Ein Anfang – Wir haben viel zu sagen

Ein Trend oder die Rückkehr zur alten hierarchischen Welt?

Es gibt schon die ersten Beiträge in den Sozialen Medien, die sich gegen die »Wokeness« positionieren. Manchmal schon mit einem Angriff auf die »weichen« Moden in den HR-Abteilungen und den sogenannten weichen Beratungen. Es wird ein Trend zu mehr Top Down und einer neuen »Stärke« und »Entschiedenheit« spürbar. Zudem sind alle Programme, die Diversität unterstützen, unter erheblichen Druck. Für uns ein wichtiger Moment, um uns auf unsere Stärken, Haltungen und in Transformationen bewährtes Können und Wissen zu besinnen. So bestätigen wir mit dem folgenden Text, was wichtig und notwendig ist, um der Produktivität und Performance der Menschen in Organisationen Raum zur Entfaltung zu geben. Wie reflektieren Sie die Bedeutung und den Einfluss dieses neuen Trends aus dem politischen Raum, der nun die Unternehmen erreicht?

Ein Anfang

Wir haben viel zu sagen. Viel über: New Organization, New Work, New Mindset. Vor fünf Jahren hätten wir das, was wir zu sagen haben, noch in einem Vortrag zusammenfassen können – das können wir heute nicht mehr. Es ist zu facettenreich, es ist zu differenziert. Also greifen wir Aspekte heraus, mit denen wir uns in unseren internen Diskussionen und in Gesprächen mit Kunden beschäftigen. Wir erleben Umbrüche, Experimente, Ausbrüche und Neues neben viel Stabilität – auf allen Ebenen, in den Organisationen als neue Organisationsformen, in Gruppen als neue Dynamik sozialer Vergemeinschaftung, bei einzelnen Menschen mit neuen, nicht dem Karriere-Mainstream gehorchenden Lebensentwürfen.

Was treibt da eigentlich?

Vordergründig treibt die Unternehmen vielleicht die Angst, Anschluss zu verlieren, Anschluss an die chinesische Dynamik – vielleicht –, vielleicht treibt der Vertrauensverlust in die europäische Erfolgsgeschichte: der systematischen Planung, des Managen von Projekten, der doch einmal so erfolgreichen Wasserfallplanung, vielleicht der Zweifel an der Voraussagekraft der strategischen Abteilungen? Vielleicht die Konfrontation mit dem Zweifel vieler an der Qualität der Führung? Möglicherweise ist es der breite Vertrauensverlust in die »Eliten«? Vielleicht aber auch, weil es unübersehbar ist, dass wir nun mehr und mehr mit unlinear dynamisch deterministischen Systemen konfrontiert sind: in den Märkten, im Wettbewerb, in der Gesellschaft, in der Gemeinschaft unseres eigenen Unternehmens, und wir doch so sehr daran gearbeitet haben, die Welt linear dynamisch deterministisch zu gestalten. Wir können noch so oft »Warum« fragen, wir werden nicht die Ursache finden – aber wir finden Bedingungen, Bedingtheiten, Relationen.

Für NEW WORK sticht eine Bedingung hervor, eine gesellschaftliche, eine globale Tendenz, die sich seit sehr langer Zeit stabil durchsetzt: Der Gewinn von mehr und mehr individueller Freiheit. Wir erleben es deutlich in den Metropolregionen – dort, wo die soziale Kontrolle minimiert ist und es Raum für viele Nischen, für viel Andersheit gibt, eine Andersheit, die sich als Gruppe und Gruppenzugehörigkeit organisieren kann. Es geht um Eigenbestimmtheit, um die jeweils eigene Individualität und ihre gesellschaftliche Anerkennung, es geht, um ein altes Konzept zu nutzen, um Selbstverwirklichung. In den gerade gängigen Motivationstheorien wird es mit den Begriffen Autonomie und Lernen (Wachsen) benannt sowie mit der Idee, dass wir Purpose-geleitet sind. Dies ist heute ein elementarer Aspekt einer Unternehmenskultur. Mit der Orientierung an Purpose, der die Prozesse der Visions- oder Missionsbildung ersetzt, wird auch das Anstrengende, das Herausfordernde deutlich – wie können wir das Eigene mit dem Gemeinsamen in eine Balance bringen, die sich durch eine gewisse Beständigkeit auszeichnet. Wie kann der jeweils eigene Purpose zu einem gemeinsamen werden, und wie beständig kann dies sein? Im Hintergrund die Frage nach dem Verhältnis von Solidarität zu Individueller Selbstheit. Individualität und die Qualität der Vergemeinschaftung gehören zusammen. Sie machen die neuen Arbeitsformen so interessant, so aufregend und zugleich so herausfordernd. Denn wir sind dabei auf den großen versorgenden Bruder zu verzichten.

Und natürlich ist die Freiheit vieler, die gelebte Diversität der Vielen ein Treiber von Komplexität, und im Zulassen dieser Vielheit, der Eigenheiten, erleben wir auch den Verlust der einen bindenden moralischen, der Sicherheit gebenden Institution. Die wird ja nicht nur politisch, sondern auch in den Unternehmen gerade eingefordert – leider nicht nach vorne schauend, sondern mit einer wachsenden Sehnsucht nach alter Autorität, um im psychoanalytischen Bild zu sprechen, nach dem alles richtenden Vater. New Work geht den anderen Weg – New Work will die Freiheit gestalten, so dass dennoch Zusammenarbeit und Gemeinschaft möglich sind. So lassen Sie uns Aspekte nachzeichnen, Aspekte, denen wir in unserer Arbeit begegnen und bei denen es keine einfachen Rezepte gibt.

Die agile Organisation – im Kern die Suche nach einer Organisation, die in der Lage ist, sich schnell anzupassen, die in der Innenorientierung reduziert wird und in der es möglich ist, in kleineren Einheiten eine Außenperspektive intern wirksam zu machen. Zygmund Bauman nannte dies schon vor Jahrzehnten eine fluide Organisation. Die Blueprints liegen vor – die soziale und psychologische Dynamik solcher Unternehmen lassen jedoch noch viele Themen offen. Was können wir beobachten – neben den trivialen Themen, dass solche Veränderungen nicht von allen gemocht werden, dass sich Skepsis breitmacht, dass Herren der Beständigkeit (es sind meistens Herren) um Machtverlust fürchten:

Flucht in die Methode
Methoden sind hilfreich und notwendig – aber sie sind bestenfalls die Hälfte der Reise. Wir stehen etwas verwundert vor der Gründlichkeit, mit der das methodische Set mehr und mehr ausformuliert wird und mehr und mehr der kleinteiligen Prozesslandschaft ähnelt, die man ja gerade mit der neuen Organisation zumindest vermindern wollte. Beschriebene Methoden geben Sicherheit, sie entlasten das Individuum von der Eigengestaltung und sind oft eine Flucht vor der Freiheit. Um die geht es aber, will man Flexibilität, den Reichtum der Vielstimmigkeit erreichen. Sie sind zu oft eine Flucht vor der Chance der Selbstwirksamkeit und der mit ihrer kommenden Verantwortung.

