Michael Roes: Zeithain
Vielen mag das tragische Ende des Hans Hermann von Katte bekannt sein. Katte war Leibgardist des preußischen Königs Friedrich Wilhelm I. und eng mit dessen Sohn, dem Kronprinzen Friedrich, befreundet. Dieser hatte unter der Tyrannei seines Vaters so sehr zu leiden, dass er – auf die Thronnachfolge verzichtend – ins Ausland entfliehen wollte. Katte unterstütze ihn dabei und bezahlte dafür mit seinem Leben. Friedrich Wilhelm I. ließ Katte im November 1730 hinrichten. Der junge Friedrich musste dabei zuschauen.
Wenn von diesem Drama erzählt wird, liegt der Fokus zumeist auf dem Kronprinzen, der später als Friedrich der Große ja auch noch reichlich Geschichte schreiben sollte. Das Leben des Hans Hermann von Katte kommt in den Schilderungen vielfach zu kurz. Schon Theodor Fontane wies in seinen »Wanderungen durch die Mark Brandenburg« auf diesen Umstand hin, als er schrieb: »Er (Katte) ist der Held, und er bezahlt die Schuld.« Auch Michael Roes weiß ihn als Held zu würdigen. In seinem Roman »Zeithain«, erschienen im August 2017 bei Schöffling & Co., widmet er sich ganz der Biografie Kattes. Es ist ein großartiges Denkmal geworden.
Roes erzählt von Kattes Kindheit im brandenburgischen Wust, von der strengen Erziehung im Pädagogium Regium zu Glaucha, einer aus heutiger Sicht recht fragwürdigen Erziehungs- und Bildungsanstalt für Kinder aus dem Adel und dem reichen Bürgertum; von Kattes Aufenthalten als Student in Königsberg sowie als junger Offizier des preußischen Kürassierregiments in Berlin, von seinen Kavaliersreisen nach Paris und London, von seiner Teilnahme an einer gigantischen Heerschau im sächsischen Zeithain und von seinem traurigen Lebensende in Küstrin.
Zwei Aspekte zwischenmenschlicher Beziehungen sind in Roes‘ Roman hervorzuheben. Zum einen das Verhältnis der Väter zu ihren Söhnen. Dabei erscheinen einem die Erziehungsmethoden von Kattes Vater nicht weniger grausam als Friedrichs Leiden unter der strengen Knute des Soldatenkönigs.
Ein einprägsames Beispiel ist, wie die Köchin auf dem Gutshaus in Wust heimlich einen geqälten Hund in die Freiheit entlässt und der kleine Katte die Köchin vor der Strafe des Hausherrn zu schützen versucht, was jedoch misslingt. Der Junge wird von seinem Vater daraufhin beinahe zu Tode geprügelt. Das Mitgefühl der Köchin und des Kindes auf der einen Seite sowie die Herzlosigkeit und Brutalität des Vaters auf der anderen rühren zu Tränen und ist eben doch nur ein Beispiel. Kein Ausnahmefall in jener Zeit, sondern Normalität.
Zumindest hier in Wust sind Prügel nichts Außergewöhnliches. Im Dorfe werden alle Knaben und sogar manche Mädchen von ihren Vätern geschlagen. Es gilt ihnen als Christenpflicht. Und selbst die Kinder nehmen es als fromme Notwendigkeit hin.
Zum anderen beleuchtet das Buch die Gefühle zwischen heranwachsenden jungen Männern, schon im Pädagogium Regium, wo sie – im frühen Stadium der Pubertät – auch nur unter sich sind und nächtens im bitterkalten Schlafsaal unter permanenter Aufsicht kontrolliert wird, dass bei allen die Hände über der Bettdecke bleiben.
Später fokussiert sich der Blick natürlich auf die Beziehung zwischen Hans Hermann von Katte und dem jungen Friedrich. Überflüssig zu erwähnen, dass sowohl diese spezielle Beziehung als auch das Thema im Ganzen, eingeschnürrt in das enge Moralkorsett des frühen 18. Jahrhunderts, eine ganz besondere Brisanz besitzt. Michael Roes beschreibt das Verhältnis der beiden Hauptfiguren, ihre Gefühle füreinander, auf äußerst einfühlsame Weise und angenehm unspektakulär.
Ruhig atmend liegt er neben mir, das bartlose Gesicht noch jünger, unschuldiger als ohnehin schon. Aber es täuscht. Es ist eine gefährliche Unschuld, die uns noch einmal in Teufels Küche bringen wird. – Ich streiche ihm das wirre Haar aus dem Gesicht. Sein Vater, der König, hat recht, wenig Männliches lässt sich darin finden.
Unterbrochen wird die Lebensgeschichte Kattes von Sprüngen in die Gegenwart, von Philip Stanhope, einem entfernten Verwandten, der sich rund 300 Jahre später an den historischen Schauplätzen auf Spurensuche begibt. Diesen Erzählstrang hätte der Roman nicht wirklich benötigt, zumal Roes hier über die Gedankenwelt Stanhopes mehrfach ins Surreale abgleitet, wobei sich einem der Sinn des Erzählten nicht immer erschließt.
Andererseits sind diese Unterbrechungen willkommende Gelegenheiten, um kurz durchzuatmen. Denn die eigentliche Geschichte, die des Hans Hermann von Katte, ist von Michael Roes so meisterhaft erzählt, dass man den rund 800 Seiten starken Roman nicht aus der Hand legen möchte. Spannend, berührend und sprachlich ein Fest.
Michael Roes: Zeithain
Schöffling & Co. 2017 | 804 Seiten
Holger Reichard