Warum Agilität und Diversity zusammengehören, Teil 2

Bevor wir verrückt werden

Menschen mit agilem und dynamischen Mindset sind in der Lage, schnell und flexibel zu reagieren. Sie sind offen gegenüber anderen Menschen und neuen Ideen. Sie sind überzeugt, dass Veränderungen möglich und nützlich sind, und warten nicht auf den nächsten Befehl von oben, sondern handeln intrinsisch und proaktiv. Herzlichen Glückwunsch.

Klingt einfach – ist es aber nicht. Die Einführung agiler Organisationsmodelle geht mit mehr einher, als »nur« mit »neuem« Verhalten der Mitarbeitenden. Die eigene Haltung, das ganze System, die Führungsdenke, die Art und Weise sind berührt. Die Kultur.

Zwei unheimliche Settings aus dem Alltag: Die hochmotivierten Agilen sind vereinzelt da, aber sie potenzieren sich nicht, weil das System veränderungsresistent ist. Aus Angst oder Bequemlichkeit lässt sich kein anderer von der Proaktivität anstecken. Oder, das System wird organisatorisch verändert, eine Methode nach der anderen wird eingeführt, aber niemand hinterfragt das eigene Mindset.

Gleich welche Version nun bekannt vorkommt, es kann im Wahn enden, dem Zustand des Hola-Crazy. Im neuen Leadership Report 2017 heißt es: »Nein, Hola-Crazy ist kein Tippfehler, sondern ein Fehler im Blickwinkel. Denn viele Unternehmen erhoffen sich durch Holacracy und andere agile Organisationsmodelle die Lösung ihrer Probleme – und werden dabei ganz verrückt.« Kühmayers These lautet, dass dazu künftig nicht weniger, sondern mehr Führung gefragt sei. Dafür fordert der Autor ein neues Denken in den Führungsetagen ein, »denn Umstrukturierungen dürfen nicht nur an den Mitarbeitern hängen, sondern müssen vor allem von Top-Managern gelebt werden« (vgl. Franz Kühmayer, Leadership Report 2017, Zukunftsinstitut). #holacrazy #holacracy

Ok, bedeutet wohl, es muss an allen Rädchen gedreht werden, damit agile Organisationsmodelle wirklich gut wirken und nutzen. Eins dieser Rädchen ist, die Vielfalt im Unternehmen zu nutzen. Meine These: Nur wer die Diversität in der Gruppe kennt, wertschätzt und nutzbar macht, kann wirklich agil sein und arbeiten. Damit ist es ein System-, Kultur-, Führungs-, und ein individuelles Thema. Bezüglich beidem (Agilität und Diversity) müssen den Menschen in der Organisation ähnliche Fragen gestellt werden. Es betrifft eine bestimmte Sache: das gemeinsame Lernen.

Der bunte Haufen

In einer agilen Organisation sind flexible und cross-funktionale Teams, also heterogene Konstellationen, normal. Heterogenität an sich ist nicht neu in Organisationen, denn Menschengruppen sind eigentlich immer heterogen. Auch in vermeintlich homogenen, einheitlichen Firmen lassen sich vielfältige Menschen und Lebenswelten entdecken, wenn man nur will und dies zulässt. Und wiederum: »Alle wollen individuell sein, aber wehe jemand ist anders.«

Im Diversity Management (DiM) ist neu: die soziale Norm, das Wahrnehmen und Benennen von Gemeinsamkeiten und Unterschieden, und wie dieser Zustand bewertet wird. Neu ist auch, dass die Heterogenität entlang bestimmter Dimensionen sichtbar gemacht werden kann (z.B. soziale Herkunft, Alter, sexuelle Orientierung, ethnische Zugehörigkeit, Gender/Geschlecht, körperliche und psychische Ability, Job Level).

Es geht nicht darum, Menschen als einen bunten Haufen zu betiteln und sich dann glücklich zu schätzen. Diversity Management heißt nicht, (die längst bestehende) Heterogenität als bunt und divers zu deklarieren. Im Diversity Management wird Andersein, anders als die Mehrheitsgruppe, erlaubt und gefördert. Die Dominanzkultur wird in Frage gestellt, marginalisierte Gruppen werden explizit angesprochen und sichtbar gemacht.

