23. Dezember 2021
Ein Kurz-Interview mit der Kunsthistorikerin und Autorin Jana Lucas zu ihrem Buch »Die geheimen Pionierinnen der Wirtschaft«.
Liebe Frau Lucas, wie sind Sie auf die Idee gekommen, ein Buch über weibliche Führungspersönlichkeiten zu schreiben?
Bevor ich mich selbständig gemacht habe, arbeitete ich in einer international tätigen Ausstellungsagentur, die Brandlands, Besucherzentren und touristische Erlebnisse entwickelt. Bei den zahlreichen Workshops mit den Auftraggebern, vor allem Verwaltungsratsgremien und Unternehmensvorstände, traf ich nur selten Frauen an. Deswegen machte ich mich auf die Suche nach historischen Vorbildern für Führungsfrauen und Chefinnen.
Wie haben Sie die Frauen gefunden, über die Sie in Ihrem Buch schreiben?
Im Rahmen meiner kunsthistorischen Doktorarbeit hatte ich mich bereits mit einer Führungsfrau, Isabella von Portugal, als Mäzenin und Politikerin beschäftigt. Zudem hatte ich einige der im Buch vorgestellten Malerinnen schon für kunsthistorische Kurse und Vorlesungen aufgearbeitet. Das war der Ausgangspunkt. Je mehr ich mich mit dem Thema beschäftigte, desto mehr Unternehmerinnen fand ich. Allgemein bestand die Herausforderung darin, Frauen zu finden, deren Biografien durch die Grundlagenforschung ausreichend bearbeitet waren und von denen autobiografische Quellen wie Tagebuchaufzeichnungen oder Briefe existierten. Denn ich wollte nicht nur die Erfolge der Wirtschaftsfrauen beschreiben, sondern auch den Weg dorthin. Und der war zumeist steinig, langwierig und abenteuerlich. Im Jahr 2018 habe ich mit den ersten Recherchen begonnen.
Welches sind Ihre Lieblingsfrauen?
Mich beeindrucken alle zwanzig. Sie haben scheinbar Unmögliches gewagt und sind dafür belohnt worden. Ausgehend von meiner Arbeit als Autorin und Innovationsberaterin identifiziere ich mich mit einigen stärker als mit anderen. Da sehe ich Bezüge zu Christine de Pizan, Isabella Bird und Mary Parker Follett. Außerdem erinnert mich Kate Gleason, die später Standortentwicklung betrieb und Ortschaften touristisch attraktiv machte, an meine Arbeit in der Agentur.
Worauf haben Sie beim Schreiben Wert gelegt?
Ich wollte keine trockenen Biografien schreiben, sondern Texte, die spannend zu lesen sind und zugleich motivieren, selbst aktiv zu werden. Die Frauen sollten als Person greifbar werden. Deshalb habe ich versucht, möglichst viele Originaltöne einzubauen. Darüber hinaus war es mir wichtig, unternehmerische Leistungen von Frauen sichtbar zu machten, die häufig hinter kulturwissenschaftlichen Fragestellungen verborgen bleiben. Die Bestsellerautorin Sophie von La Roche etwa hat als erste Frau auf nationaler Ebene eine Zeitschrift produziert und vertrieben. Deshalb habe ich Wert darauf gelegt, mein Buch in einem Wirtschaftsverlag zu veröffentlichen. Auch gibt es am Ende eines jeden Kapitels die »Take-away Kästen«, welche die Stärken der jeweiligen Unternehmerin noch einmal zusammenfassen. In meinen Netzwerken erlebe ich es oft, dass sich Frauen im Vergleich zu Männern schnell fragen »Was kann alles schiefgehen?«, anstatt zu überlegen »Wie erreiche ich am besten mein Ziel?«. Die Protagonistinnen in meinem Buch haben Visionen entwickelt und ihr Ding durchgezogen. Wenn die Leserinnen und Leser diesen »Macherinnengeist« spüren und sich davon inspirieren lassen, dann habe ich viel erreicht.
Vielen Dank für das Gespräch!
Das Interview führte Renate Bojanowski.
Foto: Privat
23. Dezember 2021
»Meine Frau, die weiß von allem. Lasst sie tun, wie sie vordem zu tun gepflegt.« (Chajim ben Joseph Hameln, Ehemann von Glikl bas Judah Leib kurz vor seinem Tod)
Eine Publikation über erfolgreiche Unternehmerinnen vom Mittelalter bis ins 20. Jahrhundert? Warum fällt nicht nur mir kein einziger Name dazu ein? Weil Frauen und ihre Errungenschaften in der Geschichte, Wirtschaft und Wissenschaft verschwiegen oder ihre Bedeutung geringgeschätzt wird.
Die Kunsthistorikerin, Dozentin und Autorin Dr. phil. Jana Lucas richtet in ihrem kürzlich beim Redline Verlag erschienenen Buch »Die geheimen Pionierinnen der Wirtschaft – Außergewöhnliche Frauen, die unsere Wirtschaftswelt nachhaltig geprägt haben« den Scheinwerfer auf zwanzig spannende Biografien von kaum bekannten weiblichen Persönlichkeiten mit ihren bahnbrechenden Erfindungen und mutigem Unternehmergeist.
