TheQuestBySynnecta – Wozu sind wir?

Menschen in Unternehmen erwarten eine glaubwürdige Antwort auf diese Frage, um ihre Arbeit in einem sinnstiftenden und für sie bedeutsamen Zusammenhang stellen zu können. Unternehmen reagieren auf diese Herausforderungen und positionieren sich mit einem Unternehmenspurpose. Dieser wird bisher fast ausschließlich in einer Innenansicht entwickelt. Unternehmen existieren aber immer im Kontext ihres eigenen EcoSystems. Ein sinnstiftender Purpose lässt sich nur im Dialog mit den Stakeholdern des eigenen EcoSystems entwickeln. Unser Anliegen als SYNNECTA ist, diese Gesprächsprozesse wirklich multiperspektivisch zu gestalten und damit ein tieferes Verstehen der Unternehmensidentität zu ermöglichen.

Menschen haben ein Bedürfnis, in sinnvollen Zusammenhängen zu arbeiten

Es gibt Veränderungen und Verschiebungen in der Mentalität der Gesellschaften, die vor allem in den jungen Generationen wahrnehmbar werden. So steigt der Wunsch und das Bedürfnis, in sinnvollen Zusammenhängen zu arbeiten, der Wille, in und mit dem eigenen Beruf Nützliches für ein größeres Ganzes zu schaffen. Kurz: Bedeutsamkeit zu erleben.

Ebenso stellen die Gesellschaften an die Unternehmen die Frage, was sie denn zum Nutzen für die Menschen und Gesellschaften leisten. Dies tun sie sowohl als Bürger*innen, als auch als Mitarbeitende.

Unternehmen reagieren auf diese Herausforderungen und positionieren sich mit einem Unternehmenspurpose. Dieser ist oft noch sehr von Marketinggedanken getrieben. Bei der Erarbeitung eines Unternehmenspurpose wird an den alten Strukturen festgehalten. Eine ausgewählte Gruppe von Führungskräften formuliert einen Purpose, der dann mit erheblichem Aufwand nach Innen und Außen kommuniziert wird.

Häufig sind in der Entstehung die Perspektiven der sehr diversen Mitarbeiterschaft, der Kunden, der gesellschaftlichen Gruppen, der Märkte kaum vertreten. Bisher mangelt es an echtem und offenem Dialog zwischen den Interessensgruppen. Ein gemeinsames Verständnis, als Basis für einen Unternehmenspurpose, kann somit nicht entwickelt werden.

Die eigene Identität im Kontext des EcoSystems verstehen: »Wozu sind wir?«

Organisationen entstehen und existieren im Umfeld verschiedener Stakeholder: Märkte, Kunden, Wettbewerber, Partner, Gesellschaft, Mitarbeitende etc. All diese Systeme befinden sich in kontinuierlichem Austausch und beeinflussen sich untereinander, sie bilden miteinander ein EcoSystem. Da Organisationen immer ein Teil des EcoSystems sind, können sie sich selbst nur im Kontext ihres EcoSystems verstehen. Die Identität einer Organisation bestimmt sich im kontinuierlichen Dialog mit dem EcoSystem.

Bei der Entwicklung der verbindenden und sinnstiftenden Identität der Organisation steht eine Frage im Fokus:

  • Wozu sind wir? Was wollen wir in unserem EcoSystem beitragen?

Eine Antwort auf diese Frage, die allein im Inneren der Organisation gefunden wird, erzeugt eine eingeschränkte und oft verzerrte Perspektive. Sie basiert auf Hypothesen über sich und die Welt, die auf vielen Wegen entwickelt wurden, aber nicht im direkten Austausch mit eben dieser Welt, den Stakeholdern im eigenen EcoSystem.
Ein wirklich gutes Verständnis der eigenen Identität braucht den direkten Dialog mit den verschiedenen Stakeholdern des eigenen EcoSystems und zwar aus einer Perspektive, die von außen nach innen gerichtet ist:

  • Was braucht Ihr?
  • Was können wir für Euch tun?
  • Was können wir gemeinsam tun?
  • Wie sollten wir aus Eurer Sicht sein, damit wir attraktive Partner für Euch sind?

Dialog und gemeinschaftliche Auseinandersetzung mit dem eigenen EcoSystem

Wir gestalten mit den Stakeholdern des EcoSystems gemeinsame Dialogräume und ermöglichen damit eine gemeinschaftliche, multiperspektivische Auseinandersetzung zu einem gemeinsam geteilten Leitmotiv. Alle relevanten Perspektiven finden einen Ort, wo sie voneinander und miteinander lernen und verstehen – über sich selbst, über gemeinsame Interessen, über gemeinsame Möglichkeiten. Das unterstützt in der Folge die Beschreibung der eigenen Identität und des eigenen Purpose. Der gesteuerte Dialog lässt Synergien entstehen. Der multiperspektivisch angelegte Prozess erweitert das eigene Denken. Entstehung und Implementierung fallen zusammen und erzeugen ein hohes Engagement für die gemeinsame Sache.

