führung oder Ein tiefer Loyalitätskonflikt

Es gibt den Beschluss. Kosten müssen reduziert werden, ein Personalabbau steht an, vielleicht die Schließung eines Standortes oder der Verkauf eines Teils des Unternehmens. Die lokale Führung hat die Aufgabe, den Beschluss umzusetzen. Eine schwierige Aufgabe, die viele Führungskräfte in Loyalitätskonflikte stürzt. Sie selbst sind verunsichert, wollen und sollen jedoch für ein überlegtes und sicheres Handeln sorgen.

Was passierte denn, bevor es zu einer breiteren Kommunikation kommt? Es gab eine Entscheidung der Zentrale – die lokalen Führungskräfte waren in diesem Prozess kaum einbezogen und wenn, dann vor allem als Zulieferer von Analysen, Daten und Informationen. Mit dem Beschluss liegt die Aufgabe der Umsetzung bei der lokalen Führung, die die sich einmischende Unterstützung der Zentrale zunächst als hilfreich, später aber doch vor allem als störend wahrnimmt. Die Aufgabe ist es jetzt nicht nur, die Menschen zu informieren, sie mit ihren Sorgen und Nöten ernst zu nehmen und zu begleiten, Sozialpakete zu verhandeln, Initiativen zu starten, um den betroffenen MA eine Chance außerhalb zu vermitteln, sondern auch noch bis zum letzten Tag die Produktivität aufrecht zu erhalten. Der Kontakt zu den eigenen Mitarbeitern wird intensiver, sie rücken mit ihrem Leben viel näher und es entwickelt sich die Erwartung, dass die lokale Führung alles tut, um die eigene Organisation zu schützen, zu erhalten. Natürlich entstehen hier Konflikte zwischen dem, was eine Zentrale will und dem, was die lokalen Mitarbeitenden erwartet – und die verantwortliche lokale Führung steht zwischen beiden Erwartungen. Die persönlich herausfordernde Aufgabe ist es nun, beide Interessen in einer Balance zu halten und selbst emotional im Gleichgewicht zu bleiben. Gute Führungskräfte fühlen sich beiden Seiten tief verpflichtet – den Mitarbeitenden in ihrer Not, ihren Sorgen und Unsicherheiten, dem Unternehmen, das eine solche Entscheidung aus guten Gründen und mit dem Blick auf das Ganze gefällt hat. Ein Dilemma, oft ein moralisches Dilemma, immer aber ein emotionales Dilemma.

Eine besondere Herausforderung ist es dabei, den schon mit dem Beginnen unvermeidlichen Verlust von Glaubwürdigkeit wieder auszugleichen. Am Anfang weiß die lokale Führung schon, was geschehen wird, ist aber durch sehr harte Vertraulichkeitserklärungen zu Stillschweigen verpflichtet. Kommt es dann zur Kommunikation, ist eine der ersten Vorwürfe der Mitarbeiter: Warum habt ihr so lange geschwiegen? Wie sollen wir euch eigentlich vertrauen, ihr habt doch das alles miteingefädelt?

Es ist eine schwierige Aufgabe, eine Aufgabe, die tief das eigene Glaubenssystem in Frage stellt. Es ist eine Aufgabe, auf die die meisten Führungskräfte nicht vorbereitet sind. Wie können sie sich verhalten? Wie können sie in den Widersprüchen, dem Kopf und dem Herzen gleichermaßen Raum geben? Wie können sie mit den eigenen Unsicherheiten und Sorgen umgehen und sich in ihrer Aufgabe davon nicht ablenken zu lassen?

Sollten Führungskräfte in solchen Aufgaben begleitet werden? In allen sozialen Berufen hat es sich bewährt, sowohl für die Individuen als auch für Teams Supervisionen anzubieten. Dabei geht es darum, auch in schwierigen Situationen sich über die Lage selbst und das eigene Handeln im Klaren zu sein. Nur eine geführte Selbstreflektion kann hier helfen, handlungsfähig zu sein und so am Ende im Interesse aller Beteiligten handeln zu können. Wir haben in all den Prozessen, die wir begleitet haben, mit einem Supervisionsansatz sehr gute Erfahrungen gemacht. Die Unterstützung hilft allen Seiten – der Zentrale, weil sie ihr Ziel erreicht, der lokalen Führung, weil sie das Interesse keiner Seite verrät und selbst mit einem geklärten Bewusstsein aus dem Prozess herausgehen kann und den Mitarbeitenden, weil nur eine stabile lokale Führung gewährleisten kann, dass auch in dieser Not neue Optionen für die eigene Zukunft entstehen können.

