Hoffnung

Wir haben schon zu einer Zeit über die Hoffnung als Führungshaltung geschrieben*, als es vielen noch als etwas Esoterisches erschien. Ausgehend von dem so einflussreichen Satz des Paulus im ersten Brief an die Korinther:

»Nun aber bleibt Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei; aber die Liebe ist die größte unter ihnen«

… haben wir die Hoffnung als das Vermögen beschrieben, an der Möglichkeit der Realisierung von etwas festzuhalten, auch wenn vieles, ja scheinbar alles dagegen spricht. Hoffnung spricht von der Zukunft nicht als einer Form des Wunschdenkens, sondern als die Kraft, auch dann an das Werden des Guten zu glauben, wenn die Gegenwart die Zukunft eher als dunkel aufscheinen lässt.

In unserer Zeit, in der sich eine Stimmung der Depression, des Verzagens breitmacht und der Blick in die Zukunft nurmehr durch den Dunst des Versagens und der Verzweiflung möglich zu sein scheint, wird die Haltung der Hoffnung und so des Vertrauens in die Möglichkeit des Gelingens äußerst wichtig. Führung heißt in einer solchen, apokalyptisch gestimmten Lage, hoffend eine gelingende Zukunft zu antizipieren und sich für ihre Verwirklichung gezielt und mit Zuversicht einzusetzen.

Das führt uns, auf Führungshaltungen blickend, zu einer unterschätzten Führungseigenschaft: der Bewahrung einer kindlichen Naivität. Damit ist nicht ein grundloser, oft narzisstischer (kindischer) Optimismus gemeint, der sich der Realität nicht stellen will, sondern die Haltung an der Möglichkeit des »Besser« festzuhalten und aus der Hoffnung die Kraft zu ziehen, auf die Realität so einzuwirken, dass die Chancen der Ermöglichung größer werden. Wie Anmut, die Grazie im Auftreten und Sprechen eine oft unterschätzte Führungstugend ist, so ist es die Naivität. Sie ermöglicht es uns ein »Noch Nicht« in ein »Jetzt Da« zu verwandeln.

Sich diese Naivität angesichts der vielen unvermeidlichen Enttäuschungen und Misserfolgserlebnisse in einer Karriere zu erhalten, ist keine kleine Leistung, und der psychologische Term der Frustrationstoleranz beschreibt den Erhalt dieser hoffenden Naivität nur sehr eingeschränkt. Hoffnung führt uns näher an das, was einem Leben als Einzelnem und als Gemeinschaft Sinn zu geben vermag. In diesem Sinne trägt uns Hoffnung durch die Gegenwart und lässt uns handeln und gestalten.

Hoffen ist kein Wunschdenken. Es ist die Fähigkeit zum Zukunftsdenken, eingebettet in die Zuversicht, dass ein Handeln möglich ist.

In den gängigen Führungstrainings wird man eine Beschäftigung mit diesen tief in die Persönlichkeit reichenden Haltungen selten finden – dafür sind sie zu sehr auf schnelle Tricks und Tipps fokussiert. Verstehen wir allerdings die Not, Hoffnungslosigkeit in Hoffnung zu wandeln, damit es zumindest die Chance eines »Besser« gibt, dann wäre es an der Zeit, sich dem Thema Zukunft mit einer hoffenden Haltung zu nähern.

Rüdiger Müngersdorff

* SYNNECTA Sophia 2017: Glaube, Liebe Hoffnung – Im Schatten der Organisation (Rüdiger Müngersdorff)

Kollektive Führung

Die Bedeutungsverschiebung in der Führungsrolle – Führung vom Mitarbeiter aus denkend