Unser Vorgehen:

  1. Die Organisation wählt ein übergeordnetes Leitmotiv für den Dialog im EcoSystem.
  2. Ein möglichst großes Spektrum verschiedener Stakeholder wird zur gemeinschaftlichen Erkundung dieses Leitmotivs eingeladen.
  3. Mit den Stakeholdern werden die gemeinsamen, relevanten Fragen in Bezug zum Leitmotiv entwickelt.
  4. Mit Hilfe weiterführender Leitfragen wird ein inhaltlich hochwertiger Dialog moderiert, der grundsätzlich multiperspektivisch angelegt ist.
  5. Vielversprechende Impulse aus dem Dialog können aufgenommen werden und in zukünftige Initiativen und gemeinsame Projekte führen.
  6. Die Stakeholder können weitere individuelle Schlussfolgerungen und Maßnahmen aus den gemeinsamen Erkenntnissen entwickeln.

Entscheidend für den Erfolg ist die Auswahl der Stakeholder. Ein guter Dialog führt zu neuen Erkenntnissen und braucht daher hinreichend Fremdheit. Er braucht den konstruktiven Widerspruch. Hier liegt die große Herausforderung und Chance multiperspektiver Dialogprozesse: Unterschiede zuzulassen, sie wirken zu lassen und mit ihnen eine tiefere, gemeinsame Erkenntnis zu entwickeln.

Das WIR des Unternehmens – Dynamiken der Identitätsbildung

Es ist keine neue Herausforderung: Wie können Unternehmen eine erkennbare und das Verhalten der Mitarbeitenden leitende Identität gewinnen oder erhalten? In den großen Unternehmen, deren Geschichte oft von Mergern geprägt ist, überrascht immer wieder, wie tief und dominierend eine Herkunftsidentität ist. Sie zeigt sich auch nach Jahrzehnten in Einstellungen, in Entscheidungsformen in den Geschichten, die erzählt werden. Die Zugehörigkeit zur aktuellen Gemeinschaft und die emotionale Bindung an deren Identität ist da oft oberflächlich geblieben. Diese Dynamik ist jedoch nicht nur in den von Mergern geprägten Unternehmen zu beobachten. Wir sehen, dass Unternehmen immer fragmentierter werden – die Peripherie gewinnt höhere Bedeutung, die Unterschiedlichkeit der Märkte erzwingt unterschiedliche Handlungsstrategien und fördert so differente Selbstbeschreibungen. Heute kommen sich schnell entwickelnde unterschiedliche Arbeitsweisen hinzu – unterschiedlichste Grade der Selbstorganisation, wie sie von agilen Arbeitsmethoden verlangt werden und mit ihnen andere Strukturen und andere Verhaltensweisen und Erwartungen an das Verhalten. Das unternehmensweite Wir wird brüchig.

Vor einem Jahrzehnt war die Antwort auf diese Brüchigkeit: Gemeinsame Werte und eine Unternehmensmarke formulieren und intensiv kommunizieren. Das führt bis heute zu den Wellen der Beeinflussung durch die internen Kommunikationsbereiche, sei es zu Werten, sei es zum Führungsverhalten, zu Compliance, zu den je eigenen Claims, die die Leitidentität beschreiben sollen. Wie in einer unvermeidlichen Bürokratie üblich wurden dann auch zugehörige Sanktionsmechanismen ausgebildet.

Nun sind mit der Purpose-Rhetorik und einer sich deutlicher zu Wort meldenden Öffentlichkeit die Claims hinzugetreten, die das Unternehmen als »gut« bestimmen – hilfreich und nützlich für die Gesellschaften. Zu Beginn dieser internen Auseinandersetzung mit der eigenen Identität und ihrer Verankerung als das Handeln leitende Leitbild wurde eine aus der Hierarchie definierte Identität noch einfacher akzeptiert. Heute steigt der Anspruch an die Beteiligung der Mitarbeitenden und darüber hinaus anderer relevanter Stakeholder, womit die Grenze des Unternehmens überschritten wird.