Die demografisch und kulturell bedingte Heterogenisierung in der Gesellschaft macht sich auch unter den Menschen im Unternehmen bemerkbar. Allerdings reicht die Beschäftigung von einigen Fachleuten zur Nutzung deren »ExpertInnenwissen« nicht aus, um mit den Herausforderungen einer globalisierten Welt adäquat umzugehen. Vielmehr bedarf es einer generellen Erhöhung der Kompetenz im Umgang mit diversen Kulturen, mit beruflichen und persönlichen Hintergründen, mit individuellen Lebensstilen – durch die bewusste Auseinandersetzung aller Menschen. Diese Kompetenz ist erlernbar, es heißt »Diversity-Lernen«.

Diversity-Lernen und Agility-Lernen

Bei der Gestaltung eines solchen Diversity-Lernens kommt es auf die Bedingungen und Voraussetzungen im System an. Zentral sind in diesem Zusammenhang diese Fragen: »Auf welche Unterscheidungen (im Sinne der Diversity-Dimensionen) will das System rekurrieren? Welche sozialen Differenzen bzw. Differenzierungen werden dabei manifest/bewusst? Diversity-Lernen heißt in diesem Rahmen: Entscheidungs- und Differenzkonstrukte, Bias-Konstrukte, Vorurteile, Überzeugungen und Einstellungen im Prozess ihrer Herstellung und Erzeugung beobachten und hinterfragen zu können, ohne dadurch in der eigenen Handlungsfähigkeit stark oder dauerhaft beeinträchtigt zu sein« (Verena Bruchhagen 2007: 6).

Lernprozesse brauchen Zeit und ein wertschätzendes Klima. Bedenken und Vorurteile gegenüber der Gruppe »der Anderen« müssen abgebaut werden. Die Auseinandersetzung mit dem Gegenüber, der potentiell Fremden, selbst wenn es ChefIn oder ArbeitskollegIn ist, bedeutet auch die Auseinandersetzung mit dem Selbst: Wer bin ich, im Verhältnis zum Anderen – eine spannende und herausfordernde Frage, die auch im Agilen Team gestellt werden muss.

Kostspielige Recruiting/PE-Instrumente sind nicht zwangsläufig nötig, um Diversity ins Unternehmen zu holen. Viele Dimensionen sind längst Realität, sie müssen »nur« sichtbar und nutzbar gemacht werden. Ein Beispiel: Die digitale Transformation soll vorangetrieben werden, parallel werden agile Arbeitsformen eingeführt, um die Produktentwicklung zu beschleunigen. Im Zuge dessen wird die Organisation entlang der Diversity-Dimension »Alter« analysiert. Unterschiedliche Generationen haben unterschiedlichen Zugang zur digitalen Welt, so die These, und können voneinander lernen. Die Zugehörigen der Generation Y benötigen als Digital Natives keine persönliche Transformation und sind daher unentbehrliche MultiplikatorInnen für die Generation der sogenannten Digital Immigrants. Umgekehrt sind die Älteren unentbehrlich, weil es um Weitergabe von langjährigem Fach- und ExpertInnenwissen geht. Wichtig ist, dass die Wissensressourcen nicht ungenutzt koexistieren, sondern Lernprozesse, die miteinander gestaltet werden in denen man konstruktiv »voneinander« (formell und informell) lernt (vgl. Gerpott und Voelpel, 2016).

Denkbar ist auch, eine andere Diversity-Kategorie zu nutzen. So könnte nicht das Alter (jung/alt) als Ausgangslage der Lernsituation gelten, sondern die Lerngruppen werden entlang der Kategorie der Erfahrung, also des »Grades an Digitalisierung« zusammengestellt, abgefragt durch Selbsteinschätzung. Gleich welche Variante, die Diversität wird strategisch genutzt, um agil arbeiten zu können. Die Diversity Awareness des einzelnen ist eine notwendige Voraussetzung, wenn agile und crossfunktionale Teams funktionieren sollen.