1. Wie kommt es zu dieser Bedeutungsverschiebung?
Die westliche Welt hat ein paar spezifische kulturelle Muster – ein sehr bedeutender Appell ist ein Satz aus der Schöpfungsgeschichte des alten Testaments: Macht euch die Erde untertan! Verbunden mit der Aussicht auf Leid und Schmerz. Es ist die Aufforderung Macher zu sein, Gestalter, Beweger. Und das ist dann auch der Kern einer Führungsrolle: Gestalte, mache, kreiere. Unsere heutigen Erfahrungen mit einer globalen, vernetzten Welt und ihrer Dynamik sowie die Konfrontation mit anderen kulturellen Vorannahmen und Werten lässt uns am Bild des souverän gestaltenden Subjekts, dem die Welt als Gestaltungsraum gegeben ist, zweifeln. Unsere heutige Erfahrung scheint eher zu sein: nicht wir bewältigen die Welt, sondern die Welt bewältigt, überwältigt uns. Wir lassen uns davon noch nicht abschrecken, sondern suchen neue Wege, ein balanciertes Verhältnis von gestaltendem Einfluß nehmen und der Akzeptanz, dass nicht nur wir der Welt einen Stempel aufdrücken, sondern die Welt auch uns einen Stempel aufdrückt, zu finden. Diese Erfahrungen haben auch Einfluss auf unsere Konzeption von Führung – die souveräne Rolle einer gestaltenden Führungskraft wird von der möglichen Führungsrolle von Kollektiven herausgefordert.

So beschreiben wir heute eine Führungskraft eher als Ermöglicher, als Förderer, als Moderator. Wir sprechen von einer dienenden Führungskraft mit den Werten der Demut, des Kümmerns. Der Weg von einem starken Ego zum Teil eines größeren Wir.

Es scheint, als habe die alte Führungskraft gegenüber der Komplexität, der Kontingenz und Beschleunigung aufgegeben. Sie kann die Rolle des wissenden Gestalters nicht mehr ausfüllen, sie sieht sich mit den Grenzen der eigenen Souveränität konfrontiert. Und hier dann wird die Antwort in den potentiell mächtigeren, klügeren vielstimmigen Kollektiven gesucht. Wir geben unser Vertrauen in die Weisheit vielstimmiger, diverser Diskurse und glauben, dass das Kollektiv als multiperspektivische Gruppe der Komplexität von Aufgaben in der heutigen Welt eher gewachsen ist als der alte Führungsheld.

Mit dieser Entwicklung geht zugleich ein Lernen einher, dass das westlich dominante Modell, alles habe seinen Grund, und alles lasse sich auf eine Ursache zurückführen zwar überaus mächtig, aber auch nicht universal gültig ist. Mit einer komplexen, beschleunigt dynamischen Welt lernen wir auf Geschehnisse in einer systemischen Weise zu blicken – wir betrachten Geschehnisse als interaktive Bedingungsgefüge, wobei wir keine eindeutige Ursache zu identifizieren vermögen, wohl aber Vernetzungen, die zu dem zu erklärenden Ereignis geführt haben mögen. Kennen wir die eine Ursache können wir zielgerichtet handeln, in einem Bedingungsgefüge müssen wir feedbackgeleitet Handeln, wir sind Teil des Gefüges und wir lernen mit dem Gefüge (daher die Rehabilitation des Fehlers als Impuls für ein Feedback aus dem zu lernen ist).

2. Aber ist mit der Hinwendung zum Kollektiv die alte Rolle der Führungskraft obsolet?
Wir brauchen zur Bewältigung, zu einer für das Ganze förderlichen Antwort, sicher die Vielstimmigkeit eines diversen Kollektivs und so offene, furchtreduzierte Diskurse. Damit diese Diskurse jedoch gelingen können und sich die Vielstimmigkeit nicht in unversöhnliche Positionen entwickelt, benötigen wir auch Leitplanken, Orientierung und den Bezug zu einem gemeinsamen Horizont für das, was jetzt nötig ist. Und hier bleibt es die Aufgabe der Führung mit all dem Risiko des Irrtums diese Orientierung zu geben. Eine Lernaufgabe der Führung ist dabei sicher zu realisieren, dass mein Subjekt nicht das mächtige Zentrum, sondern Teil eines Ganzen mit einer sehr spezifischen Rolle in diesem Ganzen ist. Eine immer schmerzliche Lernaufgabe ist dabei zu realisieren, ich bin beschränkt, eingeschränkt, und der Weg diese Einschränkung zu vermindern, sind die Anderen. Ein anderer alter Satz aus dem altgriechischen Orakel hat das der westlichen Menschheit mitgegeben: Bedenke, Du bist ein Mensch! Nur ein Mensch, aber auch ein Mensch. Hannah Ahrendt hat diesem Menschen zugeschrieben, Anfänge setzten zu können. Und auch das bleibt eine Aufgabe der Führung.