Rüdiger Müngersdorff/Fetiye Sisko
Foto: Mauro Mora by unsplash.com

Krisenkommunikation I

Transparenz macht glaubwürdig – zur Notwendigkeit von ehrlichem Führungsverhalten

Es ist eine klassische Ausgangssituation: Ein General Manager, ein/e Werkleiter*in, ein/e Bereichsleiter*in wird informiert, dass in seinem/ihrem Bereich signifikante Entlassungen anstehen, dass ein Standort geschlossen oder ein ganzes Geschäftsfeld verkauft wird. Es mag eine Ahnung da gewesen sein und es ist doch immer schockierend. Der/die Verantwortliche erlebt, was er/sie den Mitarbeitenden in naher Zukunft wird vermitteln müssen. Und er/sie spürt sehr schnell, dass er/sie sich alleingelassen fühlt und selbst nur scheibchenweise verlässliche Informationen erhält. Die Situation ist unübersichtlich und sie wird es eine ganze Weile bleiben. Es ist die erste Szene in einem nun folgenden Prozess, in der jede Szene wieder und wieder neu durchdacht und gestaltet werden muss.

SYNNECTA unterstützt seit vielen Jahren Unternehmen und verantwortliche Führungskräfte in der Gestaltung solcher Prozesse, in deren Mittelpunkt die Kommunikation steht. Es ist eine andere Art der Kommunikation – sie verlangt ein viel höheres Maß an Transparenz, Ehrlichkeit und Glaubwürdigkeit als die Standardkommunikationen und sie ist nicht delegierbar. Die Kommunikationskaskaden sind schon in normalen Zeiten problematisch, in der Krisenkommunikation sind sie gefährlich – es entstehen die unkontrollierbaren infektiösen Gerüchtetaschen.

Unsere selbst betroffene Führungskraft hat eine erste Aufgabe – sie muss ein Team, ein Führungsteam formen, das aus der eigenen Betroffenheit heraus in der Lage ist, sensibel mit der Situation umzugehen und bereit ist, im gesamten Prozess eine hohe Präsenz zu zeigen. Wir kennen den Schließungstourismus von Führungskräften, die in solchen Zeiten gerne die Zentralen besuchen. Das Führungsteam mit klarem Wissen um die Aufgabe und ehrlicher Bereitschaft, mit allen Mitarbeitenden diesen Weg zu gehen, ist das Rückgrat des Prozesses. Es ist der Zeitpunkt, in dem die lokal Verantwortlichen, die in Seminaren gelernte Mikropolitik und eigenes taktisches Verhalten hinter sich lassen müssen. Fetiye Sisko, die viele Unternehmen in diesen Phasen unterstützt hat, sagt dazu, dass am Anfang immer auch die Unterstützung darin besteht, eine gemeinsame Haltung zu entwickeln, in der deutlich wird, dass immer die Gesamtheit der betroffenen Menschen im Fokus steht.

Die mit der Kommunikation betrauten Menschen sind zu oft noch junge Mitarbeiter*innen, ohne eigenes Netzwerk, mit wenig Erfahrung und geringem inhaltlichen Einfluss. Ihr Engagement ist oft bemerkenswert und doch brauchen sie Unterstützung. Denn Krisenkommunikation weist ein paar Besonderheiten auf. Immer wieder erleben wir Phasen der Verwirrung, des Ärgers, der Wut, wenn Diskrepanzen auf den verschiedenen Kommunikationskanälen sichtbar werden. Insbesondere bedarf es einer synchronisierten Außen- und Innenkommunikation – jede Abweichung, die durch Presse, soziale Medien verbreitet werden, müssen in der internen Kommunikation aufgenommen werden. Nur so lässt sich vermeiden, dass die Irritationen von außen nach innen durchschlagen und hier starke emotionale Reaktionen verursachen. Differenzen in der Kommunikation macht Stimmung und die Situation ist stimmungslabil.

