Warum die digitale Transformation kein Change ist – und wie Sie die Transformation meistern

Die digitale Transformation ist eine fundamentale Veränderung, die sich nur mit einem ganzheitlichen Modellansatz umfassend verstehen lässt. Die sieben Wesenselemente einer Organisation sowie deren wechselseitiger Zusammenhang lassen sich anhand des Beispiels der digitalen Transformation einer Einkaufsabteilung gut verstehen.

Zukunftsträchtige Unternehmen weisen ein besonderes Mindset auf, das Innovationen fördert. Innovative Unternehmen zeichnen sich durch eine Innovationskultur aus, die den Narren im Unternehmen Raum zur Entfaltung gibt und die Musterunterbrechungen unterstützt. Musterunterbrechungen fördern Innovationen. Auch das agile Arbeiten erfordert ein völlig neues Vorgehen. Denn gegenüber der traditionellen Herangehensweise ist beispielsweise das iterative Vorgehen der agilen Methode Scrum mit »Retros« und »Reviews« eine deutliche Musterunterbrechung. Darüber hinaus benötigt Selbstorganisation – sei es beim agilen Arbeiten oder auch ohne das spezifisch iterative Element – eine neue Beziehungskultur. D.h. es braucht neue Muster in der Beziehungsgestaltung. Last but not least spielen Musterunterbrechungen auch eine große Rolle beim Megathema: digitale Transformation. Dazu mehr in diesem Blogbeitrag. Beim Stichwort Innovationen denkt man häufig daran, »etwas« zu erfinden. Die digitale Transformation ist jedoch ein gutes Beispiel dafür, dass man auch »sich selbst neu erfinden« muss, um Schritt halten zu können und noch in die Zeit zu passen.

Transformation bedeutet mehr als nur Change

Der klassische »Change« beschreibt in der Regel eine lineare Veränderung von einem Ausgangszustand zu einem anvisierten Zielzustand. Bei einer echten »Transformation« hingegen weiß man vom Ausgangszustand aus betrachtet noch gar nicht so richtig, in welchem Zielzustand man landen wird. Das liegt daran, dass die Transformation hochkomplex ist und durch zahlreiche unvorhersehbare Parameter beeinflusst wird – Stichwort »VUCA-Bedingungen«.

Für diese umfassende Betrachtung der Transformation ist es nützlich, ein Modell zu haben. Wir verwenden dazu das »Systemkonzept« nach Trigon (Professor Glasl). Es beinhaltet die sieben Wesenselemente einer Organisation. Es ist sinnvoll, alle sieben Wesenselemente zu beobachten und zu analysieren, ob und inwiefern sie sich im Rahmen der Transformation verändern.

Die sieben Wesenselemente einer Organisation

Hier ein erster Überblick über den Charakter der sieben Wesenselemente einer Organisation:

1. Identität (hierzu zählen auch Konzepte wie Vision, Mission, Leitbild, Purpose der Organisation): Was ist unser fundamentales Selbstverständnis als Organisation? Was ist unser Beitrag für die Gesellschaft oder (etwas profaner) das Wirtschaftssystem, in dem wir tätig sind?

2. Strategie (auch Unternehmenspolitik): Wie lautet unser Businessmodell? Welche Prinzipien oder Grundregeln sollen uns beim Wirtschaften leiten?

Diese beiden Wesenselemente lassen sich als der Kopf der Organisation beschreiben (bzw. als »kulturelles Subsystem« in der Taxonomie von Glasl).

3. Strukturen: Hierzu zählen die Aufbaustruktur (das Organigramm), das Layout der Organisation sowie die Gestaltung der Führungshierarchie.

4. Funktionen: Wie sind die Aufgaben in Einzelfunktionen und Organe aufgeteilt?

5. Menschen: Wie lässt sich das Klima im Unternehmen beschreiben? Wie der Führungsstil? Wie ist das Mindset (Grundhaltung, Einstellung) der Mitarbeitenden? Wie wird mit Ambivalenzen (u. a. Konflikten und Diversität) umgegangen?

Diese drei Wesenselemente lassen sich als das Herz der Organisation beschreiben (»soziales Subsystem« in der Taxonomie von Glasl).