3. Ist das Kollektiv reif für die Übernahme von Führungsakten?
Meine lange Arbeit mit gruppendynamischen Settings zeigt, wie schwierig es ist in ungeführten Gruppen gemeinsame Orientierung und zielführende Zusammenarbeit zu realisieren. Neben den bekannten Gruppeneffekten, das Finden von Rollen, von Position und Bedeutung in diesem sozialen Feld (emotional getriebene Effekte) ist die Etablierung von kollektiven und begrenzenden Wahrnehmungs-, Denk- und Entscheidungsmustern die größte Barriere für einen multiperspektivischen und offenen Dialog. Zusammen mit emotionalen Dynamiken des Gruppenzusammenhalts reduzieren sich die potentiell gegebenen Chancen der Multiperspektivität und schrumpfen zu einem in der Regel unbewusstem Groupthink. Ohne einer gezielten Arbeit an diesen beschränkenden Mustern bleiben Gruppen weit unter ihrem Niveau und können die ihnen zugedachte Aufgabe, Komplexität besser bewältigen zu können, nicht erfüllen. Die Dynamik von Gruppen überdeckt immer wieder den sachlichen Fokus, und wie es die Psychoanalyse für Individuen beschrieben hat, der Zugang zum kollektiven Mindset als unbewusste Entität ist von vielen Abwehrmassnahmen verdeckt. Aus diesem Grund gehört zur Arbeit mit dem kollektiven Mindset eine tiefe gruppendynamische Expertise. Nur dann gelingt die neue Balance in der Führung – ein produktiveres Gleichgewicht zwischen Führen und Geführtwerden.

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Rüdiger Müngersdorff
Der Artikel erschien ursprünglich auf www.myndleap.com
© Artwork: Mitra Art, Mitra Woodall

Globalismus

Die Notwendigkeit, global zu denken und zu handeln trotz der Schmerzen und Enttäuschungen in den Prozessen der multilateralen Verständigung.

Wir und Sie werden wieder nationaler. Das Grundmuster sozialer Unterscheidungen in der Differenz von »Wir« und »Die da« wird wieder schärfer. Zugleich werden unsere Probleme globaler – sie betreffen uns alle und es gibt keine Aussicht auf eine Lösung innerhalb der Teilgliederungen unserer fragilen globalen Ordnung.

Mit der Zunahme der gegenseitigen Interdependenzen, der Unberechenbarkeit von global auftretenden Ereignissen (aktuell z.B. Pandemien), der Krise eines Verhaltens zur Natur, die nationale Grenzen nicht kennt, wird die Steuerungsfähigkeit und Problemlösungskompetenz nationaler Einheiten kontinuierlich geschwächt. Akute Problemstellungen, wie der Klimawandel, das fragile Finanz- und Bankensystem, die Risiken von Technologien (z.B. Genmanipulation, Energiegewinnung) und die zunehmende, soziale Ungleichheit in der Verteilung von Gütern lassen sich nur multilateral zu Lösungen hinführen. Ein mühsamer und mit vielen Kompromissen versehener Prozess. Es haben sich inzwischen viele multinationale Gremien, Institutionen gebildet, in denen diese Themen zumindest besprochen werden können und so auf die Agenda auch der nationalen Institutionen kommen. Diesen Gremien fehlt oft die Legitimität, die bisher immer nur in der Bereitschaft der nationalen Organisationen liegt, sich an ihnen zu beteiligen und sich auch deren Entscheidung zu unterwerfen. Wir erleben gerade eine Schwächung dieser multinationalen Organisationen, was die globalen Problemlösungsprozesse deutlich verzögert.

Wenn wir auf Unternehmen blicken, dann sehen wir ähnliche Bewegungen und in manchen Aspekten wohl auch solche, die als beispielhaft gelten können. Für Unternehmen ab einer gewissen Größe gibt es zum Handeln in einem globalen Markt keine Alternative. Und das heißt, sie müssen sich mit der Interdependenz von Märkten und Kulturen auseinandersetzen, sich auf die Fragilität multilateraler Einflüsse einlassen und handlungsfähig bleiben, wenn globale Ereignisse tiefe Einschnitte in die Autonomie des Handelns verursachen. Intern müssen kultur-, nationen- und glaubensübergreifende Diskurse geführt werden, um gemeinsame Lösungen zu finden und in den Interdependenzen getragene Entscheidungen treffen zu können. Das verlangt sehr aktive und ausgedehnte Kommunikationsprozesse, deren Mantra mit »Speak Up« beschrieben werden kann. Hier gab es viele, bereits als vertikal bezeichnete demokratische Gesprächsformate, die alle auf eine Bewegung hin zu gemeinsamen Überzeugungen zielen.

