Lars Vollmer: Zurück an die Arbeit

Hatten Sie auch schon mal das Gefühl, dass Sie in der Arbeit von der Arbeit abgehalten werden? Und zwar nicht durch ihr privates Handy und auch nicht durch schwätzende Kollegen und Kaffeepausen, sondern durch Dinge, die Ihr Arbeitgeber selbst veranlasst hat: zeitraubende Aktivitäten wie Meetings, Mitarbeitergespräche, Teambuilding-Events, Budgetverhandlungen, Zielvereinbarungen, Stunden- oder Tätigkeitserfassung und so weiter. Wenn Sie gar das Gefühl haben, dass solche Sachen in ihrem Arbeitsalltag überhandnehmen, sind Sie bei Lars Vollmer genau richtig. In seinem neuen Buch »Zurück an die Arbeit: Wie aus Business-Theatern wieder echte Unternehmen werden« geht der Unternehmer und Unternehmensberater der Frage nach, warum immer mehr Arbeitnehmer das Gefühl haben, sich in der Arbeit verstellen zu müssen, warum das den Unternehmen letztlich schadet – und natürlich, was sich dagegen tun lässt.

Zunächst stellt Vollmer die interessante Frage, was genau eigentlich Arbeit ist, wenn Tätigkeiten wie Meetings, Mitarbeitergespräche und so weiter einen von der Arbeit abhalten und sich allein dadurch quasi schon als »Nicht-Arbeit« entlarven. Und was ist es eigentlich, was Leute in einem Meeting tun, wenn es keine Arbeit ist? Laut Vollmer erkennen Sie echte Arbeit daran, dass sie den Erlös vermehrt beziehungsweise dem Kunden mehr bringt, wenn Sie mehr davon tun. Alles andere stuft er als »Theater« ein.

Das wäre an sich noch kein großes Problem, wenn nicht so viele Arbeitnehmer und Unternehmen darunter leiden würden. Immer mehr Menschen, so Vollmers These, mögen ihre Arbeit an sich, fühlen sich dabei aber durch Managementmaßnahmen gestört, die ihnen sinnlos scheinen und die Arbeit erschweren. Und immer mehr Unternehmen schaffen es trotz größter Anstrengungen nicht, profitabel zu bleiben.

Als Hauptursache dafür macht Vollmer die komplexeren Bedingungen aus, die seit ein paar Jahrzehnten in der Wirtschaft herrschen. Alles sei so unberechenbar geworden und verändere sich so schnell, dass die Managementmethoden des sogenannten Taylorismus, die das 20. Jahrhundert dominierten, nicht mehr funktionierten. Der Taylorismus basiert auf einer Trennung zwischen Denken (für die Führungskräfte) und Handeln (für die Untergebenen, die die Entscheidungen der Chefs ausführen). Ziel dieser Management-Methode war es, die Anwesenheit von Arbeitskräften so effizient wie möglich zu gestalten. Dafür war alles streng durchorganisiert: Die Chefs bekamen Informationen von »unten«, auf deren Basis sie ihre Entscheidungen treffen konnten, und die Untergebenen bekamen Prozesshandbücher, die ihnen jeden Schritt präzise vorgaben.

Vollmer lässt einen tayloristischen Unternehmensberater in unsere Zeit reisen und stellt sehr unterhaltsam dar, dass dieses System nicht mehr funktioniert, wenn sich alles so schnell verändert, wie es das heute tut. Die Informationen, auf denen die Entscheidungen der Führung basieren, sind zum Beispiel oft schon längst veraltet, bevor eine Entscheidung überhaupt fällt, geschweige denn, bevor sie umgesetzt wird. Alle im Unternehmen merken, dass etwas schief läuft, begehen dann aber – so Vollmers Erfahrung – einen fatalen Fehler: Sie versuchen, das Problem durch noch mehr Management in den Griff zu kriegen, also noch mehr Prozess- und Dokumentationsvorschriften für die Arbeitnehmer.

Kein Wunder, dass Arbeitnehmer, die sich nach mehr Freiheit und zeitgemäßen Arbeitsbedingungen sehnen, keine Lust mehr haben, für solche Unternehmen zu arbeiten. Hier sieht Vollmer eine überzeugende Ursache für den viel beschworenen Fachkräftemangel, den es – mit wenigen Ausnahmen vielleicht – in Wirklichkeit gar nicht gibt. Außer unser laut Vollmer ebenso nicht mehr zeitgemäßes Schulsystem erzeugt ihn mit.

Und die Lösung für das Dilemma? Als ein Schritt schlägt Vollmer vor, das Management radikal zu reduzieren und Arbeit flexibler und situationsorientiert zu organisieren. Daraus ergibt sich gleichzeitig, dass Unternehmen sich nicht einfach bei anderen, erfolgreicheren Start-Ups abschauen können, wie man es besser macht, und dann deren Organisationsformen übernehmen. Stattdessen fordert er individuelle Lösungen, wofür sich die Unternehmen wieder darauf besinnen müssten, wozu sie ursprünglich überhaupt Menschen einstellten, damit sie zusammenarbeiten.

Alles in allem ist »Zurück an die Arbeit« wirklich sehr unterhaltsam und aufschlussreich, sowohl für gewöhnliche Arbeitnehmer als auch für Unternehmer, Manager oder Führungskräfte. Vollmers Vision ist eine Welt, in der Arbeit wieder Spaß macht, als sinnvoll und erfüllend erlebt wird und der Mensch gerade in seiner Individualität geschätzt anstatt schablonenartig in eine Stellenbeschreibung gepresst wird. Als ein Positivbeispiel nennt Vollmer die Drogeriemarkt Kette dm, in der das Management den Filialen größtmögliche Freiheiten lasse. Also bin ich in eine dm-Filiale gegangen und habe die Mitarbeiter gefragt, ob das stimmt und ob ihnen das Arbeiten dort Spaß macht – und tatsächlich sagten sie Ja, sie könnten sich prima frei entfalten, es sei viel besser als bei anderen Arbeitgebern. Sie führten das auf die Philosophie des dm-Gründers zurück, der auch für ein Grundeinkommen sei. Das klingt tatsächlich sympathisch.