6. Prozesse: Wie sind die Arbeitsabläufe im Unternehmen gestaltet? Wie (transparent) wird informiert? Wer wird wann einbezogen? Wie werden Meetings gestaltet?

7. Physische Mittel: Wie (modern) ist die Infrastruktur im Unternehmen? Wie die Ausstattung mit Hard- und Software? Wie viele Standorte existieren und wie sind diese regional verteilt? Wie sind die Arbeitsplätze (Großraum- vs. Einzelbüros vs. Home Office) gestaltet?

Diese beiden Wesenselemente lassen sich als die Hand der Organisation beschreiben (»technisch-instrumentelles Subsystem« in der Taxonomie von Glasl)

Identität, Struktur und physische Mittel lassen sich als die stabilisierenden (und langfristig eher konstanten) Aspekte des Systems beschreiben, während Strategie, Funktionen und Prozesse demgegenüber eher kurzfristig und dynamisierend für das System der Organisation wirken. Es wird schnell deutlich, dass die verschiedenen Elemente interdependent sind – also wechselseitig voneinander abhängig: Verändere ich ein Element, so verändern sich auch andere Elemente des Systems direkt mit. Es geht also um die bewusste Analyse und Veränderung des gesamten Systems der Organisation. Eine isolierte Veränderung eines einzelnen Wesenselements ist nicht möglich. In der Businesspraxis wird jedoch leider häufig so getan, als könne man nur ein einzelnes Element verändern, ohne die übrigen anzutasten oder zu berücksichtigen.

Der praktische Nutzen des Systemkonzepts

Ein Modell wie dieses ist nicht dazu gedacht, einfache Antworten zu liefern. Vielmehr hilft es Entscheidern dabei, kluge Fragen zu stellen. Denn die richtigen, weil wichtigen Fragen sind häufig viel relevanter für den Erfolg eines Unternehmens als die schnellen Antworten. Daher ist auch die Frage »Was ist die beste Konstellation der sieben Wesenselemente?« ohne Berücksichtigung eines konkreten Kontextes sinnlos.

Es wird klar, dass es auf diese Frage nicht die eine »objektive« Antwort geben kann – sondern nur eine höchst individuelle und spezifisch auf das Unternehmen bezogene, temporäre Antwort. Daher müsste eine nützlicher formulierte Frage lauten: »Welche Konstellation ist für uns in der jetzigen Situation – vor dem Hintergrund unserer Historie und unserer daraus erwachsenen Ressourcen sowie mit klarer Ausrichtung auf unsere gewünschte Zukunft – angemessen und nutzenstiftend?«

Die digitale Transformation einer Einkaufsabteilung analysiert mit dem Modell der sieben Wesenselemente

Anhand eines Beispiels lässt sich das Modell der sieben Wesenselemente verstehen: Stellen wir uns dazu eine Einkaufsabteilung eines großen Industrieunternehmens vor, die durch eine digitale Transformation geht. Der Kosten- und Effizienzdruck auf die Einkaufsabteilungen steigt. Gleichzeitig wachsen die Möglichkeiten durch die digitale Transformation. Big Data, künstliche Intelligenz und Plattformökonomie sind nur einige der Schlagworte, die in diesem Zusammenhang fallen. Doch schon heute haben diese Schlagworte einen ganz konkreten Einfluss auf den Arbeitskontext und die Arbeitsgestaltung der Menschen.

Wie die Plattformökonomie den Einkauf verändert

Doch was sind die Auswirkungen einer konsequent durchdachten Plattformökonomie? Die Preisgestaltung wird zunehmend transparenter. Die Wertschöpfungsketten werden zunehmend integrierter – und bilden sich zu Wertschöpfungsnetzwerken aus. Die Kostenstruktur der Lieferanten, aber auch jene der Produzenten werden immer öffentlicher. Das »Pokerface« bei der Einkaufsverhandlung wird überflüssig, da jeder sein Blatt ohnehin offen auf den Tisch legt. Die Regeln des Spiels ändern sich fundamental. Vielleicht stellt man sogar fest, dass man ein neues Spiel erfinden muss, um weiterhin im Spiel bleiben zu können. Und dieser Punkt ist äußerst wichtig zu beachten: Es geht nicht nur um eine reine Digitalisierung der bestehenden Prozesse. Vielmehr gilt es, die Möglichkeiten der Digitalisierung voll auszuschöpfen. Und dies geht häufig mit einer Anpassung der Geschäftsmodelle einher.

