Heinrich Mann: Professor Unrat oder das Ende eines Tyrannen
»Eigentlich war ich anfangs wenig begeistert darüber, ausgerechnet den ›Unrat‹ zu illustrieren, den ich in der Schule schon gelesen und seitdem nie wieder angefasst hatte…« (Martin Stark, Illustrator)
In Heinrich Manns Heimatstadt Lübeck, in der auch sein berühmter Roman »Professor Unrat oder das Ende eines Tyrannen« angesiedelt ist, wurde das Buch möglichst nicht erwähnt. Dennoch erlangte es als Verfilmung unter dem Titel »Der blaue Engel« mit Marlene Dietrich als Rosa Fröhlich Weltruhm.
Der verwitwete 57-jährige Gymnasiallehrer Raat lebt allein und zurückgezogen. Zu seinem Sohn pflegt er keinen Kontakt, weil dessen Lebensstil von seinen spießigen Vorstellungen abweicht (kein Examen, Umgang mit zu vielen unverheirateten Frauenzimmern). Als Professor ist er Generationen von Schülern, deren Kindern und Kindeskindern unter dem Spitznamen »Unrat« bekannt.
Die ironische Wertschätzung, die ihm mit diesem Beinamen entgegen gebracht wird, erkennt Raat nicht. Für ihn steht nur seine Verunglimpfung im Mittelpunkt. Seine Schüler betrachtet er als respektlose Feinde. Einer davon ist der 17-jährige Sprössling des Konsuls Lohmann. Der ist ebenso intelligent wie gewitzt, so dass Unrats drakonische Strafen an ihm abprallen.
Als Raat ihn wegen der Verwendung des Spitznamens erneut an den Pranger stellt, bemerkt er im Aufsatzheft des Schülers ein Gedicht mit dem Titel »Huldigung an die hehre Künstlerin Fräulein Rosa Fröhlich«. Um seine Schüler vor dem Umgang mit der zweifelhaften Dame zu schützen und Lohmann endlich zu Fall zu bringen, geht er auf die Suche nach ihr. Er findet heraus, dass sie als »Barfußtänzerin« in dem Vergnügungslokal »Der blaue Engel« auftritt.
Raat sucht das Lokal auf, tritt von einem Fettnäpfchen ins andere und kann sich letztendlich der Anziehungskraft von Rosa Fröhlich nicht mehr entziehen. Rosa umgarnt den Professor. Die Fassade des Tyrannen bröckelt und kehrt den Anarchisten nach außen. Der lässt sich immer mehr auf sie ein, liest ihr jeden Wunsch von den Augen ab, verteidigt sie vehement, bis er sich mit den harten Konsequenzen auseinander setzen muss. Von nun an lebt es sich noch ungenierter. Die Freizügigkeit und ihre Verlockungen rufen einige Opportunisten auf den Plan, die sich an den anrüchigen Gesellschaften im Hause Unrat beteiligen. Der einstige Professor wird als Krimineller zum Sündenbock der kleinstädtischen Doppelmoral vor dem ersten Weltkrieg.
Heinrich Mann karikiert den Bildungsbürger im wilheminischen Deutschland und führt dessen Mentalität ad absurdum. Genau dort setzen auch Martin Starks Illustrationen in der vorliegenden Ausgabe der Büchergilde Gutenberg an. Hier verbindet sich des Lesers Freude an Heinrich Manns einzigartiger Fabulierkunst mit dem Entzücken über Martin Starks moderne Illustrationen im Stil der Zwanziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts. Sie regen des Betrachters Phantasie an, halten sich geradezu zwingend an den Film »Der blaue Engel« oder machen gar jüngere Leser neugierig auf den alten Ufa-Streifen.
Die zeitgemäßen Abstraktionen wirken zuweilen fast bizarr und heben sehr schön das Skurrile der Geschichte heraus. Der Professor am Pult gleicht einem Comic-Helden, seine Ecken und Kanten überspitzen den kauzigen Charakter. Die expressionistischen Schwarz-Weiß-Bilder holen den satirischen Klassiker ins Heute, nachvollziehbar und (im wahrsten Sinne des Wortes) mit Fingerspitzengefühl. Die mit dem diesjährigen Gestalterpreis der Büchergilde ausgezeichneten Illustrationen werden bei der zukünftigen Schul-Leserschaft dafür sorgen, dass sie das Buch öfter in die Hand nehmen wird und Professor Unrat so in Erinnerung bleibt.
Heinrich Mann: Professor Unrat oder das Ende eines Tyrannen
Deutsch | Edition Büchergilde 2014 | 232 Seiten
Renate Bojanowski