Wir beobachten derzeit mit Sorge, wie sich eine Haltung ausprägt, die sich explizit gegen ein »Speak Up« entscheidet, so dass sich wieder verstärkt eine Anpassungskultur etabliert, in deren Hintergrund zunehmend Ärger und Genervtheit wächst. Dennoch zeigt die nicht nur modische Konzentration auf Haltungen der Kollaboration/Kooperation deutlich, dass in den Unternehmen das Bewusstsein für die Notwendigkeit des multiperspektivischen Diskurses wächst und man sich zunehmend von der einen, durch Prozesse und Prinzipien geleiteten »wahren« Perspektive verabschiedet hat. Natürlich ist es schwierig in den heute durch komplizierte Matrixorganisationen dominierten Organisationen zu gemeinsamen Entscheidungen zu finden. Auch wenn die westliche, postkoloniale Position immer noch dominant ist, so erweitert sich der Gesprächs- und Entscheidungsraum um lokale, regionale, funktionale Perspektiven, so dass differente Interessen, Glaubenssätze und Einstellungen zu Wort kommen. Das Tableau derjenigen, die sprechen dürfen und die gehört werden, erweitert sich deutlich.

Für Führungskräfte sind solche Prozesse häufig mit dem Gefühl des Kontrollverlustes verbunden. Sie unterschätzen, wie wichtig ihre regulierende und hier durchaus kontrollierende Rolle in der Initiierung und Begleitung solcher Abstimmungsprozesse ist. Mit den Ambivalenzen und Unsicherheiten des Kooperationsgebotes von unterschiedlichen, manchmal sehr divergenten »Spieler*innn« umzugehen und in der Führung eines Gespräches zu bleiben verlangt viel von Führungskräften: so die Fähigkeit zum Perspektivwechsel, zur Stabilisierung innerer Sicherheit und zu hoher Reflexivität bezogen auf die eigenen Vorannahmen und Einstellungen. Das sollten auch die wesentlichen Faktoren einer Führungsbildung sein.

Natürlich sind in Unternehmen noch weite Wege zu gehen – und dennoch sind sie in der Bewältigung der globalen Ambivalenzen, Differenzen unseren Nationen schon ein gutes Stück voraus. Dazu hat auch die Einsicht geführt, dass das eigene Unternehmen Teil der global politischen Landschaft ist und die Gesellschaften nicht nur unter dem Aspekt »Kunde« betrachtet werden können. Mit der Anstrengung, sich der Diskussion um eine »Purpose« zu stellen, haben sich Unternehmen weit für die gesellschaftliche Verantwortung geöffnet. Mitarbeiter*innen sind hier nicht mehr nur irgendwie zu motivierende Subjekte, sondern sie repräsentieren Gesellschaften und deren Anliegen. Diesen ersten Schritten müssen weitere folgen. Ich kann nicht von »Mindset Change« sprechen, ohne die divergenten Grundeinstellungen der Mitarbeitenden wenigstens mit ins Kalkül zu ziehen, und das heißt auch, sich der Notwendigkeit zu öffnen, auch politisch Position zu beziehen.

So wie Diversität neben der kulturellen Differenz, der des Alters sowie der Genderdifferenz auch die sexuelle Differenz ins Gespräch gebracht hat und damit eine der sozialen Friedensregelungen in Unternehmen: »kein Gespräch über Sex« hat wanken lassen, so gilt das auch für die Konfliktvermeidungsstrategie des »kein Gespräch über Politik«. Jedoch, was nicht ansprechbar ist, das wirkt im Hintergrund und in der die Kultur wesentlich beeinflussenden informellen Organisation.

Unternehmen sind auf dem Weg – die Betonung von kooperativen Entscheidungsprozessen und der Etablierung der dafür geeigneten Gremien sind wichtige Schritte. Inwieweit es schon gelingt, auch gesellschaftlich stärker divergenten Positionen und kulturell sehr anderen Entscheidungsprozessen einen angemessenen Raum zu geben ist sicher diskussionswürdig. Auch die Unternehmen ringen noch mit postkolonialen Einstellungen, die ja häufig von den »Besitzverhältnissen« geprägt sind.

Teil dieser »Reise« zu sein, gibt der Führung der Gemeinschaften, die sich um einen unternehmerischen Zweck gruppieren, eine spannungsvolle Aufgabe. In alten Bildern gesprochen, für die Seite der Finanzgeber*innen und Eigentümer*innen vertreten sie die Oligarchie und zugleich sind sie Volkstribune, die die Interessen der Unternehmensgemeinschaft vertreten. Eine spannungsvolle und herausfordernde Aufgabe.

Rüdiger Müngersdorff

Die empathische Führungskraft – digital?

Empathie ist keine eigene Wahrnehmungsfähigkeit, es ist vielmehr die Fähigkeit, analogen Kommunikationsausdruck interpretieren zu können und so auch die emotionale Botschaft in der geschäftigen Sachinformation zu verstehen. Dafür ist Begegnung nötig. Die offenen Räume der Begegnung, wie sie in den neuen Bürokonzepten verwirklich werden, schaffen die Möglichkeiten zur Begegnung – sie sind niederschwellig und können spontan geschehen. Hier gibt es die kurzen Zeiten der Muße, in der empathische Wahrnehmung geschehen kann und in der – das ist die zweite Seite der empathischen Führungskraft – auch dem eigenen, empathischen Verständnis Ausdruck gegeben werden kann.

Nun benötigen Menschen, gerade heute, wo die Begegnungsmöglichkeiten streng eingeschränkt sind, empathische Begegnungen – sie vermitteln das, was für unsere Stabilität das Wichtigste ist: Ich werde wahrgenommen.

Wir gestalten mit unseren Kunden derzeit digitale Begegnungsräume, in denen es nicht um das Weitertreiben von Themen und Aufgaben geht, sondern in denen es darum geht, Fürsorge, Beziehung, Aufmerksamkeit zu vermitteln. Gerade für die Führungsebene der Abteilungsleiter und Gruppenleiter unterstützen wir beim Aufbau wöchentlicher, virtueller »Stand Ups« oder digitaler Coffeebreaks bei denen es nicht primär um Themen geht, sondern um die emotionale Präsens der Führungskraft. Dieses empathische »Dasein« wird in den nächsten Wochen, wenn der stimulierende Reiz des Neuen vergangen ist, noch wichtiger werden.

Rüdiger Müngersdorff

11th Peter Drucker Forum (GPDF19) – The Power of Ecosystems

SYNNECTA und die Peter Drucker Society

SYNNECTA engagiert sich seit einigen Jahren als Mitglied des Internationalen Beirats für die Peter Drucker Gesellschaft und das Peter Drucker Forum. Im Beirat werden sowohl die Zukunftsthemen für die Peter Drucker Society diskutiert, als auch das jährliche Peter Drucker Forum vorgedacht. Gerade konnten 1.000 Teilnehmer aus der ganzen Welt die 11. Ausgabe zum Thema »The Power of Ecosystems« in der Wiener Hofburg erleben. Weitere 1.000 Interessierte verfolgten das Programm im Livestream. Eine diesjährige Besonderheit war, dass alleine aus China nahe 100 Teilnehmende nach Wien kamen und die Konferenz bereicherten.

Das Peter Drucker Forum darf sich der Anerkennung als international führendes Management Forum erfreuen. Es wird nicht nur von der Stadt Wien, dem Geburtsort Peter Druckers, unterstützt, sondern auch von bedeutenden Medien wie Financial Times, Harvard Business Review und The Economist.

Wer die Philosophie und das Wirken der SYNNECTA kennt, wird leicht erkennen, wo die Resonanz zum Werk von Peter Drucker liegt. Peter Drucker hat den Menschen in den Mittelpunkt all seiner Management-Überlegungen gestellt und wir freuen uns, seine weitsichtigen, visionären, aber auch sehr praxisbezogenen Einsichten zu Management, Organisationen und Gesellschaft in den aktuellen Diskurs einzubringen. Seine vielen geistreichen und pointierten Zitate begegnen uns immer wieder, wenn Manager*innen und Leader in ihren Präsentationen grundlegende Sachverhalte erläutern.