Die lebendige Q&A ist ein wichtiger Baustein in einer gelingenden Krisenkommunikation – jede Frage steht für ein Bedürfnis und eine Not, jede Frage muss beantwortet werden. Und lässt sie sich im Status des Prozesses noch nicht beantworten, muss genau dies gesagt und begründet werden. Nur so lässt sich der Stimmungsteil einer Krise aktiv gestalten und erfahrungsgemäß die emotionalen Ersatzhandlungen, wie Aktionen von Sabotage, von Arbeitsverweigerung etc. verhindern. Das macht auch deutlich, dass Krisenkommunikation ein iterativer Prozess ist, keine verläuft so, wie es sich sehr kluge Menschen, die weit vom Geschehen entfernt sind, im Vorhinein ausgemalt haben.

Wir sagten es schon, die Delegation an eine Kommunikationskaskade ist nicht hilfreich – sie erzeugt Unterschiede in der Kommunikation und sie ist von dem verantwortlichen Führungsteam nicht mehr kontrollierbar. Daher ist es für uns wesentlich, so oft wie möglich mit allen gleichzeitig zu kommunizieren. Dialog ist schon in einer normalen Situation wichtig, hier wird er entscheidend. Es ist ein Ziel der Krisenkommunikation, Gerüchte zu reduzieren und dafür bedarf es gemeinsamer Kommunikationserlebnisse. Sie sind emotional, zuweilen in der Mitte turbulent – aber was in einer Versammlung geschieht, das geschieht dann nicht mehr draußen. Natürlich bedarf es da einer erfahrenen Moderation, die auch in emotional heftigen Reaktionen den Überblick behält und mit angemessener Empathie sich gegenüber allen verhalten kann.

Wir haben gute Erfahrungen gemacht, die Kommunikationsversammlungen gemeinsam mit Betriebsrat/Arbeitnehmer*innenvertretung und Führung zu gestalten. Hier werden Gemeinsamkeiten sichtbar und hier werden Unterschiede transparent. Jede Seite hat eine andere Rolle und doch sind sie gemeinsam verantwortlich, die Situation für die Menschen zu gestalten. Und auch hier wieder, jedes Anliegen ist ernst zu nehmen. In einem Fall, die Führung hatte ein Abbauziel, das in ihren Augen marginal war (unter der 10% Marke) und hielt daher eine ausführliche Kommunikation für nicht nötig. An einem Morgen kamen die Führungskräfte in den Standort und sahen am Zaun 100 Vogelscheuchen mit schwarzen T-Shirts. Es war die Zahl derer, die abgebaut werden sollten. Es mag am Ende zwar 100 Menschen treffen, am Anfang aber trifft es jeden. Und es gilt der Grundsatz, was du einem tust, tust du allen.

Es gibt viele, wichtige Eigenheiten in der Krisenkommunikation – ihre Qualität macht einen großen Unterschied, für die betroffenen Mitarbeitenden und für das Unternehmen. Es braucht Erfahrung für die Gestaltung solcher Prozesse – immer auch eine hohe emotionale Kompetenz. Führungskräfte, die täglich mit verunsicherten Menschen umgehen müssen und die es ja oft auch selbst sind, brauchen in diesen Phasen eine Begleitung. Stimmt die Haltung im Führungskreis, dann ist ein stetes empathisches Verhalten lernbar. Transparenz, Ehrlichkeit und Empathie sind wesentliche Verhaltensaspekte in diesen Prozessen. Wir von SYNNECTA machen diese Aufgabe, auch da wo sie sehr schwierig ist, gern, wenn eins gegeben ist: Die verantwortliche Führung will den Prozess für alle Beteiligten so ehrlich und wertschätzend wie möglich gestalten.

Rüdiger Müngersdorff/Fetiye Sisko
Foto: Hanna Göhler

Warum Diversity ein Treiber für Innovationen ist

Nutzen Sie die Vielfalt Ihres Unternehmens für kreative Ideen

Wie werden wir innovativer?

Diese Frage wird für viele Unternehmen zunehmend dringlicher, um den Anschluss an den Wettbewerb nicht zu verschlafen. Ohne Innovationen läuft die Uhr für viele Unternehmen ab.

Der Countdown läuft:

  • Ist Ihr Unternehmen schon in den Startlöchern, um die nächste Innovation zu »launchen«?
  • Woher kommt die innovative Kraft in Ihrem Unternehmen?

Das Potenzial dafür schlummert bereits in vielen Unternehmen. Es gilt, dieses zu nutzen und das Unternehmen so von innen heraus zu stärken. Das kann bedeuten, Querdenkern Raum zu geben und auch einmal unbequeme Wege zu gehen. Mit einer disruptiven, innovativen Kraft kann sich selbst eine Monokultur öffnen – und so neue, innovative Perspektiven gewinnen.

Monokulturen weisen eine vergleichsweise geringe Komplexität auf – und produzieren zwar verlässliche, aber auch eher langweilige und vorhersagbare Antworten. Vielfalt hingegen erhöht die Komplexität; sie wirkt simplifizierenden Antwortmustern entgegen – sorgt somit für »unschärfere« Antworten mit höherer Ambiguität (Mehrdeutigkeit). Das ist anspruchsvoller – aber öffnet auch die Perspektive auf bessere, innovativere Lösungen.

Den Tiger reiten lernen – der Sprung zu mehr Innovation

Eine plausible These lautet:

»Ein Unternehmen kann nur denjenigen Markt bedienen, den es auch intern abbilden kann.«

So formuliert es Dr. Rüdiger Müngersdorff von der Managementberatung SYNNECTA, unserem Kooperationspartner in Sachen Organisationsentwicklung.

Abbildung: SYNNECTA Diversity-Einsichtbild®

Das Diversity-Einsichtbild® von SYNNECTA ist ein Werkzeug, mit dem Menschen in den Dialog gebracht werden. Die Themen rund um Vielfalt werden dadurch sichtbar und besprechbar.

Eine gesunde Vielfalt im Unternehmen sorgt also nicht nur dafür, dass die Produkte und Dienstleistungen treffsicher im Markt ankommen. Es sorgt auch dafür, dass eine vorwärtstreibende Spannung im Unternehmen herrscht, die neue Diskurse anstößt und Ideen generiert. Um die eigenen Gewissheiten immer wieder aufs Neue zu überdenken, zu reflektieren und damit auch morgen noch handlungsfähig zu sein.

»Spannungen im Unternehmen sollen gut sein?!«, fragen Sie sich jetzt vielleicht. – Hier ist es nützlich, zu differenzieren:

  • Eine negative Spannung bezeichnet z. B. ein Klima der Angst, der Verschlossenheit oder persönlichen Ränkespiele. Menschen fühlen sich dort unsicher, verschließen sich und machen eher »Dienst nach Vorschrift«.
  • Positive Spannung hingegen bezeichnet die kreative Energie, die durch das Zulassen unterschiedlicher Perspektiven entsteht. Kreative Prozesse sind keine Selbstläufer, sondern i.d.R. harte Arbeit. Das gemeinsame Ringen um die passende Lösung, das Überwinden von gedanklichen Barrieren – das sprichwörtliche »Out-of-the-box-Denken« – all das erfordert eine gewisse produktive Spannung.

Auch das agile Arbeiten oder Methoden wie das »Design Thinking« nutzen aktiv die non-konforme oder externe Perspektive, um die Vielfalt und damit die kreative Spannung innerhalb des Systems zu erhöhen. Wer sein Unternehmen zum Treiber von Innovationen – gar disruptiven Innovationen – machen möchte, muss diese kreative Spannung nicht nur aushalten, sondern aktiv zur Gestaltung nutzen. In der freien Interpretation eines chinesischen Sprichworts: Man muss lernen, »den Tiger zu reiten«.

Warum wird Vielfalt ein wichtiger Begriff für Unternehmen?

