Alexander Aciman, Emmett Rensin: Twitteratur
Es sei ein Missverständnis, hat Literaturkritiker Stephen Booth einmal gesagt, dass Worte in der Literatur dazu dienen, Informationen zu transportieren; vielmehr seien sie eher zu betrachten wie Noten in einem Musikstück, die nichts bedeuten außer sich selbst. Deshalb ist bei Literatur wie etwas gesagt wird immer genauso wichtig wie das, was gesagt wird – wenn nicht wichtiger. Sonst müsste einem schließlich jede Zusammenfassung von Hamlet oder der Odyssee dasselbe Lese-Erlebnis bescheren wie der ursprüngliche Text.
»Twitteratur: Weltliteratur in 140 Zeichen« will die Lektüre der Originaltexte aber gar nicht ersetzen oder überflüssig machen. Das wird schon im ironischen Vorwort der beiden Autoren klar (zwei Studenten, Anfang 20, aus Chicago), denen die Kunst wirklich am Herzen liegt.
Sie haben sich vorgenommen, die großen Werke der Weltliteratur in eine dem modernen Menschen verständliche Sprache zu »übersetzen« und sie so einer breiten Masse von Lesern zugänglich zu machen, damit nicht länger nur »Erstsemester und Eremiten« Zeit haben, sie zu studieren. Sie sehen sich, wie sie in ihrem nicht ganz ernst gemeinten Vorwort schreiben, in den Fußstapfen von Martin Luther, der die Bibel in eine für alle verständliche Sprache übersetzt hat. Dabei herausgekommen ist »Twitteratur«, das literarische Werke in das Format von Tweets aus Sicht der Protagonisten bringt.
Man versteht den Witz der Tweets jedoch natürlich nur in all seinen Facetten, wenn man die Originale dahinter kennt – oder zumindest eine mehr als ungefähre Vorstellung von ihnen hat. Ist diese Voraussetzung erfüllt – und bei den beiden Autoren ist die Textkenntnis ganz deutlich spürbar – kann man in Twitteratur wirklich viel zum Lachen finden, zum Beispiel den Anfang der Ilias:
Angepisst. Ich bin so derartig angepisst.
Oder diesen Auszug aus »Die Verwandlung« von Franz Kafka:
Hab mich offenbar in einen großen Käfer verwandelt. Ist das einem von euch schon mal passiert? Netdoktor.de ist keine Hilfe.
Oder diesen Tweet aus »Schuld und Sühne« von Dostojewski:
Ich hab’s. Anstatt Geld von meinem Freund anzunehmen, werde ich kaltblütig eine alte Pfandleiherin ermorden. Warum? Sag ich nicht.
Ebenfalls sehr amüsant ist das angehängte Glossar für Begriffe und Sonderzeichen aus der modernen Internetsprache. Die beiden Studenten haben auch moderne Werke wie »Sakrileg« und »Harry Potter« berücksichtigt. Bleibt zu hoffen, dass sie irgendwann einen zweiten Band mit den Werken schreiben, die in Twitteratur noch nicht enthalten sind.
Alexander Aciman, Emmett Rensin: Twitteratur. Weltliteratur in 140 Zeichen
Deutsch | Sanssouci 2011 | 208 Seiten
Sabine Anders