»Fortschrittsglaube prägte das 18. Jahrhundert. Um Evolution ging es im 19. Jahrhundert. Das 20. Jahrhundert glaubte zunächst an die Idee von Wachstum und später an Innovation. Diskontinuität (engl. Disruption) ist das Schlüsselwort für unsere Ära – was zwar futuristisch klingt, eigentlich aber ein Atavismus ist. Es ist ein Geschichtsbild, das auf Angst basiert: Angst vor dem Kollaps des Finanzsystems, Angst vor globaler Zerstörung, das Ganze untermalt von erschütternden Belegen.«

In ihrem Artikel »The Disruptive Machine« im New Yorker beschäftigt sich Jill Lepore mit dem Hype um das Thema »Disruption« und legt dar, was ihrer Meinung nach falsch ist an Clayton M. Christensens Modell der »disruptiven Innovationen« (dargelegt in seinem Buch »The Innovators Dilemma: Warum etablierte Unternehmen den Wettbewerb um bahnbrechende Innovationen verlieren«).

Diese Diskussion ist wichtig. Werden disruptive Innovationen jede Organisation radikal verändern und jedes Unternehmen zerstören, das sich nicht verändert (disruptiv und radikal)? Wird dies wirklich geschehen?

Vielleicht vermischt Jill Lepore die derzeit zu beobachtenden apokalyptischen Tendenzen in der Diskussion um die Zukunft unserer Gesellschaft mit jenen Diskussionen um die Entwicklung unserer Wirtschaftsunternehmen, Märkte und Wettbewerber. Wir können derzeit beobachten, wie verunsichert traditionelle Unternehmen sind, wenn sie bemerken, dass ihre üblichen Planungs- und Strategieansätze scheitern. Dies ist kein Atavismus – das ist die Realität.

Und es ist nicht apokalyptisch. Es ist ein Versuch, sich für die Zukunft zu wappnen. Denn wahr ist: In Zeiten gravierenden, disruptiven Wandels gibt es mehr Verlierer als Gewinner und das Risiko ist hoch. Wie gelingt die Balance zwischen Kontinuität und Diskontinuität? Und wie kann ein traditionelles Unternehmen mit all seinen Stärken und Erfolgen die Diskontinuität »umarmen« und integrieren? Es ist sehr inspirierend, sich aktuell mit diesen fordernden und herausfordernden Themen im Feld der Organisationsentwicklung zu beschäftigen.

Rüdiger Müngersdorff