Die Vielfalt im Unternehmen zu fördern, ist einer der Ansätze, um die kreative, positive Spannung zu erhöhten. Vielfalt bzw. »Diversity« ist dabei ein Sammelbegriff für eine Vielzahl von Unterschieden. Mindestens folgende sogenannte »Diversity-Dimensionen« kann man differenzieren:

  • Kulturelle Unterschiede, häufig im Sinne ethnisch-kultureller oder religiöser Unterschiede, werden regelmäßig als relevante Differenzierung verstanden.
  • Eine Behinderung ist in der Gesellschaft noch allzu häufig ein Stigma, welches dazu führt, das Potenzial von Menschen mit Behinderung außer Acht zu lassen – aus Sicht eines Unternehmens eine naive Verschwendung von Ressourcen.
  • Gender: Der »kleine« Unterschied von Mann und Frau ist jedem klar. Seit 2017 unterscheidet das Bundesverfassungsgericht Menschen, die sich selbst keiner dieser beiden Kategorien zuordnen (offizielle Bezeichnung »divers«). Die Realität sah schon immer bunter aus. »Mädchen spielen mit Puppen – Jungs mit Autos.« Stimmt, wenn Sie jederzeit mitdenken (und am besten auch sagen), dass auch viele Mädchen mit Autos und viele Jungs mit Puppen und Figuren spielen.
  • Alter: Wir waren alle mal jung – und uns eint die Hoffnung, alt zu werden. Doch das bewahrt Unternehmen nicht vor Intergenerationen-Konflikten und -Missverständnissen in der Belegschaft. Der demografische Wandel befeuert diese Spannung: Gerade wenn junge Mitarbeiter ältere führen – oder wenn sich die »Jungen« von den »Alten« nicht verstanden fühlen – wird der Altersunterschied plötzlich relevant für die Zusammenarbeit im Unternehmen.
  • Sexuelle Identität oder Orientierung: »Ist doch Privatsache!« ist der Ausruf unbedarfter Konformisten. Denn wer zur Mehrheit gehört, versteht häufig die Sorgen der Minderheit nicht. Dabei ist es nicht so schwer: Wer das Gefühl hat, sich verstecken zu müssen, damit »die Privatsache« bloß nicht ans Tageslicht des Alltags von Büro oder Werkshalle kommt, wird verschlossener sein und seine Energie auf die Geheimhaltung richten – statt auf die nächste Innovation im Unternehmen.

Ein entscheidender Vorteil für Unternehmer: Studien belegen, dass Vielfalt im Unternehmen diesem wirtschaftlich gut tut. Unternehmen mit hoher Diversity sind innovativer, haben eine stärkere Arbeitgebermarke (Employer Branding) und ein besseres Arbeitsklima. Kurz gesagt: Diversity schafft Dividende. Vielfalt schafft Vermögen.

Perspektiven verstehen und Bedürfnisse erkennen als Basis für Innovationen

Wer die innovative Kraft im Unternehmen stärken will, sollte bei der Suche nach innovativen Angeboten die Perspektive wechseln können. Allzu häufig beginnen Innovationsprozesse noch mit der Frage: »Wie können wir unser Produkt verbessern?« – Klingt vernünftig, zäumt das Pferd jedoch von hinten auf. Die Ausgangsfrage sollte eher lauten:

  • Welche Lösung erhofft sich der Kunde von unserem Angebot?
  • Welches Problem löst unser Angebot für den Kunden?
  • Was wird aus seiner/ihrer Perspektive dadurch leichter, schneller, besser, günstiger …?

Dieses kleine 1×1 der Produktentwicklung (aber auch von Vertrieb, Marketing, Service) wird leider häufig vergessen und man schaut zunächst von der »technischen« Seite auf das eigene Angebot. Das Ergebnis sind dann zwar technische Verbesserungen – die aber für den Kunden keinen erkennbaren Nutzen stiften. Die Kernfrage lautet: »Welchen erkennbaren zusätzlichen Nutzen stiftet die Innovation für den Kunden aus dessen Sicht?« Jede Innovation muss durch das Nadelöhr der Kundenperspektive – sonst ist es keine Innovation, sondern nur eine Variation. Kurzum: Beginnen Sie mit der Perspektive des Kunden – nicht derjenigen Ihres Angebots!

