»Es gibt hier keine Utopie, sondern nur die Gegenwart.«
(Karel Čapek über seinen Roman »Der Krieg mit den Molchen«)
Mit Karel Čapeks Buch »Der Krieg mit den Molchen« legte die Edition Büchergilde im vergangenen Herbst nicht nur einen Klassiker der tschechischen Literatur, sondern auch ein Juwel der Buchgestaltung wieder auf. Der 1936 erschienene apokalyptische Roman in Form einer parodistischen Materialsammlung bedient nahezu alle Textsorten. Im Aufbau Verlag erschien dieses Novum 1987 mit den Illustrationen von Hans Ticha. Kurze Zeit später nahm die Büchergilde den Titel in Lizenz. Nun liegt dem Leser das Kultbuch als Reprint vor.
In Čapeks Roman werden der menschlichen Gesellschaft Profitgier und Größenwahn zum Verhängnis. Das selbst geschaffene Unheil ist nicht mehr reparabel. Dieses Muster ist so aktuell wie kein anderes.
Vor Sumatra entdeckt Kapitän van Toch eine unbekannte Molchart, die den Menschen ähnlich ist. Schnell entwickeln sich die sprachbegabten Riesenmolche zum globalen Wirtschaftsfaktor. Manager sind schon in den Startlöchern; bereit, das Geschäft ihres Lebens zu machen. Ein riesiges Molchsyndikat wächst heran. Die Tiere werden als billige Arbeitssklaven missbraucht und bescheren der Menschheit binnen kürzester Zeit einen bis dahin nicht gekannten Fortschritt.
Mit technischem Sachverstand und im Konkurrenzwahn der Staaten bis an die Zähne bewaffnet wenden sich die Molche am Ende gegen ihre Ausbeuter. Fordernd quäkt die Stimme des Chief Salamander durch den Äther nach neuem Lebensraum für seine Artgenossen. Für das Gipfeltreffen in Vaduz werden Wannen mit Meerwasser für die Molchvertreter bereitgestellt. Doch an ihrer Stelle verhandeln drei mit allen Wassern gewaschene Anwälte. Wem nützt der Rechtsbeistand in der selbst herbeigeführten Katastrophe?
Da stürzen sie auch schon ein, die Twin-Towers, folgen ein sinnloser Krieg, sinnloser Terror, bei dem auf der ganzen Welt unschuldige Menschen sterben … Pardon: Die Molche sprengen eine Küste nach der anderen und präparieren Ufer um Ufer für ihre Seichtgebiete.
Karel Čapek beschreibt mit wissenschaftlicher Genauigkeit, wie Molche im Dienste der Forschung lebend seziert werden. Da muten die Bibeln auf wasserfestem Papier, die dem Seelenheil der Unterwassersklaven dienen sollen, höchst larmoyant an. Dem Leser wird heiß und kalt ob der Suggestionskraft des lebendigen Čapekschen Jargons, der sich allzeit stilgerecht durch Börsenberichte, Abhandlungen und zoologischen Aufsätze zieht. Brillant hält Čapek der eigenen Dummheit, Ängsten, Vorurteilen und Ansprüchen einen Spiegel vor. Nicht nur der Egoismus der einzelnen Länder und der Größenwahn der Konzerne werden aufs Korn genommen, auch Herr Povondra als »kleiner Mann«, der glaubt, dass nur die anderen untergehen werden, bekommt sein Fett weg.
Der Autor selbst hält sich diskret zurück. Im Vordergrund steht der Triumph der Molche – die uns allzu sehr ähnlich gewordenen Tiere im Wahn unserer ureigenen Möglichkeiten: Poesie, Vorstellungskraft und Idealismus. Karel Čapek setzt sich in seinem Roman mit dem politischen Damoklesschwert seiner Zeit auseinander: Nationalismus, Rassenwahn, Kommunismus. Wer hätte gedacht, dass es (neu geschärft) immer noch über uns schwebt.
Hans Ticha unterstreicht mit seinen einzigartigen Illustrationen die unheimliche Aktualität von Čapeks Groteske. Herrlich, wie seine kunstfertige Typographie das förmliche Erscheinungsbild der Texte provoziert. Tichas zeitlose, klare Bildaussagen werden durch die unterschiedlichsten Stilrichtungen seiner Illustrationen gewürzt. Da finden sich Pop-Art-Zitate neben scheinbar wissenschaftlichen Zeichnungen auf braunem Fond. Bildrasterpunkte manipulieren dem Betrachter gedruckten Quellen. Sprechblasen erinnern an gar an einen Comic.
Bis zum bitteren Ende bleibt der Leser nicht nur in der apokalyptischen Szenerie des Weltuntergangs, sondern auch in der Virtuosität der so genialen Illustrationen gefangen.
Karel Čapek, Hans Ticha: Der Krieg mit den Molchen
Edition Büchergilde 2016 | 336 Seiten
Renate Bojanowski