Es sind also keineswegs nur die »Prozesse«, die angepasst werden müssen – auch wenn dies natürlich auf den ersten Blick die auffälligsten Veränderungen sind. Vielmehr ziehen die Veränderungen der Prozesse häufig auch Veränderungen der Hard- und Software nach sich (»physische Mittel«): Daten werden automatisiert aggregiert, analysiert und ausgegeben, so dass sich die Mitarbeitenden schnell einen Überblick verschaffen können. Das verändert die Entscheidungswege und auch die Art und Weise, wie sich die Menschen in der Abteilung abstimmen und zusammenarbeiten.

Doch das sind nur die offensichtlichen Veränderungen. Die veränderte Arbeitsweise kann Veränderungen im Zuschnitt der Einkaufsabteilung sinnvoll machen (z. B. Abbau von Silos – oder umgekehrt auch Aufbau von spezialisierten Unterabteilungen). Neben den »Funktionen« können davon auch Veränderungen der »Struktur« (Organigramm) betroffen sein. Es ist sogar möglich, dass die »Strategie« des Einkaufs angepasst werden muss, da Wertschöpfung nun auf andere Weise – nicht mehr durch »hartes Verhandeln« – geschieht.

Eine Transformation berührt das Selbstverständnis der Mitarbeitenden

Die fundamentalste Änderung betrifft jedoch die Menschen selbst – und zwar ihr »Selbstverständnis«, also ihre berufliche »Identität« als Einkäufer. Das Selbstverständnis als Einkäufer verändert sich nämlich durch die digitale Transformation. Wo der Einkäufer früher dafür bekannt war, gute Ergebnisse dadurch zu erzielen, auch in harten Verhandlungen ein Pokerface zu behalten, wird zukünftig durch die Plattformökonomien der beste Preis transparent und automatisch ausgehandelt. Der Mensch als Verhandler im engeren Sinne wird nicht mehr benötigt. Der Einkäufer muss seine Rolle und seine Funktion in diesem System also neu definieren. Zukünftig wird der Einkäufer vor allem als Problemlöser und Beziehungsmanager benötigt. Der Mensch wird vor allem dann gefordert sein, wenn Probleme mit dem Lieferanten bzw. dessen Produkten auftauchen. Dies erfordert völlig neue Kompetenzen bei den Einkäufern; andere Werte werden relevant für die Arbeit.

Kurzum: das Selbstbild des Einkäufers wandelt sich fundamental. Für den einzelnen Mitarbeiter und die einzelne Mitarbeiterin bedeutet dies, sich völlig neu erfinden zu müssen. Alte Kompetenzen und Patentrezepte funktionieren nicht mehr. Bisherige Werte müssen sich wandeln. Dem und der Einzelnen kann dies jedoch nur gelingen, wenn auch in dem Unternehmen selbst diese Werte gelebt werden. Sinnvollerweise ergeben sich durch die hier skizzierte digitale Transformation auch Auswirkungen auf die Kultur (und die »Menschen« in der Taxonomie des Systemkonzepts) des Unternehmens.

Die Gewinner dieser Transformation sind diejenigen, die sich an die neue Situation am schnellsten anpassen können. Wer seine (berufliche) Identität hier nicht als monolithisch, sondern als fluide begreift, hat die Vorteile auf seiner Hand. Auf dieses »fluide Selbst« werden wir in einem der kommenden Blogbeiträge näher eingehen. Hier werden wir auch Parallelen zum Konzept des »Transhumanismus« aufzeigen.

Die neurologischen Grundbedürfnisse des Menschen müssen in der Transformation geschützt werden

Die Führungskräfte sind in einer Transformation gefordert, nicht nur Vorbilder für die Transformation zu sein. Zudem muss die Führung die neurobiologischen Grundbedürfnisse der Menschen schützen und befriedigen. Das menschliche Bedürfnis nach Sicherheit und Gewissheit wird in der Transformation auf die Probe gestellt. Die Führung kann durch die Betonung und Förderung von »Verbundenheit« der Verunsicherung der Mannschaft entgegenwirken. Vor allem, wenn der wahrgenommene Status oder »Selbstwert« von Mitarbeitern – z. B. durch veränderte Rollen – in Gefahr ist, braucht es Fingerspitzengefühl seitens der Führung. Besonders in Zeiten von Transformationsprozessen ist es wichtig, Mitarbeitende aktiv mit einzubinden (Bedürfnis nach »Selbstwirksamkeit«).

