Jana Lucas: Die geheimen Pionierinnen der Wirtschaft
»Meine Frau, die weiß von allem. Lasst sie tun, wie sie vordem zu tun gepflegt.« (Chajim ben Joseph Hameln, Ehemann von Glikl bas Judah Leib kurz vor seinem Tod)
Eine Publikation über erfolgreiche Unternehmerinnen vom Mittelalter bis ins 20. Jahrhundert? Warum fällt nicht nur mir kein einziger Name dazu ein? Weil Frauen und ihre Errungenschaften in der Geschichte, Wirtschaft und Wissenschaft verschwiegen oder ihre Bedeutung geringgeschätzt wird.
Die Kunsthistorikerin, Dozentin und Autorin Dr. phil. Jana Lucas richtet in ihrem kürzlich beim Redline Verlag erschienenen Buch »Die geheimen Pionierinnen der Wirtschaft – Außergewöhnliche Frauen, die unsere Wirtschaftswelt nachhaltig geprägt haben« den Scheinwerfer auf zwanzig spannende Biografien von kaum bekannten weiblichen Persönlichkeiten mit ihren bahnbrechenden Erfindungen und mutigem Unternehmergeist.
Erwartungsvoll ging ich auf Entdeckungsreise, erkundete unterschiedliche Branchen und gesellschaftliche Bereiche und stieß dabei auf bedeutende Frauen, deren Namen ich bis auf eine Ausnahme noch nie gehört hatte. Anschaulich und lebendig beschreibt Jana Lucas, welche praktischen Fähigkeiten die porträtierten Frauen besaßen, um andere Menschen, größere Gruppen oder gar ein Unternehmen anzuleiten, andere Personen zu begeistern und von einer gemeinsamen Absicht zu überzeugen. Im Mittelpunkt steht dabei der Weg, der die Frauen zu ihrem Ziel führte. Jana Lucas präsentiert ihre Vorreiterinnen in Kapiteln, die von Leadership über Innovationsmanagement, Unternehmensentwicklung, Handel und Finanzen, Marketing und Vertrieb bis hin zur Solo-Selbständigkeit reichen. Am Ende eines jeden Kapitels helfen kleine Zusammenfassungen, das Gelesene für sich zu verarbeiten und eigene Schlüsse zu ziehen. Ebenso hilfreich wie informativ sind die sich anschließenden Literaturempfehlungen zum Weiterlesen.
Was trieb die Frauen an? Was zeichnete sie aus? Und vor allem: Was unterschied sie von den anderen Frauen ihrer Zeit? Alle hatten Zugang zu Bildung und das ureigene Verlangen, sich weiterzubilden. Die Herkunft, familiäre Stände, Beziehungen oder Geld mögen als zusätzlicher Motor fungiert haben. Doch der eigene Antrieb, die grundsätzliche Haltung der Frauen nützte ihnen als hauptsächliche Kraftquelle. Im Mittelpunkt standen immer ihre Ideen und deren Verwirklichung. So trotzten sie Schicksalsschlägen, meisterten Herausforderungen und bewältigten Familie und Beruf(ung) gleichermaßen.
Zu den Frauen, die mich am meisten beeindruckten, gehört die Juwelenhändlerin Glikl bas Judah Leib (1646 – 1724), die mit dreiundvierzig Jahren ihren Mann verlor. Sie hatte zwölf Kinder, von denen noch acht zu betreuen und zu verheiraten waren. Als Jüdin musste sie neben ihrer neuen Aufgabe, ein europäisches Unternehmen zu leiten, auch stets die politische Lage im Blick haben. Jana Lucas zeichnet hier nicht nur einen spannenden Lebensweg nach, sondern vermittelt der Leser*in ein differenziertes Bild einer selbstbewussten Frau.
Franchise-Unternehmen sind im aktuellen Wirtschaftsgefüge fest verankert. Wer in Zukunft bei EDEKA oder im Obi-Baumarkt einkauft, bei Aral tankt oder bei Kieser-Training seinen Rücken stärkt, wird nach der Lektüre stets an die Kanadierin Martha Matilda Harper denken. Sie eröffnete im Jahr 1888 ihren ersten Haarsalon. Über siebzig Jahre entwickelte sie ihr System von wirtschaftlich selbständigen Niederlassungen und blickte am Ende auf ein Imperium von 500 Filialen zurück. Sie entwickelte eine eigene Haarpflegeserie und demonstrierte deren Wirkung mit ihrer bodenlangen Frisur. Ihre Dienstleistung wurde zur Lebenseinstellung, ihre Kundinnen zu VIPs. Ihr größter Erfolg sind die Frauen, die sie zu Unternehmerinnen ausgebildet hat.
Auf Sophie von La Roche bin ich bereits während meines Studiums gestoßen, als ich mich ein ganzes Semester mit Goethe und seiner Tragödie »Faust« beschäftigte. Ihr Name tauchte in seinen Briefwechseln auf, und sie war die Cousine von Christoph Martin Wieland. Sophie von La Roche schrieb noch vor Goethe 1771 den ersten deutschen Briefroman »Geschichte des Fräuleins von Sternheim«, der ein Bestseller war. Dass sie eine Frauenzeitschrift publizierte und sich für die Selbstbestimmung und Bildung der Frau einsetzte, las ich hier mit großem Interesse.
Jeder der abgebildeten Lebenswege birgt spannende Geschichten in sich. Die fesseln, wecken die Neugier nach mehr und rütteln an der Schöpferkraft in der Leserin. So viel weiblicher Unternehmungsgeist inspiriert! Außergewöhnliche Erfolgsgeschichten mit klarer Leseempfehlung!
Ein Kurz-Interview mit der Autorin gibt es hier.
Jana Lucas: Die geheimen Pionierinnen der Wirtschaft – Außergewöhnliche Frauen, die unsere Wirtschaftswelt nachhaltig geprägt haben
Redline Verlag 2021 | 331 Seiten
Renate Bojanowski