Das von der übergewichtigen Bedeutung der Kultur gegenüber der Strategie muss wahrscheinlich nicht einmal mehr ausformuliert werden. Drucker verstand Management als eine »soziale Technologie« und hat die gesellschaftliche Verantwortung der Unternehmen und der Leader und Manager*innen betont. Er hat sehr früh die einseitige Fixierung auf einen Shareholder Value als Irrweg entlarvt und Stellung für einen »shared value« der Unternehmen bezogen. Ein Unternehmen könne nicht nur für sich selbst einen Sinn und Zweck erfüllen, sondern müsse dies auch für die Gesellschaft tun. Einen Mehrwert für alle schaffen und zum höchsten Wohle aller wirken.

Zurück zum Forum. Zurück nach Wien im November 2019.

Das Forum bringt Forschung und Praxis aus der ganzen Welt zusammen. So sprechen Professor*innen der großen renommierten Business Schools und die CEO´s der erfolgreichsten Unternehmen, Vertreter*innen großer Traditionsunternehmen gleichermaßen wie Vertreter*innen von Start-Ups. Und unter den Teilnehmenden finden sich ebenfalls Politik, Unternehmen, Berater*innen und die Akademia wieder; sie setzen sich mit den Impulsen auseinander, gehen in einen durch den vielfältigen Input inspirierten Dialog und vernetzen sich.

Die schiere Zahl an Speakern und Beiträgern von beinahe 100 aus der ganzen Welt ist überwältigend, die Qualität der Beiträge ebenfalls (zumindest größtenteils!). Alleine 11 Speaker gehören der Liga der Top50-Thinker an, mit Amy Edmondson, Alexander Osterwalder und Rita McGrath werden drei von ihnen unter den Top 10 gelistet. Und noch ein bisschen »name dropping«: Vint Cerf (VP Google), Ed Catmull (Gründer von Pixar), Zhang Ruimin (CEO Haier Group), Young K. Sohn (President Samsung), Miriam Meckel (ADA), Jos de Blok (Gründer von Buurtzorg), Tony Tan Keng Yam (früherer Präsident Singapores) und viele andere mehr.

Von den Namen zu den Inhalten.

»The Power of Ecosystems« trifft den Nerv der Zeit. Erfolgreiche Unternehmen mit geschlossenen Außengrenzen lassen sich nicht mehr finden. Ökosysteme und Plattformen sind die neue Organisationsrealität.

Autor: Alexander Osterwalder

Wir leben und arbeiten in Ökosystemen, die in Bewegung sind und ein neues Denken im Management verlangen. Wir entwickeln andauernd und intentional Wertschöpfungspartnerschaften, die Innovationen ermöglichen, Kompetenzen bündeln oder kundenorientierte Verrichtungen skalieren. Wettbewerber werden in bedeutsamen Dimensionen des unternehmerischen Handelns zu Partnern, ohne die grundsätzliche Konkurrenz aufzugeben. Dies geschieht mit einem »win-win«-Versprechen, das nur erfüllt werden kann, wenn Transparenz und Fairness gelebt werden und »Vertrauen« die Zusammenarbeit prägt.

Es steht außer Frage, dass technologische, digitale Fortschritte ein neues Denken und unternehmerisches Handeln erst ermöglichen, und auf dem Forum wurden sehr konkrete Beispiele geschildert, wie Plattformen und neue Geschäftsmodelle entwickelt und realisiert werden. Erläuterte z.B. Carsten Linz (Digital Officer BASF) im Panel »Capitalizing on New Technology and Connectivity« das strategische Vorgehen, so betonte Karennan Terrell (Chief Digital & Technology Officer GSK) die große Bedeutung des Menschen am Erfolg von Plattformen und der Navigation in Ökosystemen.

Wenn die CEO´s auf der Konferenz von ihren Transformationen und der Nutzung neuer Geschäftsmodelle berichten, dann spielen sowohl die Plattformen eine wesentliche Rolle, auf der alle Einheiten ankoppeln und bestimmte Serviceleistungen abrufen können, als auch die Schaffung kleinerer Einheiten, die sich auf ihre Kunden, Produkte und Dienstleistungen fokussieren können. Zhang Ruimin (CEO and Chairman of the Board of Directors, Haier Group) berichtet von über 200 eigenständigen entities, die ihr Geschäft erfolgreich vorantreiben und über eine Service- und Kommunikationsplattform verbunden sind.

Arthur Young (Senior Advisor Tencent Holdings Limited) stellt eine konkrete Transformation dieses chinesischen Internetunternehmens vor, das 1998 gegründet wurde und mittlerweile einen Jahresumsatz von € 20 Mrd. erreicht hat. Tencent hat acht große Studios in 20 kleinere, völlig autonom agierende Studios verändert, die eine gemeinsame Plattform teilen, um auf Marketing und weitere Supportfunktionen zurückzugreifen.

Die vielen unterschiedlichen Unternehmen, die sich vorgestellt haben, erlauben die Schlussfolgerung, dass das aktuelle Erfolgsmodell auf einer radikalen Kundenorientierung bzw. User-Fokus und die Gestaltung spezifischer User-Experiences beruht, hierarchiearmer bzw. agiler Zusammenarbeit, die in kleineren Einheiten verwirklicht wird.

Aber auch die Auswirkungen auf den einzelnen Menschen wurden beleuchtet. In einer Welt, die uns mit Informationen und Daten überflutet und in der viele in immer unsicheren, unvorhersehbaren Situationen Höchstleistungen erbringen sollen, stellt sich die Frage nach Gesundheit und Seelenheil. Michael J.Gelb, einer der Pioniere von Achtsamkeit und Meditation, Kreativität und Innovation machte klar, dass das Wichtigste, was ein Manager managen sollte, seine/ihre eigene Energie sei. Seine Umdeutung des CEO zum Chief Empathy Officer ist dann auch programmatisch.

Von den Kompetenzen des Einzelnen führte uns Amy Edmondson (Harvard Business School) in die »fearless organization«. Da, wo der am wenigsten machtvolle Mensch im Raum frei sprechen und seine/ihre Meinung äußern kann, ein angstfreier Raum vorhanden ist, da können auch außergewöhnliche Leistungen erbracht werden. Dies beweist die Harvard-Professorin natürlich auch mit sehr eindrucksvollen Zahlen und Vergleichen.

Ed Catmull (Co-Founder Pixar Animation Studios) berührte den Saal, als er nach dem Geheimnis des Erfolgs in einem so kreativen Umfeld, wie es Hollywood bietet, gefragt wurde. Sinngemäß antwortete er: Wenn wir zusammengesessen und gearbeitet haben, dann haben wir das Ego aus dem Raum geschickt. Wir sind neugierig, lösungsorientiert und am gemeinsamen Thema interessiert. Es ging eine große Glaubwürdigkeit in diesem Moment von ihm aus und flutete den Saal.

Die Futuristin Amy Webb zeigte konkret auf, wie die Konsument*innen durch die Convenience von Produkten in erster Linie zu Datenlieferanten für die Technologieunternehmen werden. Sie führte uns in die verführerische Welt der Künstlichen Intelligenz als dem dritten Computerzeitalter ein und sieht verschiedene mögliche Szenarien für die weitere Entwicklung, zu dem auch ein Katastrophenszenario gehört. Gleichwohl entscheidet sie sich am Ende für ein optimistisches, in dem KI die Menschheit unterstützen kann, eine bessere Zukunft aufzubauen.

Auch wenn in einem anderen Panel, so machte Young K.Sohn (President Samsung) zu diesem Thema deutlich, dass nach seiner Ansicht die Daten den Menschen und nicht den Unternehmen gehören sollten. Er sah übrigens eine wichtige übergreifende Aufgabe darin, die Fragmentierung der Welt in unterschiedliche Standards in China, den USA oder Europa zu überwinden und eine gemeinsame technologische Sprache zu finden.

