How do I know what you should do? You’ll do what you think you want to do, or what you think you ought to do. If you’re very lucky, luckier than anybody I know, the two will coincide.

»Angle of Repose« ist ein Western der besonderen Art. Aus der Perspektive von Lyman Ward, einem älteren, invaliden Geschichtsprofessor, erzählt der Roman das Leben seiner Großmutter, Susan Burling, die durch ihre Heirat mit Oliver Ward im Alter von knapp 30 Jahren aus ihrer gewohnten Welt herausgerissen und mit der noch rohen Zivilisation des Wilden Westens konfrontiert wird.

Susan wächst im Osten auf, sie ist mit ganzem Herzen in das hoch kultivierte Leben der Bildungs-High-Society New Yorks am Ende des 19. Jahrhunderts integriert und strebt eine Karriere als Zeichnerin an. Doch dann verliebt sie sich in denselben Mann wie ihre beste Freundin Augusta, in Thomas Hudson, den perfekten Gentleman, der außerdem erfolgreicher Literat und Herausgeber wird. Als er sich für Augusta entscheidet, heiratet Susan in einer Art Trotzreaktion Oliver Ward, den Bergbau-Ingenieur aus dem Westen – ein Schritt, den Augusta niemals billigen wird.

Obwohl sie ihn sehr liebt und in manchen Dingen auch bewundert, ist Susan ihr Ehemann stets ein bisschen peinlich, besonders gegenüber ihren New Yorker Freunden. Oliver Ward ist in vielerlei Hinsicht ein typischer Westerner: Er redet nicht viel, sondern handelt lieber, er ist Praktiker, er behält in plötzlichen Gefahrensituationen einen klaren Kopf, und vor allem ist er zu aufrichtig und ehrlich, um in der Zeit der westlichen Expansion die Art von Geschäften zu machen, die ihm schnellen Reichtum bringen würden.

Susan, für die ein eigenes, dauerhaftes Zuhause für ihre Familie oberste Priorität hat, leidet unter Olivers ständigen Jobwechseln, die all seine gescheiterten Projekte mit sich bringen, während ihre Obsession mit Kultiviertheit nicht nur verhindert, dass sie sich im noch unfertigen Westen je zu Hause fühlt, sondern auch, dass sie die Qualitäten ihres Mannes je wirklich ganz schätzen lernt. Beide geraten in Situationen, die schwierige, fast unmögliche Entscheidungen von ihnen fordern, deren Konsequenzen sie ein Leben lang mit sich herumtragen.

Die Geschichte dieser viktorianischen Ehe, die trotz aller Widerstände mehr als sechzig Jahre hält, fasziniert Lyman Ward, den Enkel. Einerseits bietet ihm die Beschäftigung mit dem aufregenden Leben seiner Großeltern als Pioniere im Westen des 19. Jahrhunderts eine Flucht aus seinem eigenen unbeweglichen und verletzten Leben, aber andererseits sucht er bei seinen Großeltern nach einer Antwort auf die Frage, warum seine Ehefrau ihn verließ, als sein Bein amputiert wurde, und ob er ihr – im Gegensatz zu seinem Großvater, der seiner Großmutter nie verzeiht – vergeben kann oder nicht.

Eine dritte, anders geartete Perspektive ergibt sich durch Lymans Assistentin Shelly, eine Anhängerin der Hippie-Generation, die gerade mit ihrer eigenen Beziehung zu ihrem Freund kämpft und bei Lyman Antworten auf dieselben Fragen sucht, welche Werte wichtig sind und eine bessere menschliche Gemeinschaft möglich machen.

»Angle of Repose« ist von der ersten bis zur letzten Seite dramatisch, informativ und mitreißend in seiner Suche danach, wie man sich in welchen Umständen am besten verhält.

Wallace Stegner: Angle of Repose
Englisch | Penguin Classics 2000 | 592 Seiten

Sabine Anders