Der Mangel an gruppendynamischer Kompetenz
Was geschieht, wenn wir Hierarchie einebnen und die Rolle so beschreiben, dass sie mehr ein Enabler für Eigenverantwortung wird. Tatsächlich fehlt uns das Verständnis gruppendynamischer und sozialdynamischer Prozesse. Es wird mit dem Konzept Empathie gewunken, aber das, in sich selbst schon schwierig, greift zu kurz, wenn wir Menschen in der Gestaltung informeller, also emotional nicht entlastender, sozialer Führungsprozesse allein lassen. Es wird Zeit, gruppendynamische Kompetenz wieder einzuüben. Informelle Führung öffnet ein weites Feld für Egomanen und Narzissten, und wir kennen die verheerenden Folgen des Bullying im Schulkontext. Gruppendynamik als Erfahrungslernen tut not.

Wir wollen Deine Seele, Dein Herz
Dies wird umso wichtiger, je mehr wir beginnen, das Arbeits- und das Privatleben nicht mehr zu trennen. Wir verschmelzen zwei bisher trennbare Identitäten. Und wir tun es, weil wir verstanden haben, dass wir in den neuen Organisationen den ganzen Menschen brauchen und nicht nur die Zeit, die er uns zur Verfügung stellt. Der alte Deal war klar: Du bekommst Geld und Sicherheit (die berühmte goldene Uhr später) und du gibst uns deine vereinbart begrenzte Zeit, deinen Gehorsam und deine Loyalität. Wenn wir an die motivierende Kraft eines Purpose glauben, also daran, dass ein Mensch sich mit seiner ganzen Existenz für etwas einsetzt, weil sein tiefer eigener Sinn und der seiner Arbeit mehr und mehr übereinstimmen, dann funktioniert der alte Deal nicht mehr. Ich kann das Herz, die Seele eines Menschen nicht kaufen – das Unternehmen muss mehr bieten: Orte, Räume, Plätze, Beziehungen, soziale Strukturen, sinnstiftende Konzepte, die es Menschen ermöglichen, sich ganz einzubringen. Und eben die Freiheit, die Angebote anzunehmen, für eine Zeit, die Freiheit, sie auch wieder zu verlassen – in der längeren Perspektive werden Unternehmensgrenzen fließend werden. Und so wird die Attraktivität als »Lebensplatz« immer wichtiger.

Die Endlichkeit von Purpose
Purpose kommt oft sehr gravitätisch daher – mit einem Hauch von Ewigkeit. Aber das ist eine Verengung. Wir folgen nicht dem einen Sinn in unserem Leben, den wir irgendwie auf dieser Lebensreise entdecken müssen. Unsere Energie, das Engagement finden viele »Sinne« und sie suchen sich soziale Zusammenhänge, in denen sie gelebt werden können. Sie sind leitend für eine Zeit, dann verlassen wir sie für etwas, was uns in dieser Lebensphase, in diesem sozialen Zusammenhang mehr berührt. Hier findet man die zweite Bedeutungsebene von Zygmund Baumans Begriff der fluiden Organisation – auch wir fließen in unserer Organisation, zunehmend zwischen den Organisationen und immer mehr auch zwischen unterschiedlichen Lebenskonzepten. Unternehmen stehen vor der Aufgabe, immer wieder und immer neu einladende Orte, Strukturen zu schaffen, die ein Sinnangebot in sich tragen und so fähig sind, die Sinnsucher anzuziehen. Wir werden lernen müssen, das Fließende selbst als Stabiles zu erleben.

Der psychologische Fokus
Für uns, in unserer Arbeitstradition, kommt dem psychologischen Fokus, also der Verfasstheit des Menschen, in diesen Veränderungen große Bedeutung zu. Wie lernen Menschen ihre Rollen, ihre Möglichkeiten in den neuen Formen kennen, wie geben wir ihnen eine Chance, sich im Neuen auch selbst in bisher verschlossenen Möglichkeiten neu zu erfinden? Hierzu bedarf es z.B. tiefer Eingriffe in die selten thematisierten normativen Grundannahmen eines Coachings oder der Führungstrainings. Wenn wir lateral arbeiten und eher laterale Möglichkeiten erkunden, dann lassen wir den bisher dominanten vertikalen Aspekt, den Organisationen heute primär als Karriere anbieten, hinter uns. Karriere, bisher mit Aufstieg als Hoffnung und mit Schmerz verbunden, wird anders definiert – mehr und mehr als die Fähigkeit, immer wieder Orte der Attraktivität zu finden, selbst sich als fluid zu begreifen. Da stoßen Unternehmen allerdings recht schnell an die Grenzen der Gesellschaft, die ja immer noch den Helden des Aufstiegs feiert.

Wie lernen wir?
Schließlich stellt sich die Frage, auf welche Lebenskonzepte hin wir Menschen bilden. Mehr denn je wird Gregory Batesons Unterscheidung vom Lernen erster Ordnung und Lernen zweiter Ordnung bedeutsam. Wir werden mit einem PISA-orientiertem Ansatz kaum weiterkommen, denn das trainiert und lehrt, was sich bewährt hat, bewährt in einer alten und stabilen Welt. Lernen für das Neue, für das, was wir noch nicht eingeübt haben, das bedarf einer Öffnung zu dem Teil unserer Gesellschaft, den wir mit den Worten Kunst gerne etwas ausgrenzen und als ein Ort der Glückseligen beschreiben. Aber gerade dort kann man mehr über die Zukunft lernen als in jeder Strategie- oder Marketingabteilung der großen Konzerne und Beratungen. Lange bevor Unternehmen das nennen konnten, was sie heute VUCA nennen, hat die Kunst uns mit einer performativen Wendung gezeigt, was Ereignis bedeutet, was Brüche bedeuten und was es heißt, fluid agieren zu können. Aber unsere derzeitigen Führungseliten sind recht kunstavers geworden.

Das Glück der Andersheit
Für uns rückt zudem in den Vordergrund, was unter dem Stichwort Diversität abgehandelt wird. Es geht hier um mehr als Statistiken, in denen man zeigt, man habe ja Vielfalt … Frauenquoten, Inderquoten, LGBTIQ*Quoten und so weiter. Wie lernen wir tatsächlich Respekt voreinander, wie lernen wir über Differenzen so zu sprechen und zu handeln, dass sie eher Reichtum als Ausschluss bedeuten. Es wird keine wirkliche Agilität geben, ohne sich mit der Diversität auseinanderzusetzen. Und das beginnt bei den kleineren Unterschieden, über die in der alten Arbeitswelt (Trennung von Privat und Beruf) eben nicht gesprochen wurde, und die im Verschweigen oder wegen der fehlenden Plattform für den Ausdruck erhebliche Energien zurückhalten. Durch meine Arbeit in den in sich vielfältig unterschiedlichen asiatischen Kulturen weiß ich, dass wir wirklich etwas erreicht haben, wenn die Menschen sagen »du hast mein Herz berührt«, und wenn sie mein Herz berührt haben. Dann beginnen wir voreinander und so miteinander Respekt zu haben.

Das Zauberwort – Mindset Change
Klingt ja einfach. Aber um was geht es denn? Es gibt dafür viele Beschreibungen. Z.B. von inside–outside thinking and acting zu outside–inside thinking and acting. Oder vom Gefangensein in der Inbox zur Öffnung zur Outbox, oder in dem Wortspiel your goal is to come forward or to come along. Wie immer es genannt wird, es geht darum, aus der Perspektive der Egozentrik, des Egos auszusteigen. Nicht wirklich weltbewegend neu, jedoch wichtig, weil in der Wirtschaft und den Wirtschaftswissenschaften zu lange der Egomaximizer im Zentrum stand. Die Egomaximizer in ihrem Wettkampf um immer geringer werdende Ressourcen wurden als der Garant von Dynamik gesehen – die kooperierenden Mitglieder der Gemeinschaft eher als die etwas dummen Mitglieder der Herde. Ein sehr verkürzter Darwinismus, bei dem schon früh klar war, dass der wirkliche Egoist eben keiner ist, sondern jemand, der kooperiert und darin und dadurch erfolgreich ist. Dafür gab es früher einmal in der christlichen Welt das Wort vom Geben ist seliger denn nehmen. Kooperation ist hier nicht eine weitere Methode oder nach buddhistischen Selbstoptimierungskonzepten ein neuer Trick des Egoismus, sondern die Selbsterfahrung, dass in einem sich selbst einklammernden Ich die Freude, die Erfüllung, das Glück von Kooperation gefunden werden kann. So kann das, was Kooperation oder heute gerne auch Kollaboration genannt wird die tiefe Struktur des eigenen Denkens und Fühlens verändern, in der wir der Welt begegnen. Und dies eben ermöglicht, über Differenzen, Abgrenzungen und Zugehörigkeiten hinweg Gemeinsames zu gestalten.

Gegenseitigkeit
Ich erinnere mich gerne an Gespräche mit Helm Stierlin, einem der Gründerväter der systemischen Therapie, der Kooperation als Gegenseitigkeit verstand. Nicht im Sinne eines Deals, sondern eher als Gabe, in der ein Verhältnis begründet wird, das dem anderen Freiheit ermöglicht. Hier scheint ein Widerspruch zur These des Individualismus aufzutreten – denn in den neuen Arbeitsformen ist das Kollektiv der Held. Nun leben wir unseren Individualismus in Kollektiven, in Gruppen, in denen wir uns in unserem Sosein aufgehoben fühlen und die wir je nach Identitätsverlauf auch wechseln. In der Gegenseitigkeit der Kooperation bleibe ich in meiner Individualität gewahrt und bin zugleich Teil eines für das Ganze verantwortlichen Kollektivs. Dies ist die Stelle, an der in die Diskussion um den Mindset, der so abstrakt, neutral klingt, eine spirituelle Note eindringt. Es ist die Idee der Allverbundenheit, die wiederum der Erfahrung, dass wir in einer nicht linear dynamisch deterministischen Welt leben, sehr entspricht.

Organisationen doch oder endlich politisch denken?
Und mit all dem, was wir heute schon tun, greifen wir zu kurz, wenn wir nicht tiefer in die Art und Weise eingreifen, in der in Unternehmen heute Zukunft verhandelt wird (Zukunft heißt hier: Markt, Produkt, Prozess, Strategie usw.). Wenn wir die Grundidee der Agilität, die Fähigkeit schnell und flexibel auf Änderungen reagieren zu können oder auch iterativ vorausschauend agieren zu können, nur in den operativen Einheiten verankern, dann werden wir weiter langsam bleiben und eher das tun, was in der Vergangenheit erfolgreich war. Wenn wir die oligarchische Struktur der Unternehmen, wo eine mehr oder weniger homogene Gruppe, die über lange Zeit in großen Programmen eingenordet worden ist und dabei Süden, Westen und Osten vergessen hat, über die Themen der Organisation bestimmen lassen, dann wird New Work keinen Platz in den Unternehmen finden. Es stellen sich Fragen an die Organisationsentwicklung: Wer darf sprechen? Wer wird gehört? Wer hat Orte, um zu sprechen und um sich Gehör zu verschaffen? Es geht um einen genuinen Diskursprozess, an dem die vielen Unterschiedlichen Teil haben an den Entscheidungen, die festlegen, was in den Unternehmen und was in den Märkten geschehen soll. Gesellschaftlich wird es kaum eine Teilhabe an den Besitzverhältnissen sein, aber eine echte Teilhabe an der Gestaltung der Gemeinschaft, die das Unternehmen mit engagiertem Einsatz gestaltet. Wir haben mit unseren Durchwegungskonzepten leicht gangbare Wege aufgezeigt, um das Oligarchische der Unternehmen aufzubrechen und so Stimmen Raum verschafft, die sehr viel eher als die lang gedienten Führungsmenschen verstehen, was denn Zukunft bedeuten wird, und wo der Platz sein kann, den das Unternehmen in dieser Zukunft mit seinen Leistungen einnimmt.

Und zum Ende etwas nach vorne greifend: Wie verändern wir unsere innere Einstellung zu dem, was als Neues in den Lebenskonzepten auf uns zukommt? Wie verstehen wir sie? Ein Ausflug in die Pop-Welt einer Generation, die noch gar keinen Buchstaben hat.

Demographie – wie radikal sind die Veränderungen in den Lebensentwürfen?

BTS – eine koreanische Boy-Band (Nr. 1 in den US Billboard Charts, als erste koreanische Band, mit »Idol«): Eine vollständig inszenierte Boy Group – jede Information, jede Äußerung, jede Bewegung ist choreographiert oder kuratiert. Zugleich die einzige K-Pop Band, die politische Botschaften sendet – die stark auf Individualismus bezogene Kernbotschaft: Sei du selbst, was immer Du auch bist oder sein willst. Die Videos senden neben dem Identifikationsangebot – die Gruppen bestehen immer aus einem Angebotsmix von Personen (das würde die Besetzungsstrategien für Vorstände deutlich ändern) – eine inklusive Botschaft – Du bist ein Teil von uns – wir sind divers und du gehörst zu uns. Die Videos werden auch beschrieben als Repräsentanten einer hyperinklusiven Ästhetik. Es gibt in den Performances nicht mehr die Differenz zwischen Oberfläche (der Performance) und den eigentlichen Identitäten – die Oberfläche ist das Ganze. So ist Beuys in der Jugendkultur angekommen.

