Kaizen? CIP? KVP? Waren das nicht Ideen aus dem letzten Jahrhundert?

In den Unternehmen begegnet man den Worten kaum noch. Sie sind Geschichte. Manches aus diesen Konzepten ist in die Produktionssysteme gewandert – im direkten Bereich waren die Vorgehensweisen der kontinuierlichen Verbesserung auch besonders erfolgreich. Im indirekten Bereich hatte es das Vorgehen immer schon schwerer. Aber selbst da, wo der Gedanke der kontinuierlichen Verbesserung in den Produktionssystemen verankert ist, geht ein wesentlicher Aspekt dieser Verbesserungsbewegung verloren. Immer mehr übernimmt eine Spezialistenbrille die Hoheit über die Verbesserungsanstrengungen – ein scheinbar objektiver, planender Blick von außen, gefüttert mit Daten und Algorithmen. Dies wird sich mit der fortschreitenden Digitalisierung und dem Einsatz von AI noch deutlich verstärken.

Verloren geht dabei das implizite Wissen der Menschen, die vor Ort arbeiten – ihre oft halbbewussten Einschätzungen, ihr praktisches Wissen. Es mag sein, dass wir, gefüttert von Daten, dieses Wissen nicht mehr benötigen – aber auch das ist zu bezweifeln. Was aber auf jeden Fall verloren geht, ist ein oft verborgener Aspekt des alten Kaizens: die Beteiligung, das Erlebnis von Selbstwirksamkeit, das Gemeinschaftserlebnis – gemeinschaftlich für das, was im eigenen Arbeitsumfeld geschieht, verantwortlich zu sein.

In der derzeitigen Umgestaltung der Arbeitsmethodik zu agilen Arbeitsformen ist der Verbesserungsgedanke im inkrementellen Vorgehen oft schon enthalten – die kleinteiligen Schrittfolgen, die Möglichkeit zu schnellen Korrekturschleifen sind gelebte Verbesserungsphilosophie. Allerdings mit einem blinden Fleck: sie sind immer zielbezogen, fokussiert. Der Charme der reifen Kaizenbewegung war es, durch die Arbeitsformen einer lebendigen Moderation und der Arbeit mit der Beziehungskraft in Gruppen einen schweifenden, offen suchenden Blick einzunehmen. Es gab eine Entlastung von der direkten Leistungsbezogenheit hin zu einer offenen Suchbewegung. In diesem Aspekt war Kaizen auch ein wesentlicher Innovationstreiber bezogen auf Arbeitsabläufe, Organisationsfragen und Unterstützungen von Prozessen durch die Möglichkeit Kultur- und Verhaltensfragen zu thematisieren.

Hinter der Kaizenidee lag stets auch ein kultureller Ansatz – es war die Beteiligungsphilosophie schlechthin. Hier konnten Planung, rationale Prozessgestaltung, der Wunsch nach Beteiligung und Selbstwirksamkeit zusammenkommen – Kaizen bildete Gemeinschaften. Ein Aspekt, der für uns wieder sehr wichtig werden könnte, wenn digitales Arbeiten und Homeoffice die impliziten, informellen Beziehungsebenen der Arbeit deutlich vermindern werden.

Rüdiger Müngersdorff
Foto: Mario Purisic by unsplash.com

Spektrum der Balance – Ein Kulturmodell für Organisationen

Das Kulturmodell »Spektrum der Balance« wurde von SYNNECTA entworfen und in Co-Creation mit Partner*innen aus der Unternehmenswelt weiterentwickelt. Es verleiht Kultur eine Sprache und damit Menschen in Organisationen eine Reflexions- und Diskussionsgrundlage. Das Modell ist beschreibend und im Gegensatz zu vielen populären Ansätzen nicht normativ. Es ist leicht verständlich und kann einfach und flexibel eingesetzt werden.

Zu Beginn eines umfassenden Transformationsprozesses in einem mehr als 30.000 Frau*Mann starken Industrieunternehmen betonte der verantwortliche CEO eindrücklich und wiederholend: 50% des Erfolgs bringe die Reorganisation und die Umsetzung der neuen Strategie, 50% liege jedoch in der Veränderung der Unternehmenskultur! Peter Drucker mit seiner Aussage »Culture eats strategy for breakfast« lässt grüßen.

Nun macht es aus unserer Sicht wenig Sinn Kulturveränderung als weiteres Projekt im Rahmen einer Veränderung auf- und umzusetzen, ganz nach dem Prinzip: Ist-Kultur analysieren, Leitkultur definieren und »Go« (siehe dazu »Unternehmensleitbilder in Zeiten hybrider Gesellschaften«). Warum?

Kultur ist einerseits allgegenwärtig und manifestiert sich permanent in unserem Fühlen, Denken und Handeln und somit in der Kommunikation, Zusammenarbeit und Führung von Organisationen. Andererseits ist Kultur wenig greifbar, ständig im Fluss und ihre Wirkung den Handelnden oft nicht bewusst. Vieles liegt im Zwischenmenschlichen verborgen und ist Teil der Beziehungen beteiligter sozialer Akteure. Subjektive Wahrnehmung und Interpretation der Individuen und sozialen Gruppen haben einen Einfluss auf das Erleben der Kultur. Zudem spielt der aktuelle Kontext eine wichtige Rolle. Folglich gibt es weder »die« oder »die richtige« Kultur für alle in einer Organisation, noch lässt sie sich im mechanistischen Sinne planmäßig transformieren.

Kultur und kulturelle Muster werden am besten über Reflexion und im gemeinsamen Diskurs erkannt und verstanden. Dies verlangt nach Worten und einer gemeinsamen Sprache sowie Möglichkeiten der Differenzierung. Nun existieren bereits viele Kulturmodelle, die man für diese Übung nutzen kann. Häufig beinhalten sie jedoch einen normativen Entwicklungsansatz (z.B. Spiral Dynamics oder auch das von F. Laloux in »Reinventing Organizations« beschriebene Stufenmodell).

Rüdiger Müngersdorff entwarf deshalb ein nicht-normatives Kulturmodell, basierend auf fünf kulturellen Aspekten bzw. Dimensionen, welches zunächst in einer SYNNECTA-internen Projektgruppe weiter ausgearbeitet wurde. Es kann im Gespräch mit Einzelnen und kleinen Gruppen ad hoc oder strukturiert in Workshops und Großveranstaltungen eingesetzt werden. Im Rahmen eines umfassenden kulturellen Transformationsprozesses mag es als grundlegendes Modell dienen. Inhaltlich-sprachlich sowie methodisch-prozessual lässt es sich kundenspezifisch anpassen. Wir konnten damit in unterschiedlichen Organisationen bereits vielfach positive Erfahrungen sammeln.

Darüber hinaus entwickelten wir unser Ursprungsmodell mit Partner*innen aus verschiedenen HR- und OE-Bereichen der Bosch-Gruppe weiter. Nach mehreren Iterationsschleifen in einem sieben-köpfigen Team (s.u.) setzt sich das »Spektrum der Balance« Kulturmodell nunmehr aus sechs kulturellen Aspekten zusammen:

  • Der Offenheitsaspekt (aquamarin)
  • Der Autonomieaspekt (gelb)
  • Der Gemeinschaftsaspekt (grün)
  • Der Bewegungsaspekt (orange)
  • Der Strukturaspekt (blau)
  • Der Energieaspekt (rot)

Zu jedem Aspekt gibt es eine prägnante Beschreibung in Form sogenannter Aspektkarten sowie eine Bewertungskarte, die mögliche Ausprägungen des jeweiligen Aspekts skizziert, wie dieser im positiven bzw. gesunden oder im negativen bzw. ungesunden Sinne von den Menschen erlebt werden kann.

Das SYNNECTA Ursprungsmodell beinhaltet zusätzlich Veränderungskarten, die erste Ideen und Hinweise geben, was je nach Ausgangssituation getan werden kann, um einen bestimmten Kulturaspekt in einer Organisation zu stärken. Die Modelle wurden bisher strukturiert in Workshops, Großveranstaltungen und im Rahmen von Open Office Veranstaltungen eingesetzt. Dafür existieren unterschiedliche Dramaturgien.

In einem nächsten Schritt der Co-Creation mit unseren Partner*innen ist angedacht kontextspezifische »Kulturbalancen« zu definieren und zu beschreiben (z.B. Kulturbalance »Digitale Transformation«), die als weitere Reflexionsmöglichkeit für Mitarbeiter*innen und Führungskräfte in Organisation dienen können.

Thomas Meilinger

Unsere Co-creativen Partner*innen: Benjamin Berger (Bosch Powertrain Solutions, Business Transformation), Germán Barona & Laura Heim (Bosch Corporate, Kulturentwicklung und Transformation), Harald Baumann (Bosch Rexroth, Business Excellenz), Sybille Payer & Anna Prieschl (ETAS GmbH, Personal- und Organisationsentwicklung)

Titelfoto: Paul Hanaoka by unsplash.com