Daniel Goetz
Foto: Ashwin Vaswani by unsplash.com

Der Artikel erschien ursprünglich auf www.agateno.com.


 

Sie sind für den Wandel in Ihrem Unternehmen verantwortlich? Dann wird für Sie die Frage interessant sein: Wie kann HR den Wandel auf Augenhöhe mit der Geschäftsführung vorantreiben?

Auf unserer Veranstaltung SYNNECTA-Tischrunde Transformation Partner am 15. Oktober 2019 in Köln diskutieren wir mit Ihnen Lösungen, wie Sie als interner HR-Profi in Ihrem Unternehmen den Wandel aktiv mitgestalten können. Im März 2020 starten wir unsere neue Ausbildung zum »Transformation Partner« in Köln. Erfahren Sie mehr dazu auf unserer Website hr-transformation-partner.com.

Ein Zwischenruf: Diversity? Demokratisierung der Unternehmen?

Es wird viel geschrieben, einiges gemacht. Es ist heute geradezu rufschädigend, sich nicht an Diversity-Initiativen zu beteiligen und zu berichten, wie weit man schon gekommen ist. Das Thema Demokratisierung der Unternehmen ist dagegen noch mehr ein Feld für Organisationsentwickler und Konferenzen. Dabei adressieren beide das zentrale Problem für eine zeitgemäße Organisationsentwicklung: Wie gelingt es, das eigentliche Problem: die gesellschaftlich bestimmte Verteilung von Privilegien sichtbar und besprechbar werden zu lassen und sie schließlich, im idealen Fall, zu nivellieren?

Erfahrungen mit aktionssoziometrisch gestalteten Privilegien-Tests in Unternehmen zeigen, wie hoch der Verletzungsgrad durch die Transparenz der unterschiedlichen Verteilung sozialer Privilegien ist, besonders auch für die, die im oberen Viertel der Privilegierten sich wiederfinden. Es ist so nicht leicht, dieses eigentliche Hintergrundproblem der Themen Diversität und Demokratisierung anzusprechen und so ja zugleich eine Ungerechtigkeit und Ungleichheit der Gesellschaft, die hier sichtbar in das Unternehmen hereinragt, zu thematisieren.

Für beide Zukunftsaufgaben der Unternehmensentwicklung lohnt es sich, mit der Leitfrage zu arbeiten: Wer darf hier sprechen? Wer wird gehört? Es entwickelt sich schnell eine soziale Karte derjenigen, die Gehör finden und damit bestimmen, wie das Unternehmen denkt, entscheidet und handelt. Und so lässt sich ein Beginn setzen, für eine schrittweise Veränderung von Zugangsbedingungen zur Teilnahme an den Gremien, Gesprächen und Treffen, in denen das Unternehmen sich steuert.

Wenn mehr und andere sprechen dürfen und können, Ihnen Gehör geschenkt wird, dann erst machen wir einen grundlegenden Schritt bei der »Inklusion« und der Demokratisierung der Unternehmen. Ach ja, die Frage: Ist das denn für den eigentlichen Unternehmenszweck, den wirtschaftlichen Erfolg, wichtig? Ja, denn je mehr wir erfahren, dass die Richtigkeit der Prognosen von privilegierten Kreisen dramatisch nachlässt, desto mehr brauchen Unternehmen die Stimmen der Märkte, die Stimmen der Gesellschaft und deren Bedürfnisse im eigenen Unternehmen, und das nicht als stumme Schar von Mitarbeitern, sondern als lebendigen Teil in der Unternehmenssteuerung. Wir @synnecta haben das den soziologischen turn der Organisationsentwicklung genannt.

Rüdiger Müngersdorff
Foto: Nathalia Gomez by unsplash.com

mich wundert.