Erwartungsvoll ging ich auf Entdeckungsreise, erkundete unterschiedliche Branchen und gesellschaftliche Bereiche und stieß dabei auf bedeutende Frauen, deren Namen ich bis auf eine Ausnahme noch nie gehört hatte. Anschaulich und lebendig beschreibt Jana Lucas, welche praktischen Fähigkeiten die porträtierten Frauen besaßen, um andere Menschen, größere Gruppen oder gar ein Unternehmen anzuleiten, andere Personen zu begeistern und von einer gemeinsamen Absicht zu überzeugen. Im Mittelpunkt steht dabei der Weg, der die Frauen zu ihrem Ziel führte. Jana Lucas präsentiert ihre Vorreiterinnen in Kapiteln, die von Leadership über Innovationsmanagement, Unternehmensentwicklung, Handel und Finanzen, Marketing und Vertrieb bis hin zur Solo-Selbständigkeit reichen. Am Ende eines jeden Kapitels helfen kleine Zusammenfassungen, das Gelesene für sich zu verarbeiten und eigene Schlüsse zu ziehen. Ebenso hilfreich wie informativ sind die sich anschließenden Literaturempfehlungen zum Weiterlesen.
Was trieb die Frauen an? Was zeichnete sie aus? Und vor allem: Was unterschied sie von den anderen Frauen ihrer Zeit? Alle hatten Zugang zu Bildung und das ureigene Verlangen, sich weiterzubilden. Die Herkunft, familiäre Stände, Beziehungen oder Geld mögen als zusätzlicher Motor fungiert haben. Doch der eigene Antrieb, die grundsätzliche Haltung der Frauen nützte ihnen als hauptsächliche Kraftquelle. Im Mittelpunkt standen immer ihre Ideen und deren Verwirklichung. So trotzten sie Schicksalsschlägen, meisterten Herausforderungen und bewältigten Familie und Beruf(ung) gleichermaßen.
Zu den Frauen, die mich am meisten beeindruckten, gehört die Juwelenhändlerin Glikl bas Judah Leib (1646 – 1724), die mit dreiundvierzig Jahren ihren Mann verlor. Sie hatte zwölf Kinder, von denen noch acht zu betreuen und zu verheiraten waren. Als Jüdin musste sie neben ihrer neuen Aufgabe, ein europäisches Unternehmen zu leiten, auch stets die politische Lage im Blick haben. Jana Lucas zeichnet hier nicht nur einen spannenden Lebensweg nach, sondern vermittelt der Leser*in ein differenziertes Bild einer selbstbewussten Frau.
Franchise-Unternehmen sind im aktuellen Wirtschaftsgefüge fest verankert. Wer in Zukunft bei EDEKA oder im Obi-Baumarkt einkauft, bei Aral tankt oder bei Kieser-Training seinen Rücken stärkt, wird nach der Lektüre stets an die Kanadierin Martha Matilda Harper denken. Sie eröffnete im Jahr 1888 ihren ersten Haarsalon. Über siebzig Jahre entwickelte sie ihr System von wirtschaftlich selbständigen Niederlassungen und blickte am Ende auf ein Imperium von 500 Filialen zurück. Sie entwickelte eine eigene Haarpflegeserie und demonstrierte deren Wirkung mit ihrer bodenlangen Frisur. Ihre Dienstleistung wurde zur Lebenseinstellung, ihre Kundinnen zu VIPs. Ihr größter Erfolg sind die Frauen, die sie zu Unternehmerinnen ausgebildet hat.
Auf Sophie von La Roche bin ich bereits während meines Studiums gestoßen, als ich mich ein ganzes Semester mit Goethe und seiner Tragödie »Faust« beschäftigte. Ihr Name tauchte in seinen Briefwechseln auf, und sie war die Cousine von Christoph Martin Wieland. Sophie von La Roche schrieb noch vor Goethe 1771 den ersten deutschen Briefroman »Geschichte des Fräuleins von Sternheim«, der ein Bestseller war. Dass sie eine Frauenzeitschrift publizierte und sich für die Selbstbestimmung und Bildung der Frau einsetzte, las ich hier mit großem Interesse.
Jeder der abgebildeten Lebenswege birgt spannende Geschichten in sich. Die fesseln, wecken die Neugier nach mehr und rütteln an der Schöpferkraft in der Leserin. So viel weiblicher Unternehmungsgeist inspiriert! Außergewöhnliche Erfolgsgeschichten mit klarer Leseempfehlung!
Ein Kurz-Interview mit der Autorin gibt es hier.
Jana Lucas: Die geheimen Pionierinnen der Wirtschaft – Außergewöhnliche Frauen, die unsere Wirtschaftswelt nachhaltig geprägt haben
Redline Verlag 2021 | 331 Seiten
Renate Bojanowski