Unser tiefes Denken – es gibt den Vordergrund und den Hintergrund, es gibt die Erscheinung und dahinter das Eigentliche, der tiefsitzende Platonismus wird hier ausgehebelt. Die Frage was dahinter ist, wird obsolet, weil die Oberfläche das Eigentliche schon ist. Was heißt das für die Arbeitswelt? Auflösung der Differenz von Privat und Arbeit? Das Ende der Rollenspiele und damit eine neue Art der Authentizität? Orte der Arbeit als Lebensorte, an denen Identität gebildet und gelebt wird? Orte der Arbeit als Ereignisräume – die in schnelleren Schnitten durchlaufen werden – die Schwächung der Kontinuitäten zugunsten der Bruchlinien und Lebenssprünge? Auch das sind Aspekte von New Work.

Ein Blick in Coaching-Erfahrungen der letzten Zeit. Auf welcher Folie von Lebensentwürfen formuliere ich meine Fragen? Wie sehr ist das ganze Setting von den Alt-Erwartungen der Unternehmen geprägt? Michelle Obama schreibt in Ihrer Autobiographie über ihren Großvater, in dem sie die Bitterkeit zerstörter Träume sah. Eine Bitterkeit, der ich im mittleren Management großer Unternehmen immer wieder begegne. Während diese Bitterkeit im Hintergrund von Organisationen spürbar ist, ist die junge Welt von der Kraft der Träume bewegt. Lassen sie uns der Hoffnung folgen und nicht der Bitterkeit.

Anhang: Geschichten zum Vortrag

I.
Die Gruppe schwieg, sie schwieg länger als eine Stunde. Sie war traumatisiert. Dabei war es ein so guter Start – hierarchiefreies Arbeiten, Arbeiten in kleinen Gruppen mit gemeinsamem Interesse, tun können, was man immer schon wollte. Dann kamen die Einschläge – zuerst das Einstellen von Projekten, die in der Gruppe weiterhin als sehr aussichtsreich erlebt wurden, aber nun aus strategischen Gründen kein Budget mehr hatten. Wie Abschied nehmen? Und wie damit umgehen, dass man nun auch selbst umgesteuert wurde und sich in Projekten und Gruppen fand, die man ohne Not nicht gewählt hätte. Dann nahm die Gruppendynamik ihren Lauf – informelle Führer bildeten sich heraus, die zwar über gute soziale Manipulations-Skills verfügten, aber nicht wirklich geeignet waren, die Aufgabe einer steuernden Funktion auszuüben und dann der Wunsch der Organisation, es wirklich hierarchiefrei zu machen und die Einführung einer Peer-Bewertung. Letzteres war dann definitiv zu viel – so schwieg die Gruppe und hatte all die Energie, das Engagement des Anfangs verloren.

II.
Aus einem Gespräch mit einem Betriebsrat. Er war wirklich besorgt. Er blickte in den Raum und sah, dass all die ergonomischen Errungenschaften der organisierten Arbeitnehmerschaft verloren waren. Mitarbeiter saßen auf Holzpaletten, die Tische, die es vereinzelt gab, völlig ungeeignet – und er sagte, wie wird deren Rücken wohl aussehen, wenn sie zwanzig Jahre lang gearbeitet haben? Die jungen Menschen haben sich von uns gelöst, sie verstehen nicht mehr, dass im Gegeneinander von Unternehmen und Betriebsrat für sie um die bessere Lösung gestritten wird. Sie liefern sich ganz den oberen Herren aus.

III.
Aus einem Coaching. Ich traf diesen sehr begabten Menschen, als er noch Teamleiter war und vom CEO erfahren hatte, dass er über alle Hierarchiestufen hinweg in den Vorstand der für die Zukunft wichtigsten Division berufen war. In dem ersten Treffen sprachen wir viel über Theater und vor allem Literatur – wir verglichen unsere Leseerfahrungen, und es war ein zartes und sehr energiereiches Gespräch. Nach einem Jahr sprach ich mit ihm, der immer noch feurig und energetisch war, über seine Leseerfahrungen der letzten Monate. Und er erbleichte, weil ihm auffiel, er hatte nur noch Managementratgeber gelesen und in seinem Reflektieren verstand er, dass seine tiefste Quelle für »Leadership‘«nicht aus den Ratgebern stammte, sondern aus den tiefen Schichten literarischer Erfahrungen. Er liest jetzt wieder.

IV.
Ein völlig ratloser Manager. In seinem Führungsbereich hat er eine sehr begabte Frau, die viel mehr tut, erfolgreich tut, als sie müsste und was ihrer Position entspräche. So kämpfte er in seiner Fürsorge und in seinem Gerechtigkeitsempfinden um eine Beförderung und konnte sie dann stolz der jungen Frau anbieten. Er erwartete Freude und Dankbarkeit, doch er erhielt ein freundliches, doch bestimmtes Nein – sie wollte es nicht. Und er fragte nach der Begründung: Und sie sagte, was ich jetzt tue, tue ich freiwillig und es macht mir Spaß, wenn ich dein Angebot annehme, dann muss ich es tun und das will ich nicht.

V.
Ein anderes Gespräch mit einem Boten, der einem das im Internet ausgesuchte Essen eines Restaurants vorbeibringt. Ich sagte, du weißt, dass du dich ausnutzen lässt? Du bekommst wenig Geld, nur wenn du dich zeitlich ganz auf die Bedürfnisse deines Unternehmens einlässt, das keinerlei Fürsorgepflicht dir gegenüber hat, bekommst du gute Schichten, und selbst den Kasten auf deinem Rücken hast du selbst bezahlst, das Fahrrad ist dein eigenes – warum tust du das? Aber ich bin frei sagte er, und das war alles.

VI.
Ein letztes: Eine Expat-Führungskraft in Thailand. Sie mokiert sich über diese Magiegläubigkeit der Thais, lacht über ihre Gaben in den Tempeln und dieses tägliche Verehren eines Schreins. Er ist aufgeklärt, hypermodern, rational. Der Abend ist lang und nach dem sich Zu-Ende-neigen des rituellen Berauschungsprozesses (es waren vor allem Cocktails) erzählte er von seinen großartigen Erfahrungen mit positiven Affirmationen. Er hatte einen Dienstleister (früher nannte man sie Priester) gefunden, der ihm gegen kleines Geld jeden Morgen einen positiv affirmierenden Satz zusandte und den er dann vor sich hinsagte. Es sei sehr wirksam, sagte er, und war sich der Ironie der Situation nicht bewusst.