Mich wundert: Einerseits berichten die Krankenkassen über einen kontinuierlich starken Anstieg psychischer Erkrankungen bei Arbeitnehmer*innen, anderseits überschlagen sich in den sozialen Medien Erfolgsmeldungen über die neue, menschenorientierte Führung, über Augenhöhe zwischen den Hierarchien, über Freiheit, Selbstbestimmtheit, über Fortschritte in der Demokratisierung der Arbeitswelt, der gelingenden Inklusion und so viel Gutes mehr. Es liest sich, als habe sich der Arbeitsplatz zu einem Ort des offenen Diskurses, der Wertschätzung und des sinnerfüllten Lebens verwandelt.

Wie passt das zusammen?

Es passt nicht! Die Realität sieht sehr oft anders aus. Ich glaube, wir Berater*innen, HR’ler*innen sollten beginnen, verbal abzurüsten, sollten näher an der Realität bleiben, wo unsere Freude über die Erfolge und Fortschritte bei der Ermöglichung neuer Arbeitswelten hart auf das genaue Gegenteil stößt: wo weiterhin Furcht und Angepasstheit, Scham und »es recht machen wollen« sehr verbreitet sind. Ohne eine nötige verbale Abrüstung werden wir unsere Glaubwürdigkeit verlieren und uns zwar in unserer Blase feiern können, aber als Preis auch Wirksamkeit verlieren.

Rüdiger Müngersdorff
Foto: Sean Paul Kinnear, unsplash.com

Mindset – unsere grundlegenden Annahmen

Grundthese

Jeder Mensch handelt aus einem individuellen Mindset [als Teil der Persönlichkeit]. Menschliche Gemeinschaften handeln aus einem kollektiven Mindset [als Teil der Kultur].

Was ist ein Mindset?

Das Mindset umfasst die persönliche bzw. gemeinschaftlich dominante Denkweise und Geisteshaltung sowie grundlegende Einstellungen, Überzeugungen und Glaubenssätze.

Warum ist das Mindset wichtig?

Das Mindset bedingt in hohem Maße Wahrnehmung, Gefühle, Denken, Entscheidungen und Verhalten und wirkt sich auf die Gestaltung von Beziehungen, auf die Gruppendynamik, -identität und Kultur aus.

Wie entsteht das Mindset?

Das individuelle Mindset entsteht im Laufe des Lebens und entwickelt sich fortlaufend weiter. Es wird geprägt durch Erziehung, den sozialen Kontext [Werte, Normen und Regeln sowie kollektives Mindset] und wird beeinflusst von Erfahrungen [Lernen]. Das kollektive Mindset entsteht, indem bestimmte Denkweisen, Einstellungen und Glaubensätze unbewusst weitergegeben werden [z.B. über Traditionen, gemeinschaftliche Rituale und Symbolsysteme].

Wann/warum soll man sich mit Mindset auseinandersetzen?

Das Mindset gestaltet Denk-, Entscheidungs- und Verhaltensspielräume, damit öffnet es Möglichkeiten und begrenzt Möglichkeiten.

Ist das Mindset veränderbar?

Das Mindset ist veränderbar. Reflektion, Bewusstmachung und die aktive Auseinandersetzung damit eröffnen Räume und Möglichkeiten der Bewegung und Entwicklung. Über das Bewegen des individuellen Mindsets kann das kollektive Mindset beeinflusst werden und umgekehrt.

Im Werkhaus19 haben wir uns intensiv mit dem Thema Mindset beschäftigt und werden auch in Zukunft weiter daran arbeiten, denken, schreiben.

StadtGestalten: Vielfalt in Köln. Rückblick zum Workshop am 28.5.2019

Diversity is more than we can see.

Was treibt uns an?

Köln behauptet gerne von sich, tolerant zu sein. Wie sieht die Zukunft aus, angesichts des wachsenden Rechtsdrucks und extremistischer Strömungen? In welcher Stadt wollen wir leben und wie gestalten wir die sogenannte Vielfalt in Köln?

