»Wallner beginnt zu fliegen« ist ein Familienroman, eine Saga über drei Familiengenerationen hinweg. Und es ist ein Roman über die Frage, ob man Familiengeschichte so erzählen kann wie sie wirklich passiert ist. Ein faszinierendes Debüt in drei Kapiteln: Ein Wirtschaftsroman, ein Musikerleben und ein Frauenschicksal.

Stefan Wallner lebt in seiner Ehe mit Ana, einer Deutsch-Rumänin, hat einen Sohn. Er hat sich mit seiner Firma für Landmaschinen eine Heimat geschaffen. Der berufliche Erfolg lässt ihn seine eigene, katastrophale Vaterbeziehung vergessen.

Über die Jahre hinweg – die Firma floriert, fusioniert mit einem anderen Unternehmen und geht schließlich an die Börse – bröckelt das enge Verhältnis zu den Mitarbeitern innerhalb des Betriebs. Wallner fühlt sich verfolgt, wittert eine Verschwörung.

Sein Sohn Costin ahnt von der beginnenden Paranoia seines Vaters nichts. Doch was bei Stefan Wallner nur im Kopf stattfindet, das erlebt Costin, der sich durch sein Leben und seine Rollen wie durch das Fernsehprogramm zappt, am eigenen Leib. Er macht Karriere als Superstar in einer vom Fernsehen gecasteten Popgruppe, er lebt Alternativkarrieren als Synchronsprecher in einem Hitler-Zeichentrickfilm oder als Ex-Promi in einer Reality-Show. Er gründet ein Rock-Label, lebt mit einer gewissen Romy zusammen, sie ist Sängerin einer Gruppe namens »Erich«. Und er erfährt erst spät von seiner unehelichen Tochter Wendy.

Diese trifft ihren Vater zum ersten Mal kurz bevor sie volljährig wird. Ihre Mutter hatte ihr das Verhältnis mit Costin stets verschwiegen. Doch kaum hat sie ihren leiblichen Vater kennen und lieben gelernt, da stirbt er. Als Wendy sich nach dem Tod Costins daran macht, ihre Familiengeschichte zu rekonstruieren, fällt es ihr zunehmend schwerer, zwischen Lebenslügen, Irrtümern und der nachrecherchierten Wirklichkeit zu unterscheiden.

Der junge Münchner Autor Thomas von Steinaecker ist Jahrgang 1977 und hat mit seinem Erstlingswerk »Wallner beginnt zu fliegen« einen echten Überraschungscoup gelandet. Von Steinaecker erzählt in seinem Romandebüt, übrigens wunderbar illustriert von Daniela Kohl, ausgesprochen kurzweilig eine dreiteilige Familiengeschichte, die den Leser von der ersten bis zur letzten Seite in ihren Bann zieht. Die Erzählung über die drei Generationen der Familie Wallner ist eine aufwühlende, aber auch glaubwürdige Studie einer Familie, die im Jetzt beginnt und in der Zukunft endet.

Auf 368 Seiten hat es der Autor geschickt verstanden, durch eine jeweils den Figuren und ihrer Umwelt angepassten Sprache jedem Kapitel eine eigene Stimmung zu geben. Der Leser taucht in die jeweilige Episode ein und erlebt ein wenig der Rat- und Rastlosigkeit dieser Familie.

Die Kapitel durchzieht ein ungewisses Gefühl der Sinnlosigkeit, trotz äußerem Vorwärtsstreben bleiben die Akteure innerlich unbefriedigt und entwurzelt. Ihre Sehnsucht nach Leichtigkeit, Fantasie und Familiensinn ist für den Leser spürbar. Das Buch endet mit einer wundersam verschlungenen Schlusspointe. Mehr soll hier nicht verraten werden.

Thomas von Steinaecker: Wallner beginnt zu fliegen
Deutsch | Frankfurter Verlagsanstalt 2007 | 368 Seiten

Renate Standfest