Die Zeiten, in denen man Coworking und vor allem Coworking Spaces ausschließlich mit der Berliner Arbeitswelt in Verbindung brachte, sind schon lange vorbei. Das Konzept, Freelancer und kleine Arbeitsgemeinschaften zusammenzuführen, ihnen – je nach Bedarf – gemeinsam nutzbare Räumlichkeiten und IT-Infrastrukturen zu bieten und damit auch neue Möglichkeiten der Zusammenarbeit, hat sich in den vergangenen Jahren vielerorts etabliert. Nach Informationen des Coworking-Magazins deskmag arbeiten allein in Deutschland gegenwärtig ca. 11.000 Personen in 300 verschiedenen Coworking Spaces.

Vom 07. bis 09. Februar 2014 trafen sich Experten, Vertreter und Interessierte der Coworking-Szene in Wolfsburg zur Cowork 2014, der Coworking Konferenz Deutschland, um sich zu informieren, auszutauschen und zu diskutieren. SYNNECTA sprach aus diesem Anlass mit Christian Cordes, dem Organisator der Cowork 2014 und Leiter des Wolfsburger Coworking Spaces »Schiller 40«.


 

Herr Cordes, warum ist Coworking eine Arbeitsform mit Zukunft?

Christian Cordes: Coworking ist deshalb eine Arbeitsform der Zukunft, weil es die unterschiedlichen Kompetenzen, Ideen und Visionen des Einzelnen mit den Stärken von vielen anderen an einem Ort zusammenbringt und synchronisiert. In einem Coworking Space kann jeder Freiberufler oder Freelancer, ob Fotograf, Webdesigner oder Autor, arbeiten. Er hat hier die Möglichkeit, seine eigenen Ressourcen mit einzubringen und – zusätzlich zu den technischen Ressourcen, die ein Coworking Space beinhaltet – sich auf die individuellen Kompetenzen der Anderen zu verlassen bzw. sich dessen zu bedienen, wenn das Interesse beidseitig besteht. Aus diesem erweiterten Fokus heraus können Projekte, Prozesse und Ähnliches kreativer gedeihen. Es gibt mehr Sichtweisen auf die Dinge. Insgesamt, so hat man in verschiedenen Studien festgestellt, macht dieses gemeinschaftliche Arbeiten den Einzelnen produktiver.

Die Vorteile von Coworking Spaces für Freiberufler liegen auf der Hand: Nutzung von Synergien, bessere Arbeitsbedingungen usw. Inwieweit sind Coworking Spaces auch identitätsstiftend?

Coworking Spaces sind ein Schmelztiegel der unterschiedlichsten Berufe, Ansichten, Visionen und Professionen, in dem gemeinsam Projekte erarbeitet werden und das Identitätsstiftende aus der Gruppe heraus entsteht. Coworker identifizieren sich mit ihrer Einrichtung, also dem jeweiligen Coworking Space, und tragen dies auch nach außen. Ich erkläre es gerne so: Coworker in einem Coworking Space haben etwas von einer Arbeitsgemeinschaft. Es ist keine Zweckehe. Sie kommen ja ganz bewusst und freiwillig in den Coworking Space, weil dieser Ort ihnen mit seinen Inspirationen, seinen Möglichkeiten und seinen unterschiedlichen Nutzern hilft, sich selbst und die eigenen Projekte weiter nach vorne zu bringen.

Ist diese Beschreibung in der Realität zutreffend oder doch eher ein Ideal, das man gerne erreichen möchte?

Sowohl als auch. Ein Coworking Space lebt von seinen Bewohnern und die können sehr unterschiedlich sein. Der ideale Coworker ist eher ein extrovertierter als ein introvertierter Mensch. Er ist äußerst kommunikativ und interessiert sich für die Gemeinschaft. Menschen, die anders gestrickt sind, die eher introvertiert sind und weniger die Gemeinschaft suchen, sondern ein einzelnes Büro haben wollen, um sich von der Außenwelt abschotten zu können, sind in einem Coworking Space falsch. Coworking ist eher etwas für Leute, die im Team kreativ sind, die den Austausch mit anderen Kreativen brauchen, um sich selbst und ihre Aufgabe weiterzuentwickeln. Hier liegen die unschätzbaren Vorteile, die ein Coworking Space bieten kann.

Jetzt haben wir über die Vorteile für Freiberufler gesprochen. Welche Vorteile können Unternehmen aus der Zusammenarbeit mit Coworking Spaces ziehen?

Zunächst einmal haben Unternehmen mit Coworking Spaces einen Anlaufpunkt in den zentralen Lagen der Städte, wo sie – wie schon gesagt – verschiedenste Professionen finden und damit möglicherweise auch jemanden, der für ihre speziellen Probleme passende Lösungen bietet. Das ist aber nur ein Aspekt, die Dienstleistungsebene ansprechend. Der zweite Punkt: Coworking Spaces sind mit ihrem Design und ihrer internen Unternehmenskultur ein ungemein inspirierender Ort. Sie bieten Unternehmen Raum für Workshops und Prozessentwicklungen und sind ein guter Nährboden, wenn es darum geht, mit Außenstehenden über ihre Themen zu sprechen, sich auszutauschen und den Horizont für das eigene Projekt zu erweitern. Darüber hinaus können nicht nur Freiberufler, sondern auch Unternehmen in einem Coworking Space zeitweise Arbeitsplätze mieten und so auch den eigenen Mitarbeitern neue Freiräume verschaffen, ihre Kreativität fördern, sie einfach mal inspirierend in einem anderen Umfeld arbeiten lassen. Dass große Unternehmen in Deutschland ihre Projekte und Projektteams auslagern und in Coworking Spaces unterbringen, ist nicht so selten, weil sie die Urbanität, das Kreative und Andersartige von Coworking Spaces lieben. Und natürlich wissen auch ihre Mitarbeiter diese Atmosphäre zu schätzen, versus einer relativ nüchternen, klassischen Bürosituation.

Wie kann man sich den Alltag in einem Coworking Space vorstellen?

Es gibt wie in jedem Beruf oder in jeder Firma gewisse Rituale. Ob es der Morgenkaffee ist, man mittags gemeinsam die Pizzakarte wälzt oder in kleineren Gruppen ein Arbeitsessen plant: Diese Dinge haben sich in unserem Coworking Space in Wolfsburg bereits eingespielt. Wir haben zudem regelmäßig eine Bewohnerkonferenz, bei der wir mit allen Beteiligten aktuelle Themen diskutieren. Wir führen gemeinsam Veranstaltungen durch und laden immer wieder Referenten ein, die uns neuen Input geben. Das ist unsere Kultur und so gewollt. Selbstverständlich gibt es auch die Phasen, in denen jeder für sich arbeitet. Man erkennt dies in einem Coworking Space immer daran, dass einige Coworker ihre Kopfhörer aufhaben. Das ist dann das Zeichen: »Ich möchte nicht gestört werden. Ich bin in der Arbeit vertieft und daher gerade nicht offen für andere Sachen.« Sind die Kopfhörer unten, entstehen im alltäglichen Kontext Gemeinschaft und Synergien.

Welches sonst nicht zu hebende Potenzial wird in der Arbeitsform Coworking geweckt?

Für Menschen, die Gemeinschaft brauchen, die gewohnt sind, in Gemeinschaft zu arbeiten, und die für sich selber feststellen, dass sie in der Gemeinschaft kreativer und produktiver sind, ist ein Coworking Space ein enormer Katalysator und Beschleuniger. Denn ich kann mit ganz unterschiedlichen Menschen, ihren unterschiedlichen Sichtweisen und Erfahrungen mein persönliches Thema beleuchten und herausfinden, wo ich etwas verändern muss und verbessern kann.

In Unternehmen ist dies nicht möglich?

In vielen Unternehmen kennt man ja die Strukturen und Muster der Kollegen. Da weiß man, das ist der Bedenkenträger, das ist der Innovationsverhinderer und das ist vielleicht derjenige, der sofort auf die Zahlen schaut. In einem Coworking Space arbeite ich mit Menschen zusammen, die in diesem Moment nicht an die Verhältnisse in den Unternehmen gebunden sind und daher ganz anders an Fragestellungen herangehen, und sei es nur temporär, also für die Zeit, die sie sich im Coworking Space eingemietet haben, eine Woche, einen Monat, zwei Monate … Ich glaube jedenfalls, das macht es am Ende aus: dieser Wechsel von Örtlichkeit, Menschen, Teams, und eben auch diese Multiprofessionalität. Das alles tut einem Unternehmen gut.

