Es wird jetzt viel von Bildung gesprochen, von politischer Bildung, von Bildung allgemein und von Führungsbildung im besonderen. Blickt man jedoch auf die Bildungslandschaft von Unternehmen, dann ist da wenig Bildung zu finden. Was zu finden ist, ist vielmehr der Versuch, den reichen Schatz der Kulturen nach geeigneten Tricks und Methoden zur Performancesteigerung zu durchsuchen und auszubeuten. Es geht um Werkzeuge, die direkt umsetzbar sind und die einem möglichst messbaren Nutzen bringen. Nachvollziehbar, denn das entspricht der Logik unternehmerischer Systeme. Dabei wird das Potenzial von Kultur und Bildung leider verfehlt und die Methoden und Tricks verflachen wie jede Modewelle nach einiger Zeit.
In der Bildung geht es um das Vermögen der Distanznahme, mit der auf der Grundlage vieler zweckfrei gewonnener Erfahrung Reflexion und Differenzierung möglich wird, weil ein weiter Raum unterschiedlichster Perspektiven eingenommen werden kann. Bildung braucht Zeit, freie, entlastete Zeit und neben dem Mut zur Auseinandersetzung auch die innere Freiheit, sich auf den Reichtum der Kultur einzulassen und sich in seinen sicheren Denk- und Urteilsmodellen erschüttern zu lassen. Wo soll bei dem Performancedruck und des doch stetig ansteigenden Investments von Lebenszeit für eine Karriere die entlastete Zeit herkommen?
Es gibt solche Zeitflecken in der Unternehmenswelt – sie wurden früher mal Seminare genannt und sind heute Trainings. Leider werden sie mehr und mehr zu Trainings, zu Räumen der Vermittlung der Techniken, von denen sich Trainingsstrategen unter dem Druck der eigenen Führung schnellen Nutzen versprechen. So wird Empathie zu einer psychologischen Technik, einem Führungsinstrument, um den eigenen Führungswillen besser durchzusetzen und Leistungssteigerungen beim Mitarbeiter zu erzielen. Narzissten, und sie stellen eine Mehrheit in den Führungsriegen, verstehen sich gut darauf, Empathie als Mittel einzusetzen. Würden wir uns um Bildung kümmern, dann würden wir anstatt von Empathie von Compassion sprechen und sehr schnell erkennen, dass diese nur möglich ist, wenn Menschen in einem weiten Horizont von Verständnissen der menschlichen Möglichkeiten leben und dies nicht nur wissen, wie ein Speichermedium etwas weiß, sondern als Erfahrung gewonnen haben – also etwas haben, das man früher Herzensbildung genannt hat.
Darüber mit Trainingsspezialisten, die selber unter Performancedruck stehen, zu sprechen, führt dann häufig zu Ergebnissen wie: Kann man das auch in zwei Tagen machen? Oder können wir es nicht durch blended learning gestalten? Wiederum sehr verständlich in der leitenden Unternehmenslogik, aber sicher nicht sehr klug. Oft wird vergessen, wie wesentlich für Bildungserlebnisse die Begegnung mit Menschen ist und oft mit einem Lehrer, der mit seinem Herzen für die Bildungsinhalte steht. In Indien gibt es noch das Wissen, dass es eines Gurus bedarf, wenn man Menschen die Möglichkeit gibt, auf dem Weg der Bildung zu wachsen und so ohne den Zweckkurzschluss am Ende doch bessere Führungskräfte zu werden. Für Bildung bleibt Schillers ästhetische Erziehung der Schlüsseltext und sein Votum für das zweckfreie Spiel der Königsweg zu einer Bildungsreise.
Rüdiger Müngersdorff