Diversity-Lernen passiert auf organisationaler Ebene, wenn ein »Diversity Management« als gesamte Strategie implementiert wird. Organisationen, die agil arbeiten wollen, können gezielt diverse Teams aufbauen, entlang vorher festgelegter Diversity-Dimensionen. Denn Diversität steigert die Innovationsfähigkeit des Systems. #inclusion #genderequality #femaleempowerment #agediversity #culturaldiversity #sexualdiversity #unconsciousbias #scrum #designthinking

Ermöglichen heißt das Zauberwort

Agilität und Diversität bedeuten Wandel auf verschiedenen Ebenen. Nur in einer vertrauensvollen Situation wird aus Fehlern gelernt und nur dann können gängige Bewertungsmuster verändert werden. Ziele von agilen Arbeitsformen sind Innovation und schnelle Anpassungsfähigkeit, und das kann beides nur erreicht werden, wenn Multiperspektivität ermöglicht und gemanagt wird. Das viel beschworene agile Mindset ist keine Maske, die man sich schnell überstreift. Sondern ein agiles Mindset zeigt sich durch Sozialkompetenzen wie Ambiguitätstoleranz, Flexibilität, Offenheit. Die Menschen müssen bereit sein, verschiedene Perspektiven einzunehmen, neue Wege zu gehen, andere als die bisher gewünschten, in unbekanntem Terrain. Je mehr Perspektiven (durch gezieltes DiM) schon im Raum versammelt ist, desto höher ist die Chance, dass agil und flexibel gestaltet wird.

Ambiguitätstoleranz (also die Fähigkeit, Mehrdeutigkeiten und Unterschiede auszuhalten oder besser, diese zu akzeptieren), gilt als ein Merkmal von Diversity Awareness. Sie ist ebenso unabdingbar für das agile Mindset. Wenn diese Fähigkeit fehlt, reagieren Menschen auf mehrdeutige und oft unkontrollierbar erscheinenden Situationen im agilen Setting mit linearem Denken. Sie verfallen in starre, alte, tradierte Muster, also dem Gegenteil von being agile und konstruktivem Diversity-Lernen.

Führung muss »empowern« und »enablen«, wie es so schön heißt. Auch wenn die Situation VUCA ist. Oder gerade weil. Leadership und Hierachie bekommen neue Bedeutungen, denn autonomes und selbstorganisiertes Arbeiten sollen normal werden. Agile Organisationsmodelle und DiM gehen einher mit einer Führungsdenke, die Proaktives begrüßt und zulässt. Der Spirit verändert sich, Grenzen werden aufgelöst und neu definiert. Wer bin ich, im Verhältnis zum Anderen.

Was brauchen wir? Reicht Wertschätzung?

»Agilität« sollte nicht als Selbstzweck fungieren, ein schneller Zug, auf den wir gezwungen werden, aufzuspringen, oder dazu herhalten, um Schludrigkeiten oder Chaos zu erklären. Diversität sollte als Phänomen wahrgenommen und eingeordnet werden, das schlichtweg die Realität beschreibt. Nur entfernt vom kurzlebigen Hype-Dasein, können agile Methoden als Konzept/Arbeitsmodus/Haltung (doing und being) einen sinnhaften Charakter erhalten.

Agile Arbeitsmodelle sind in manchen Situationen nutzlos, und lösen Hola-Crazy aus. Wenn sie aber sinnvollerweise eingeführt werden, weil sie nachweislich innovativ wirken, dann muss auch auf Diversität geachtet werden. Agile Transformation \ braucht Innovation und agiles mindset \ braucht Offenheit für Diverses \ weil diverses zusammmenkommt \ Vielfalt ermöglicht Innovation.

In Zeiten des Wandels, so heißt es, müsse man »inspirieren, ermutigen, befähigen«. Damit sich möglichst viele Menschen inspiriert, ermutigt und befähigt fühlen, braucht es viele unterschiedliche Vorbilder, in Führung und in der Organisation insgesamt. Mit Offenheit ist nicht gemeint: absolute Toleranz. Denn, wer offen für alles ist, ist auch nicht ganz dicht. Sondern, unter der Voraussetzung des Teilens humanistischer Werte ist damit gemeint: Wertschätzung von Unterschieden, und Anerkennung des Menschen in dessen Individualität und Anderssein. Hire people who value people.

