Change Management? Es existiert. Aber in welcher Form?

»You must either make a tool out of the creature, or a man of him. You cannot make both.« (John Ruskin)

In den letzten Jahrzehnten wurde viel über die Dynamik in Change-Projekten und erfolgreiche Unterstützungsformen zur Erreichung der Ziele geforscht. In nahezu allen Forschungen wird betont, dass Change-Vorhaben in ein Konzept eingebettet sein müssen, welches Mitarbeiter verstehen lässt, warum jetzt und wozu die Veränderung? Jede Veränderung sollte demnach in einen strategischen Zusammenhang gestellt werden, so dass die einzelnen Schritte für den Mitarbeiter einen Sinn ergeben. Darüber hinaus sollte ein Diskussionsraum eingerichtet werden, in dem die Veränderung in dialogischer Form zwischen den verschiedenen Hierarchieebenen besprochen werden kann. Ein Dialog ist dadurch gekennzeichnet, dass beide Gesprächspartner bereit sind, sich von der anderen Seite beeindrucken zu lassen. Das bedeutet, in einer geplanten Veränderung muss es Raum geben für die Veränderung der Veränderung.

Die Praxis sieht jedoch anders aus. Uns erreichen Lastenhefte, die im Kern fordern, helft uns die gesetzte Veränderung durchzusetzen, den möglichen Widerstand auszuhebeln und macht es so kleinteilig wie möglich. Im Gespräch wird deutlich, dass die Verantwortlichen sich weder in der Position sehen noch in der Aufgabe, einen übergeordneten sinnvollen Rahmen für Einzelaktivitäten bereitzustellen, noch einen dialogischen Raum zu öffnen. Nun ist das an und für sich noch kein Fehler, denn es stehen ja genügend manipulative Kommunikationstechniken zur Verfügung, um eine Veränderung mit ein paar Blessuren durchzusetzen. Was oft nicht gesehen wird, ist, dass man Mitarbeiter so zwar zu einer Art von Compliance bewegen kann, jedoch selten zu einer Motivation.

Compliance mag für Unternehmen mit einfachen und festgeschriebenen Prozessen genug sein. Aber für Unternehmen, die eine hohe Flexibilität benötigen, unternehmerische Haltung, Agilität auf fast allen Ebenen? Für Organisationen, die auf die Kreativität und die Lebendigkeit ihrer Mitarbeiter angewiesen sind?

Was uns auffällt, ist: Während die Change-Projekte mit dieser Art von Toolingansatz durchgeführt werden, sprechen Unternehmensleitungen davon, dass sie unternehmerische, agile, selbständige, Verantwortung übernehmende Mitarbeiter brauchen – auf allen Ebenen. Ein Widerspruch. In der konkreten Arbeitswelt, den aufgesetzten Projekten und Veränderungen werden Mitarbeiter vor allem als Mittel zu einem Zweck gesehen. Es entspricht sicher einer der wichtigsten Aufgaben eines Unternehmens, die Arbeitsteiligkeit so zu organisieren, dass sie wirtschaftlich erfolgreich ist. Die Tatsache, dass ein Unternehmen immer auch eine Gemeinschaft von Menschen ist, die sinnbezogen arbeiten und die die auf Freiraum angewiesenen Eigenschaften der lebendigen Selbstverantwortung nur dann realisieren können, wenn sie ein sinnvolles und ein gerechtes Miteinander erleben, wird in der Praxis oft ausgeblendet.

Wenn wir Mitarbeiter und ihre Leistung als ein »Tool«, als ein bloßes Mittel verstehen und behandeln, dann verlieren wir das Potenzial, nach dem wir in der veränderten und beschleunigten Welt der Wirtschaft suchen: den Menschen, der sich beteiligt und für den seine Leistung im Unternehmen ein Zweck ist. Nur dieser Mitarbeiter hat die Kraft, den Willen und die Freude, im Dschungel heutiger Organisationen und ihrer notwendig komplexen Strukturen zu tun, was von ihm verlangt wird: agil, verantwortlich, kreativ, durchsetzungsstark, konfliktfähig und kooperativ zu sein.

Um das zu erreichen braucht es mehr als einen TOOL orientierten Change-Management-Ansatz, der vergisst, was immer wieder erfahren wird. Nur der Mitarbeiter, der versteht, den Sinn begreift und der sich beteiligt fühlt, kann die in ihn gesetzten Erwartungen erfüllen.

Mit Ruskin: »You must either make a tool out of the creature, or a man (a human) of him/her. You cannot make both.«

Rüdiger Müngersdorff

Unternehmen im Ausnahmezustand! – Was tun?

In der zeitgenössischen Philosophie kreist eine Hauptdiskussion derzeit um das Paradigma des Ausnahmezustands. Dem italienischen Philosophen Giorgio Agamben zufolge leben wir heute in einer Situation, in der Orientierungspunkte mehr und mehr aufgelöst sind. Regel und Ausnahme sind ununterscheidbar geworden und Akteuren ist es aufgrund der Unübersichtlichkeit zunehmend unmöglich, verlässliche Unter- oder Entscheidungen zu treffen. Der so entstehende Ausnahmezustand wirkt »anomisch« (ohne Normen): alle Bestimmungen sind deaktiviert. Während sich der Mensch früher vor allem damit auseinandersetzen musste, wie er die klar an ihn gestellten Anforderungen der gesellschaftlichen Regeln und Normen erfüllen kann, liegt seine größte Herausforderung heute darin, an der eigenen (existenziellen) Unsicherheit und/oder (psychischen) Verunsicherung nicht zu zerbrechen.

