Hannelore Schlaffer: Die intellektuelle Ehe
Die Wegbereiter der Bewegung aber waren Männer. Mehr als um die Emanzipation der Frauen geht es ihnen um ihre eigene Befreiung.
In »Die intellektuelle Ehe: Der Plan vom Leben als Paar« zeigt Hannelore Schlaffer auf durchgehend hohem Niveau einen Ausschnitt aus der Geschichte der Philosophien und Philosophen bzw. Schriftsteller, die sich mit der Ehe und dem Zusammenleben als Paar beschäftigt haben, darunter vor allem Max Weber und Otto Gross im neunzehnten Jahrhundert sowie Sartre, Simone de Beauvoir und Brecht im zwanzigsten (»Die Abgebrühtheit dieses Frühvollendeten umreißt damit die Geschichte der intellektuellen Ehe: Frauen fanden sich immer, um auszuführen, was Männer erdacht hatten«).
Am Rande kommen zahlreiche andere berühmte Persönlichkeiten zur Sprache, vor allem aus der Literaturgeschichte, wie D.H. Lawrence (»Ich glaube, eine Frau muss dem Mann irgendeine Art von Vorrang einräumen und er muss seinen Vorrang wahrnehmen«) oder F. Scott Fitzgerald (»Ich habe das schreckliche Pech, ein Gentleman zu sein in diesem Kampf mit unberechenbaren Elementen«), Tolstoy oder Gustav Mahler, der seiner Frau das Komponieren verboten und sie dadurch fast zugrunde gerichtet hat: »Aber dass Du so werden musst, wie ich es brauche, wenn wir glücklich werden sollen, mein Eheweib und nicht mein College – das ist sicher!«
Mit »intellektuell« meint Schlaffer dabei nicht Ehen zwischen Intellektuellen, sondern zwischen Menschen, die sich Gedanken über ihre Beziehung machen, deren Beziehung auf einer bestimmten Vorstellung von einer Beziehung beruht. Ihre Geschichte der intellektuellen Ehe berührt dabei zwangsläufig an vielen Stellen die Geschichte der Emanzipation der Frau.
Fast alle in dem Buch vorgestellten Paare sind mit dem Widerspruch zwischen Bindung und Freiheit, Körper und Geist konfrontiert: Einerseits haben sie sich darauf geeinigt, dem Partner die Freiheit zu lassen, mindestens sexuelle Beziehungen mit anderen eingehen zu dürfen, andererseits leiden sie alle dabei mehr oder weniger unter Eifersucht und Verlustangst. Die meisten von ihnen versuchen mit oder ohne Erfolg, Promiskuität durch eine philosophische Theorie zu rechtfertigen. Viele erkennen, dass das Zugeständnis einer größeren Freiheit auf der einen Seite eine umso größere Verbindlichkeit und Verpflichtung auf der anderen erfordert.
Schlaffer schlägt den Bogen von den Anfängen solcher Lebensgemeinschaften, in denen Frauen meistens zugleich die Schülerinnen und Gefährtinnen von gebildeten Männern waren, bis hin zur Gegenwart, für die sie unter anderem zu so erstaunlich banalen Erkenntnissen kommt wie: »Die Harmonie eines ehelichen Umgangs zeigt sich heute darin, dass der Mann den Spülschrank einräumt und die Frau ihn ausräumt« oder zu originellen wie: »Nicht das Paar, sondern der Trupp ist die kleinste Einheit der Gesellschaft. Allerdings kommt er nur zu temporärem Vergnügen und ohne weitere Verpflichtung zusammen. Sein Vorbild ist das Team, das verantwortlich zusammenarbeitet.«
Schlaffers Buch will keine direkt anwendbaren Ratschläge oder Tipps geben, wie man heute erfolgreich eine langanhaltende und zugleich glückliche Beziehung führen kann. Stattdessen beschreibt sie verschiedenste interessante Lebensentwürfe historisch realer und teilweise auch fiktiver Figuren, mit all den Gedanken und Problemen, die dazu gehören: »Die einen verpflichten sich gerade zugunsten der Libertinage, zu lebenslanger Askese, die andern wollen von der neuen Lebensform nur den Genuss und den Glanz – jedenfalls: die intellektuelle Ehe vergrößert die Möglichkeiten des Glücks wie des Unglücks.«
Hannelore Schlaffer: Die intellektuelle Ehe. Der Plan vom Leben als Paar
Deutsch | Hanser 2011 | 223 Seiten
Sabine Anders