Die Kraft zum Umdenken speist sich daraus, dass Menschen einen Sinn darin sehen, dass andere Menschen gleichberechtigt sind in ihrem Dasein und in ihrer kreativen (Arbeits-)kraft. Diversity Awareness und Sozialkompetenzen wie die oben genannten sind nicht angeboren. Sie müssen erlernt werden – eine Leistung, die auf Emotionen, Verstand und hoffentlich auch Vernunft basiert. #leadingdiversity #agileleader

Hanna Göhler

Literatur:

  • Gerpott/Voelpel. Generation X, Y, Z?
    Intergenerationale Lernprozesse in Unternehmen als Instrument der Personalentwicklung

    in: Genkova Hg., Handbuch Diversity Kompetenz, Springer, 2016.
  • Bruchhagen. Diversity – Lernen
    in: Iris Koall; Verena Bruchhagen; Friederike Höher (Hg.)
    Diversity Outlooks, Hamburg: LIT, 2007.

»Von einem der auszog, Agilität zu lernen«, Teil 2

Passen »Agilität« und »Controlling« zusammen? – Der große Münchner »Congress der Controller« 2017 trug den Titel »Agiles Controlling in der digitalen Realität – Umbrüche erfolgreich managen«. Ich habe ein fantastisches Angebot bekommen: Tiefer Eintauchen ins Thema mit einer professionellen Ausbildung zum »Agile Culture Coach«. In Beiträgen für das ICV-ControllingBlog berichte ich davon. Heute: Modul 3: Agile Methoden und Scrum.

War es im ersten Modul I der Ausbildung, wie hier berichtet, um »Agile Führung und Beteiligung« gegangen, folgte im Mai Modul II zum Thema »Agilität und Persönlichkeit«. Hier rückte »Das Konstrukt Persönlichkeit« in den Mittelpunkt, wurden u.a. Struktur- und Persönlichkeitstests behandelt.

Im Juli stand mit Modul III das Thema »Agile Methoden und Scrum« auf dem Programm. Es wurden verschiedene agile Formate, Design Thinking, Strategietools sowie Konferenzformate behandelt. Wir 14 Teilnehmer sollten die Logik agiler Methoden und die damit verbundenen wichtigsten Werkzeuge kennenlernen. Ziel: In Organisationen Scrum-Teams aufbauen und fundiert begleiten können.

Beim Schwerpunkt Scrum ging es zunächst um das Scrum Framework mit Rollen, Artefakten, Regeln etc., es ging um Fragen wie Emergent Architecture und Reporting. Ausführlich wurden Scrum Teams und die Aufgaben des Scrum Masters behandelt. Gut aufpassen war auch deshalb angesagt, weil ein weiteres Ziel dieses Moduls darin bestand, das nötige Wissen für eine erfolgreiche Prüfung zum Professional Scrum Master zu bekommen.

Als Ausbilder hatte Veranstalter SYNNECTA mit Jean Pierre Berchez und Johannes Ries zwei ausgewiesene Experten aufgeboten. Sie führten souverän und fesselnd durch einen ganzen Berg von neuem Wissen. Berchez (Bild) ist seit 1995 mit Scrum vertraut. Der zertifizierte Scrum-Trainer und -Coach organisiert u.a. Scrum-Zertifizierungsworkshops mit den Erfindern von Scrum, Dr. Jeff Sutherland und Ken Schwaber. Johannes Ries hilft Menschen in Organisationen in der unvorhersehbaren VUCA-Welt Antworten zu finden für Unternehmensplanung, Strategie und Organisationsentwicklung.

Potenziale von Teams vereinen

Agile Teams sind VUCA-resilient, wenn sie sich für jede Situation durch ein Höchstmaß an Diversität und Interdisziplinarität gewappnet haben. Schnell können Teams bzw. Projekte »anschwellen«, der »Aufgabendschungel« immer unübersichtlicher werden. Oft arbeiten Team-Mitarbeiter an verschiedenen Standorten, evtl. sogar in diversen Zeitzonen. Da sind wirksame Tools für die Aufgabenverwaltung unerlässlich.

