In vielen Organisationen sehe ich, dass Talent Management vor allem über Talentidentifikation und Prozessmanagement gelebt wird. Die Flexibilität, die in komplexen, agilen Umgebungen benötigt wird, kann über diese starren Modelle aber selten eingelöst werden. Will Talent Management Mitarbeiterpotenziale auch in neuen Organisationsformen fördern und zugänglich machen, muss es das alte lineare Denken und Handeln verlassen und wie das Business auch nicht-linear, agil und flexibel werden.
Entwicklungsorientierter Talentbegriff
Hilfreich erscheint mir hier die Einführung eines entwicklungsorientierten Talentbegriffs. Im Gegensatz zu einem statischen Talentbegriff stehen dabei Kategorien wie Talent oder High Potential nicht im Vordergrund. Ein entwicklungsorientierter Talentbegriff bezieht sich auf alle Mitarbeiter und Talentausprägungen, sozusagen auf die »power of the many« und nicht auf die »vital few«. Ein Weg, um in Unsicherheit und Dynamik durch eine Mobilisierung aller, der Verteilung von Risiko und einer experimentellen Haltung, leistungsfähig und innovativ zu sein.
Leistungs- und Potenzialunterschiede sollen nicht negiert werden, sondern als veränderlich in der Zeit als auch in der Situation verstanden werden. So zeigt die Stanford Professorin Dr. Carol Dweck anhand von Studien und Beispielen aus Unternehmen einen erstaunlichen Effekt: Allein die Überzeugung, dass Fähigkeiten auf Basis von Anstrengung und Erfahrungslernen grundsätzlich immer verbessert werden können, hat einen erstaunlich positiven Einfluss auf den individuellen Lernerfolg und schließlich auch auf den Unternehmenserfolg. Starre Kategorien bzgl. Talent oder Intelligenz führen eher zu Statusdenken und letztendlich Stillstand (Carol Dweck: Mindset. Changing the way you think to fulfill your potential).
Weiterhin bedeutet Entwicklungsorientierung auch das Talent Management in agilen Umgebungen weniger planbar und stärker iterativ ist. Der »Management«-Aspekt im Sinne von Steuerung tritt mehr in den Hintergrund und kann durch »Enabling« ersetzt werden. Talent Enabling beschreibt besser, dass Unternehmen ihre Mitarbeiter in die Lage versetzen, ihre Potenziale freizusetzen und für die Organisation zur Verfügung stellen.
Selbststorganisation im Talent Management
Im entwicklungsorientierten Talent Enabling sind Konzepte wie die Learning Agility (u.a. Center for Creative Leadership) hilfreich. Learning Agility umfasst Fähigkeiten wie den Status Quo in Frage zu stellen, Erfahrungslernen, Reflexion, Feedback und Risikobereitschaft. Aspekte, die überraschend deutlich an einen SCRUM Sprint erinnern. Starre Formate wie Karrierepfade haben hier wenig Platz. Nicht nur weil Karrierepfade in sich schnell drehenden Umgebungen mit fluiden Rollen wenig sinnvoll erscheinen, sondern vor allem weil agile Organisation von der Selbststeuerung und der intrinsischen Motivation der Mitarbeiter leben. Selbstorganisation heißt hier, Verantwortung für die Entwicklung an den Mitarbeiter zu geben ohne sich als Unternehmen und insbesondere als Führungskraft aus der Pflicht zu nehmen. Wenn Selbstorganisation im Sinne der Learning Agility heißt, dass Mitarbeiter Lernbedarfe identifizieren und durch Erfahrungslernen, Reflexion und Feedback ihre Fähigkeiten ausbauen, dann ist es Aufgabe der Führungskraft als Prozessbegleiter Impulse zu setzen, Feedback zu geben und aktiv Lernoptionen anzubieten. Und auch das Gesamtunternehmen braucht eine übergreifende Talentkultur, die jenseits von Rollenbeschreibungen und Organigrammen, Lernen, Ausprobieren (und damit auch Scheitern) und Reflexion des Mitarbeiters würdigt und fördert.
Talent Management in agilen Organisation braucht also neue Begriffe, Haltungen und eine Kultur, die nicht-lineare Entwicklung im Unternehmen aufgreift und integriert.
Anke Wolf
Wir freuen uns, dass wir gleichzeitig mit diesem Artikel eine unserer Associated Partner vorstellen dürfen: Anke Wolf von Anke Wolf Coaching & Consulting ist eine ausgewiesene Expertin für Talent Management und Leadership.