Ein Beispiel aus dem Bereich Heimwerken: Statt die existierende Bohrmaschine aus Ihrem Programm weiter zu verbessern, etwa durch eine höhere Drehzahl oder einen günstigeren Preis, kommen Sie so vielleicht auf die disruptive Idee, einen starken Klebestreifen zu entwickeln, nachdem Sie verstanden haben, dass die meisten Menschen im Haushalt nur vergleichsweise winzige Löcher zum Aufhängen leichter Gegenstände benötigen (Handtuchhaken, Bilder, Wandspiegel).

Doch dieser Perspektivwechsel erfordert mindestens zweierlei Kompetenzen: Zum einen muss ich mich kognitiv auf den Kunden, dessen Kontext und seine Herausforderungen einlassen können. Zum anderen – und das ist häufig der der schwierige Part – muss ich seine emotionale Lage (seinen »Schmerz«) nachempfinden können. Ich muss die unterschiedlichen Bedürfnisse des Kunden erspüren können. Ich brauche also ein hohes Maß an sozialem Einfühlungsvermögen.

Und hier spannt sich der Bogen zum Aspekt Vielfalt und Diversity Management: Je komplexer mein interner Kosmos, den ich in meinem Unternehmen managen muss, desto eher kann ich auch die komplexen Welten meiner Kunden verstehen. Ein Dienstleistungsangebot für Frauen – nur von Männern entworfen; eine nur von deutschen Ingenieuren für den indischen Markt entworfene Maschine; ein nur von »alten Hasen« konzipiertes Angebot für Jugendliche? – Ja, alles möglich, aber die Chancen stehen hoch, dass hier knallhart an den Bedürfnissen der Zielgruppe vorbei entwickelt wird. Erfolgversprechender ist der Ansatz, die Vielfalt und Komplexität bereits frühzeitig in die eigenen Prozesse zu integrieren.

Warum Diversity die Agilität in Ihrem Unternehmen fördert

Diversity-Expertin Hanna Göhler weist darauf hin, dass für agile Organisationen der kompetente Umgang mit Vielfalt eine wichtige Voraussetzung ist, um das Potenzial der agilen Methoden auch nutzen zu können. Agilität ist ein Kulturthema. Sie stellt die These auf:

  • »Nur wer die Diversität in der Gruppe kennt, wertschätzt und nutzbar macht, kann wirklich agil sein und arbeiten. Damit ist es ein System-, Kultur-, Führungs- und ein individuelles Thema.«

Mehr dazu in ihrem lesenswerten Artikel »Warum Agilität und Diversity zusammengehören«. Dort erläutert sie auch das Konzept des »Diversity-Lernens« als Teil einer Lernkultur hin zu mehr Agilität. Hanna Göhler schreibt:

»Ambiguitätstoleranz« (also die Fähigkeit, Mehrdeutigkeiten und Unterschiede auszuhalten oder besser, diese zu akzeptieren), gilt als ein Merkmal von Diversity Awareness. Sie ist ebenso unabdingbar für das agile Mindset. Wenn diese Fähigkeit fehlt, reagieren Menschen auf mehrdeutige und oft unkontrollierbar erscheinende Situationen im agilen Setting mit »linearem Denken«. Sie verfallen in starre, alte, tradierte Muster, also dem Gegenteil von »being agile« und konstruktivem Diversity-Lernen.

Wie kann eine Basis geschaffen werden, aus der Innovationen wachsen können?

Für Führungskräfte ist es wichtig, eine gemeinsame Basis zu schaffen und einen stabilen Rahmen zu gewährleisten, in dem die kreative Spannung wirken kann und nicht destruktiv wird. Damit sind auch Fragen der Unternehmenskultur angesprochen, die von Vertrauen, offenem Feedback und einem ausgeprägten Gemeinsinn gekennzeichnet sein sollte. Nur so können Brücken gebaut und das typische Silo-Denken, z. B. zwischen Abteilungen oder Teams, vermieden werden.

Unterstützen Sie die Vielfalt und den übergreifenden Austausch im Unternehmen. Laden Sie zum offenen Diskurs und disruptiven Ideen ein. Setzen Sie in Workshops und bei größeren Veranstaltungen auf das Potenzial, das im cross-hierarchischen, cross-funktionalen oder auch cross-regionalen Austausch liegt. Lassen Sie etwas mehr »bunt« im Unternehmen zu und sorgen Sie dafür, dass Ihr Unternehmen ein Ort ist, an dem positive Spannung ihre kreative Kraft entfalten kann.

