Diversity Management ist populär und hochmodern. Gender, Interkultur und Alter sind die Dimensionen, mit denen sich beschäftigt wird. Die Diversity-Kategorie »Sexuelle Identitäten« offen in Unternehmen anzusprechen, ist jedoch meist ein Tabu. Wir denken, das sollte sich ändern und haben im Juli 2015 ein Seminar zu diesem Thema durchgeführt.

Das Wort »sexuell« ist in Unternehmen verpönt, bei gleichzeitigem Anstieg sexualisierter Performanz von Geschlechterrollen in Kultur, Medien und Gesellschaft. Der öffentliche Diskurs ist weitestgehend heteronormativ, das gezeichnete Bild entspricht nicht der Realität. Zwar wird der Arbeitsplatz durchweg als asexueller Raum konstruiert, wie etwa Dominic Frohn in seiner Studie »Out im Office?!« (2007) darlegt, zugleich sind in der Berufswelt aber Heteronormativität, Heterosexismus und Homophobie in einem auffälligen Maß präsent. Das lähmt Menschen und macht unproduktiv.

Ein Unternehmen kann nur die Märkte verstehen und bedienen, die es nach Innen hin selbst abbildet. Warum sollte es gerade diese intime Dimension sein, mit der sich unternehmensintern und nach Außen hin präsentiert wird? Weil wir vielfältiger sind, als angenommen. Weil wir vielfältiger als nur hetero sind. Wer Vielfalt zulässt und sichtbar macht, hat mehr: Vielfalt ist Bedingung für die Innovationsfähigkeit von Unternehmen.

Es geht dabei nicht darum, das private Sexualleben zu beschreiben. Sondern vielmehr geht es darum, zu erkennen, dass die sexuelle Orientierung einen wesentlichen Teil der persönlichen Identität ausmacht und damit bedeutende Aspekte des Privatlebens betrifft. Kaum etwas wie die Dimension der sexuellen Orientierung prägt so tiefgreifend unser menschliches Dasein. Privat- und Berufsleben lassen sich unterscheiden, aber nicht trennen: Wer zentrale Aspekte seiner Persönlichkeit verbergen und verschleiern muss, weil es die Unternehmenskultur anders nicht zulässt, Sanktionen oder Karrierestopp drohen, unterdrückt sich und damit die eigene Handlungsfähigkeit. Etwa, zu erzählen, dass es der/die gleichgeschlechtliche Partner oder Partnerin ist, mit dem/der man in den Urlaub fährt oder am Wochenende eine Radtour unternommen hat.

Das Befassen mit Vielfalt bedeutet die Konfrontation mit sich und den Anderen. Das hat Skandalisierungspotenzial und kann Angst auslösen. Daher sollten Maßnahmen dosiert in ein Unternehmen eingeführt werden. Unser Ansatz ist, über Freiwilligkeit, emotionale Zugänge und Vernunft Menschen einzuladen, zu neuem Bewusstsein zu gelangen und ihre Aufmerksamkeit und Blicke zu öffnen für (möglichweise neue und fremde) Lebenswelten. Alternative Wege sind, O-Ton aus dem Seminar: »Wenn es anders nicht geht, dann muss zu radikalen Mitteln gegriffen werden und die Auseinandersetzung mit Vielfalt verpflichtend sein.«

Das Seminar begleitete unsere inneren Prozesse der Selbstreflektion, deckte Vorannahmen auf, löste eigene Blockaden und Bilder über die Anderen. Im weiteren Verlauf führte es zu Erkenntnissen über Handlungsspektren auf Management-Ebenen, indem es die Erschließung neuer Kundengruppen, Märkte und den Sinn einer Corporate Social Responsibility thematisierte.

Der CSD wirkte als Lernraum und ließ uns eine besondere Form der Zusammengehörigkeit, ein unfassbar starkes Wir-Gefühl, eine andere Mehrheit spüren. Die Euphorie übertrug sich, überwältigte uns und unsere Bilder, die eigenen Bilder über uns selbst und die Anderen.

Wie funktioniert »Diversity-Lernen« entlang der Kategorie »Sexuelle Identitäten«? Die eigenen Ängste, das Unverständnis und die Vorbehalte gegenüber anderen Lebensentwürfen dürfen und sollen formuliert werden, um dadurch ein Kennenlernen des anderen Menschen zu ermöglichen und gemeinsam einen kreativen Raum entstehen zu lassen. Was abstrakt klingt, ist in der Realität gar nicht so schwer herzustellen: Miteinander im Gespräch sein und sich gegenseitig Fragen stellen. Ein feiner Unterschied in der Formulierung gibt meiner GesprächspartnerIn Freiraum.

Ein Unternehmen, das auf der Suche nach einer Kultur der Kreativität, Innovation und Agilität ist, wird schnell merken, dass der Schlüssel für die Reise dahin der Grad der Freiheit und Akzeptanz unter den Mitarbeitenden ist. Diversität ist der Hebel für eine tiefgehende Kulturveränderung: Für das Unternehmen entsteht Systemflexibilität, eine anregende Atmosphäre, in der es durch erhöhte Kreativität im Team (weil Vielfältigkeit und Hetereogenität) zu weniger Fehlentscheidungen kommt. Allein aufgrund des demografischen Wandels müssen Unternehmen aus ökonomischer Sicht mit einer zukünftig diverseren Belegschaft »rechnen«.

Was das Thema also mit dem Arbeitsplatz zu tun hat, liegt auf der Hand. Menschen, die nicht zur (hetero-)Norm gehören, müssen sich häufiger als andere verstecken und einen wichtigen Teil ihrer Persönlichkeit verbergen und unterdrücken, weil sie ansonsten Ablehnung und Diskriminierungen zu befürchten haben. In seinem Buch Bemerkenswerte Vielfalt: Homosexualität und Diversity Management (2010) stellt Dr. Thomas Köllen aus wirtschaftswissenschaftlicher Sicht fest, wie sich in Betrieben ungerechte Machtachsen manifestieren, individuelle Wirkungsfähigkeiten lähmen und Potenziale schwächen. Daher ist es wichtig, die Diversity-Dimension »Sexuelle Identitäten« zu thematisieren. Mittlerweile erkennen immer mehr Menschen in Unternehmen, dass ein aufgeschlossener Umgang mit dieser Dimension besondere Motivation und Leistungsenergie freisetzen. Eine offene Unternehmenskultur bedeutet Attraktivität für neue Talente.

Im Seminar lernten wir voneinander, was es bedeutet, Anders zu sein, abzuweichen von der Mehrheit, mutig zu sein und individualistisch. Sexuelle Identitäten besprechbar zu machen, bedeutet, Fragen an die eigenen Identitäten und Zugehörigkeiten zuzulassen und sowohl klare Positionierungen zu akzeptieren als auch Uneindeutigkeiten und Ambiguität auszuhalten. Diversity-Lernen findet im echten Leben statt. Diversitykompetente Menschen sind bereichernd für Unternehmen.

Wir danken unseren PartnerInnen: anyway e.V., SCHLAu-Team, Eike Reinhardt und Daniel Goetz von agateno. Dieses Sommer-Seminar war weit mehr als ein buntes Event oder Tanz auf dem CSD-Vulkan. Es hat Bewusstsein für Menschen und ihre Lebenswelten geschaffen und ein Zeichen gesetzt, ins Innen und Außen. Wir bleiben dran.

Hanna Göhler