Wir sind überzeugt, dass die Vielfalt in Köln besser »genutzt«, im Sinne von wahrgenommen, wertgeschätzt, sichtbar gemacht werden sollte. Positive Erlebnisse mit Unterschiedlichkeit und Andersheit lässt Menschen weniger feindlich oder mißgünstig sein. Allen Menschen sollten gute Erfahrungen mit Vielfalt ermöglicht werden, denn das steigert die eigene Offenheit und das Wohlbefinden – eine günstige Voraussetzung für eine freundliche und zugewandte Stimmung in der Stadt und in der ganzen Welt.

Eine heterogene Menschengruppe allein (etwa die »Menschen in Köln«) ermöglicht noch kein echtes Erleben der Vielfalt. Es braucht die Bereitschaft von Menschen und am besten auch einen Ort, an dem echte Dialoge und ein Kennenlernen ermöglicht werden. Die Unterschiede und Gemeinsamkeiten müssen erst einmal bewusst wahrgenommen und benannt werden. Deshalb haben wir zu StadtGestalten: Vielfalt in Köln eingeladen.

Wer war dabei?

Der Workshop fand statt zum Diversity-Tag am 28.5.2019, und wurde zusammen mit unseren Kooperationspartnern idm e.V. (internationale gesellschaft für diversity management e.V.) und dem WDR durchgeführt. Ort der Begegnung war das Café des LGBTQI Jugendzentrum anyway e.V. in Köln.

Menschen aus Köln, mit persönlichen, privaten, beruflichen Bezügen zu diversen non-profit und profit Organisationen, zu Kölner Initiativen und langjährig bestehenden Vereinen haben sich an dem Abend versammelt und sind miteinander in Kontakt gekommen.

Was haben wir gemacht?

Mit diesem Workshop laden wir ein, die vielbeschworene Toleranz von Köln ins echte Leben zu übersetzen. Uns geht es darum, sich Fragen zu stellen und gemeinsam Antworten zu finden. Wie sichern wir den gesellschaftlichen Zusammenhalt? Was hat die eigene Haltung damit zu tun? Wie kann ich gesellschaftlich verantwortungsvolles Handeln in Beruf und Alltag einfließen lassen? Wie präge ich demokratische Werte und eine humanistische Stimmung in der Stadt?

Zwar ist Vielfalt ein realer Zustand, der Umgang damit muss gelernt werden. Zu oft sind wir im Schubladendenken gefangen, und das kann zu Missverständnissen und Diskriminierungen führen. Nötig ist eine aktive Auseinandersetzung mit Werten, anderen Lebenswelten, Identitäten, dem eigenen Fingerabdruck, der Wirksamkeit in gesellschaftlichen Prozessen. Was haben Unternehmen mit Diversity zu tun? Unternehmen und Organisationen sind Teil der Realität in dieser Stadt, und Menschen gestalten auch innerhalb von Unternehmen und Organisationen ihr Leben und ihren beruflichen Alltag. Deshalb ist es strukturelle Aufgabe und Verantwortung, sich dieses Themas anzunehmen.

Im Workshop legen wir Wert darauf, den Moment der »Bewertungen« bewusst zu machen. Die Verschiedenheit zwischen uns Menschen existiert nicht als beliebiges Nebeneinander, sondern sie unterliegt Bewertungen, die in Zusammenhang mit Privilegierung und Benachteiligung von gesellschaftlichen Gruppen entstehen. Es ist kein persönliches Fehlurteil, es geht nicht um die Schuldfrage, sondern um gelerntes Verhalten – dies bitten wir zu »verlernen«, um Vorurteile abzubauen und sich auf Basis der eigenen priviligierten Machtposition weniger über andere zu ermächtigen.

Soweit die theoretische Idee. Eine Möglichkeit, dies in den eigenen Alltag zu übersetzen, ist recht simpel: Stelle einem Menschen, den du (noch) nicht so gut kennst, eine Frage, um ihn oder sie besser kennenzulernen. Schaue ihm oder ihr in die Augen. Nimm sie oder ihn »einfach« wahr, werte nicht ab.

Einige Stimmen aus den Social Media Kanälen:

»Es war eine inspirierende Erfahrung und ein Austausch der mich beschenkt in den Abend entlassen hat. Mehr davon! Danke an alle.«

»Es ist einfach immer gut mit Euch zusammen etwas zu machen! Vielen Dank!«

»SYNNECTA kann Menschen. Und Diversity!«

Wir treffen uns auch in Zukunft und laden weiterhin alle Menschen in Köln ein, sich mit diesen Fragen und vor allem Antworten auseinanderzusetzen. Wer sich dafür interessiert, schreibe gerne eine E-Mail an Hanna Göhler (Beraterin bei SYNNECTA): diversity@synnecta.com.

