Stadt, Unternehmen, Menschen

Wir (@Synnecta) haben die Stadt oft als Metapher für die Beschreibung von Unternehmen genutzt, z.B. im Konzept der Durchwegung. Oft haben wir dabei auf den informellen Untergrund von Stadt und Unternehmen verwiesen. Wir haben auf Jane Jacobs‘ wichtigen Satz über Städte hingewiesen, den wir in Konzepte der breiten Beteiligung in Unternehmen übersetzt haben.

»Cities have the capacity of providing something for everybody, only because and only when, they are created by everybody.«

Es ist diese offiziell kaum wahrgenommene informelle Schicht, die viel der Lebendigkeit und Anpassungsfähigkeit auch der Unternehmen bestimmt. Während viel über Strategien, Human Ressource Programme und Top-Down-Change-Projekte gesprochen wird, bleibt die informelle Schicht, die wesentlich die Lebendigkeit, Kreativität und Agilität bestimmt, ohne Worte. Es ist für uns ein wichtiger Teil der Arbeit – nur so kann sich Kultur verändern und entwickeln.

Ein Zitat aus @zeitonline über einen Artikel von Hanno Rauterberg erinnert uns wieder daran: Es reiche nicht, die Stadt weiter als Objekt zu behandeln, ausrechenbar und dem Willen der Planer unterworfen, schreibt Hanno Rauterberg. »Eine Stadt wird erst lebendig, wenn das Unbewusste, die Projektionen und Fantasien der Einzelnen ihren Raum haben.«

Rüdiger Müngersdorff
Foto: Joe Ciciarelli by unsplash.com

mich wundert.

Mich wundert: Einerseits berichten die Krankenkassen über einen kontinuierlich starken Anstieg psychischer Erkrankungen bei Arbeitnehmer*innen, anderseits überschlagen sich in den sozialen Medien Erfolgsmeldungen über die neue, menschenorientierte Führung, über Augenhöhe zwischen den Hierarchien, über Freiheit, Selbstbestimmtheit, über Fortschritte in der Demokratisierung der Arbeitswelt, der gelingenden Inklusion und so viel Gutes mehr. Es liest sich, als habe sich der Arbeitsplatz zu einem Ort des offenen Diskurses, der Wertschätzung und des sinnerfüllten Lebens verwandelt.

Wie passt das zusammen?

Es passt nicht! Die Realität sieht sehr oft anders aus. Ich glaube, wir Berater*innen, HR’ler*innen sollten beginnen, verbal abzurüsten, sollten näher an der Realität bleiben, wo unsere Freude über die Erfolge und Fortschritte bei der Ermöglichung neuer Arbeitswelten hart auf das genaue Gegenteil stößt: wo weiterhin Furcht und Angepasstheit, Scham und »es recht machen wollen« sehr verbreitet sind. Ohne eine nötige verbale Abrüstung werden wir unsere Glaubwürdigkeit verlieren und uns zwar in unserer Blase feiern können, aber als Preis auch Wirksamkeit verlieren.

Rüdiger Müngersdorff
Foto: Sean Paul Kinnear, unsplash.com

Die politische Dynamik der Organisationsentwicklung II

Ein Unternehmen ist immer auch eine Gemeinschaft und so ein Ort politischen Handelns. Damit meine ich nicht die mikropolitischen Konzepte, die sich im Wesentlichen auf die taktisch-technischen Aspekte des Karrieremachens und des sich Durchsetzens beziehen, sondern auf die Notwendigkeit, Diversität, die Unterschiedlichkeit von Interessen und Perspektiven der Gemeinschaft in der Gemeinschaft zu vermitteln, um ein zielgerichtetes Verhalten und Arbeiten zu ermöglichen.

Das hat einen unternehmensinternen Grund – nämlich die ständige Konstitution des Unternehmens als gemeinsames Anliegen, in dem die Interessen verschiedener Gruppen berücksichtigt werden und es hat einen externen auf den Markt bezogenen Grund, nämlich das Wissen und die Einsichten der Mitarbeiter_innengruppen für Entscheidungsfindungen nutzen zu können.

Es ist derzeit eine allgemein vertretene Meinung, dass hierarchische Konzepte (König/CEO oder Oligarchie/Vorstand/Führungsteam) die agile, diverse, vielperspektivische Kompetenz der Gemeinschaft nicht nutzen können und so die komplexe und kontingente Dynamik des Marktes (VUCA) nicht abzubilden vermögen. Daher gibt es viele Vorschläge, wie die Stimme der Mitarbeiter_innen mehr Bedeutung erlangen und in Entscheidungsprozesse einfließen kann. Dies wird im Allgemeinen mit dem Begriff Demokratisierung sowohl der Unternehmen und als auch der Führung bezeichnet.

