Meine Vielfalt ist deine Vielfalt.
Als Kinder spielen wir Was wäre, wenn alle gleich wären. Man sagte uns, es sei langweilig. Alle hätten denselben Namen, dieselbe Haarfarbe und alle hätten Entenfüße, weil sie die Gummistiefel falsch herum anziehten. Niemand würde Nein sagen, nur Ja, weil doch alle dasselbe sagten.
Und würde ich dich rufen, alle drehten
sich um.
Und würde ich mich rufen, wüsste ich
nicht wen.
Meine Vielfalt ist deine Vielfalt.
Und nun,
bin ich facettenreich
bin ich ich
Ist das Facettenreich
in uns und reicht es uns
ich diversitäte, du diversitätest,
er sie es diversitätet.
Macht die Vielfalt Falten
Macht haben diese Falten
Das wird zuviel
Geh weg, Vielfalt,
Ich will mit mir allein sein.
Ich diversitäte. Du diversitätest.
Meine Vielfalt ist deine Vielfalt.
Zahlen und Statistiken belegen, dass sich der offene Umgang mit Vielfalt und die Förderung von »Diversity Awareness« positiv auf die Leistung und die Motivation von Menschen und damit auf den Erfolg einer Firma auswirken. Wie aber lernen wir dies, wie »lernen« wir einen konstruktiven Umgang mit Diversity? Welche Wege müssen wir gehen, um ein neues Bewusstsein zu generieren?
Der Diversity-Tag am 9. Juni 2015 veranlasst uns zu einer solchen Auseinandersetzung mit Vielfalt. Wir wählen einen persönlichen Zugang über erlebte biografische Geschichten und nähern uns dem Thema über die Reflexion der eigenen Haltung und Erfahrungen hinsichtlich bestimmter Diversity-Kerndimensionen. Neues oder anderes Bewusstsein erlangen wir besonders gut, indem wir die individuellen Verflechtungen und eigenen Bedeutungsebenen zu diesem Thema intensiv betrachten und uns kritisch damit auseinandersetzen.
Fragen wie diese regen uns an: Reflexion eigener Muster und Stereotype, Vorurteilsbewusstein, Was bedeutet Diversity Awareness in meiner Rolle als BeraterIn? Wie tragen wir als Beratende Diversity in eine Organisation?
Als Berater und Beraterinnen möchten wir uns die Vielfalt innnerhalb unseres Teams bewusst machen und offen kommunizieren, sie als Bereicherung ansehen und anerkennen. Im Sichtbarmachen und Anerkennen von Vielfalt, von Gemeinsamkeiten und Unterschieden zwischen uns als KollegInnen sehen wir einen Mehrwert für unser Dasein und unsere erfolgreiche Zusammenarbeit.
Mit diesem Bewusstsein gehen wir als Berater sensibel mit der Vielfalt in Individuen und der Vielfalt in Teams und Gruppen unserer Auftraggeber um. Die innere Überzeugung, dass dadurch wohlwollender Umgang miteinander angeregt wird, was sich langfristig wiederum positiv auf Motivation und Effizienz der Mitarbeitenden auswirkt, treibt uns an.
Diversity-Lernen passiert auf drei Ebenen: des Individuums, der Person bzw. beruflichen Rolle und auf Ebene der Organisation. Diese drei Ebenen sind zum Teil eng miteinander verstrickt und bedingen sich gegenseitig. Eigene Erfahrungen, biografische Marker, innere Einstellungen und Überzeugungen beeinflussen unser Handeln, die organisationalen Strukturen bedingen das Feld, in dem Menschen sich im Unternehmenskontext frei oder mitunter nicht frei verhalten können.
Diversity-Lernen ist eine komplexe Angelegenheit, der wir uns stellen, der wir uns in Offenheit zuwenden, Bedenken, Ängste und freudige Anspannung mit eingeschlossen. Welche Geschichten über mich erzähle ich, welche Vielfalt ist in mir, welches Bild von mir entwerfe ich, und welches Bild entwerfen andere von mir? Die nigerianische Schriftstellerin Chimamanda Adichie beweist in ihrem berührenden TED-Talk »The danger of a single story«, wie über das Bewusstwerden solcher Fragen paradiesische Zustände hergestellt werden können.
Wir entdecken neue innere Welten, zeigen uns von neuen und anderen Seiten, machen neue Begegnungen mit uns selber und mit unseren Kollegen und Kolleginnen. Diversität drückt sich in Unterschieden und Gemeinsamkeiten aus und öffnet plötzlich völlig neue und andere Zugehörigkeiten innerhalb einer Gruppe. Wann hast Du zum ersten Mal bemerkt, dass du anders bist als andere? Entlang welcher Kategorien und was bedeutet das für dich und dein Handeln?
Auch in Bezug auf Unternehmen bedeutet Diversity-Lernen die Frage nach Zugehörigkeiten, nach Zusammengehörigkeit, also die Frage nach der gemeinsamen Identität. Nur in angstfreier Umgebung, wo ich mich wahr- und ernstgenommen fühle, kann ich mich zielgerichtet und konzentriert und mit voller Energie meinen Aufgaben widmen.