Und Miriam Meckel, wieder in einem anderen Panel, schwamm erfrischend gegen den Strom der Diskussion, als sie bei der Lobeshymne auf die convenience digitaler Lösungen und Problemlösungen ein Hoch auf »Probleme« sang, da es dem Menschen nicht guttäte, wenn ihm alle Probleme abgenommen werden. Herausforderungen seien ein wichtiger Teil unserer Entwicklung und unseres persönlichen Wachstums. Als das Panel auf die Vernetzung und das Internet of Things zu sprechen kommt, wirft Miriam Meckel zurecht ein, das es ja mittlerweile schon eher das Internet of Everything geworden sei.

Das Panel zu Beginn des zweiten Tages begeisterte die Teilnehmer und auch mich besonders. Es ging um die Notwendigkeit einer Generalüberholung des Ökosystems Gesundheitswesen und die Sprecher*innen hätten wirklich nicht besser ausgesucht werden können. Als Gastgeberin der Gesprächsrunde spürte man bei Marie Ringler (Ashoka Europe Leader) eine Vertrautheit mit dem Thema und dank ihrer Vorgespräche mit Jos de Blok (Founder & CEO Buurtzorg), Kevin Hrusovsky CEO (Quanterix) und Caroline Kant (Founder & CEO EspeRare Foundation) war sie nicht nur inhaltlich gut vorbereitet, sondern konnte auch die Gesprächsatmosphäre angenehm gestalten. Bei Quanterix und EspeRare ist der radikale Blickwechsel von der Behandlung von Krankheiten zur Vorbeugung von Krankheiten und der vorbeugenden Erhaltung von Gesundheit verwirklicht. Die Integrität und Authentizität der Gründer und Unternehmensführer dieser Organisation waren wohl Grund für die besondere Intensität und Wirkung der Beiträge.

Jos de Blok, der Gründer und CEO von Buurtzorg, auf den wir im Essay »New Leadership for a New World – New Leadership – New Organizations« von 2015 als ein Beispiel für gelungene Selbstorganisation verwiesen hatten, schilderte eindrucksvoll seinen Weg vom Krankenpfleger zu demjenigen, der auf seine Erkenntnis, dass Krankenpflege in Holland falsch organisiert ist, mit der Gründung von »Buurtzorg« reagiert hat. Inzwischen arbeiten 15.000 nurses, die sich selbst in kleinen Einheiten in ihren Wohnvierteln organisieren, für Buurtzorg. 50 Mitarbeitende arbeiten im Backoffice, 21 als Coaches und zwei als Direktoren, von denen Jos einer ist. Eine intelligente IT-Plattform erlaubt die radikale Selbstorganisation. Kleine selbstorganisierte Einheiten betreuen die Patient*innen, und die Krankenpfleger*innen legen großen Wert auf die Beziehungen zu ihren Patient*innen. Die Patientenzufriedenheit liegt bei 9 von 10, genauso wie die Mitarbeiterzufriedenheit. 5mal hintereinander ist Buurtzorg als bester Arbeitgeber in Holland ausgezeichnet worden. Jedes Jahr kommen 1.200 neue Mitarbeiter hinzu. Durch die äußerst flache Hierarchie liegen die Overhead-Kosten mit 8 % extrem günstig. Jos de Blok, als mutiger »Social Entrepeneur« hat eine Industrie revolutioniert und die Verantwortung in die Hände derer gelegt, die das Geschäft auch machen. Dabei half ihm seine eigene langjährige Erfahrung als Nurse und Manager im Gesundheitswesen sehr. Auf die Bemerkung, dass er die Macht an das Pflegepersonal abgegeben habe, antwortet er, dass die Macht eigentlich beim Klienten/Patienten liegen würde. Der Kunde im Mittelpunkt, Vertrauen und Transparenz und Prozesse so einfach wie möglich gestalten, sind sicher einige der Erfolgskriterien. Sein Mantra: »Keep it small, keep it simpel« ist der Bezugspunkt für alle Entscheidungen zum Wohle der Patienten und der Gesellschaft.

Auffällig war, dass in fast allen Panels neben den riesigen technologischen, digitalen Möglichkeiten und Potentialen der KI immer wieder der Mensch, Kultur und ein notwendiger Mindset Change in den Mittelpunkt gerieten. Die Themen, die SYNNECTA seit 20 Jahren kraftvoll vorantreibt.

Die Bedeutung von Leadership wird nochmals erhöht, was uns bereits den Weg zum GPDF20 weist.

Jörg Müngersdorff