Blickt man auf dieses Thema aus einer gesellschaftlichen Perspektive, so hat sich dieses Problem schon immer für jede Gesellschaft und ihre politische Formierung gestellt. Dabei spielte dann ein in den Bildungseinrichtungen vermittelter Kanon zugleich mit der Vermittlung einer gemeinsamen Sprache eine große Rolle. Unternehmen haben mit ihren Bildungs- und Trainingsabteilungen hier vergleichbare Strukturen, die sie jedoch nur bedingt nutzen und die ein großes Potential beinhalten. Eine gemeinsame Verwaltungsinfrastruktur (welche oft als Zentralisierung empfunden wird, weil sie noch in einer »Corporate«-Struktur gebündelt wird) und die Ausbildung von Eliten sind andere Maßnahmen zur Gestaltung von gemeinsamer Identität. Die großen Feste, genannt Leadership Meetings, Unternehmenstage und andere gebräuchliche Bezeichnungen, seien sie analog oder virtuell, dienen vor allem der Feier einer dort emotional gestalteten, erlebbaren Identität. Sie sind Feiern des »Wir«. Danach ist es jedoch oft schwierig, dieses Identitätsgefühl in konkrete Verhaltensregeln und Handlungsformen zu übersetzen. Die Last der bürokratischen Arbeit.

Wir beobachten, wie diese stetige Entwicklung der Identitätsformen immer stärker von den Peripherien beeinflusst werden. Das hat unter anderem seinen Grund in der höheren Mobilität der Menschen, die in den unternehmerischen Peripherien arbeiten – sie leben im Modus des Erreichens und nicht des Behaltens.

So sehen wir eine konstante Dynamik in der Gewinnung und Stärkung einer unternehmerischen Identität. Die Vorbilder sind immer noch die Weisen, in denen sich nationale Identitäten ausgebildet haben. Daher sehen wir auch heute den Wunsch nach charismatischen Führungskräften, nach CEO’s, die sichtbar für etwas stehen und dies auch emotional vermitteln können. In dem gemeinsamen Blick auf den CEO, wie unterschiedlich die Projektionen im Einzelnen auch sein mögen, bildet sich ein Wir-Gefühl.

Wir sehen jedoch auch, dass die klassischen Top-Down-Ansätze nicht mehr ausreichen. Der Beteiligungsaspekt wird bedeutsamer und nicht nur als »Kommunikationsform«. Die geforderten, wirksamen, Verhalten leitenden Identitätsformen sind nur im Dialog zu formen. Es gilt auch hier, dass der Prozess wichtiger ist als ein »druckfähiges« Ergebnis. Dabei sind die Mitarbeitenden ein wichtiger Stakeholder, genauso aber die Shareholder, die Unternehmensführung, relevante Vertreter des Marktes und heute auch der Gesellschaften. Es ist äußerst anspruchsvoll, einen solchen Dialogprozess in den großen globalen Unternehmen zu realisieren. SYNNECTA hat hier mit theQuestbySynnecta Modelle entwickelt, in der trotz Größe und Diversität solche Dialoge wirksam gestaltet werden können. Und es gibt einen schönen willkommenen Nebeneffekt: das immer noch verbreitete Inside-Outside-Denken und -Entscheiden wird umgedreht (dreht sich) und führt die Unternehmen in ein in diesen neuen Zeiten der Vernetzung erfolgskritisches Outside-Inside-Denken.

Rüdiger Müngersdorff

Einige Gedanken zum Modebegriff »Mindset«

Was wir von der Welt um uns und der Welt in uns erkennen und wissen, ist nicht voraussetzungsfrei. Der Zweifel an der Abbildungstheorie der Erkenntnis hat eine lange Tradition. In der Erkenntnistheorie ist es spätestens seit Kant geteiltes Wissen, dass Erkenntnis an Voraussetzungen gebunden ist. Voraussetzungen, die der Erkenntnis vorausliegen, seien es die Anschauungsformen von Raum und Zeit für die Wahrnehmung oder e.g. die Kausalität für die Erkenntnis. Wir gestalten Erkenntnis der Realität, wir bilden sie nicht ab. Die Hermeneutik, die Sprachphilosophie haben diesen Gestaltungsaspekt der Wahrnehmung und Erkenntnis weiter differenziert. Was in der Erkenntnistheorie grundsätzlich analysiert wurde, findet sich in der Psychologie wieder – die Bedeutung unserer individuellen kognitiven und emotionalen Entwicklung für die aktuelle Wahrnehmung und Erkenntnis der inneren und äußeren Realität wird analysiert und in der Idee des Wiederholungsmotivs spezifiziert. Dem entsprechen die Arbeiten der Kulturanthropologie und Soziologie, die unter anderem mit dem Konzept der Mentalität zunächst der Wahrnehmung, der Erkenntnis und des Handelns vorausliegende schichtspezifische Muster identifizieren, was später auf die Konstruktion nationaler Wahrnehmungs- und Denkmuster ausgedehnt wird. In unserer Zeit setzte sich der radikale Konstruktivismus mit den Voraussetzungen des Zugangs zur Realität auseinander. Er hatte wesentlichen Einfluss auf das, was heute als »systemisch« bezeichnet wird, eine der modernen Grundlagen der Organisationsentwicklung.