Zum Weiterlesen:

Daniel Goetz
Der Artikel wurde vom Autor ursprünglich veröffentlicht im Blog von agateno.
Foto: Matthew Schwartz by unsplash.com

Purpose: Plädoyer für eine lebensdienliche Wertstiftung

What’s your purpose? Im Schnittfeld zwischen Simon Sineks Golden Circle (in dessem Zentrum das Why steht), Dan Pinks Drive (der Purpose als zentrales intrinsisches Motivationskriterium erkennt) und Frederik Lalouxs Teal Organisations (die alle einen evolutionary purpose als Grundcharakteristikum teilen) wird die Sinnstiftung vermehrt zum neuen Mittel der Unternehmensausrichtung. Mehr und gerade junge Unternehmen verpflichten sich mit einem Purpose, ihr Wirtschaften unter den Leitstern einer lebensdienlichen Wirtschaft zu stellen. Und treten den Beweis an, dass Sinnhaftigkeit und Profitabilität sich nicht ausschließen müssen.

Gleichzeitig droht dem Begriff Purpose gerade ein ähnliches Schicksal wie dem Wort Agilität: Er schickt sich an, ins Bullshit Bingo in Unternehmen einzusteigen und sich damit zu sinnentleeren. Wo sich manche Unternehmen sinnstiftender Lebensdienlichkeit verpflichten, geht es anderen Unternehmen bei Purpose vor allem um Start-up-Hippness und (böse formuliert) um auf Gutmenschentum gebürstetes Marketing.

Mich schmerzt diese verflachende Entwicklung, da ich den Anspruch, unter dem Leitstern einer lebensdienlichen Wirtschaft sinn-stiftend zu arbeiten für ein äußerst erstrebenswertes Ziel halte. Aus diesem Grund möchte ich mit diesem Beitrag versuchen, den Purpose jenseits von werbetechnischer Flachheit in einer wirklich sinn-getriebenen unternehmerischen Denkhaltung zu verankern.

Zunächst tut man sich schwer, das englische Wort purpose adäquat ins Deutsche zu übersetzen. Denn die Übersetzung »Zweck« klingt zu profan, während »Sinn« zu bedeutungsschwer daherkommt. Viele einigen sich daher auf die Übersetzung »Sinnzweck«. Aus meiner Sicht ist diese Übersetzungskrücke nicht unvorteilhaft: denn sie umreißt im Grund einen essentiellen Doppelcharakter des Purpose: Als grundwertbasierte Wertstiftung klärt der Purpose gleichzeitig WARUM und WOZU eines Unternehmens.

Um diese Doppelstruktur zu verstehen, möchte ich (auch wenn es auf den ersten Blick abwegig erscheint) als Kulturanthropologe zwei Zeitkonzepte gegenüberstellen, die – nebeneinander existierend – viele archaische Denksysteme und Kosmologien bestimmen. Als New Work Anthropologist möchte ich dann zeigen, dass ein in modernsten Unternehmen wirksamer Purpose genau dieser gleichen Struktur folgen sollte, um sich nicht in marketingtechnischer Flachheit zu verlieren.

Tribale Kulturen kennen oft zwei Zeiten: Zum einen gehen sie (wie auch moderne Kulturen) im profanen Arbeitsalltag linear nach vorne planend ans Werk. Ein Tag folgt hierbei auf den anderen, der Mensch blickt vom Jetzt aus auf Vergangenes zurück und nach vorne in die Zukunft, um seine Handlungen erfolgsorientiert auszurichten. Parallel hierzu existiert jedoch in vielen Kulturen eine »mythische« Parallelzeit. Australische Aboriginal People nennen diese Zeit z.B. tjukurrpa, »Traumzeit«. Diese Zeit wird von uns oft als (linear) längst vergangene Urzeit missverstanden. Sie bildet jedoch eigentlich eine zur profanen Arbeitszeit parallel laufende Zeitsphäre der »Ahnen« ab, die ganz anderen Zeitgesetzen folgt und stark legitimatorischen Charakter hat. Sie umfasst Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft gleichermaßen. Man könnte sie als utopische Ur-Zeit bezeichnen.