Lars Vollmer: Zurück an die Arbeit
Wie aus Business-Theatern wieder echte Unternehmen werden

Linde Verlag 2016 | 192 Seiten

Sabine Anders

»Bleib gesund, Du bist mir wichtig!«

Gedanken und Wege zu einer neuen Arbeitssicherheitskultur

Wie gelingt der Aufbau einer »HSE-Kultur« (Health, Safety, Environment), die getragen ist von einer echten Sorge und Aufmerksamkeit der Kollegen umeinander?

Die meisten HSE-Systeme arbeiten mit extrinsischen Motivationsfaktoren und versuchen, die Mitarbeiter »von außen« zu beeinflussen. Die verwendeten Instrumente sind dabei Sicherheitsunterweisungen, Maschinen- und Anlagenabsicherungen, Verfahrensanweisungen, Beinahe-Unfall-Meldungen, Plakataktionen, Sicherheitsbegehungen etc. Alle diese Maßnahmen sind sinnvoll und verbessern natürlich grundsätzlich die Arbeitssicherheit. Implizit erzeugen diese Instrumente aber auch ein verstärktes Sicherheitsgefühl für die Mitarbeiter, sodass das immer noch vorhandene Restrisiko-Potenzial wenig wahrgenommen wird und die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sich kaum noch ernsthaft mit den Gefahren am Arbeitsplatz auseinandersetzen.

Für eine Arbeitssicherheitskultur 2.0 bedarf es eines Systems, das fähig ist, sich »von innen« selbst zu regulieren. Das heißt, dass es nicht mehr nur die Aufgabe der Führungskräfte (aber natürlich auch weiterhin noch) ist, auf die Einhaltung von Arbeitssicherheitsregeln zu achten, bzw. Gefahrenstellen aufzuspüren, sondern, dass sich alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter so selbstverständlich und kontinuierlich mit diesem Thema befassen wie mit der persönlichen Hygiene. Arbeitssicherheit so regelmäßig und zuverlässig wie Zähneputzen.

Der Weg zu einer solchen Kultur geht über eine Erhöhung der Eigenverantwortung der Mitarbeiter und eine höhere Selbstverständlichkeit des Themas.

Unter Eigenverantwortung versteht man die Verpflichtung des Einzelnen, für die Folgen seines Handelns selbst einzustehen (Verantwortungsethik). Grundlage dieser Auffassung ist die persönliche Freiheit und die Überzeugung, dass der vernunftbegabte Mensch zur Mündigkeit (Selbständigkeit im Denken und Handeln) fähig ist und angeleitet werden soll. Eigenverantwortung zu übernehmen, erfordert eine grundsätzliche Bereitschaft, sich Situationen und Aufgaben zu stellen. Dies ist einfacher, wenn die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer Spaß und Interesse an der ihnen gestellten Aufgabe haben. Das bedeutet, dass es sinnstiftende Maßnahmen zur Arbeitssicherheit braucht und nicht nur Warnungen, Appelle und Schockbilder. Wir brauchen eine Sicherheitskultur, in der die alltäglichen, gerade stattfindenden Bemühungen der Mitarbeiter gewürdigt werden, und zwar mit bedingungsloser Anerkennung und nicht mit dem üblichen »gut gemacht, aber …«. Wir müssen Mitarbeiter stärken und gerade bei diesem Thema auch kleine Erfolge und Verbesserungen besonders beachten.

Die häufigsten Unfälle passieren nicht Neulingen am Arbeitsplatz, sondern erfahrenen Arbeitnehmern in Phasen von eingeschliffenen Routinen, wenn die Konzentration für den Arbeitsprozess nachlässt, bzw. sich Prozessabweichungen einschleichen. Diese Veränderungen werden von weniger erfahrenen Kollegen häufig erkannt, aber nicht rückgemeldet (mit dem Bewusstsein: der Kollege ist ja erfahren, souverän im Handeln, der weiß genau, was er tut – was soll ich mir anmaßen, ihn zu verbessern – das steht mir nicht zu).

Wir brauchen also:

  • Eine Abkehr von der Kultur des »Wegsehens«, besonders gegenüber den erfahrenen Kollegen (Expertionitis).
  • Das Öffnen einer dialogorientierten Kultur, in der »in Frage gestellt« werden darf und soll.
  • Ein Eröffnen von unterschiedlichen Perspektiven, um dem komplexen Ansatz der Arbeitssicherheit gerecht zu werden (hohe Ausbringung bei höchster Sicherheit) und sichere Alternativen zu unsicherem Verhalten zu finden.
  • Weg von extrinsischer und hin zu intrinsischer Motivation, weniger Ansteuerung/Impulse von außen, mehr wirklicher eigener Willen zu sicherem Verhalten.

Die höhere Achtsamkeit wird nicht nur die Arbeitssicherheit auf eine neue Stufe heben, sondern auch andere unternehmensrelevante Themen wie Qualität und Verbesserungsprojekte unterstützen.

Erfahrungen dazu konnten wir in mehreren Projekten mit Unternehmen sammeln, die die Liga der arbeitssichersten Unternehmen anführen. Gerade bei den Spitzenreitern sind weitere Verbesserungen nicht mit einem Kopieren von Konzepten möglich, sondern es bedarf unternehmensspezifischer Lösungen, die die relevanten Stellhebel beeinflussen.

Wilhelm Dick