Mit dem Einzug des systemischen Ansatzes wurde zum Beispiel deutlich, dass das Strukturierungskonzept der Ursache-Wirkungskette begrenzten Erkenntniswert hat, wenn es um das Verständnis individueller und kollektiver Wahrnehmungen, Denkweisen, emotionaler Zustände und dann folgend Entscheidungs- und Handlungsweisen geht. Die Mächtigkeit des Ursache-Wirkungsmotivs, das bei allen Dingen, die vom Menschen bewusst gemacht und hergestellt wurden, perfekt funktioniert, wird, wenn es um das Handeln von Individuen und Kollektiven geht, um das Konzept des Bedingtseins ergänzt. Dieses Konzept lässt die Eindeutigkeit des Ursache-Wirkungsprinzips vermissen; es gibt nicht die eine Bedingung, die uns ein Verhalten verstehen lässt. Auch dieses Konzept hat eine lange Tradition, es ist bereits im Buddhismus formuliert, was teilweise zu verstehen hilft, weshalb ein iterativer Arbeitsstil im asiatischen Raum so viel leichter verwirklicht wird.

Was in der Organisationsentwicklung lange unter dem Begriff Kultur abgehandelt wurde, findet sich jetzt gerne unter dem Begriffsfeld Mindset wieder. Beide Begriffe haben den Vorteil, dass sie sehr unspezifisch sind und so für sehr diverse Ansätze Verwendung finden. Auch wenn die Konzeptbildungen der Organisationsentwicklung immer auch unter dem Aspekt des Marketings betrachtet werden müssen, so gibt es dennoch einen Erkenntnisertrag aus den Kultur- und Mindsetanalysen der letzten Zeit. Wir konstruieren unsere Realität sowohl individuell als auch kollektiv aus dem Horizont unserer individuellen und kollektiven Gewordenheit – in den Konzepten des radikalen Konstruktivismus, nicht nur, aber auch als funktionale Anpassung. Und so finden unsere Entscheidungen und Handlungen sowohl individuell als auch kollektiv auf der Grundlage dieser, der gegenwärtigen Realität vorausliegenden Bedingungen statt.

Die neuere Mindsetarbeit hat den Vorteil, dass sie sich vor allem auf Methoden konzentriert, die durchaus in einem engeren Rahmen einen bewussten Zugang zu einigen dieser Voraussetzungen ermöglicht. Ein praktikabler Weg, um einigermaßen schnell erste Ergebnisse für das eigene Handeln zu generieren. Dabei wird der Aspekt des individuellen Mindsets überbetont – dem modernen Credo gehorchend: Ich bin der Herr meiner Wahrnehmung, Erkenntnis und meines Handelns. So nützlich dieser Glaube auch für die Aufrechterhaltung des in seinem Handeln autonomen Subjekts ist, so sehr verkürzt es auch die kollektive Bedingtheit unserer Wahrnehmungen, Erkenntnisse, Emotionen und schließlich unserer Entscheidungen und Handlungen. Ohne eine deutliche Betonung und daraus folgend eine methodische Erweiterung der Bedeutung des kollektiven Mindsets für die Organisationsentwicklung bleibt die Wirkung der Mindsetarbeit begrenzt.

Mit #Myndleap haben #sisko #oudheusden #muengersdorff einen Schwerpunkt auf die Veränderung ermöglichende methodische Arbeit an kollektiven Mentalitäten, Mindsets gesetzt. Nur so lässt sich ein nachhaltiger Gewinn für Organisationen gestalten.

Dabei gilt als Leitmotiv, was schon Ernst von Glasersfeld 1987 formuliert hat: Grundlegend ist da die These, dass wir die Welt, die wir erleben, unwillkürlich aufbauen, weil wir nicht darauf achten – und dann freilich nicht wissen -, wie wir es tun. Diese Unwissenheit ist alles andere als notwendig. Der radikale Konstruktivismus behauptet, ähnlich wie Kant in seiner Kritik, dass wir die Operationen, mit denen wir unsere Erlebniswelt zusammenstellen, weitgehend erschließen können, und dass uns dann die Bewusstheit des Operierens, (…) helfen kann, es anders und vielleicht besser zu machen (Ernst von Glasersfeld: Wissen, Sprache und Wirklichkeit, Braunschweig 1987).

