Politik als treibende Kraft in Unternehmen – ein Thema, das Unternehmen in der Regel zurückweisen. Sie akzeptieren Konzepte der Mikropolitik, die eher auf Karriere abheben und mehr oder weniger das Einflussgefüge in Netzwerken beschreiben. Aber politische Konzepte zur Beschreibung des eigenen Unternehmens und zur Konzeption von Veränderungen, das lehnen Unternehmen ab. Politik ist für die meisten Unternehmen irrational – und sie bestehen darauf, dass das eigene Unternehmen Gesetzen der Rationalität und Logik folgt. Emotionale Aspekte sind eher Störgeräusche und Barrieren, die es mit ebenfalls rationalen Methoden einzudämmen gilt. So wird zum Beispiel Empathie zu einem Führungsinstrument und in Seminaren als Methode trainiert.

Blickt man jedoch auf die Organisationsveränderungen, die mit dem Thema Agilität einhergehen, analysiert man die sich in Richtung Beziehungskompetenz entwickelnden Führungsleitlinien und schaut man auf die Überlegungen zu einer mehr demokratischen Legitimierung von Hierarchie, dann wird deutlich, dass genuin politische Konzepte in der Organisationsentwicklung ihren Platz haben sollten.
Ausgehend von einer soziologisch-politischen Analyse von Didier Eribon übertragen wir eine politische Frage auf die Situation in Unternehmen:

Eribon: »Wir stehen damit vor der Frage, wer das Recht hat, das Wort zu ergreifen, und wer auf welche Weise an welchen politischen Entscheidungsprozessen teilnimmt – und zwar nicht nur am Erarbeiten von Lösungen, sondern bereits an der kollektiven Diskussion darüber, welche Fragen überhaupt legitim sind und daher in Angriff genommen werden sollten. Wenn die Linke sich als unfähig erweist, einen Resonanzraum zu organisieren, wo solche Fragen diskutiert und wo Sehnsüchte und Energien investiert werden können, dann ziehen Rechte und Rechtsradikale diese Sehnsüchte und Energien auf sich.« (Diedier Eribon, Rückkehr nach Reims, Berlin 2016)

Umformuliert und auf die Situation von Unternehmen bezogen, würde der Satz wie folgt lauten (Änderungen kursiv): Wir stehen damit vor der Frage, wer das Recht hat, das Wort zu ergreifen, und wer auf welche Weise an welchen unternehmerischen Entscheidungsprozessen teilnimmt – und zwar nicht nur am Erarbeiten von Lösungen, sondern bereits an der kollektiven Diskussion darüber, welche Fragen überhaupt legitim sind und daher in Angriff genommen werden sollten. Wenn die Hierarchien sich als unfähig erweisen, einen Resonanzraum zu organisieren, wo solche Fragen diskutiert und wo Sehnsüchte und Energien investiert werden können, dann ziehen unternehmensfremde Kräfte diese Sehnsüchte und Energien auf sich.

Wer wirklich engagierte Mitarbeiter_innen gewinnen möchte und wer das Potenzial der Diversität heben möchte, kommt an der Beantwortung dieser genuin politischen Frage nicht vorbei. In der Organisationsentwicklung sehen wir nur dann kulturelle Veränderungen, wenn Mitarbeiter_innen in diesem Entwicklungsprozess das Unternehmen zu ihrem Unternehmen machen können.

Rüdiger Müngersdorff