VII.
Es ist nun 30 Jahre her. Ich sprach mit einer Franziskanerin in einem Krankenhaus, sie schob Bücherwagen durch die Zimmer und sprach mit den Kranken – wobei das Sprechen wohl das wichtigste war. Wir unterhielten uns und so erfuhr ich, dass diese Frau, die nun in der untersten Hierarchiereihe der Franziskaner stand, noch vor einem Jahr in Rom war und dort Äbtissin des gesamten Frauenordens. Und es war keinerlei Bitterkeit in ihr zu spüren. Sie war glücklich und fröhlich. Es gibt sie schon lange, die andere Besetzung der Hierarchieposten.

Rüdiger Müngersdorff

Rechtfertige Dich

Tiefe Muster – die zweifache Rechtfertigung

Das Abendland hat in seiner langen Geschichte immer wieder eine Forderung an das Leben gestellt: Dein Leben muss einen Sinn haben, es muss auf etwas bezogen sein, dass über das Maß des Lebens hinausgeht. Bei Viktor Frankl kann das etwas sehr Individuelles sein, oft aber geht es um Großes, das einzelne Leben Überspannendes. Manchmal, wie in manchen nationalen Bewegungen kann es bis zur Selbstopferung gehen. Schon in den frühen Fragen an Kinder: »Was willst du denn einmal werden?« schwingt die Sinnforderung mit. Sei nützlich! Gib deinem Leben eine Aufgabe, einen Sinn. Das wiederholt sich im späteren Leben. Die Botschaft bleibt gleich: Wofür tust Du das? Was ist deine Aufgabe? Was ist dein Sinn? Das Leben selbst ist nicht genug, es muss sich auf etwas anderes, etwas Höheres beziehen.

Mit den gerade reüssierenden Purpose-Konzepten ist die Forderung nun auch in der Mitte der Unternehmen angekommen. Es verstärkt noch einmal die Forderung: Verschreibe Dich einer Aufgabe, einem Sinn! Wähle den Arbeitgebenden, der sich selbst einer höheren Aufgabe verschrieben hat. Sei Teil einer Sinngemeinschaft. So lautet dann die dahinterliegende Botschaft: Ein gelingendes, ein erfülltes Leben ist nur möglich, wenn es von Sinn getragen ist. Und in einer Sinngemeinschaft bist du dann auch motiviert, engagiert. Das klingt gut.

Es gibt allerdings eine Schattenseite, die dann oft zur Enttäuschung, Ermüdung, Angestrengtheit, ja zu einem Gefühl des Scheiterns führt. Die Forderung, du musst deinem Leben einen Sinn geben, wird im Laufe des Lebens zu einem inneren Forderungssatz – einem Muss. Er bedeutet zugleich: Du musst Dich rechtfertigen.

Rechtfertige Dich, das ist einer der tiefsten individuell wie kollektiv geteilten Glaubenssätze. Dieser Glaubenssatz ruft zugleich eine Instanz auf, ein Gericht, vor dem man sich rechtfertigen muss. Im Individuellen sind es oft die Eltern, im Überspannenden wird es zunehmend unklar, wer denn dieses Gericht ist.

Was müssen wir eigentlich rechtfertigen? Zunächst müssen wir den Sinn, die Aufgabe, die wir unserem Leben gegeben haben oder die uns mitgegeben wurden rechtfertigen. Ist mein Sinn gegenüber einem außer mir liegenden Maßstab ein guter, ein wertvoller Sinn. Eine Frage an uns, die wir heute auch an die Unternehmen stellen – dient das Unternehmen einem guten Zweck, ist es von einem Purpose getragen, der über seinen engeren Zweck, wirtschaftlich erfolgreich zu sein, hinausweist? Das ist die erste Stufe der Rechtfertigung. Mit ihr ist dann eine zweite Rechtfertigung gegeben: Erfülle ich, erfüllen wir diesen Sinn auch? Und wieder stehe ich und stehen wir vor einem Richter und Geschworenen. (Und im kulturell geprägten Hintergrund noch das Bild, es geht um Himmel oder Hölle.)

Mir begegnen im Coaching immer wieder Menschen, die an diesem Muss und dem erwarteten Urteil verzweifeln, die im Horizont des erwarteten Richterspruchs Lebenslust, Daseinslust verlieren. Ein Coaching, das sich mit dem Mindset auseinandersetzt macht die Sinnforderungen bewusst. Darüber hinaus lässt es erfahren, welche projektiv wirksamen Richter denn das Muss dieses Lebens verstärken.

Blickt man auf die Rolle der CEO’s, dann zeigt sich, dass die Geschworenenbank der Urteilenden heute viel breiter besetzt ist. Waren es zunächst vor allem die Shareholder, denen sie Rechtfertigung schuldig waren, so sind es jetzt die Mitarbeitenden und die Gesellschaft. Und deren Maßstäbe differieren doch sehr.

Der Zwang, sein Leben, sein Tun zu rechtfertigen steht sicher egoistischer Willkür entgegen. Er kann jedoch auch die spontane Lebendigkeit, das Tun aus reinem Wollen dämpfen und so auch die Phantasie als Teil innovativen Tuns verdunkeln. So ist eine Frage von Günther Anders ein schöner Anlass seine eigene Rechtfertigungslandschaft zu hinterfragen:

»Warum setzen Sie eigentlich voraus, dass ein Leben, außer da zu sein, auch noch etwas haben müsste oder auch nur könnte – eben das, was Sie Sinn nennen?«
(Günther Anders in Die Antiquiertheit des Menschen)

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Rüdiger Müngersdorff
Der Artikel erschien ursprünglich auf www.myndleap.com
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Kollektive Führung

Die Bedeutungsverschiebung in der Führungsrolle – Führung vom Mitarbeiter aus denkend

1. Wie kommt es zu dieser Bedeutungsverschiebung?
Die westliche Welt hat ein paar spezifische kulturelle Muster – ein sehr bedeutender Appell ist ein Satz aus der Schöpfungsgeschichte des alten Testaments: Macht euch die Erde untertan! Verbunden mit der Aussicht auf Leid und Schmerz. Es ist die Aufforderung Macher zu sein, Gestalter, Beweger. Und das ist dann auch der Kern einer Führungsrolle: Gestalte, mache, kreiere. Unsere heutigen Erfahrungen mit einer globalen, vernetzten Welt und ihrer Dynamik sowie die Konfrontation mit anderen kulturellen Vorannahmen und Werten lässt uns am Bild des souverän gestaltenden Subjekts, dem die Welt als Gestaltungsraum gegeben ist, zweifeln. Unsere heutige Erfahrung scheint eher zu sein: nicht wir bewältigen die Welt, sondern die Welt bewältigt, überwältigt uns. Wir lassen uns davon noch nicht abschrecken, sondern suchen neue Wege, ein balanciertes Verhältnis von gestaltendem Einfluß nehmen und der Akzeptanz, dass nicht nur wir der Welt einen Stempel aufdrücken, sondern die Welt auch uns einen Stempel aufdrückt, zu finden. Diese Erfahrungen haben auch Einfluss auf unsere Konzeption von Führung – die souveräne Rolle einer gestaltenden Führungskraft wird von der möglichen Führungsrolle von Kollektiven herausgefordert.