Das »vielleicht« in Glasersfelds hoffnunggebenden Satz macht dabei deutlich, wie simplifizierend das Gerede von einem Growth Mindset ist. Und was gibt Hoffnung? Wir können individuell und kollektiv Bewusstheit über unsere weitgehend unbewussten Bedingungen des Wahrnehmens, des Erkennens, des Fühlens, des Entscheidens und Handelns gewinnen und uns so die Freiheit geben, es auch anders zu machen.

Rüdiger Müngersdorff
Foto: Danny Lines by unsplash.com

Unternehmen als urbane Infrastruktur. Eine Anregung.

Wir leben in einer Gesellschaft, in der Individualität und Diversität stetig wachsen. Damit treffen auch unterschiedlichste Identitäten, Lebensentwürfe und Wertvorstellungen aufeinander. In den urbanen Infrastrukturen erleben wir sowohl den Reichtum als auch die Konfliktanfälligkeit dieser Lage. Die Notwendigkeit, Dialog- und Verständigungsräume zu schaffen, sie lebendig zu halten und zu orchestrieren, wird kontinuierlich stärker. Wir werden zunehmend mit den Spannungen dieser Situation konfrontiert und wissen, dass es keine Rückkehr zu einer Welt gibt, in der Lebensgemeinschaften unhinterfragt in einem gemeinsamen Wertekosmos mit definierten Identitäten leben. Wir sind eine offene Gesellschaft, die auf Verständigung und damit auf einen nicht endenden Dialog angewiesen ist.

Hat das Auswirkungen auf Unternehmen und auf das, was wir Organisationsentwicklung nennen? Unternehmen sind Gemeinschaften, die den oben genannten Tendenzen, die in den urbanen Infrastrukturen deutlich sichtbar werden, ebenfalls unterliegen. Je globaler Unternehmen agieren, desto stärker erleben sie diese Dynamik. War es vor zehn Jahren noch ausreichend, in den Unternehmen einen gemeinsamen Werte- und Verhaltenskodex zu formulieren, so geht es heute darum zu gewährleisten, wie die unterschiedlichen »Identitätskonzepte« im Lebens- und Arbeitsraum Unternehmen Platz finden, und zwar so, dass gemeinsames, zielgerichtetes Handeln möglich ist.

Es sind Zweifel angebracht, ob die vorwiegend oligarchische Verfassung der Unternehmen die für diese Aufgabe geeignete Struktur bietet. Es gibt gute Gründe, weshalb die Organisationsentwicklung sich mit demokratischen Ansätzen beschäftigt, seien es auch vertikal demokratische. Paternalistische Kommunikationskonzepte, die in Wellen der Beeinflussung das richtige und gute Verhalten verkünden, gehen an der eigentlichen Frage vorbei. Diese lautet: Wie kann eine Gemeinschaft mit stetig wachsender Diversität, die sich durch eine Vielzahl von Wertorientierungen, Identitätsentwürfe und Verhaltenskodexe auszeichnet, dennoch zielgerichtet, abgestimmt und kooperativ handeln? Gut ist eine Unternehmenskultur, die Platz hat für die individuellen Eigenheiten der Unternehmensbürger und zugleich Nutzen für die Gemeinschaft stiftet. Diese Balance lässt sich nicht anweisen.

Es ist deshalb sinnvoll ein Unternehmen unter der Perspektive einer urbanen Infrastruktur zu betrachten. Diese hat Eigenheiten, die wir heute auch in den Unternehmen beobachten können. So verändert sich die Rolle einer Führungskraft – seine Anweisungsmacht besteht oft nur noch auf dem Papier. Seine Aufgabe ist zunehmend eine politische: Gemeinschaften zu bilden, ihnen Orientierung zu geben, Mehrheiten zu beschaffen. Um das zu erreichen erhöht sich der Kommunikationsaufwand um ein Vielfaches und er ist dialogpflichtig. Der Zeitaufwand für das Gespräch nimmt deutlich zu.

Eine andere Eigenheit urbaner Strukturen sind die Nischen, die Freiräume, der Raum für Ungeregeltes. Hier drückt sich die Individualität aus, hier bildet sich der Humus, auf dem Innovation und Verbesserung wachsen können. Diversität ist kein Statistikspiel, es kommt darauf an, dass Diverssein gelebt werden kann. Nur dann lassen sich auch die Vorteile einer diversen Gemeinschaft erleben.

Und schließlich: Urbane Infrastrukturen schaffen Orte der Zufälligkeiten, der nicht intendierten Begegnung. Hier geschehen Anregungen, Impulse außerhalb der Routinen. Und hier wird wesentlich Motivation gestaltet, die eben auch einen sozialen Aspekt hat und sich auf eine Zugehörigkeit bezieht.

Und blicken wir auf die sich deutlicher digitalisierende Arbeitswelt, so wird es eine Aufgabe sein, Urbanität in den digitalen Räumen zu gestalten.

