Empathie – noch einmal

Es wird viel von Empathie als einer Führungseigenschaft gesprochen. Empathie wird so vor allem im Verständigungsprozess zwischen Menschen verortet. Empathie hat jedoch eine weitere wesentliche Dimension, die sie auch ins Zentrum von Strategieentwicklung stellt.

Wir stehen inzwischen vermehrt und beschleunigend nichtlinearen Dynamiken gegenüber – sei es in den Märkten, in der globalen politischen Lage, in den Bedürfnissen der für uns relevanten Kundengruppen, den gesellschaftlichen Entwicklungen, um nur einige zu nennen. Unsere kognitiv analytischen Instrumente zur Beschreibung dieser Realität und ihrer zukünftigen (auch nahen zukünftigen) Entwicklung reichen zur Vorhersage und Handlungsorientierung in diesen dynamischen, zu disruptiven Ereignissen neigenden nichtlinearen Systemen nicht mehr aus. Der hohe Vernetzungsgrad mit sich aufschaukelnden, kreisenden Dynamiken innerhalb unserer Kommunikationsströme setzt dominant rationalorientierter Strategiearbeit Grenzen.

Als notwendige Ergänzung bedarf es daher der Empathiefähigkeit nicht nur einzelner Individuen, sondern von sozialen Systemen, seien es Unternehmen, Verwaltungen, NGO’s, religiösen Organisationen, generell aller sozialen Systeme. Empathie ist hier die Fähigkeit, Resonanzmuster unserer direkten und indirekten Umwelt zu erfühlen. Kurz: Wir brauchen die Empathiefähigkeit eines Kollektivs. Neben der offenen und von Werturteilen reduzierten internen Kommunikation kann die empathische Resonanzfähigkeit gegenüber einer dynamischen Umwelt nur gelingen, wenn das Kollektiv divers ist – und das möglichst alle Kriterien der Diversity-Perspektive umfassend.

Synnectas Arbeit mit Gruppen zielte schon immer auf die Entwicklung kollektiver Empathiefähigkeit und ist in den letzten Jahren um die offene Erlebbarkeit von immer gegebener Diversität noch einmal verstärkt worden. Jedoch setzt die noch große Homogenität von Führungsgruppen der Resonanzfähigkeit gegenüber nichtlinearen Dynamiken eine Grenze und verengt so auch die Strategiearbeit.

Rüdiger Müngersdorff

Die empathische Führungskraft – digital?

Empathie ist keine eigene Wahrnehmungsfähigkeit, es ist vielmehr die Fähigkeit, analogen Kommunikationsausdruck interpretieren zu können und so auch die emotionale Botschaft in der geschäftigen Sachinformation zu verstehen. Dafür ist Begegnung nötig. Die offenen Räume der Begegnung, wie sie in den neuen Bürokonzepten verwirklich werden, schaffen die Möglichkeiten zur Begegnung – sie sind niederschwellig und können spontan geschehen. Hier gibt es die kurzen Zeiten der Muße, in der empathische Wahrnehmung geschehen kann und in der – das ist die zweite Seite der empathischen Führungskraft – auch dem eigenen, empathischen Verständnis Ausdruck gegeben werden kann.

Nun benötigen Menschen, gerade heute, wo die Begegnungsmöglichkeiten streng eingeschränkt sind, empathische Begegnungen – sie vermitteln das, was für unsere Stabilität das Wichtigste ist: Ich werde wahrgenommen.

Wir gestalten mit unseren Kunden derzeit digitale Begegnungsräume, in denen es nicht um das Weitertreiben von Themen und Aufgaben geht, sondern in denen es darum geht, Fürsorge, Beziehung, Aufmerksamkeit zu vermitteln. Gerade für die Führungsebene der Abteilungsleiter und Gruppenleiter unterstützen wir beim Aufbau wöchentlicher, virtueller »Stand Ups« oder digitaler Coffeebreaks bei denen es nicht primär um Themen geht, sondern um die emotionale Präsens der Führungskraft. Dieses empathische »Dasein« wird in den nächsten Wochen, wenn der stimulierende Reiz des Neuen vergangen ist, noch wichtiger werden.

Rüdiger Müngersdorff

Empathie oder Compassion?

Es gibt einen guten Grund für die Business-Karriere des Begriffs Empathie: Während wir relativ zuversichtlich sind, dass die neuen, flacheren Hierarchien und eher selbstorganisierten Organisationsformen für die einzelnen Individuen Spiel- und Gestaltungsraum bieten, sehen wir zugleich, dass der von ihnen provozierte Individualismus noch kein adäquates Gegengewicht im Sinne einer Gemeinschaftorientierung gefunden hat.

Dieser Mangel wird spürbar in der Häufung konkreter Anfragen an uns, die immer nach größerem Zusammenhalt, Stärkung gegenseitiger Rücksicht, besserem Umgang mit Konflikten fragen. Auch die notwenigen »Retros« der agilen Arbeitsmethodiken werden fast immer im Sinne von Gemeinschaftsbildung angefragt – die sogenannten weichen Faktoren stehen im Vordergrund.

Ob die Treffen, Workshops nun als Retro, als Subversion, als Teambildung oder als Konfliktmoderation angefragt werden, es geht in ihnen um die Qualität der Gemeinschaft, um Zusammenhalt, um gemeinsames Verständnis dessen, was man will und soll. Es geht darum, den anderen mit zu berücksichtigen – in der Gruppe und in übergreifenden Zusammenhängen. Das Konzept Empathie folgt dabei dem Individualisierungstrend – es ist die Forderung an Individuen eine Fähigkeit zu entwickeln, die Bedürfnisse des anderen wahrzunehmen und im eigenen Kalkül zu berücksichtigen.

Empathie als Werkzeug des besseren Verständnisses und recht oft als Befähigung zur besseren Manipulation greift für die Organisationsentwicklung zu kurz. Es geht hier um ein notwendiges Gegengewicht zur individuellen Performancesteigerung – es geht um die Bildung einer gemeinsamen Mitte, die Orientierung stiftet und individuelles Handeln an den Nutzen für die Gemeinschaft zurückbindet. Es geht um das Feuer der Mitte – und das braucht mehr als Empathie, es braucht Compassion – die emotionale Bereitschaft für andere zu handeln.

Rüdiger Müngersdorff