So beschreiben wir heute eine Führungskraft eher als Ermöglicher, als Förderer, als Moderator. Wir sprechen von einer dienenden Führungskraft mit den Werten der Demut, des Kümmerns. Der Weg von einem starken Ego zum Teil eines größeren Wir.

Es scheint, als habe die alte Führungskraft gegenüber der Komplexität, der Kontingenz und Beschleunigung aufgegeben. Sie kann die Rolle des wissenden Gestalters nicht mehr ausfüllen, sie sieht sich mit den Grenzen der eigenen Souveränität konfrontiert. Und hier dann wird die Antwort in den potentiell mächtigeren, klügeren vielstimmigen Kollektiven gesucht. Wir geben unser Vertrauen in die Weisheit vielstimmiger, diverser Diskurse und glauben, dass das Kollektiv als multiperspektivische Gruppe der Komplexität von Aufgaben in der heutigen Welt eher gewachsen ist als der alte Führungsheld.

Mit dieser Entwicklung geht zugleich ein Lernen einher, dass das westlich dominante Modell, alles habe seinen Grund, und alles lasse sich auf eine Ursache zurückführen zwar überaus mächtig, aber auch nicht universal gültig ist. Mit einer komplexen, beschleunigt dynamischen Welt lernen wir auf Geschehnisse in einer systemischen Weise zu blicken – wir betrachten Geschehnisse als interaktive Bedingungsgefüge, wobei wir keine eindeutige Ursache zu identifizieren vermögen, wohl aber Vernetzungen, die zu dem zu erklärenden Ereignis geführt haben mögen. Kennen wir die eine Ursache können wir zielgerichtet handeln, in einem Bedingungsgefüge müssen wir feedbackgeleitet Handeln, wir sind Teil des Gefüges und wir lernen mit dem Gefüge (daher die Rehabilitation des Fehlers als Impuls für ein Feedback aus dem zu lernen ist).

2. Aber ist mit der Hinwendung zum Kollektiv die alte Rolle der Führungskraft obsolet?
Wir brauchen zur Bewältigung, zu einer für das Ganze förderlichen Antwort, sicher die Vielstimmigkeit eines diversen Kollektivs und so offene, furchtreduzierte Diskurse. Damit diese Diskurse jedoch gelingen können und sich die Vielstimmigkeit nicht in unversöhnliche Positionen entwickelt, benötigen wir auch Leitplanken, Orientierung und den Bezug zu einem gemeinsamen Horizont für das, was jetzt nötig ist. Und hier bleibt es die Aufgabe der Führung mit all dem Risiko des Irrtums diese Orientierung zu geben. Eine Lernaufgabe der Führung ist dabei sicher zu realisieren, dass mein Subjekt nicht das mächtige Zentrum, sondern Teil eines Ganzen mit einer sehr spezifischen Rolle in diesem Ganzen ist. Eine immer schmerzliche Lernaufgabe ist dabei zu realisieren, ich bin beschränkt, eingeschränkt, und der Weg diese Einschränkung zu vermindern, sind die Anderen. Ein anderer alter Satz aus dem altgriechischen Orakel hat das der westlichen Menschheit mitgegeben: Bedenke, Du bist ein Mensch! Nur ein Mensch, aber auch ein Mensch. Hannah Ahrendt hat diesem Menschen zugeschrieben, Anfänge setzten zu können. Und auch das bleibt eine Aufgabe der Führung.

3. Ist das Kollektiv reif für die Übernahme von Führungsakten?
Meine lange Arbeit mit gruppendynamischen Settings zeigt, wie schwierig es ist in ungeführten Gruppen gemeinsame Orientierung und zielführende Zusammenarbeit zu realisieren. Neben den bekannten Gruppeneffekten, das Finden von Rollen, von Position und Bedeutung in diesem sozialen Feld (emotional getriebene Effekte) ist die Etablierung von kollektiven und begrenzenden Wahrnehmungs-, Denk- und Entscheidungsmustern die größte Barriere für einen multiperspektivischen und offenen Dialog. Zusammen mit emotionalen Dynamiken des Gruppenzusammenhalts reduzieren sich die potentiell gegebenen Chancen der Multiperspektivität und schrumpfen zu einem in der Regel unbewusstem Groupthink. Ohne einer gezielten Arbeit an diesen beschränkenden Mustern bleiben Gruppen weit unter ihrem Niveau und können die ihnen zugedachte Aufgabe, Komplexität besser bewältigen zu können, nicht erfüllen. Die Dynamik von Gruppen überdeckt immer wieder den sachlichen Fokus, und wie es die Psychoanalyse für Individuen beschrieben hat, der Zugang zum kollektiven Mindset als unbewusste Entität ist von vielen Abwehrmassnahmen verdeckt. Aus diesem Grund gehört zur Arbeit mit dem kollektiven Mindset eine tiefe gruppendynamische Expertise. Nur dann gelingt die neue Balance in der Führung – ein produktiveres Gleichgewicht zwischen Führen und Geführtwerden.

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Rüdiger Müngersdorff
Der Artikel erschien ursprünglich auf www.myndleap.com
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Kollektives Mindset und die Dynamik sozialer Systeme

Die Dynamik von Gruppen ist die Grundlage jeder Arbeit mit sozialen Systemen. In Trainings und Workshops werden vielfältige Methoden eingesetzt, um diese Dynamik zu überdecken. Das funktioniert recht gut, solange die Sachthemen im Vordergrund und gemeinsamen Fokus stehen. Das ist jedoch oft nicht der Fall – das, was wir Beziehungsthemen nennen, drängt sich in den Vordergrund und behindert die Bearbeitung der so genannten sachlichen Themen. Heute wird diese Dynamik nicht nur methodisch eingeklammert, sondern sie wird mit der Gruppennorm der Positivität aus der Kommunikationsdynamik von Gruppen verbannt. Gleichzeitig jedoch wissen wir, dass gerade in der Differenz, den Unterschieden von Perspektiven, Meinungen und Haltungen, der Reichtum von Gruppen liegt und den erhält man nur, wenn man zugleich die Emotionen zulässt. Die aber werden zu oft als bedrohlich und störend empfunden, wobei sie genau das sind, was wir benötigen, soll Differenz und Diversität wirksam werden. Oft fehlt uns hier die emotionale Souveränität. Die Ausblendung und Unterdrückung der Gruppendynamik verschärft sich durch das virtuelle, digitale Arbeiten. Es sieht auf den ersten Blick so aus, als würden all die Konflikte, Unterschiede, blinde Flecken verschwinden. Aber wie wir an der zunehmenden Müdigkeit virtueller Gespräche sehen können, sie werden nur versteckt. Ein weiteres Indiz für das Nichtgelingen dieses Verdrängungsvorgangs sind die Zahlen der Krankenkassen, die eine zunehmende Anzahl von psychischen Erkrankungen und Burn Out Symptomen melden.