Es ist frappierend, wie oft uns als SYNNECTA-BeraterInnen aus den Aussagen von MitarbeiterInnen und Führungskräften dieser Ausnahmezustand aus Unternehmensperspektive beschrieben wird: Die Klage über mangelnde Orientierung im Unternehmen ist ein Dauerbrenner, der in zunehmenden Maße über alle Branchen hinweg zu vernehmen ist. Das Geschäft wird in vielen Bereichen als immer volatiler werdend gezeichnet, sodass die früher zuverlässig arbeitenden Planungstools heute wertlos geworden sind oder – so man sich auf sie verlässt – nur noch zu bösen Überraschungen führen.

Führungskräfte und MitarbeiterInnen sind aufgrund von mobiler Kommunikationstechnik rund um die Uhr erreichbar, die Grenze zwischen Arbeits- und Privatleben ist längst verschwommen. Matrixlinien durchziehen Unternehmen in vielfältiger Weise – Führungskräfte haben den Überblick verloren und es fehlt ihnen der direkte Durchgriff auf MitarbeiterInnen, von deren Beitrag jedoch ihre Zielerreichung abhängt. In immer geringeren Abständen werden Change Projekte aufgesetzt und top-down verordnete Kehrtwendungen vollzogen. Die Kalender werden von allen Seiten mit Terminen zugebucht, sodass Tageszeiten mitunter dreifach belegt sind. Im E-Mail-Postfach gehen im Minutentakt ellenlange Nachrichten mit langen CC-Ketten ein, sodass MitarbeiterInnen von der Informationsflut überfordert sind. Mit am besorgniserregendsten sind die offenen Berichte vieler, dass sie das Gefühl haben, nicht mehr Herr des Geschäfts zu sein, sondern sich über Monate und Jahre hinweg nur noch als »vom Geschäft getrieben« erleben. Burn-out ist nur eine Reaktion von einzelnen, von immer mehr Menschen auf ihre anomische Situation im Ausnahmezustand.

All diese Phänomene könnten singulär betrachtet vielleicht relativ gut behoben werden. In der Summe jedoch – so die hier vertretene Hypothese – versetzen sie ein Unternehmen in den anomischen Ausnahmezustand. Die Einzelphänomene entwickeln in ihrer Verkettung eine Eigendynamik, die sich der Steuerbarkeit durch Einzelne vollständig entzieht.

Im Anschluss an Agamben arbeitet die Kulturphilosophin Yana Milev daran, wie vom Ausnahmezustand betroffenen Menschen aus der passiven Opferrolle zurück in die aktive Handlungsposition gelangen können. »Emergency Designs« nennt Milev alle souveränen Reaktionen auf den Ausnahmezustand, die vor allem auf Spontaneität, situativen Handeln und Kreativität beruhen. Die spannende Perspektive der Philosophin: »Emergency« und »Emergenz« hängen für sie eng zusammen, d.h. der Ausnahmezustand als Dauerkrise trägt in sich energetisches Potenzial, das gehoben und gegen die anomische Situation selbst gewendet werden kann.

Im Transfer der philosophischen Gedanken auf die ernsthafte Situation von Organisationen arbeitet die SYNNECTA derzeit daran, neue Beratungskonzepte zu entwickeln, die Unternehmen, Teams, Führungskräfte und MitarbeiterInnen dabei unterstützen, im organisatorischen Ausnahmezustand wieder Souveränität zu etablieren und »Herr der Lage« zu werden:

1. Analyse: SYNNECTA Diagnostics entwickelt derzeit ein Analysetool, mit welchem in Organisationen oder Teams analysiert werden kann, ob bzw. zu welchem Grad sich das soziale und strukturelle Gefüge im Ausnahmezustand befindet.

2. Intervention: Spezielle, schnell wirksame Interventionsformate sollen es ermöglichen, Unternehmen und ihre MitarbeiterInnen kurzfristig innerhalb des Ausnahmezustands wieder handlungsfähig zu machen.

3. Transformation: Mit einer nachhaltigen Beratungsperspektive wird daran gearbeitet, wie Organisationen im Ausnahmezustand fundiert wieder in einen Normalzustand überführt werden können.

4. Prävention: Schließlich wird ein Präventivkonzept diskutiert, welches in Unternehmen vorausschauend verhindert, dass der Ausnahmezustand sich überhaupt (erneut) etablieren kann.

Bei der Entwicklung des Konzepts nutzt die SYNNECTA wie so oft die Vielfalt ihrer BeraterInnen bezüglich Ausbildung, Erfahrungshorizont und Beratungsschwerpunkten. Äußerst vielversprechend ist auch der Transfer aus unterschiedlichsten unternehmensfernen Welten: Die Querverbindung zum Beispiel von Katastrophen- und Relienzforschung, prekarisierten Sozialmilieus, nomadisch lebenden ethnischen Gruppen, zeitgenössischer Kunst, politischer Philosophie oder Aikido mit Wirtschaftsunternehmen befruchtet die kreative Diskussion, steigert den Innovationsgrad des Konzepts und sichert eine ganzheitliche Perspektive.

Erste Ergebnisse der Auseinandersetzung mit dem Thema Ausnahmezustand in Unternehmen werden auf der kommenden SophiaWerkstatt präsentiert und weiter zur Diskussion gestellt werden.

Johannes Ries