Ich konnte mich noch an die Bienen erinnern. Ich weiß noch, wie ich sie im Frühjahr zwischen Blutwurz, gelbem Geißbart und Sumpfdotterblumen im Graben hinter dem Haus meiner Großmutter gesehen habe – glücklich, emsig, leicht pelzig und so was von zum Aussterben verurteilt. Dann hatten sie angefangen, ihre Bienenstöcke zu verlassen, und bevor überhaupt Zeit gewesen war, den Grund dafür herauszufinden, waren sie alle verschwunden. Handys? Genmanipuliertes Getreide? Ein Virus? Chemikalien? Ich weiß noch, wie bestürzt ich war – genau wie die meisten Kinder.

Fünf Menschen, verteilt über die ganze Welt, von Neuseeland über Paris bis Sri Lanka, werden von Bienen gestochen. Eigentlich nichts Ungewöhnliches, wären die Bienen in diesem Roman nicht seit Jahren ausgestorben. Kurz darauf werden die fünf Betroffenen von Männern mit Schutzanzügen in Hubschrauber geschaffft und in sterile Unterkünfte an einem unbekannten Ort verschleppt. Man untersucht sie gründlich, um herauszufinden, was sie für die Bienen so anziehend gemacht hat. Doch es finden sich keine Gemeinsamkeiten. Nach der Untersuchung werden die fünf in ihr normales Leben entlassen, das plötzlich gar nicht mehr so normal ist, weil sie wie Superstars behandelt werden. Zunächst genießen sie die Popularität, doch dann werden sie erneut verschleppt und auf eine abgelegene Insel vor der kanadischen Westküste gebracht, wo das letzte Bienenvolk lebt.

Wir befinden uns in einem SF-Thriller von Douglas Coupland, dem Autor, der vor rund zwanzig Jahren mit seinem gleichnamigen Buch den Begriff »Generation X« prägte. Deshalb sollte man auch nicht einen Wissenschaftsthriller im Stil von Michael Crichton erwarten, sondern etwas … nun ja, völlig anderes.

Da wären zunächst einmal die fünf Protagonisten: Die Kanadierin Diane wurde nach der Prinzessin der Herzen benannt und leidet am Tourette-Syndrom. Der Franzose Julien hat nach einem 114-tägigen World-of-Warcraft-Marathon plötzlich seinen Avatar verloren. Die Neuseeländerin Samantha macht per GPS Erdsandwichbilder und bekommt von ihren Eltern mitgeteilt, dass diese von ihrem Glauben abgefallen seien. Der Amerikaner Zack ist Sohn eines Drogenkochs und arbeitet als Mähdrescherfahrer in Utah. Harj, Callcenter-Mitarbeiter auf Sri Lanka, der seine gesamte Familie durch den Tsunami verloren hat und nebenbei im Internet Tonaufnahmen aus den verlassenen Wohnungen von Prominenten wie Mick Jagger, Cameron Diaz oder Lou Reed vertreibt.

Jede dieser recht ungewöhnlichen Personen erzählt ihr Kapitel aus der Ich-Perspektive. Anfangs schreckt es etwas ab, fünf Ich-Erzählern zu folgen, doch Coupland schafft es, jedem seine eigene Stimme zu geben.

Die Helden versuchen sich nicht an der Lösung des Problems, zumal auch keiner von ihnen über die entsprechende wissenschaftliche Ausbildung verfügt. Ihr Gastgeber, der geheimnisvolle Serge, fordert sie stattdessen auf, sich Gesichten auszudenken. Zunächst eine völlig sinnlose Tätigkeit, deren Zweck sich erst kurz vor Schluss erschließt. Für den Leser allerdings ein sehr angenehmer Zeitvertreib, weil einige dieser sehr kurzen Kurzgeschichten, wahre Perlen sind:

Eine Woche später entschied Stella, dass sie alles satt hatte, und sie begann, sich in ein frühes Grab zu trinken. Sie leistete darin bemerkenswert gute Arbeit und wälzte sich schon bald am Rand der Hauptstraße auf dem Boden, ganz in der Nähe der Radarfalle, der größten Einnahmequelle des Ortes.

»Generation A«, der Begriff stammt aus einer Rede von Kurt Vonnegut, ist ein ungewöhnliches Buch, das die Lesererwartung meist unterläuft, aber gerade deshalb so fasziniert. Es ist nicht die SF-Handlung oder das Schicksal der Bienen, das den Leser fesselt, sondern das genaue Abbild einer Generation, die gerade im Entstehen ist. Für die das Internet ein völlig selbstverständliches und alltägliches Medium ist, statt ein exotisches Werkzeug für Computerfetischisten.

Und wie Douglas Coupland sie schildert, das macht ihm so schnell keiner nach. Sein Stil ist mitreißend und unterhaltsam, seine Figuren sind, bei aller Überzogenheit, interessant und oft liebenswert. In der Vergangenheit wurde er oft zu unrecht als Zeitgeist-Schreiber gehandelt, der nur Trends auflistet. Doch spätestens seit »Alle Familien sind verkorkst« schreibt er ein brillantes Buch nach dem anderen. Bei diesem Autor kann man inzwischen blind zugreifen. Das reine Vergnügen.

Douglas Coupland: Generation A
Deutsch von Clara Drechsler & Harald Hellmann | Tropen bei Klett-Cotta 2010 | 330 Seiten

Andreas Zwengel