Für »Agiles Projektmanagement« behandelte das Ausbildungsmodul Scrum – eine agile Methode für komplexe Entwicklungsprojekte. Scrum macht effektiv, indem es die Fähigkeit der Beteiligten fördert, ihr Potenzial zu vereinen. Dafür sieht das Scrum-Konzept verschiedene, klar definierte Rollen vor, wie Product Owner, Development Team, Scrum Master. Der aus dem Entwicklungsteam heraus gewählte Scrum Master etwa unterstützt und überwacht den gesamten Prozess. Die Arbeitsabläufe sind klar strukturiert, in einem gemeinsam gepflegten Taskboard sind die zu erledigenden und die erledigten Aufgaben für das Team transparent. Wir Teilnehmer lernen verschiedene Scrum-Tools genauer kennen – und probieren sie selbst mit einem eigenen fiktiven Scrum-Projekt aus. Da ist z.B. das »Product Backlog«, eine vom Product Owner gepflegte Liste mit User Stories bzw. Anforderungen. Da gibt es z.B. die »Sprints« – jedes Inkrement ist eine Time-Box von i.d.R. 30 Kalendertagen – und da ist das »Sprint Backlog«, eine Liste von Aufgaben, die erforderlich sind, um die für den Sprint ausgewählten Anforderungen des Product Backlogs in ein auslieferbares Produkt umzusetzen.

Auch unser Ausbildungsmodul III war in (vier) Sprints gegliedert. Im Sprint 1 bildeten wir Kursteilnehmer Teams, in denen wir in diesen zwei Tagen Scrum aktiv erleben konnten. Im Sprint 2 lernten wir als »Scrum-Team-Member« das »Warum« für Agile und Scrum verstehen, um es später in unseren Organisationen nutzbringend vertreten zu können (Warum Agilität? #Cynefin #VUCA #Simulation). Im Sprint 3 lernten wir Teilnehmer das Scrum Framework verstehen, um es effektiv einsetzen zu können (und die Zertifikatsprüfung zu bestehen) (#Rolle #Practices/Tools #Events #Artefakte #Mythen). Und im Sprint 4 schließlich führten unsere Teams ein Scrum-Übungsprojekt durch, bei dem wir Scrum in Aktion erleben konnten (#Vision #Product Backlog mit User Stories #Priorisieren der Backlog Items #Schätzen).

Einleuchtend, aber keineswegs simpel

Das agile Vorgehen und Scrum leuchten mir nun ein: Durch klare Priorisierungen werden z.B. wirklich jene Produkte verfügbar gemacht, die der Kunde am dringendsten braucht. Auslieferbare (Teil-)Produkte werden in z.B. monatlichen Abständen, am Ende jeder Iteration vorgelegt. In der gesamten Produktentwicklung ist der jeweils erreichte Stand jederzeit transparent. Läuft etwas in die falsche Richtung oder türmen sich Hindernisse auf, kann mit den täglichen Überprüfungen durch das gesamte Team schnell reagiert werden. Dieses häufige, regelmäßige Feedback im Tagesrhythmus sorgt für kontinuierliche Verbesserungen, sowohl im Prozess als auch beim Produkt.

Die Grundprinzipien klingen einleuchtend, Scrum ist aber sicher nicht simpel. Trainer und auch einige Kursteilnehmer mit ersten Scrum-Erfahrungen machen in spannenden Diskussionen deutlich, dass die praktische Umsetzung in komplexen Systemlandschaften und Organisationen alles andere als einfach ist. Denn in der Praxis gibt es keine homogenen Systemumgebungen. Und die größte Herausforderung sehe ich in den notwendigen Veränderungen der Organisation für einen geeigneten Rahmen.

(Berichte von weiteren Modulen der Agile Culture Coach Ausbildung folgen.)

Hans-Peter Sander
blog.icv-controlling.com

»Von einem der auszog, Agilität zu lernen«

»Agilität« und »Controlling« – das passt! Hatte das nicht zuletzt der diesjährige, große Münchner »Congress der Controller« schon mit seinem Titel, »Agiles Controlling in der digitalen Realität – Umbrüche erfolgreich managen«, postuliert? Oder passt es doch nicht – wie es in mancher kritischen Diskussion immer wieder heißt …? Ich habe ein fantastisches Angebot bekommen: Tief eintauchen ins Thema mit einer professionellen Ausbildung zum »Agile Culture Coach«! In Blog-Beiträgen werde ich hier davon berichten.

