Er trug seinen Kampfanzug und hatte das Messer umgeschnallt. Die Stiefel waren schmutzig, und Gesicht und Kopfhaut waren gebräunt wie bei einem Rettungsschwimmer. Hinter ihm, in dem Flur, der zum Wohnzimmer führte, sah sie die dunklen Umrisse seines Rucksacks und den schmalen Schatten des Gewehrs, das an der Wand lehnte.
Der pensionierte Schuldirektor Stensen, kurz Sten, und seine Frau Carolee sind auf einem Kreuzfahrtschiff in der Karibik unterwegs. Sie haben in Puerto Limón in Costa Rica angelegt und brechen mit einer kleinen Reisegruppe auf ins Landesinnere, zu einer Naturwanderung. Am Ziel angekommen werden die Touristen von drei jungen Bandidos überfallen. Was die Ticos nicht wissen: Sten ist Vietnam-Veteran und trotz seines hohen Alters noch immer geübt im Nahkampf. Er nutzt einen Moment ihrer Unachtsamkeit und setzt sich zur Wehr – mehr oder weniger erfolgreich. Der Ausgang dieses Raubüberfalls ist jedenfalls dramatisch.
Erzählt ist damit lediglich der Prolog von T.C. Boyles neuem Roman »Hart auf hart«, der in diesen Tagen auf Deutsch erscheint und damit noch vor der amerikanischen Originalausgabe erhältlich ist. Fokussiert ist die Erzählung allerdings weniger auf Sten, sondern vielmehr auf seinen Sohn Adam, ein eigenbrötlerischer, wortkarger Psychopath, der zurückgezogen in einer einsamen Waldhütte lebt, Schlafmohn anbaut und sich in beängstigender Schizophrenie für eine moderne Ausgabe des legendären Trappers John Colter hält.
Als Anhalter lernt Adam die 40jährige und damit nicht unwesentlich ältere Sara Hovarty Jennings kennen. Sie ist im Gegensatz zu Adam äußerst redselig und durch eine freiberufliche Tätigkeit als Hufschmiedin halbwegs in der Gesellschaft verankert. Dennoch hadert auch sie – als Anhängerin der Sovereign Citizen Movement – mit den Realitäten des Lebens, sieht in staatlichen Institutionen ihren größten Feind und ist nach einer bewussten Missachtung der Gurtpflicht, eigentlich ein recht banales Vergehen, nur allzu bereit, diese Feindschaft offen und eskalierend auszutragen. Dass ihr ausgerechnet jetzt der kompromisslose Adam über den Weg läuft, kommt ihr nicht ungelegen. Hart und hart treffen aufeinander. Der Titel der deutschen Ausgabe ist Programm und bemerkenswert gut gewählt.
Man ahnt an dieser Stelle schon, wie sich die Geschichte fortsetzen wird, zumal T.C. Boyle ihr Schöpfer ist. Es ist kennzeichnend für seine Romane und Kurzgeschichten, dass er die Menschen sehenden Leserauges ins offene Messer laufen lässt, sie scheitern lässt, an sich selbst – und an der Natur. Letzteres, das Scheitern an der Natur, zieht sich wie ein roter Faden durch Boyles Gesamtwerk. Und so nimmt es auch hier kein gutes Ende, für keinen der beteiligten Akteure.
Nach der letzten Seite ist man beinahe froh darüber, dass es kam, wie es kommen musste. Denn anders als sonst in Boyles Romanen, gibt es dieses Mal – bis in den kleinsten Winkel der Geschichte hinein – nicht eine einzige Figur, die man in sein Herz schließen möchte. Zu destruktiv sind ihre Handlungen, zu dämlich ihre Ansichten, zu groß ihre Vorurteile.
Am schlimmsten aber ist: Boyle liegt damit hart an der Realität, nicht nur an der amerikanischen, sondern auch an der europäischen. Denn man hat sie beim Lesen des Buches unweigerlich vor Augen, die Attentäter auf Charlie Hebdo, die unzähligen Verschwörungstheoretiker in den Sozialen Medien, die xenophoben Wutbürger der Pegida-Bewegung. Sie alle spiegeln sich in Adam und Sara und in den Nebenfiguren der Geschichte auf erschreckende Weise wider.
Deshalb wäre es falsch, bei »Hart auf hart« von einem großen Lesespaß zu sprechen. Nein, das Buch macht keinen Spaß. Aber gute, lesens- und empfehlenswerte Bücher, und zu dieser Kategorie zählt Boyles neuer Roman, haben ja nicht nur die Aufgabe, einem Freude zu bereiten.
T.C. Boyle: Hart auf hart
Deutsch von Dirk van Gunsteren | Hanser 2015 | 400 Seiten
Holger Reichard