Im athenischen Konzept der Demokratie hat die »Agora«, der Ort, an dem die Gemeinschaft zusammentritt und bestimmt, was zu besprechen und was zu entscheiden ist, eine große Bedeutung. Nun ist in einem eher überschaubaren Stadtstaat mit den deutlichen Restriktionen, wer als Bürger zu gelten hat, die Bestimmung eines Ortes und einer Zeit zum Zusammenkommen eher einfacher als in den heutigen global aufgestellten Unternehmen. Dennoch möchte ich über die Idee, dass es so etwas wie eine »Agora« in Unternehmen geben kann, diskutieren und fragen, wie denn Schritte zu einem leistungsfähigen demokratisierenden Prozess der Unternehmensentwicklung aussehen können.

In den heute noch überwiegend hierarchischen Strukturen der Unternehmen bestimmen Hierarchen, wo die Agora des Unternehmens ist und wer zu ihr Zugang hat. Und so bestimmt ein kleiner Zirkel, was es zu besprechen gilt und was zu entscheiden ist. Es ist ein Kreis von Menschen, die eine ähnliche Sozialisation erfahren haben und einander in wesentlichen Grundzügen ähnlich sind. Der große Rest der Organisation wird dann darüber informiert, was nun wichtig ist und was entschieden wurde. Die Information geschieht in einer bürokratisch organisierten Form durch Methoden wie z.B. Zielvereinbarungen, unterstützt von zentral gesteuerten Kampagnen, die die Aufmerksamkeit der Vielen fokussieren sollen. Verstärkung erhält dieses System der Durchsetzung von Führungsentscheidungen durch Belohnungs- und Bestrafungsanreize.

In der Regel sind Unternehmen heute politisch oligarchisch verfasst (ausgenommen Inhaberunternehmen, die eher monarchisch verfasst sind). Das heißt, eine kleine homogene Gruppe bestimmt, wer Zugang zum Ort der thematischen Diskussion und Entscheidung hat, bestimmt die Regeln und Formalien des »Gesprächs« und bewahrt seine Exklusivität (die Erfahrung zeigt, dass es bei Entscheidungen zur Teilnahme an Gesprächen oft mehr um den Status, als um den möglichen inhaltlichen Beitrag geht). Da diese Gruppe gleichzeitig die Hoheit über die Kommunikationsmedien hat, ist die Geschlossenheit der Gruppe gewährleistet – es gibt keine Gewaltenteilung, kein System von »Check and Balance«.

Mit der Verbreitung sozialer Medien in der Gesellschaft, die in das Unternehmen hineinwirken aber auch durch den Aufbau interner sozialer Medien ist das Monopol der Kommunikation in Frage gestellt. Es gibt nun einen sich laut äußernden Resonanzkörper, noch zögerlich, aber immer deutlicher vernehmbarer. Die sozialen Medien bilden »Netzwerke«, thematisch bezogene Gemeinschaften – noch sehr fragmentiert – doch stabiler werdend. So entwickelt sich jenseits der Oligarchie (der Führung) eine eigene Agora, ein Ort oder Orte, in denen Mitglieder der Gemeinschaft des Unternehmens ihre Perspektiven einbringen, Kontroversen sichtbar machen und sich über das, was jetzt nottäte, verständigen. Unternehmen werden laut. Diese Foren sind von der Idee der Teilhabe getragen und verändern so die Führungsrealität. Je mehr unternehmensinterne Plattformen zu einer Agora werden, desto mehr werden sie auf wesentliche Fragen der Unternehmen Einfluss nehmen – sie werden mitbestimmen, welche Themen denn wichtig und zu besprechen sind und, was zu entscheiden ist.

Es ist ein starker Trend, einer der Trends, die sich nicht ignorieren lassen: Alle aktuellen Debatten, so verschieden sie im Einzelnen auch sind, ob Demokratisierung der Unternehmen, #metoo, Gender und Diversity insgesamt, Inklusion, breitere politische Beteiligung – sie haben alle eins gemeinsam: Sie verlangen Gleichheit, Mitsprache, Teilhabe und damit eine Reduzierung der Hierarchie, der Ungleichverteilung von Macht.

Es ist unausweichlich, dass Unternehmen sich in dieser Dynamik damit beschäftigen, wie sie Teilhabe in erheblich größerem Maße als heute ermöglichen können. Und dabei gibt es einen zusätzlichen Gewinn: die Klugheit, die Vielstimmigkeit der Perspektiven und das Engagement der Vielen.