Unterscheiden sich die einzelnen Coworking Spaces in Deutschland in ihrer Arbeit und Funktionsweise oder läuft Coworking überall nach dem gleichen Muster ab?

Natürlich gibt es Unterschiede zwischen den Coworking Spaces. Einige Sachen haben sich als Best-Practice-Modelle herausgestellt, z. B. das Coworking-Frühstück oder was ein Space an technischer Infrastruktur für Freelancer benötigt. Viele Spaces verfügen außerdem über einen Produktionsbereich, wo gerade das Thema 3-D-Drucken ein wichtiges ist. Kurzum: Es gibt viele Gemeinsamkeiten. Ansonsten hat jedes Coworking Space seine eigene Handschrift, die sich unter anderem in der Innengestaltung zeigt. Und vieles hängt ja auch von den Nutzergruppen ab. Sind es IT-Unternehmen, die sich eingemietet haben, oder kommen die Nutzer eher aus dem geisteswissenschaftlichen Bereich? Dadurch gibt es logischerweise große Unterschiede zwischen den Coworking Spaces.

Kann Coworking eine Arbeitsform sein, die neuen Organisationsformen Vorteile bringt?

Wenn ein Unternehmen in seiner Arbeitsstruktur und Personalpolitik über entsprechende Freiräume verfügt, kann ein Coworking Space eine wunderbare Ergänzung sein, um die Kreativität und Entwicklung der Mitarbeiter zu fördern. Allerdings: Coworking muss man persönlich wollen. Man muss sich dabei wohlfühlen und der Überzeugung sein, dass es einem etwas bringt. Wenn einem der Arbeitgeber die Freiheit gibt, kann das ein gutes Joint Venture, ein gutes Gemeinschaftsprodukt sein. Wenn man andererseits in einer klassischen Behörde oder Verwaltung tätig ist und nicht in Projekten oder Projektteams arbeitet, gestaltet sich Coworking eher schwierig. Ich glaube nicht, dass jeder Beruf in einem Coworking Space ausgeübt werden kann. Das Beste ist immer: Hingehen, Anschauen, Ausprobieren! Wenn man danach feststellt, Coworking ist eine Lösung, sollte man sich näher damit befassen und prüfen, wie man dieses Arbeitsmodell in ein Unternehmen eingliedern und umsetzen kann.

Bei der Cowork 2014 wurde vielfach beklagt, dass Coworking Spaces – vielleicht mit Ausnahme des »Schiller 40« in Wolfsburg, wo eine solvente Stadt involviert ist – finanziell nicht oder noch nicht tragfähig seien. Wie kann man das ändern? Wird sich die wirtschaftliche Situation von Coworking Spaces in naher Zukunft verbessern?

Meine persönliche Meinung ist: Coworking ist grundsätzlich kein Geschäftsmodell. Man kann mit einem Coworking Space schwerlich alle anfallenden Kosten abdecken. Miete, Nebenkosten, Investitionen, Personal. Das alles zu finanzieren, kann man nur über Veranstaltungen, einem Cafébetrieb und über die Vermietung von Arbeitsplätzen erreichen. Setzt man die Preise für Letzteres zu hoch, wird es für Freelancer uninteressant, sein Home Office aufzugeben und sich in einem Coworking Space niederzulassen. Das heißt, man muss sehr genau schauen, an welchem Rad man dreht. Eine Finanzierung kann gelingen, wenn Unternehmen größere Bereiche in einem Coworking Space mieten oder einige ihrer Veranstaltungen dorthin verlagern. Das sind zwei Möglichkeiten, die in einigen Spaces schon praktiziert werden. Es gibt noch andere Lösungen. In Hannover zum Beispiel hat der TUI-Konzern einen eigenen Coworking Space gegründet, wo er eigene Mitarbeiter und Freelancer zusammenführt. Das ist natürlich auch eine Option. Doch wo die Reise hingeht, muss man abwarten. Die Szene ist noch so jung und entwickelt sich quirlig weiter.

Interview: Holger Reichard
Fotos: © Günter Poley