Ein Jahr lang beschäftigt mich diese Ausbildung mit fünf mehrtägigen Modulen: »Agile Führung und Beteiligung«, »Agilität und Persönlichkeit«, »Agile Methoden und Scrum«, »Agile Teams und Konflikte«, »Agile Organisation und Kultur«. Gemeinsam mit 13 anderen Teilnehmern erlebe ich diese Ausbildung durch die SYNNECTA, einer Beratung für Organisationsentwicklung und Change Management in Köln. Zum dritten Mal findet der Kurs inzwischen statt, den die Gastgeber mit sichtbarem Stolz als »das Original« bezeichnen.

»Agile Führung und Beteiligung«

Das erste 3-Tages-Modul ist mit »Agile Führung und Beteiligung« überschrieben. Ein spannender Einstieg, bei dem es schon um viel mehr geht, als nur um eine Orientierung einschließlich Begriffsklärungen. Behandelt werden: »Agile strategy« – Wie stellen wir uns auf?, »Agile leadership« – Was heißt das alles für die Führung? sowie »Agile mindset« – Warum Agilität? Was ist Agilität? Wie plane ich eine unvorhersehbare Zukunft?

Ja, was ist eigentlich »Agilität«? Verbreitet herrscht ein schwammiges Verständnis vor. Und es stimmt schon, was die beiden Trainer, Renate Standfest und Dr. Johannes Ries, sagen: Oft werde das Wort »agil« sogar als Entschuldigung für nicht eingehaltene Termine, Verpflichtungen missbraucht. Überzeugend machen sie klar, dass »jenseits von Effekthascherei und Bullshit Bingo« hinter dem Begriff »wertvolle Gedanken und Konzepte« stecken, die Teams, Organisationen und Führungskräfte in der heutigen Zeit – sie nennen diese »VUCA-Situation« – handlungsfähig machen.

Unsere »heutige Zeit«, geprägt von Digitalisierung, politischen Umbrüchen, Klimawandel usw., wird bekanntlich als »VUCA-Welt« bezeichnet. Sie ist geprägt von »Volatility« – Instabilität, rasche, grundlegende Veränderlichkeit, von »Uncertainty« – Ungewissheit, ja Unberechenbarkeit, von »Complexity« – Komplexität und von »Ambiguity« – es gibt keine einfachen Ursache-Wirkungszusammenhänge mehr, deshalb dominiert Mehrdeutigkeit. Wenn in dieser VUCA-Welt »lineare Methoden« nicht mehr funktionieren; welche sind es dann?

»Agilität«? – Was ist das eigentlich? Unsere Kursleiter verweigern »die eine, 100-prozentige« Definition. Sie verweisen vielmehr auf die »Dimensionen von Agilität« und empfehlen als Grundlage das »Agile Manifest«. Dieses »Manifest für Agile Softwareentwicklung« (2001 unterschrieben von 17 Personen aus dem Programmierer-Umfeld) verweist auf einige Schwerpunkte:

  • Sie erachten »Individuen und Interaktionen« wichtiger als Prozesse und Werkzeuge;
  • einem »funktionierenden Produkt« räumen sie einen größeren Stellenwert ein, als umfassenden Dokumentationen;
  • sie favorisieren die »Zusammenarbeit mit dem Kunden« viel stärker als jede (Vertrags)verhandlung;
  • dem »Reagieren auf Veränderung« räumen sie den klaren Vorrang gegenüber dem Befolgen eines Plans ein.

Abgeleitet aus diesem Manifest zählen die SYNNECTA-Experten 12 Prinzipien auf: Kundenzufriedenheit, Offenheit für Veränderung, iteratives Entwickeln, intensive Zusammenarbeit, Fokus auf ein motivierendes Umfeld, Face-to-face-Kommunikation, funktionierende Produkte als Fortschrittsmaß, gleichmäßiges Tempo, technische Exzellenz und gutes Design, Einfachheit, Selbstorganisation und Selbstreflexion. »Diese Auflistung fasst gut das Mindset zusammen, welches für das Funktionieren aller agilen Praktiken und Konfigurationen notwendig ist«, so Ries.

Effectuation: von Mittelorientierung, leistbarem Verlust u.a.

Die Ausbildung ist agilen Praktiken und Methoden gewidmet, die genannten Prinzipien zu realisieren. Aus der Softwareentwicklung stammend und inzwischen darüber hinauswirkend stammt etwa »Scrum«. Diese agile Methode (wird in Modul III der Ausbildung gründlich behandelt) versucht die »Aufwandskurve« so gering wie möglich zu halten.