Wir erleben oft, dass sich die Arbeit am Mindset auf das Individuum konzentriert. Es liegt das Versprechen in der Luft, sich von den Fesseln des lebensgeschichtlich erworbenen Mind Sets lösen und für sich selbst mehr Freiheitsgrade im Handeln entwickeln zu können. Wobei ja auch die Arbeit am Mindset mit jemandem stattfindet – es geschieht in einer Beziehung, in einer sozialen Situation. Diese soziale Szene ist wesentlich für die Wirksamkeit. Schaut man auf die Effektivität, dann sind oft Kleingruppencoachings besser als Zweierbeziehungen, weil wir hier in einem viel reicheren sozialen Raum, einer reicheren Szene arbeiten. Für eine erfolgreiche Arbeit an einem kollektiven Mindset ist die Arbeit mit der sozialen Szene und so mit der Gruppendynamik um so wichtiger. An gruppendynamischer Kompetenz jedoch fehlt es oft und so steckt die Mindsetarbeit, die sich auf kollektives Vorverständnis und Kulturfaktoren bezieht, noch in den Kinderschuhen.

Wir leben und arbeiten in Gruppen – wir sind immer in einer sozialen Situation. Dieses Setting gibt uns Anregungen und öffnet unser eigenes unvermeidlich beschränktes Vorverständnis. Aber es öffnet nicht nur, sondern es begrenzt auch. Die für Gruppen typische Beschränktheit wird dann auch oft Groupthink genannt. Die in der Regel unbewussten Normen und Verhaltensregeln von Gruppen definieren einen Raum, eine Szene, die individuelle Impulse und Perspektiven wirksam beschränkt. Die individuelle Vielstimmigkeit wird in den Gruppen reduziert.

Gruppen sind potentiell reich, vielstimmig, mannigfaltig und so auch leistungsfähiger und anpassungsfähiger, agiler. Dieses Potential wird jedoch nur selten wirksam. Warum? Gruppen bilden sehr schnell ein System von Normen und Vorannahmen, Werten und Erwartungen aus, die den Spielraum für individuelle Perspektiven wirksam reduzieren. Es gibt eine Not sozialer Wesen, das ist die Notwendigkeit zugehörig zu sein, ein Teil des sozialen Systems zu sein und damit die Angst, nicht dazuzugehören, ausgeschlossen zu sein. Der Anpassungsdruck ist groß und wir geben ihm oft unbewusst oder unter der Deckung von Entschuldigungsgeschichten nach. Ohne es bewusst zu wollen und zu tun, sagen und handeln wir, wie wir glauben, dass es der Norm der Gruppe entspricht.

Damit nehmen wir der Gruppe zugleich ihr größtes Potential – die Unterschiede, Differenzen, Fremd- und Andersheiten, kurz die individuellen Perspektiven. Wer Gruppen beobachtet, kann sehen, wie die stets limitierende Norm durchgesetzt wird. Der Verweis auf den Mangel an Zeit oder die heute verbreitete Forderung stets ein freundliches, akzeptierendes Yes Set zu zeigen sind darunter die einfachsten Methoden.

In der Zugehörigkeit zu Gruppen und Organisationen bleibt das kollektive Mindset, die Organisationsentwicklung- oder Gruppenkultur nicht ohne Wirkung auf das individuelle – es treten Verstärkungen auf, auch Abschwächungen, Verschiebungen. Das kollektive hat oft die größere Durchsetzungskraft. Geht es darum in die Vorannahmen, die Glaubenssätze eines Individuums Bewegung zu bringen, dann müssen wir zwingend auch mit der sozialen Szene arbeiten, in der der Mensch lebt und arbeitet. Das Handeln des Einzelnen ist im hohen Maße von der Szene bestimmt, in die wir gesetzt sind oder wir uns gesetzt haben. Gruppen geben uns eine Szene und zugleich ein Skript, wie diese Szene gespielt werden soll. Wir suchen uns in dieser Dramaturgie die Nischen, die Rollen von denen wir denken, dass sie uns am ehesten einen guten Platz in der Gemeinschaft dieser Gruppe, dieser sozialen Organisation zu geben vermag. Dabei lassen wir unseren persönlichen Reichtum, oft ohne es zu merken, außen vor und nehmen der Gruppe zugleich ihr größtes Potential: die Differenz, die individuelle Perspektive.

Wir alle haben ein individuelles Vorverständnis, mit dem wir der Welt begegnen und das jeweils unser eigenes ist, und insofern wir immer Teil eines sozialen Systems sind, ein kollektives Vorverständnis, das wir mit anderen, unserer Gruppe teilen. Dabei ist das kollektive Mindset (Vorverständnis) oft dominant. Der Wunsch nach Zugehörigkeit und zugleich die Furcht und die Scham vor einer Ablehnung führen in die Anpassung. Dass wir dafür einen Preis zahlen, wird uns oft erst am Abend, im Alleinsein bewusst. (Daher ist es auch weiterhin wichtig, in Workshops zumindest einen Abend und eine Nacht zu planen, hier entstehen Impulse, die Bewegung auslösen können. Die stetige Verkürzung von Treffen, Trainings und Workshops sorgt mit dafür, die kollektive Norm durchzusetzen und damit Differenz auszuschließen.)

Kollektives und individuelles Mindset sind verschränkt. Sie bilden ein dynamisches System und haben dabei eine Tendenz hin zu einer beschränkenden Stabilität. Eine effektive Arbeit sowohl am individuellen als auch am kollektiven Mindset arbeitet an dieser Balance, öffnet Differenzen und macht so Bewegung möglich. Zunächst geht es dabei um eine Wahrnehmung der Szene, die eine Gruppe bereitstellt; dies lässt das Durchspielen von Varianten zu und sorgt damit dafür, dass Differenzen sichtbar und besprechbar werden. Schlüssel zur Veränderung ist dabei eine Öffnung des Ausdrucksraums der Gruppe, das Wahrnehmen von Rissen in den Bewertungen der Gruppe. Hier kann das Potential der Mitglieder in die Kommunikation der Gruppe eintreten und als Differenz wirksam werden. Das verlangt die Bereitschaft der Menschen, sich zu zeigen und ein Vertrauen zu entwickeln, dass alle Stimmen zählen und Unterschiede hier akzeptiert werden (Psychologische & emotionale Sicherheit). Zur Gruppendynamik gehört Vertrauen genauso wie die Bereitschaft zur Konfrontation. Wer in Organisationen für kulturelle Veränderung einsteht, der weiß, Nachhaltigkeit erzielen wir nur, wenn in einem Zugleich an beide Pole der Balance, der individuellen als auch der kollektiven, gearbeitet wird.