SYNNECTA hat mit dem Durchwegungskonzept (1) Übergangsformen beschrieben, mit denen sich Teilhabe jenseits der üblichen Kampagnenkonzepte einüben lässt. Und in einer Diskussion um eine Teilhabe ermöglichende Unternehmensverfassung geht es nicht um die Abschaffung von Führung, sondern um die Gestaltung von Foren, in denen verschiedenen Interessen und Perspektiven zu einem Gespräch werden können – zum Nutzen der Fähigkeit des Unternehmens, auf Veränderungen im Innen und im Außen agil reagieren zu können.

Differenz ist auch in Unternehmen der wichtigste Motor für Veränderung. Es geht dabei nicht um die Differenz, die schweigend immer schon da ist, sondern um die Unterschiede, die zur Sprache kommen können und für die es einen Ort des Sprechens gibt. Die geschlossenen oligarchischen Strukturen lassen diesen Motor stottern. Heraklit hat in einem Lob auf die Differenz gesagt: »Das Widereinanderstehende zusammenstimmend und aus dem Unstimmigen die schönste Harmonie.«

Rüdiger Müngersdorff

(1) Rüdiger Müngersdorff/Jörg Müngersdorff: Netzwerke in Unternehmen in Jens Hollmann, Katharina Daniels (Hrsg.) »Anders wirtschaften – was Erfolgreiche besser machen«.

Vertikal/Horizontal

In fast allen Change-Projekten oder Organisationsentwicklungsreisen stoßen wir an die Barrieren der vertikalen Organisation – sie begrenzt die Energie der horizontalen Netzwerke, in der fast alles Wissen der Organisation gespeichert ist. Immer wieder scheitern horizontale Ansätze am Primat der Vertikalen, der hierarchischen Verfasstheit der Unternehmen.

Dem Festhalten an diesem Primat der Vertikalen liegt ein tiefer Glauben zu Grunde, nur so ein Unternehmen führen und kontrollieren zu können. So glauben Unternehmen weiterhin an Ausleseprozesse und versuchen eine Führungselite zu bilden – die aber ist immer eine alte Elite, ist immer von gestern. Das war in der Vergangenheit, als die Entwicklung der Märkte, die Entwicklung der technischen Möglichkeiten, die Entwicklung der Bedürfnisse langsam waren, unproblematisch, jetzt aber in der dynamisch beschleunigten Welt, in der das Unerwartete stets schon am Horizont wartet, ist es eine Blockade. Diese Blockade zu überwinden wird eine der Aufgaben der Zukunft sein.

Für die Übergangszeit wird es wohl nötig sein, dem Horizontalen mehr Aufmerksamkeit zu schenken, den in der Breite der Organisation verborgenen Clustern Stimmen zu geben. Urban gardening war die erste gelebte Metapher für diese Situation: Menschen gestalteten jenseits behördlicher Betreuung den Stadtraum, nahmen ihn in Besitz, Durchwegung ist die aktuelle Metapher, Wege durch die Stadt jenseits der Straßen- und Verkehrsplanung. Hier liegen die Zugänge für das Wissen und Können der Zukunft. Nicht mit dem Umzeichnen der Organigramme wird eine Organisation flacher, sondern durch durchwegtes Gespräch, der Schaffung anderer Begegnungsräume – seien sie analog oder digital.

Rüdiger Müngersdorff

Anpassung, Gehorsam und Unterwerfung

treesUnternehmen sind gut strukturiert, konzipiert und regelorientiert. Überall herrscht Zustimmung. Solche Unternehmen wollen vollständige Transparenz. Big Data, Smart Data und neue Technologien eröffnen großartige Möglichkeiten und sind gleichzeitig eine große Gefahr.

Eine Belegschaft, die in die Anpassung getrieben wurde, ist in einer klaren, wohlstrukturierten und voraussagbaren Welt wünschenswert – in einer anderen Welt ist sie aber der Weg in die Erblindung, einem Muster des stetig Gleichen und am Ende in das Versagen. Wer diesem Weg folgt, wird eine anpassende, gehorsame und unterworfene Belegschaft herausbilden.

Ein wichtiger Widersatz in kulturellen Reflektionen ist der zwischen dem Zahmen und dem Wilden – dem Dorf und dem Wald. Vom Zahmen erwartet man Gehorsam, man weiß, dass in diesem Dorf die Regeln befolgt werden. Hier kann man leicht Vertrauen schenken, weil man beobachten kann. Die Menschen, die in den Wald gehen, sind uns suspekt – sie sind schwer zu kontrollieren und könnten womöglich mit neuen Ideen und anderen Meinungen wiederkommen.

Wer innovatives, anderes Verhalten innerhalb eines Unternehmens fördern will, muss lernen, das Wilde und das Ungezähmte im Unternehemen zu akzeptieren und sollte lernen, die Wälder innerhalb der Strukturen zu schützen. Als Dorfleute sollten wir offen und voller Respekt zuhören, wenn diejenigen, die in die wilden Wälder gegangen sind, uns etwas zu erzählen haben.‬