Ein höchst interessantes Thema im ersten Modul meiner Agile-Coach-Ausbildung ist »Effectuation«. Auch dabei geht es um ganz praktische Konsequenzen aus der sich verändernden Welt – insbesondere unserer Arbeitswelt. »Nicht das ›entweder oder‹, sondern das ›sowohl als auch‹ beherrscht sie«, erklärt SYNNECTA-Expertin Renate Standfest. »Wo die Zukunft ungewiss, die Umwelt gestaltbar und die Ziele verhandelbar sind, haben wir ein ideales Feld für Effectuation.« Während wir »linear-kausale Prozesse« der Problemlösung gewöhnt sind, gelte es nun, Umstände, Zufälle und Ungeplantes als Gelegenheiten zu nutzen und sich eben nicht dagegen abzugrenzen. Großes Interesse wecken bei mir die vorgestellten vier Prinzipien von Effectuation:

  • Prinzip der Mittelorientierung: Anstatt Mittel und Wege auszuwählen bzw. zu schaffen um ein vorher festgelegtes Ziel zu erreichen, gilt es hier, Ziele und Ergebnisse zu finden, die sich mit einem gegebenen Set an Mitteln erreichen lassen.
  • Prinzip des leistbaren Verlusts: Man orientiert seinen Einsatz am leistbaren Verlust – und nicht am erwarteten Ertrag.
  • Prinzip der Umstände und Zufälle: Umstände, Zufälle und Unerwartetes als Chancen nutzen, anstatt sich dagegen abzugrenzen.
  • Prinzip der Vereinbarungen und Partnerschaften: mit denen eingehen, die bereit sind mitzumachen.

Das Modul I meiner Agile-Culture-Coach-Ausbildung ist aufgeladen mit einer Menge höchst interessanter Impulse. Ich bin überzeugt; das passt für die Controlling-Welt! Der gebotene Stoff: fesselnd und reichlich für die ersten drei Tage. Viel, viel Neues erfahre ich: von Dimensionen und Prinzipien der Agilität über Effectuation und faszinierenden Methoden wie Landscaping, Stacey-Matrix, Daily Meetup etc. bis hin zu Spielerischem wie dem Team-bildenden »Marshmellow-Spaghetti-Contest« oder auch dem ganz persönlichen Vorstellen der einzelnen Kursteilnehmer mit Hilfe von Lego- und Duplo-Bausteinen.

(Bild: »Autoren-Selfie«. Wie sich der Autor den Kursteilnehmern »präsentierte«.)

Hans-Peter Sander
blog.icv-controlling.com

SYNNECTA Scrumt

Unser Backlog ist ganz schön voll. Die Sprints takten uns. Die User-Storys stehen, unsere Kommunikation ist in Prüfung.

Die Beraterinnen und Berater von SYNNECTA üben sich in Reflektion, Selbstorganisation und Innovation. Dieses Mal, indem sie an einer internen »Scrum«-Weiterbildung teilnehmen.

Unser Kooperationspartner Scrum Events hat diese Weiterbildung auf unsere Bedarfe hin extra maßgeschneidert. Wie gestalten wir unsere Arbeitskultur, wie erlebe ich die Aufforderung zum Change, ist agiles Arbeiten neu oder alt, wie funktionieren wir miteinander? Scrum ist empirisch, inkrementell und iterativ. Es erlaubt uns, Impulse zu haben und sie später zu prüfen, Fehler zu machen, sie zu verbessern, sich zu verändern. Schnell zu sein, nicht hektisch. Einander zuhören.

Die Übersetzung in die Beratungsarbeit erfolgt parallel und weiterhin. Agile Konzepte gehören längst zum Arbeitsmodus einiger Organisationen. Daraus gelebte positive Erfahrung zu machen und Erfolge zu feiern, ist in Teams oft noch neu oder sogar unbekannt. Wir können bestätigen, es ist nicht leicht, aber empfehlenswert sich damit zu beschäftigen.

Die Scrum-Erfahrung bekräftigt unsere These der diesjährigen SophiaWerkstatt: Agil sein kann nur, wer Inhalt, Ziel und sich selbst im Fokus hat.

Hanna Göhler