Während die lineare Zeit von sekündlicher Veränderung geprägt ist, stellt die Ur-Zeit ein stabiles Narrativ bereit, das erklärt, warum die Dinge sind, wie sie immer schon waren bzw. gemacht werden, wie sie auch in Zukunft immer gemacht werden sollten. Die Ur-Zeit erklärt damit, was und wie es im Sinne eines »guten Lebens« im Dienste des Menschen und seiner Mitgeschöpfe und Umwelt getan werden soll. In mythologischer Referenz und durch rituelle Inszenierung wird diese Traumzeit zyklisch und regelmäßig ins Jetzt geholt, die profane Welt damit sakralisiert und mit grundsätzlichem Sinn aufgeladen. Die utopische Ur-Zeit definiert, was lebensdienlich ist und revitalisiert die Arbeitswelt.

Mir geht es nicht darum, in Unternehmen die Schamanentrommel zu rühren oder rituelle Tänze aufzuführen. Vielmehr möchte ich uraltes (und oft bewährtes) menschliches Kulturerbe mit den Herausforderungen des digitalen Zeitalters zusammenzuführen (an anderer Stelle habe ich dieses Unterfangen Tribagility genannt). In meinen Augen muss ein »echter« Purpose, um Unternehmen sicher durch die Wirren der VUCA-Welt leiten zu können, genau das Gleiche leisten, wie die Ur- und Traumzeit für archaische Kulturen: ein stabiles Narrativ der sinnstifenden Lebensdienlichkeit zur Verfügung stellen, das durchgehend Orientierung in Ausrichtung und Verhalten bietet und gleichzeitig Veränderungen der Arbeitswelt flexibel integrieren kann. Während strategisches Zieldenken linear ergebnisorientiert ist, damit nur kurzfristige Gewinnmaximierung abbilden kann und von VUCA mit voller Wucht getroffen wird, bietet der Purpose eine grundsätzliche und souveräne Handlungslegitimation der Lebensdienlichkeit, die in den Stürmen der Veränderung standfest bleiben kann.

Im Unternehmen richtet der Purpose als echte Sinn-Stiftung seinen Blick aus dem Jetzt grundsätzlich in zwei Richtungen:

  • Zum einen definiert er respektiv (d.h. »zurückblickend«) die Wertebasis, auf der alles Handeln erfolgt. Er setzt unter der Leitfrage »WARUM?« stabile, jedoch lebendige Grundwerte, die allen Mitarbeitenden für den Moment mitteilen, welches Tun ok bzw. nicht ok ist. Damit etabliert der Purpose bewusst einen Rahmen bzw. Korridor für alles Handeln im Unternehmen.
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  • Zum anderen definiert der Purpose gleichzeitig das WOZU allen Tuns. Dies tut er prospektiv vorausblickend und auf eine echte, lebensdienliche Wert-Stiftung gegenüber Mensch, Mitgeschöpf und Planet hin ausgerichtet. Otto Scharmer (der mit seiner Theory U aus ethnologischer Perspektive in bester Weise die Grundstruktur sog. Übergangsriten für Organisationen wirksam macht) beschreibt die Definition dieses wert-stiftenden WOZUs treffend als Suche nach »the future that wants to emerge«.

Mit dieser Doppelperspektive kann der Purpose zu einem pragmatischen Instrument für die Entscheidungsfindung im Jetzt werden.

Aus den Grundeinsichten der Kulturanthropologie lassen sich attraktive, motivierende und wirksame Formate ableiten, die es Führungskräften und Mitarbeitenden in Unternehmen erlauben, ihren Purpose als lebensdienlichen Sinn-Zweck zu entdecken, zu erarbeiten und zu formulieren. Ist dieser einmal gefunden, macht es Sinn, regelmäßig die Trag- und Wirkkraft des gemeinsamen Purpose zu überprüfen. Eine solche tiefgreifende Reflexion muss anderen Regeln folgen, als ein gängiges Strategy Review Meeting. Aber dies weiter zu beschreiben wäre schon ein weiterer Blogbeitrag – vielleicht mit dem Titel »Rituale im Unternehmen« …

Johannes Ries
Titelfoto: Christian Newman by Unsplash