Hanna Göhler
Foto: Marius Steffen

Purpose: Plädoyer für eine lebensdienliche Wertstiftung

What’s your purpose? Im Schnittfeld zwischen Simon Sineks Golden Circle (in dessem Zentrum das Why steht), Dan Pinks Drive (der Purpose als zentrales intrinsisches Motivationskriterium erkennt) und Frederik Lalouxs Teal Organisations (die alle einen evolutionary purpose als Grundcharakteristikum teilen) wird die Sinnstiftung vermehrt zum neuen Mittel der Unternehmensausrichtung. Mehr und gerade junge Unternehmen verpflichten sich mit einem Purpose, ihr Wirtschaften unter den Leitstern einer lebensdienlichen Wirtschaft zu stellen. Und treten den Beweis an, dass Sinnhaftigkeit und Profitabilität sich nicht ausschließen müssen.

Gleichzeitig droht dem Begriff Purpose gerade ein ähnliches Schicksal wie dem Wort Agilität: Er schickt sich an, ins Bullshit Bingo in Unternehmen einzusteigen und sich damit zu sinnentleeren. Wo sich manche Unternehmen sinnstiftender Lebensdienlichkeit verpflichten, geht es anderen Unternehmen bei Purpose vor allem um Start-up-Hippness und (böse formuliert) um auf Gutmenschentum gebürstetes Marketing.

Mich schmerzt diese verflachende Entwicklung, da ich den Anspruch, unter dem Leitstern einer lebensdienlichen Wirtschaft sinn-stiftend zu arbeiten für ein äußerst erstrebenswertes Ziel halte. Aus diesem Grund möchte ich mit diesem Beitrag versuchen, den Purpose jenseits von werbetechnischer Flachheit in einer wirklich sinn-getriebenen unternehmerischen Denkhaltung zu verankern.

Zunächst tut man sich schwer, das englische Wort purpose adäquat ins Deutsche zu übersetzen. Denn die Übersetzung »Zweck« klingt zu profan, während »Sinn« zu bedeutungsschwer daherkommt. Viele einigen sich daher auf die Übersetzung »Sinnzweck«. Aus meiner Sicht ist diese Übersetzungskrücke nicht unvorteilhaft: denn sie umreißt im Grund einen essentiellen Doppelcharakter des Purpose: Als grundwertbasierte Wertstiftung klärt der Purpose gleichzeitig WARUM und WOZU eines Unternehmens.

Um diese Doppelstruktur zu verstehen, möchte ich (auch wenn es auf den ersten Blick abwegig erscheint) als Kulturanthropologe zwei Zeitkonzepte gegenüberstellen, die – nebeneinander existierend – viele archaische Denksysteme und Kosmologien bestimmen. Als New Work Anthropologist möchte ich dann zeigen, dass ein in modernsten Unternehmen wirksamer Purpose genau dieser gleichen Struktur folgen sollte, um sich nicht in marketingtechnischer Flachheit zu verlieren.

Tribale Kulturen kennen oft zwei Zeiten: Zum einen gehen sie (wie auch moderne Kulturen) im profanen Arbeitsalltag linear nach vorne planend ans Werk. Ein Tag folgt hierbei auf den anderen, der Mensch blickt vom Jetzt aus auf Vergangenes zurück und nach vorne in die Zukunft, um seine Handlungen erfolgsorientiert auszurichten. Parallel hierzu existiert jedoch in vielen Kulturen eine »mythische« Parallelzeit. Australische Aboriginal People nennen diese Zeit z.B. tjukurrpa, »Traumzeit«. Diese Zeit wird von uns oft als (linear) längst vergangene Urzeit missverstanden. Sie bildet jedoch eigentlich eine zur profanen Arbeitszeit parallel laufende Zeitsphäre der »Ahnen« ab, die ganz anderen Zeitgesetzen folgt und stark legitimatorischen Charakter hat. Sie umfasst Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft gleichermaßen. Man könnte sie als utopische Ur-Zeit bezeichnen.