Rüdiger Müngersdorff

Ein kleiner Neujahrsgruß: 2021 – Schon wieder ein neues Veränderungsprojekt

Wie jedes Jahr werden zum Jahreswechsel die ehrgeizigen persönlichen Veränderungsprozesse gestartet und mit Manifesten der guten Vorsätze und Ziele untermauert.

Und wie bei so vielen Veränderungsprozessen in Unternehmen, die nie den angestrebten Zielzustand erreichen, lösen sich auch die hehren Ziele der Neujahrsvorsätze schnell in Luft auf. Nur ca. 9% werden tatsächlich erfolgreich und nachhaltig umgesetzt. Eine bescheidene Erfolgsquote fürwahr! Und was braucht es, wenn wir es ernst meinen und nicht einfach in Champagnerlaune ein paar Sehnsüchte als Vorsätze verkünden?

Ein sehr konkretes Ziel wäre hilfreich, gerne eingebettet in einen Traum. Der Traum von der schlanken, sportlichen Version unserer Selbst ist verlockend und konkrete verbindliche Schritte führen dorthin. Der bloße Vorsatz (bzw. meistens ist es nur ein Wunsch, »Ich will abnehmen und mich mehr bewegen«) wird kaum zum Ziel führen. »Wir wollen ein agiles Unternehmen werden« übrigens ebenso wenig. Welche Begründung, welcher Traum und welche konkreten Ziele sind daran gebunden? Wie kann ich konkret Selbstverantwortung fördern, schädliche Nebenwirkung hierarchischer Führung eliminieren, wie eine »angstfreie« Organisation erreichen, in der Engagement und Kreativität blüht?

Das Bild meiner sportlichen, schlanken Version kann ein attraktives Zielbild sein, und 3 x die Woche 20 Minuten joggen oder 10 Liegestütze jeden Morgen vor dem Duschen, 3 Liter Wasser am Tag trinken und das Gewicht einmal die Woche wiegen, um ein festes Gewichtsziel zu einem fixierten Zeitpunkt zu erreichen, können uns schon eher in Richtung unseres Traums und unserer konkreten Ziele führen. Die Ziele sollten wohl besser nicht zu groß gesetzt werden, im besten Falle SMART (Spezifisch, Messbar, Attraktiv, Realistisch, Terminiert).

Auf dem Weg der Veränderung kommt sehr schnell die umgekehrte Proportionalität von Motivation und Disziplin ins Spiel. Ist meine Motivation sehr hoch, was meistens in der schwungvollen Anfangsphase der Fall ist, dann brauche ich wenig Disziplin, aber wehe, wenn die Motivation nachlässt, was entweder nach den ersten Rückschlägen oder zu leichten Erfolgen geschieht, dann kann nur Willenskraft und Disziplin helfen.

Da unser Leben zu mehr als 80% aus dem Unbewussten/Unterbewusstsein bestimmt wird und der Einfachheit halber aus Routinen und Gewohnheiten besteht, braucht es schon eine hohe Aufmerksamkeit, ein waches Bewusstsein, um gewohntes Verhalten zu verändern. Bei gleichen Situationsbedingungen werden wir unser Verhalten wiederholen, das gelernte Programm abrufen. Das heißt auch, dass wenn ich in einer Hierarchie sozialisiert wurde, der Appell zu Selbstverantwortung ins Leere gehen wird. Die kleinsten hierarchischen Trigger werden mich sofort zu gelerntem Verhalten verführen, das ja auch im alten System belohnt wurde.

Warum es so schwer ist, gewohntes Verhalten zu verändern, hat neben der Disposition aus den Programmen des Unterbewusstseins psychologische und neurologische Gründe.

Psychologische, weil das Gehirn grundsätzlich keine großen Veränderungen will, da dies aus der archaischen Prägung Gefahr bedeuten könnte. Große Veränderungen widersprechen daher grundsätzlich dem Selbsterhaltungstrieb des Menschen. Und der Widerstand wird umso größer, je größer die Veränderung empfunden wird. Eine reale, aber auch schon eine empfundene oder befürchtete Veränderung löst diesen Widerstand aus. Eine große Herausforderung für jede Initialkommunikation am Beginn eines Veränderungsprozesses.

Neurologische Gründe, weil noch keine neuronalen Pfade im Gehirn für das neue Verhalten angelegt sind. Sie bilden sich erst durch konsequente Wiederholung von Handlungen und entwickeln sich bildlich mit der Zeit von kleinen Trampelpfaden zu Wegen, Straßen bis hin zu Autobahnen. Und eine neue Gewohnheit ist erst nach ca. 60 Tagen entstanden!

Veränderungsprozesse und Neujahrsvorsätze haben sehr ähnliche Erfolgskriterien.

