Lesungen sind eine einzigartige Möglichkeit, Erfahrung und Bildung miteinander zu verbinden, Horizonte zu erweitern und Autoren anderer Weltregionen kennen zu lernen. So beginnt der Pressetext zum Buch »Weltempfang – Panorama internationaler Autorenlesungen«. Herausgegeben wurde es von Thomas Böhm. Böhm, Jahrgang 1968, ist der jüngste Programmleiter eines deutschsprachigen Literaturhauses. Seit 1999 hat er für das Literaturhaus Köln über 700 literarische Lesungen konzipiert und organisiert. Darüber hinaus vermittelt er das Thema »Lesung« in Buchhändlerschulungen, Autoren- und Universitätsseminaren sowie mit der Internet-Wissensbank www.lesungslabor.de.

Für sein Buch »Weltempfang« hat er eine Reihe erfolgreicher Schriftsteller aus den unterschiedlichsten Ländern und Kulturregionen angesprochen. In Aufsätzen und Interviews erzählen Stewart O’Nan, T.C. Boyle, Kiran Nagarkar, Kenzaburō Ōe, Michal Hvorecky und weitere namhafte Literaten von ihren Erfahrungen mit Lesungen. Dabei berichten sie nicht nur von ihren Auftritten im eigenen Land. Sie schildern auch ihre Eindrücke von internationalen Lesereisen, bei denen sie nicht selten – bewusst oder unbewusst, gewollt oder unbeabsichtigt – in die Rolle eines Kulturbotschafters ihres Landes schlüpfen.

Es ist erstaunlich, wie groß die Unterschiede allein innerhalb Europas und des westlichen Kulturkreises sein können. In der Slowakei und in Tschechien z. B., so berichtet Michal Hvorecky, fristen Autorenlesungen noch immer ein Mauerblümchendasein. Die Auswahl an Auftrittsmöglichkeiten und das Interesse beim lesenden Publikum sind erschreckend gering, offenbar ein Überbleibsel aus der Zeit des Kommunismus, in der Lesungen »definitiv nicht frei ausgeübt werden« durften.

Im krassen Gegensatz dazu stehen die öffentlichen Auftritte des amerikanischen Schriftstellers T.C. Boyle, der in Deutschland regelmäßig ganze Konzerthallen füllt und sich gern daran erinnert, wie er gemeinsam mit der Musikerin Patti Smith im New Yorker Central Park auftrat – vor schätzungsweise 7.000 Besuchern.

Seine Stärken offenbart das Buch von Thomas Böhm jedoch vor allem dann, wenn die Autoren ihre Auftritte – insbesondere vor ausländischem Publikum – analysieren. Der libanesische Dichter Adonis konstatiert:

»Die Beurteilung des Erfolges (einer Lesung) ist eine reine Gefühlssache, die ich den Reaktionen der Zuschauer entnehme, die ich aus ihren Augen ablese, aus ihren Reaktionen, wenn sie mich danach um eine Buchsignatur bitten, wenn sie mit mir reden. Ich weiß, dass viele Leser nicht verstehen, was ich sage, die einzelnen Gedichte intellektuell nicht genau nachvollziehen können, aber dass sie diese körperliche und stimmliche Präsenz und die Atmosphäre der Dichtung sehr wohl empfinden können. Und wenn es mir gelingt, diese Atmosphäre herzustellen, spüre ich das auch und bekomme diese Energie zurück.«

»Weltempfang« liefert viele solcher Erkenntnisse und ist daher mehr als nur ein anspruchsvoller Ratgeber für Autoren, die sich auf Lesungen vorbereiten wollen. Das Buch zeigt auch Hindernisse und Gefahren auf, die sich in der Auseinandersetzung mit anderen Sprachen und Kulturen verbirgen, und es leistet einen wertvollen Beitrag für das Verständnis des Zuhörenden gegenüber dem Vortragenden.

Thomas Böhm (Hrsg.): Weltempfang. Panorama internationaler Autorenlesungen
Deutsch | Tropen 2006 | 188 Seiten

Holger Reichard