Während die lineare Zeit von sekündlicher Veränderung geprägt ist, stellt die Ur-Zeit ein stabiles Narrativ bereit, das erklärt, warum die Dinge sind, wie sie immer schon waren bzw. gemacht werden, wie sie auch in Zukunft immer gemacht werden sollten. Die Ur-Zeit erklärt damit, was und wie es im Sinne eines »guten Lebens« im Dienste des Menschen und seiner Mitgeschöpfe und Umwelt getan werden soll. In mythologischer Referenz und durch rituelle Inszenierung wird diese Traumzeit zyklisch und regelmäßig ins Jetzt geholt, die profane Welt damit sakralisiert und mit grundsätzlichem Sinn aufgeladen. Die utopische Ur-Zeit definiert, was lebensdienlich ist und revitalisiert die Arbeitswelt.

Mir geht es nicht darum, in Unternehmen die Schamanentrommel zu rühren oder rituelle Tänze aufzuführen. Vielmehr möchte ich uraltes (und oft bewährtes) menschliches Kulturerbe mit den Herausforderungen des digitalen Zeitalters zusammenzuführen (an anderer Stelle habe ich dieses Unterfangen Tribagility genannt). In meinen Augen muss ein »echter« Purpose, um Unternehmen sicher durch die Wirren der VUCA-Welt leiten zu können, genau das Gleiche leisten, wie die Ur- und Traumzeit für archaische Kulturen: ein stabiles Narrativ der sinnstifenden Lebensdienlichkeit zur Verfügung stellen, das durchgehend Orientierung in Ausrichtung und Verhalten bietet und gleichzeitig Veränderungen der Arbeitswelt flexibel integrieren kann. Während strategisches Zieldenken linear ergebnisorientiert ist, damit nur kurzfristige Gewinnmaximierung abbilden kann und von VUCA mit voller Wucht getroffen wird, bietet der Purpose eine grundsätzliche und souveräne Handlungslegitimation der Lebensdienlichkeit, die in den Stürmen der Veränderung standfest bleiben kann.

Im Unternehmen richtet der Purpose als echte Sinn-Stiftung seinen Blick aus dem Jetzt grundsätzlich in zwei Richtungen:

  • Zum einen definiert er respektiv (d.h. »zurückblickend«) die Wertebasis, auf der alles Handeln erfolgt. Er setzt unter der Leitfrage »WARUM?« stabile, jedoch lebendige Grundwerte, die allen Mitarbeitenden für den Moment mitteilen, welches Tun ok bzw. nicht ok ist. Damit etabliert der Purpose bewusst einen Rahmen bzw. Korridor für alles Handeln im Unternehmen.
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  • Zum anderen definiert der Purpose gleichzeitig das WOZU allen Tuns. Dies tut er prospektiv vorausblickend und auf eine echte, lebensdienliche Wert-Stiftung gegenüber Mensch, Mitgeschöpf und Planet hin ausgerichtet. Otto Scharmer (der mit seiner Theory U aus ethnologischer Perspektive in bester Weise die Grundstruktur sog. Übergangsriten für Organisationen wirksam macht) beschreibt die Definition dieses wert-stiftenden WOZUs treffend als Suche nach »the future that wants to emerge«.

Mit dieser Doppelperspektive kann der Purpose zu einem pragmatischen Instrument für die Entscheidungsfindung im Jetzt werden.

Aus den Grundeinsichten der Kulturanthropologie lassen sich attraktive, motivierende und wirksame Formate ableiten, die es Führungskräften und Mitarbeitenden in Unternehmen erlauben, ihren Purpose als lebensdienlichen Sinn-Zweck zu entdecken, zu erarbeiten und zu formulieren. Ist dieser einmal gefunden, macht es Sinn, regelmäßig die Trag- und Wirkkraft des gemeinsamen Purpose zu überprüfen. Eine solche tiefgreifende Reflexion muss anderen Regeln folgen, als ein gängiges Strategy Review Meeting. Aber dies weiter zu beschreiben wäre schon ein weiterer Blogbeitrag – vielleicht mit dem Titel »Rituale im Unternehmen« …

Johannes Ries
Titelfoto: Christian Newman by Unsplash