Diversity-Lernen ist ein unabdingbarer Weg, der von uns bewusst und wach gegangen werden muss, weil das Jetzt und die Zukunft Diversität bedeuten.
Hanna Göhler
Wir waren früher aber die Norm – über den Schmerz der Diversität
Norm sein oder bloß häufig? Die Kränkungen der Vielfalt.
„Sie hat meinen Posten bekommen. Eine Frau. Sie ist weniger qualifiziert, aber heute haben wir (Männer) ja kaum eine Chance gegen eine Frau.“
Das klingt anders als es die Kommunikationsabteilungen großer Unternehmen gerne beschreiben. Mit gutem Grund versuchen sie gelebte Diversität als schon vorhanden zu beschreiben, sie tun dies in schönen Bildern und beeindruckenden, wirklich geschehenen Geschichten. Hoffend, dass so auch die Zögernden beginnen in diese Geschichte ‚wir wollen und leben Diversität‘ einzusteigen. Das Zitat oben spricht eine andere Sprache. In der Wortwahl: „meine Position“ steckt das Problem, es gab eine Zeit, da war es selbstverständlich, dass es meine Position sein wird, denn ich gehörte zu der Norm, zu denen, die ein natürliches Recht hatten auf den Aufstieg. Ihnen wird etwas weggenommen: Die Position, aber mehr noch, das sichere Gefühl zur herrschenden und privilegierten Norm zu gehören. Was wir ihnen sagen ist, ihr seid nur noch häufig, aber ihr seid nicht mehr der Maßstab und ihr seid nicht mehr privilegiert. Eine Kränkung, ein narzisstischer Schmerz, der hier geschieht – ein unvermeidlicher, wenn man versteht, dass Diversität eben nicht nur den anderen betrifft, sondern vor allem mich in meinem Recht, privilegiert zu sein. Diversität relativiert mich. In einem Unternehmen mit gelebter Diversität wird das Versprechen aufgekündigt, dass die Norm und Privilegien derer, die es doch aufgebaut haben, erhalten bleiben. Soziale Sicherheit und Zukunftssicherheit verschwinden, während gleichzeitig in der Gesellschaft alte Sicherheiten und Normen ebenfalls aufgekündigt werden oder einfach verschwinden. Unsere schöne Medienwelt, die immer und immer wieder erzählt, wie wunderbar Diversität doch schon gelebt wird, legt ein bleiernes Sprechverbot über die Unternehmen. Diversität degradiert die Privilegierten von den Normgebenden zu bloß noch vorrübergehend Häufigen. Und das erzeugt Trauer, Ärger, Unverständnis – Gefühle, über die öffentlich nicht gesprochen werden darf. Erziehen wir uns so in den Unternehmen eine eigene Pegidabewegung?
In meiner unmittelbaren Nachbarschaft kann ich sehen, wie anfangs ängstlich beäugte ‚Flüchtlinge‘, definitiv anders aussehend als die meisten in der Nachbarschaft, bei uns untergebracht wurden. Mit der Zeit verschwand diese Unsicherheit, das Ressentiment. Es verschwand, weil darüber gesprochen wurde und es tägliche Kontakte gab und gibt, gemeinsame Feste, gemeinsames Lernen, gemeinsames Musizieren.
Nur wenn gemeinsam über all dies gesprochen wird, gibt es eine Basis für das so notwendige andere Verständnis von Diversität. Wirkliche Diversität ist eine Notwendigkeit in einer globalen Welt, die in vielen kulturell unterschiedlichen Märkten operiert. Wie will ich diese Unterschiedlichkeit verstehen, wenn sie sich nicht in meinem Unternehmen abbildet. Die Gesellschaft wandelt sich – Die Balance der Genderfrage, die Frage der Alterspyramide, die gesellschaftliche Sichtbarkeit der Frage nach der offen gelebten sexuellen Differenz usw. – und diese Wandlung findet inmitten der Unternehmen statt. Sie verändert, was früher Norm und Anrecht war, sie erzeugt Schmerzen, die man als unbegründet, als moralisch falsch bewerten mag, die aber dennoch da und ernst zu nehmen sind. Wenn wir nicht ein verstecktes Ressentiment erzeugen wollen, dann beginnt Diversität nicht mit schönen Geschichten des Gelingens (und sie sind auch wichtig), sondern mit dem Gewahrwerden, dass die Öffnung zur Diversität mit der Kränkung verbunden ist, nunmehr häufig zu sein aber eben nicht mehr die privilegierte Norm. Dass wir beginnen Privilegien zu teilen und dass wir im Kontakt miteinander wahrnehmen können, dass durch den Verlust auch das durchscheint, was dem ganzen Projekt seinen Sinn gibt, eine Bereicherung und ein vielsinniger Blick auf die Wirklichkeit.