Es wird viel geschrieben, einiges gemacht. Es ist heute geradezu rufschädigend, sich nicht an Diversity-Initiativen zu beteiligen und zu berichten, wie weit man schon gekommen ist. Das Thema Demokratisierung der Unternehmen ist dagegen noch mehr ein Feld für Organisationsentwickler und Konferenzen. Dabei adressieren beide das zentrale Problem für eine zeitgemäße Organisationsentwicklung: Wie gelingt es, das eigentliche Problem: die gesellschaftlich bestimmte Verteilung von Privilegien sichtbar und besprechbar werden zu lassen und sie schließlich, im idealen Fall, zu nivellieren?

Erfahrungen mit aktionssoziometrisch gestalteten Privilegien-Tests in Unternehmen zeigen, wie hoch der Verletzungsgrad durch die Transparenz der unterschiedlichen Verteilung sozialer Privilegien ist, besonders auch für die, die im oberen Viertel der Privilegierten sich wiederfinden. Es ist so nicht leicht, dieses eigentliche Hintergrundproblem der Themen Diversität und Demokratisierung anzusprechen und so ja zugleich eine Ungerechtigkeit und Ungleichheit der Gesellschaft, die hier sichtbar in das Unternehmen hereinragt, zu thematisieren.

Für beide Zukunftsaufgaben der Unternehmensentwicklung lohnt es sich, mit der Leitfrage zu arbeiten: Wer darf hier sprechen? Wer wird gehört? Es entwickelt sich schnell eine soziale Karte derjenigen, die Gehör finden und damit bestimmen, wie das Unternehmen denkt, entscheidet und handelt. Und so lässt sich ein Beginn setzen, für eine schrittweise Veränderung von Zugangsbedingungen zur Teilnahme an den Gremien, Gesprächen und Treffen, in denen das Unternehmen sich steuert.

Wenn mehr und andere sprechen dürfen und können, Ihnen Gehör geschenkt wird, dann erst machen wir einen grundlegenden Schritt bei der »Inklusion« und der Demokratisierung der Unternehmen. Ach ja, die Frage: Ist das denn für den eigentlichen Unternehmenszweck, den wirtschaftlichen Erfolg, wichtig? Ja, denn je mehr wir erfahren, dass die Richtigkeit der Prognosen von privilegierten Kreisen dramatisch nachlässt, desto mehr brauchen Unternehmen die Stimmen der Märkte, die Stimmen der Gesellschaft und deren Bedürfnisse im eigenen Unternehmen, und das nicht als stumme Schar von Mitarbeitern, sondern als lebendigen Teil in der Unternehmenssteuerung. Wir @synnecta haben das den soziologischen turn der Organisationsentwicklung genannt.

Rüdiger Müngersdorff
Foto: Nathalia Gomez by unsplash.com