Es braucht eine bewusste Entscheidung für die Veränderung, eine glaubwürdige Begründung und ein attraktives Zukunftsbild. Es hilft mir für den Neujahrsvorsatz sehr, wenn ich ihn transparent mache und in meinem Umfeld kommuniziere. So erhalte ich Unterstützung und Ermunterung. Dass eine Change Vision im Unternehmen kommuniziert werden sollte, ist selbstverständlich. Sie wird jedoch noch überzeugender, wenn sie bereits gemeinsam geformt wurde und viele Menschen aus allen Regionen, Funktionen und Ebenen (so es sie noch gibt) beteiligt waren.

Welche Geschichten können wir erzählen, um das Zukunftsbild auch emotional zu vermitteln und attraktiv werden zu lassen? Wenn sich die Selbstbeschreibung ändert, die Antworten auf die Fragen »Wer sind wir?« und »Wie wollen wir sein?«, dann ist bereits viel erreicht. Wenn das individuelle Verhalten allerdings in den gewohnten Routinen abläuft oder durch »Trigger« im alten Belohnungssystem verharrt, wird auch die große Veränderungsgeschichte stecken bleiben. Intensiver Dialog und Achtsamkeit, wohlwollende Feedback-Partnerschaften und Belohnungssysteme für selbstgewähltes neues Verhalten unterstützen den Erfolg.

Wenn das Narrativ und das individuelle Verhalten zusammenfinden, bekommt die Veränderung Kraft und Dynamik.

Wir wünschen viel Erfolg beim Verwirklichen der Neujahrsvorsätze 2021 und den spannenden Veränderungsprozessen in der neuen Wassermann-Zeit! Der Weg zum Himmel ist mit erfüllten Vorsätzen gepflastert!

Jörg Müngersdorff

Globalismus

Die Notwendigkeit, global zu denken und zu handeln trotz der Schmerzen und Enttäuschungen in den Prozessen der multilateralen Verständigung.

Wir und Sie werden wieder nationaler. Das Grundmuster sozialer Unterscheidungen in der Differenz von »Wir« und »Die da« wird wieder schärfer. Zugleich werden unsere Probleme globaler – sie betreffen uns alle und es gibt keine Aussicht auf eine Lösung innerhalb der Teilgliederungen unserer fragilen globalen Ordnung.

Mit der Zunahme der gegenseitigen Interdependenzen, der Unberechenbarkeit von global auftretenden Ereignissen (aktuell z.B. Pandemien), der Krise eines Verhaltens zur Natur, die nationale Grenzen nicht kennt, wird die Steuerungsfähigkeit und Problemlösungskompetenz nationaler Einheiten kontinuierlich geschwächt. Akute Problemstellungen, wie der Klimawandel, das fragile Finanz- und Bankensystem, die Risiken von Technologien (z.B. Genmanipulation, Energiegewinnung) und die zunehmende, soziale Ungleichheit in der Verteilung von Gütern lassen sich nur multilateral zu Lösungen hinführen. Ein mühsamer und mit vielen Kompromissen versehener Prozess. Es haben sich inzwischen viele multinationale Gremien, Institutionen gebildet, in denen diese Themen zumindest besprochen werden können und so auf die Agenda auch der nationalen Institutionen kommen. Diesen Gremien fehlt oft die Legitimität, die bisher immer nur in der Bereitschaft der nationalen Organisationen liegt, sich an ihnen zu beteiligen und sich auch deren Entscheidung zu unterwerfen. Wir erleben gerade eine Schwächung dieser multinationalen Organisationen, was die globalen Problemlösungsprozesse deutlich verzögert.

Wenn wir auf Unternehmen blicken, dann sehen wir ähnliche Bewegungen und in manchen Aspekten wohl auch solche, die als beispielhaft gelten können. Für Unternehmen ab einer gewissen Größe gibt es zum Handeln in einem globalen Markt keine Alternative. Und das heißt, sie müssen sich mit der Interdependenz von Märkten und Kulturen auseinandersetzen, sich auf die Fragilität multilateraler Einflüsse einlassen und handlungsfähig bleiben, wenn globale Ereignisse tiefe Einschnitte in die Autonomie des Handelns verursachen. Intern müssen kultur-, nationen- und glaubensübergreifende Diskurse geführt werden, um gemeinsame Lösungen zu finden und in den Interdependenzen getragene Entscheidungen treffen zu können. Das verlangt sehr aktive und ausgedehnte Kommunikationsprozesse, deren Mantra mit »Speak Up« beschrieben werden kann. Hier gab es viele, bereits als vertikal bezeichnete demokratische Gesprächsformate, die alle auf eine Bewegung hin zu gemeinsamen Überzeugungen zielen.

