Unternehmen 2.0 führen – Transformation zu mehr Offenheit
Was wir schon vor der Tischrunde wussten: Das Internet ist nicht kollabiert. So hatte es Robert Metcalfe, Erfinder des Ethernet, in den 1990ern prophezeit. Das Internet hat sich sogar weitesgehend durchgesetzt. Es gilt, sich dieser Tatsache zu stellen und ein Bewusstsein für die Bedeutung und Deutung digitaler Sphären zu schaffen. Unternehmen und Konzerne sind aufgefordert, die digitale Entwicklung verantwortungsvoll zugestalten und Transformation hin zum E 2.0 zu ermöglichen. Dazu müssen sich Menschen in Bewegung setzen.
Unternehmen 2.0 (Enterprise 2.0 / E 2. 0) steht für das hoch vernetzte Unternehmen. Im optimalen Sinne bedeutet dies, dass Kommunikation und Zusammenarbeit weiterentwickelt werden, bis hin zu einer agilen, flexiblen und offenen Kollaboration. Was sind notwendige Voraussetzungen und günstige Bedingungen für E 2.0, mit welchen unmittelbaren und unvermitteltenden Konsequenzen müssen Unternehmen rechnen? Und was hat Personalentwicklung eigentlich damit zu tun?
Um Fragen wie diese zu diskutieren, hatten wir im Oktober zur zweiten Tischrunde eingeladen. Ort der Inspiration war uns der raum13 Zentralwerk der schönen Künste in Köln-Deutz. Ein symbolträchtiger Ort der Industrialisierung. Hier wurde der Ottomotor gebaut und das bewegt seither die Welt. Die Geschichte und das Jetzt des raum13 nimmt uns mit auf eine Reise in ambiges Leben mit verunsichernden Umbrüchen, wir tauchen ein in vorige Jahrhunderte und in vucarisierte Zustände der Industrialisierung. Die zweite Tischrunde thematisiert und kommentiert die aktuellen Entwicklungen von Vernetzung, Digitalisierung und die Rolle von HR in dieser Transformation.
»Die weltweite Nachfrage nach Kraftfahrzeugen wird eine Million nicht überschreiten – allein schon aus Mangel an verfügbaren Chauffeuren«, sagte einst Gottlieb Daimler (1834 – 1900). Heutzutage mangelt es eher am Verständnis für Abgas-Skandale; massenhafte Überproduktionen gehören zur post-industriellen Normalität kapitalistischer Ordnung. In heutiger globaler Landschaft geht es um viel Virtuelleres, wenngleich nicht weniger reales: um Information und Daten. Das Spektrum reicht von Big Data, Verschlüsselung, Industrie 4.0 bis hin zu Persönlichkeitsrechten, Transparenz oder dem individuellen virtuellen Dasein. In Unternehmen werden neue Ausbildungen und Stellen geschaffen, etwa die des »Community Managers«, wie uns Katharina Perschke berichtet, eine der ExpertInnen, die wir zur Tischrunde eingeladen hatten.
Das technische Vehikel für offene Kollaboration liefern Web 2.0-Technologien: soziale Netzwerke, virtuelle Communities, Blogs, Wikis oder File-Sharing. Solche technischen Innovationen sind den kulturellen ein Stück voraus. Die Teilnehmenden der Tischrunde sind sich einig, dass die Möglichkeiten der Technik einen tiefgreifenden Wandel von Unternehmenskulturen bedeuten. Diese Kulturen sind häufig jedoch noch von geschütztem Wissen, funktionaler und hierarchischer Positionsmacht und starrem Silo-Denken geprägt. So fragen sich die Teilnehmenden der Tischrunde, ob sich die eigenständigen Dynamiken auf Plattformen top down beinflussen lassen oder ob eingesehen werden muss, dass Einflussnahme gemindert ist und längst eine Machtverschiebung stattgefunden hat.
Dass wir Autos fahren und währenddessen auf einem mobilen Telefon per Email erreichbar sind, ist für viele von uns mittlerweile normal. Obwohl sich die Umwelten seit der industriellen Revolution geändert haben, wie uns im raum13 noch einmal bewusst wird, die Effekte für die Menschen bleiben. Neu-Gier, VUCA, Interesse an Progress und Kreation, ein Getriebensein. Unterscheiden sich die Fragen? Früher: Ab welcher Geschwindigkeit platzt der Mensch? Heute: In welchem Bewusstsein gestalte ich virtuellen Raum und meine digitale Identität? Diese Fragen sind Ausdruck einer grotesken Situation, in die Menschen sich begeben; und sie müssen gestellt werden.
Strukturen müssen sich ändern. HR muss flexibel und agil werden und gelassen werden. Bewegung durch Zeit und Raum verändert ihre innere Dynamik, ihre Schnelligkeit und ihre Art, wenn sie digital wird. Digitale Bewegungen im vernetzten Unternehmen werden Teil ständiger Erneuerung und Veränderung von Unternehmensstrukturen und -kulturen. Auf der Datenautobahn geht es nicht mehr um die Frage, ob man selber, sondern ob die Dotcom-Blase platzt. Mit anderen Bewegungen in digitalen Räumen bekommt die Dimension Zeit ebenfalls eine neue Bedeutung. Wann ist der richtige Zeit-Punkt, wer ist schneller: eine Entscheidung in der Führungsetage oder der Informations-Einfluss der digitalen Community? Was teile ich wann? Wer kontrolliert? Wann gehe ich mit wem wohin und welchen Weg nehmen wir?
Wir streben nach der Befähigung und Beteiligung der Mitglieder einer Organisation, und nach der Etablierung einer neuen »2.0 Führungskultur«. Es braucht eine Führung, die die Transformation hin zu mehr Offenheit zulässt und fördert. Es braucht eine Unternehmenskultur, die HR ermöglicht, tatsächlich neue Prozesse zu gestalten. Es braucht Mitarbeitende, die sich mit E 2.0 identifizieren. Kollaboration in einem Unternehmen 2.0 heißt, dass Menschen Verantwortung unter weniger autoritärer Führung annehmen können und wollen. Wege gehen und gehen lassen, die bisher allenfalls als Trampelpfade in Erscheinung treten.
»Computer sind nutzlos. Sie können nur Antworten geben.« (Picasso, 1946). Wie der Flieder im raum13 seinen Weg durch den Asphalt findet, durch Ritzen wächst und in Zwischenräumen blüht, den Ort re-naturiert und zu einem anderen macht, müssen Menschen ihre Organisationen und ihre Arbeitsweisen neu gestalten, sich im digitalen Raum zurechtfinden, darin Zwischenräume aufmachen und (sich) weiterhin Fragen stellen.
Wir danken dem raum13, Anja Kolacec, Marc Lessle, Verena Bildhauer, Ellen Spiegel sowie allen Teilnehmenden und den Gästen Rüdiger Schönbohm, Katharina Perschke (BOSCH), Björn Preußer (CBTL) für ihre Perspektiven und die Bereitschaft zum angeregten und offenen Austausch.
Hanna Göhler
In seinen Blogartikeln gibt Rüdiger Schönbohm einen spannenden Einblick in den Arbeitsbereich E 2.0: