Kurze Wege, zufällige Begegnung, informelle Gespräche

Die soziale Infrastruktur informeller Beziehungen steigert die Leistungsfähigkeit von Individuen und Gruppen und ist ein wesentlicher Innovationsfaktor. Hans Blumenberg beschrieb das im Rückblick auf sein Arbeiten an Universitäten, Erfahrungen innerhalb einer kleinen Universität der Nähe in Kiel bis zu einer Großstadtuniversität in Bochum:

»Man ging nach nebenan, um sich ins Bild zu setzen, Instrumente und Quellen zu nutzen, die man selbst noch nicht hatte, Präparate und Versuche zu sehen, die Signifikanz von Daten abzusichern, Aufgaben abzugeben, für die man größere Kompetenz vermutet. Kurze Wege ersetzen Zwischenträger und Teilüberdeckungsfächer. An Großstadtuniversitäten haben oft schon die weiten Wege derartiges verhindert, noch ehe die Anstalten übergroß wurden und keiner mehr keinen kannte.«

 

(Zwischenfachlich – ein Provisorium UNF 3368/69) zitiert nach R.Zill Der absolute Leser, S.280

Die neuen Bürokonzepte mit ihren inszenierten Begegnungsräumen, der Chance zur zufälligen informellen Begegnung waren sich dessen sehr bewußt. Vieles, was ein Unternehmen bewegt, was Verbesserungspotential und auch Erneuerungspotential trägt, findet in der informellen Struktur statt, jenseits der Organigramme und definierten Prozesse.

In einer weiter fortschreitenden Digitalisierung der Arbeitswelt und der Ausdehnung von Home Office Arbeiten wird es darauf ankommen, die informelle Ebene des Arbeitens, der Kommunikation, der Anregung nicht zu verlieren. Eine Kaffeepause im virtuellen Meeting ist etwas sehr anderes als eine Kaffeepause im analogen Treffen. Als analoge Wesen brauchen wir analoge Begegnung.

Rüdiger Müngersdorff

Maja Storch, Wolfgang Tschacher: Embodied Communication – Kommunikation beginnt im Körper, nicht im Kopf

Warum verlieben sich alle jungen SchauspierInnen in ihre PartnerInnen, wenn sie verliebt SPIELEN? Was hat eine Pizza mit Kommunikation zu tun? Was der Belag der Pizza mit meinem Innenleben?

Auf diese und viele andere Fragen finden Sie Antworten in diesem Buch der Psychologen und Kommunikationsforscher Maja Storch und Wolfgang Tschacher. Die beiden Autoren stellen in ihrem »Manifest der Embodied Communication« drei Thesen auf:

These 1: Es gibt keine Botschaft
Die grundlegenden Definitionen von Kommunikation gehen davon aus, dass es bei Kommunikation um die Übertragung einer Botschaft oder Information geht. Die Autoren halten diese Vorstellung einer fixen Botschaft für ein Trugbild – es ist eine technische Metapher, z. B. aus der Zeit des Morsens. Sie postulieren, dass es in Kommunikationssituationen um Beziehungen und Interaktionen zwischen Menschen geht, in deren Verlauf erst die »Botschaft« entsteht.

These 2: Es gibt keine Richtung der Kommunikation
Die Autoren distanzieren sich von dem nachrichtentechnischen Bild, das bei Kommunikation eine Information von A nach B geht, vom Sender zum Empfänger gesandt wird. Kommunikation ist ein offenes System, in dem sich viele Elemente wechselseitig und zirkulär beeinflussen. Wer sendet, empfängt zugleich auch – wer empfängt, sendet zugleich auch – eben embodied communication. Embodied Communication bedeutet Kommunikation auf Basis des synchronisierten Embodiment der beteiligten Personen.

These 3: Kommunikation kennt keine Kontrolle
Die Geschichte der Kommunikation ist voll von Versuchen, Kommunikation präzise zu kontrollieren. In aller Regel vergeblich. Da nach Ansicht der Autoren in komplexen Systemen Musterbildungsprozesse stattfinden, die nicht zu kontrollieren sind, da sie selbstorganisierend entstehen. Die gute Nachricht: Ich kann über die Gestaltung von Randbedingungen auf Kommunikation Einfluss nehmen.

Storch und Tschacher geben in ihrem Buch auch wunderbare Empfehlungen, wie wir mit negativen Affekten umgehen können, die in Gesprächssituationen auftauchen (hier kommt die Pizza zum Einsatz),
und was ich tun kann, wenn ich jemandem in der Kommunikation etwas wirklich Gutes tun will – das AAO-Geschenk!

So ist Embodied Communication ein informatives, unterhaltsam geschriebenes Buch über die Keimzelle unseres Miteinanders: die Kommunikation.

Neugierig geworden?

Maja Storch, Wolfgang Tschacher:
Embodied Communication: Kommunikation beginnt im Körper, nicht im Kopf

Hogrefe Verlag 2015 | 192 Seiten

Martina Eckrich-Thalheimer

Rundum vernetzt – 2. SYNNECTA Tischrunde

Unternehmen 2.0 führen – Transformation zu mehr Offenheit

Was wir schon vor der Tischrunde wussten: Das Internet ist nicht kollabiert. So hatte es Robert Metcalfe, Erfinder des Ethernet, in den 1990ern prophezeit. Das Internet hat sich sogar weitesgehend durchgesetzt. Es gilt, sich dieser Tatsache zu stellen und ein Bewusstsein für die Bedeutung und Deutung digitaler Sphären zu schaffen. Unternehmen und Konzerne sind aufgefordert, die digitale Entwicklung verantwortungsvoll zugestalten und Transformation hin zum E 2.0 zu ermöglichen. Dazu müssen sich Menschen in Bewegung setzen.

Unternehmen 2.0 (Enterprise 2.0 / E 2. 0) steht für das hoch vernetzte Unternehmen. Im optimalen Sinne bedeutet dies, dass Kommunikation und Zusammenarbeit weiterentwickelt werden, bis hin zu einer agilen, flexiblen und offenen Kollaboration. Was sind notwendige Voraussetzungen und günstige Bedingungen für E 2.0, mit welchen unmittelbaren und unvermitteltenden Konsequenzen müssen Unternehmen rechnen? Und was hat Personalentwicklung eigentlich damit zu tun?

Um Fragen wie diese zu diskutieren, hatten wir im Oktober zur zweiten Tischrunde eingeladen. Ort der Inspiration war uns der raum13 Zentralwerk der schönen Künste in Köln-Deutz. Ein symbolträchtiger Ort der Industrialisierung. Hier wurde der Ottomotor gebaut und das bewegt seither die Welt. Die Geschichte und das Jetzt des raum13 nimmt uns mit auf eine Reise in ambiges Leben mit verunsichernden Umbrüchen, wir tauchen ein in vorige Jahrhunderte und in vucarisierte Zustände der Industrialisierung. Die zweite Tischrunde thematisiert und kommentiert die aktuellen Entwicklungen von Vernetzung, Digitalisierung und die Rolle von HR in dieser Transformation.

»Die weltweite Nachfrage nach Kraftfahrzeugen wird eine Million nicht überschreiten – allein schon aus Mangel an verfügbaren Chauffeuren«, sagte einst Gottlieb Daimler (1834 – 1900). Heutzutage mangelt es eher am Verständnis für Abgas-Skandale; massenhafte Überproduktionen gehören zur post-industriellen Normalität kapitalistischer Ordnung. In heutiger globaler Landschaft geht es um viel Virtuelleres, wenngleich nicht weniger reales: um Information und Daten. Das Spektrum reicht von Big Data, Verschlüsselung, Industrie 4.0 bis hin zu Persönlichkeitsrechten, Transparenz oder dem individuellen virtuellen Dasein. In Unternehmen werden neue Ausbildungen und Stellen geschaffen, etwa die des »Community Managers«, wie uns Katharina Perschke berichtet, eine der ExpertInnen, die wir zur Tischrunde eingeladen hatten.

Das technische Vehikel für offene Kollaboration liefern Web 2.0-Technologien: soziale Netzwerke, virtuelle Communities, Blogs, Wikis oder File-Sharing. Solche technischen Innovationen sind den kulturellen ein Stück voraus. Die Teilnehmenden der Tischrunde sind sich einig, dass die Möglichkeiten der Technik einen tiefgreifenden Wandel von Unternehmenskulturen bedeuten. Diese Kulturen sind häufig jedoch noch von geschütztem Wissen, funktionaler und hierarchischer Positionsmacht und starrem Silo-Denken geprägt. So fragen sich die Teilnehmenden der Tischrunde, ob sich die eigenständigen Dynamiken auf Plattformen top down beinflussen lassen oder ob eingesehen werden muss, dass Einflussnahme gemindert ist und längst eine Machtverschiebung stattgefunden hat.

Dass wir Autos fahren und währenddessen auf einem mobilen Telefon per Email erreichbar sind, ist für viele von uns mittlerweile normal. Obwohl sich die Umwelten seit der industriellen Revolution geändert haben, wie uns im raum13 noch einmal bewusst wird, die Effekte für die Menschen bleiben. Neu-Gier, VUCA, Interesse an Progress und Kreation, ein Getriebensein. Unterscheiden sich die Fragen? Früher: Ab welcher Geschwindigkeit platzt der Mensch? Heute: In welchem Bewusstsein gestalte ich virtuellen Raum und meine digitale Identität? Diese Fragen sind Ausdruck einer grotesken Situation, in die Menschen sich begeben; und sie müssen gestellt werden.

Strukturen müssen sich ändern. HR muss flexibel und agil werden und gelassen werden. Bewegung durch Zeit und Raum verändert ihre innere Dynamik, ihre Schnelligkeit und ihre Art, wenn sie digital wird. Digitale Bewegungen im vernetzten Unternehmen werden Teil ständiger Erneuerung und Veränderung von Unternehmensstrukturen und -kulturen. Auf der Datenautobahn geht es nicht mehr um die Frage, ob man selber, sondern ob die Dotcom-Blase platzt. Mit anderen Bewegungen in digitalen Räumen bekommt die Dimension Zeit ebenfalls eine neue Bedeutung. Wann ist der richtige Zeit-Punkt, wer ist schneller: eine Entscheidung in der Führungsetage oder der Informations-Einfluss der digitalen Community? Was teile ich wann? Wer kontrolliert? Wann gehe ich mit wem wohin und welchen Weg nehmen wir?

Wir streben nach der Befähigung und Beteiligung der Mitglieder einer Organisation, und nach der Etablierung einer neuen »2.0 Führungskultur«. Es braucht eine Führung, die die Transformation hin zu mehr Offenheit zulässt und fördert. Es braucht eine Unternehmenskultur, die HR ermöglicht, tatsächlich neue Prozesse zu gestalten. Es braucht Mitarbeitende, die sich mit E 2.0 identifizieren. Kollaboration in einem Unternehmen 2.0 heißt, dass Menschen Verantwortung unter weniger autoritärer Führung annehmen können und wollen. Wege gehen und gehen lassen, die bisher allenfalls als Trampelpfade in Erscheinung treten.

»Computer sind nutzlos. Sie können nur Antworten geben.« (Picasso, 1946). Wie der Flieder im raum13 seinen Weg durch den Asphalt findet, durch Ritzen wächst und in Zwischenräumen blüht, den Ort re-naturiert und zu einem anderen macht, müssen Menschen ihre Organisationen und ihre Arbeitsweisen neu gestalten, sich im digitalen Raum zurechtfinden, darin Zwischenräume aufmachen und (sich) weiterhin Fragen stellen.

Wir danken dem raum13, Anja Kolacec, Marc Lessle, Verena Bildhauer, Ellen Spiegel sowie allen Teilnehmenden und den Gästen Rüdiger Schönbohm, Katharina Perschke (BOSCH), Björn Preußer (CBTL) für ihre Perspektiven und die Bereitschaft zum angeregten und offenen Austausch.

Hanna Göhler

In seinen Blogartikeln gibt Rüdiger Schönbohm einen spannenden Einblick in den Arbeitsbereich E 2.0: