Auch wenn das Gespräch über »Purpose« in einer Zeit, in der Unternehmen existentiell gefährdet sind, in den Hintergrund tritt und damit der wirtschaftsimmanente Zweck der Werterhaltung, wenn schon nicht Wertsteigerung dominant wird, lohnt es sich dennoch einen genaueren Blick auf die Genealogie und den Zweck des Purposekonzeptes zu werfen.

Purpose soll ein Unternehmen haben, das heißt, von Unternehmen wird gefordert, unabhängig von einem unternehmensimmanenten Gewinnstreben eine Aufgabe, eine Mission zu haben, die über den Egoismus in der Vertretung von Eigeninteressen hinausreicht. Dieser übergeordnete Zweck wird als Schritt hin zur Gesellschaft und zu deren Bedürfnissen verstanden. In dieser Bewegung, dem Unternehmen einen über seinen eigenen Systeminteressen hinausgehenden übergeordneten Sinn zu geben, stehen zwei Aspekte im Vordergrund.

  1. Nach der Ablösung des die Motivationskonzepte bestimmenden Modells vom Mitarbeiter als einem Ego-Maximizer und der breiteren Sicht auf Lebensqualität, werden neue Bindungsformen und neue Performancetreiber gesucht. Die klassischen Karrierepfade und Incentives scheinen nicht mehr zu funktionieren, werden sogar, wenn man auf Performance sieht, als hinderlich gesehen. Hier wird das »Purposekonzept« als ein neues Motivations- und Bindungskonzept eingeführt. Es wird eine Einladung an die Mitarbeiter ausgesprochen, Teil einer »guten« Bewegung zu sein und sich dem der Gesellschaft dienenden Unternehmen anzuschließen und in ihm für den guten Zweck zu arbeiten.
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  3. In letzter Zeit hat sich der Druck auf die Unternehmen, ein guter, dem Gemeinwohl dienender Partner zu sein, deutlich erhöht. Der Verweis auf die »unsichtbare Hand« des Marktes, die individuellen Egoismus in kollektives Wohl verwandelt, hat viel an Glaubwürdigkeit verloren. Der Druck der Gesellschaft hat durch die Unterstützung der sozialen Medien Drohpotential gewonnen: Konsumverzicht, Anbieterwechsel etc. Es ist für die Unternehmen notwendig geworden, sich gesellschaftlich verantwortlich zu zeigen – sie erhalten das Recht zur eigenen Gewinnmaximierung nur im Gegenzug zu dem Versprechen, der besseren Zukunft der Gesellschaft zu dienen.

Die häufige Gleichsetzung von Sinn mit Purpose überhöht das Konzept. Purpose ist eher als Zweck, als Absicht, als Intention zu verstehen. Im wirtschaftlichen Kontext ist es eine von der Gemeinschaft des Unternehmens getragene Absicht, etwas zu erreichen. In unserem Kontext, etwas zum Wohl und der guten Entwicklung der Gesellschaft beizutragen.

Blickt man auf Purpose als Teil der Motivationskonzepte und der Anstrengungen, Mitarbeiter zu gewinnen, besonders auf die Gen Y und Z bezogen, dann geht es nicht mehr um die eine Absicht, den einen Purpose. Neben der inzwischen akzeptierten Notwendigkeit, dafür Sorge zu tragen, dass das Unternehmen als »gut« wahrgenommen werden soll, wird es bedeutsam, wie das Unternehmen, Räume und Kontexte schaffen kann, in denen Mitarbeiter ihre je eigenen individuellen Absichten, Zwecke, Missionen und Bestimmungen leben können. Der Unternehmenspurpose bildet ein Dach für die Räume, in denen Menschen in den Worten von Viktor Frankl Sinn finden können. (Viktor Frankl: »Sinn muss gefunden werden, kann nicht erzeugt werden.«)

Im Folgenden möchte ich mich etwas näher mit dem zweiten Punkt beschäftigen. Dabei ging es darum, dass das Purposekonzept einen Legitimierungszweck erfüllt. Unternehmen bestimmen sich darin als altruistische, nützliche und dem Gemeinwohl dienende Partner (DienerIn) der Gesellschaft.

Blickt man auf die Bestimmungen eines Purpose in den unterschiedlichen Industrien, so haben sie alle eins gemeinsam, sie bestimmen sich aus einer engagierten Zukunftsorientierung. Sie sehen sich einer Utopie verpflichtet, die das Versprechen einer besseren, lebenswerteren Welt in sich trägt. Dabei blenden sie die religiösen und politischen Fragen aus. Sie bauen mit beindruckenden Bildern die nur vage bestimmte Erwartung einer rettenden Zukunft auf. In ihr wird die Technikorientierung mit ihren Errungenschaften zum Heilsbringer.

Diese Orientierung an einer positiven, menschengemachten Zukunft stehen die Modelle entgegen, die teilweise in der Bewegung Fridays for Future ihren Ausdruck gefunden haben. Hier geht es um die Rückgewinnung einer guten Erde, die vor allem durch Verzicht und in der Hinwendung an die Natur erreicht werden sollen. Sie sehen die technisch orientierten Utopien der Unternehmen eher als Ausbeuter eines in sich guten und geschlossenen Lebensraums, eines Vernichters der guten und richtigen Balance eines gemeinschaftlichen Lebensraumes.

Neben apokalyptischen Tönen geht es hier dann um Verzicht, um Rückkehr zu etwas, was einmal gut gewesen ist. Es sind typische europäische Denkfiguren – die eine, die einen stetigen Fortschritt sieht und ihn durch das Handeln der Menschen gemacht versteht, und die andere, die einen Verfall sieht, einen Abstieg von einem guten, natürlichen und harmonischen Leben hin zu Degeneration und Abwendung vom Eigentlichen.

Die jungen Generationen, da wo sie sich öffentlich ausdrücken, stehen dem zweiten Konzept näher – sie sind fortschrittskritisch. Unternehmen haben auf diese Stimmen mit einer schnellen Ergänzung ihres Purpose geantwortet und sich selbst zur Erhaltung der Umwelt, der natürlichen Mitwelt verpflichtet. Allerdings tun sie das auch in ihrer Haltung, sie formulieren eine technische Aufgabe. Es ist zu bezweifeln, dass das die jungen Generationen überzeugt.

Es wäre wohl zuerst die gesellschaftliche Aufgabe, einen begründeten Glauben an die Verbesserung der Lebensverhältnisse allen Lebens durch technischen Fortschritt herzustellen. Hier haben Unternehmen als Träger des technischen Fortschritts eine eigene Aufgabe. Die unternehmerische Orientierung an einem übergreifenden Purpose, der höherwertiger als die systemimmanente Wertsteigerung ist, ist hierzu ein bedeutender Beitrag.

Allerdings ist der Verdacht nicht auszuräumen, dass der Zweck (Purpose) eines Unternehmens und damit sein gesellschaftlicher Nutzen, der als höherwertig zu bestimmen wäre, in Zeiten der Krise doch wieder nur zu einem Mittel, einem neuen Werkzeug zum Zwecke der Werterhaltung und Wertsteigerung des Unternehmens wird.

Rüdiger Müngersdorff