Wir beobachten derzeit mit Sorge, wie sich eine Haltung ausprägt, die sich explizit gegen ein »Speak Up« entscheidet, so dass sich wieder verstärkt eine Anpassungskultur etabliert, in deren Hintergrund zunehmend Ärger und Genervtheit wächst. Dennoch zeigt die nicht nur modische Konzentration auf Haltungen der Kollaboration/Kooperation deutlich, dass in den Unternehmen das Bewusstsein für die Notwendigkeit des multiperspektivischen Diskurses wächst und man sich zunehmend von der einen, durch Prozesse und Prinzipien geleiteten »wahren« Perspektive verabschiedet hat. Natürlich ist es schwierig in den heute durch komplizierte Matrixorganisationen dominierten Organisationen zu gemeinsamen Entscheidungen zu finden. Auch wenn die westliche, postkoloniale Position immer noch dominant ist, so erweitert sich der Gesprächs- und Entscheidungsraum um lokale, regionale, funktionale Perspektiven, so dass differente Interessen, Glaubenssätze und Einstellungen zu Wort kommen. Das Tableau derjenigen, die sprechen dürfen und die gehört werden, erweitert sich deutlich.

Für Führungskräfte sind solche Prozesse häufig mit dem Gefühl des Kontrollverlustes verbunden. Sie unterschätzen, wie wichtig ihre regulierende und hier durchaus kontrollierende Rolle in der Initiierung und Begleitung solcher Abstimmungsprozesse ist. Mit den Ambivalenzen und Unsicherheiten des Kooperationsgebotes von unterschiedlichen, manchmal sehr divergenten »Spieler*innn« umzugehen und in der Führung eines Gespräches zu bleiben verlangt viel von Führungskräften: so die Fähigkeit zum Perspektivwechsel, zur Stabilisierung innerer Sicherheit und zu hoher Reflexivität bezogen auf die eigenen Vorannahmen und Einstellungen. Das sollten auch die wesentlichen Faktoren einer Führungsbildung sein.

Natürlich sind in Unternehmen noch weite Wege zu gehen – und dennoch sind sie in der Bewältigung der globalen Ambivalenzen, Differenzen unseren Nationen schon ein gutes Stück voraus. Dazu hat auch die Einsicht geführt, dass das eigene Unternehmen Teil der global politischen Landschaft ist und die Gesellschaften nicht nur unter dem Aspekt »Kunde« betrachtet werden können. Mit der Anstrengung, sich der Diskussion um eine »Purpose« zu stellen, haben sich Unternehmen weit für die gesellschaftliche Verantwortung geöffnet. Mitarbeiter*innen sind hier nicht mehr nur irgendwie zu motivierende Subjekte, sondern sie repräsentieren Gesellschaften und deren Anliegen. Diesen ersten Schritten müssen weitere folgen. Ich kann nicht von »Mindset Change« sprechen, ohne die divergenten Grundeinstellungen der Mitarbeitenden wenigstens mit ins Kalkül zu ziehen, und das heißt auch, sich der Notwendigkeit zu öffnen, auch politisch Position zu beziehen.

So wie Diversität neben der kulturellen Differenz, der des Alters sowie der Genderdifferenz auch die sexuelle Differenz ins Gespräch gebracht hat und damit eine der sozialen Friedensregelungen in Unternehmen: »kein Gespräch über Sex« hat wanken lassen, so gilt das auch für die Konfliktvermeidungsstrategie des »kein Gespräch über Politik«. Jedoch, was nicht ansprechbar ist, das wirkt im Hintergrund und in der die Kultur wesentlich beeinflussenden informellen Organisation.

Unternehmen sind auf dem Weg – die Betonung von kooperativen Entscheidungsprozessen und der Etablierung der dafür geeigneten Gremien sind wichtige Schritte. Inwieweit es schon gelingt, auch gesellschaftlich stärker divergenten Positionen und kulturell sehr anderen Entscheidungsprozessen einen angemessenen Raum zu geben ist sicher diskussionswürdig. Auch die Unternehmen ringen noch mit postkolonialen Einstellungen, die ja häufig von den »Besitzverhältnissen« geprägt sind.

Teil dieser »Reise« zu sein, gibt der Führung der Gemeinschaften, die sich um einen unternehmerischen Zweck gruppieren, eine spannungsvolle Aufgabe. In alten Bildern gesprochen, für die Seite der Finanzgeber*innen und Eigentümer*innen vertreten sie die Oligarchie und zugleich sind sie Volkstribune, die die Interessen der Unternehmensgemeinschaft vertreten. Eine spannungsvolle und herausfordernde Aufgabe.

Rüdiger Müngersdorff