Ein Plädoyer für die Gruppendynamik also. Will man effektiv mit dem Konzept Mindset arbeiten, dann ist eine tiefe Vertrautheit mit der Dynamik von Gruppen, den gelebten Rollen innerhalb der Gruppen und ihre gegenseitige Einflussnahme unerlässlich.

Gruppendynamik ist mehr als ein moderiertes, geleitetes Gespräch. Es ist die Öffnung hin zum Reichtum individueller, diverser, mannigfaltiger Perspektiven.

Und zugleich der Weg immer wieder Entscheidungen treffen zu können, die der Kontingenz und Komplexität unserer heutigen Lebens- und Arbeitswelt gewachsen sind. Was dazu nötig ist beschreibt Wolfgang Hegewald: »(…) dass sich Kunst und Gesellschaft auf Differenz gründen, auf Neugier auf den Anderen und auf Sympathie für das, was ich nicht bin, auf Verwandlungslust, Takt und Distanz. Das mein Herz für meinen Kopf schlägt: eine erotische Erfahrung.«

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Rüdiger Müngersdorff
Der Artikel erschien ursprünglich auf www.myndleap.com
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Die stete Botschaft des Mangels – Du bist nicht gut genug

Arnold Gehlen beschrieb den Menschen als Mängelwesen und gab dieser Bestimmung eine positive Wendung. Die physische Unvollkommenheit des Menschen mündet in seine Fähigkeit, sich eine Lebenswelt zu gestalten, sozusagen Dominanz und Gestaltungsfähigkeit aus dem Mangel zu entwickeln. Diesem anthropologischen Gedanken steht die psychologische Bestimmung des Mangelkonzepts in der ontogenetischen Entwicklung des Menschen entgegen mit Botschaften, die vermitteln, dass das Individuum nicht gut genug ist. Hier bleibt es oft beim Mangel, ohne dass die Wendung zur Gestaltung, zu Bewältigung und Überwindung möglich wird. Die Mangelbotschaften führen zur Aufgabe, zum Zweifel, zum Aufgeben oder aber zu einem ewigen Kampf gegen die Kraft der frühen Botschaften.

Mangelbotschaften sind Teil der gesellschaftlichen Haltungen und spielen in den Familien eine große Rolle. Wenn man in biographischen Arbeitsschritten sich mit den erinnerten typischen Sprichworten beschäftigt, die Kinder und Jugendliche von den wichtigen Bezugspersonen oft, wieder und wieder gehört haben, dann wird deutlich, wie diese Botschaften zu Haltungen und Glaubenssätzen werden. Ob es heißt: Das Leben ist kein Ponyhof oder Qualität kommt von Qual oder harmloser klingend Ohne Fleiß kein Preis usw.; immer wird vermittelt – nicht gut genug, da muss noch mehr kommen, nimm dich zusammen. Die Welt wird nicht zum Ort des Erlebens, freudvollen Gestaltens, sondern zur immerwährenden Bewährungsprobe. Dem stehen auch immer wieder die Botschaften der Kraft, der Fülle, des Bewusstseins des eigenen Potentials gegenüber. Beides ist da – oft aber stimmt die Balance nicht.

Gerne wird in den häufigen Fällen der fehlenden Balance eine formelhafte positive Vorsatzbildung empfohlen – das greift aber deutlich zu kurz, auch wenn es bei Individuen durchaus eine positive, stabilisierende Wirkung haben kann.

In der Mindsetarbeit, wie sie von MyndLeap realisiert wird, geht es um das Phänomen der Verschränkung von Kultur, kollektivem Mindset und individuellem Mindset und deren Dynamik. Eine Arbeit, sie sich nur auf das Individuum und dessen Glaubenssätze konzentriert, verändert die Verschränkung zwischen Kulturbotschaften, die wie Normen wirken und den individuellen, entsprechenden Glaubenssätzen nicht.

Im günstigsten Fall weisen die Verschränkungen Differenzen auf, die Spielräume öffnen – so etabliert sich mit einem veränderten Narrativ zur Fehlern als Teil von Innovation die Perfektionsnorm in der das Individuum in der Spannung zwischen Ich kann das und ich bin nicht gut genug Gestaltungsraum gewinnt – allerdings steht dem Narrativ, Fehler sind Teil des Lernens und Wachsens noch dominierend stark das Narrativ entgegen: Fehler sind falsch, zu vermeiden und ein geradezu moralisches Versagen. Oft haben sie ((kollektive und individuelle Glaubenssätze) eine sich symmetrisch verstärkende Beziehung – was bei Glaubenssätzen, die eher Sicherheit, Gestaltungskönnen, Mut und Freude an der Herausforderung vermitteln in der gegenseitigen Verstärkung große Kraft entfalten kann. Genau andersherum jedoch, wenn die Mangelsätze sich gegenseitig aufschaukeln.

Wenn wir auf den Ursprung der Mindsetkonzeption zurückblicken, dann wird noch einmal sichtbar, dass es vor allem um spezifische Annahmen gegenüber der Welt geht, die sozialen Systemen zu eigen sind und der konkreten Erfahrung vorausgehen. Zuerst waren die sozialen Schichten im Blickfeld, dann auch die Frage, ob es typische nationale Mentalitäten gibt. Für uns steht heute die Frage im Vordergrund, welche Bedeutung hat die Mentalität oder das dominierende kollektive Mindset für das Engagement und die Leistungsfähigkeit von Mitarbeitenden in Unternehmen. Mag die individuelle Mindsetarbeit für einzelne Individuen eine erleichternde Wirkung haben und oft auch einen Weg aus einer Situation aufweisen können, die das eigene Mangelbewusstsein stabilisiert und verstärkt, so ist es für Unternehmen wichtig, sich dem kollektivem Mindset zuzuwenden. Hier liegt der Hebel für Veränderungen. Es gibt bewährte Methoden, die es erlauben mit Gruppen aber auch grösseren Organisationen so zu arbeiteten, das im ersten Schritt wahrnehmbar ist, wie das kollektive Mindset tickt und welche normativen Botschaften es setzt, in dem dann die jeweils individuellen Glaubenssätze wirken. Wenn die Verschränkungen sichtbar werden, kann ein Prozess beginnen, in dem andere Botschaften möglich werden und durch nachhaltige, achtsame Bewusstwerdung und Integration schrittweise wirksam werden. Kulturelle Muster etablieren sich durch Wiederholung, Vorleben und Nachahmung. Die Arbeit am kollektiven Mindset, die von MyndLeap gestaltet wird, führt vom Mangel- zum Potentialbewusstsein und somit zu einer Potentialkultur, wobei jeder Mensch selbst entscheiden darf, was aus diesem Potential wird.

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Der Artikel erschien ursprünglich auf www.myndleap.com
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