Yuval Noah Harari: Homo Deus. A Brief History of Tomorrow

Yuval Noah Harari: Homo Deus. A Brief History of TomorrowNach dem Erfolg seines Bestsellers »Sapiens. Eine kurze Geschichte der Menschheit« wurde der israelische Historiker Yuval Noah Harari in Interviews immer wieder gefragt, wie es denn nun um die Zukunft der Menschheit bestellt sei. Aus seinen Antworten ist als eine Art Fortsetzung von »Sapiens« sein neuestes Buch entstanden: »Homo Deus. A Brief History of Tomorrow« (auf Deutsch 2017 erschienen unter dem Titel »Homo Deus. Eine Geschichte von Morgen« im C. H. Beck Verlag, übersetzt von Andreas Wirthensohn).

In der Tat knüpft »Homo Deus« dort an, wo »Sapiens« aufhörte: Die Menschheit hat die drei größten Probleme, mit denen sie bis ins 20. Jahrhundert am meisten kämpfte, weitgehend im Griff. Kommt es heute zu Kriegen, Hungersnöten oder Epidemien, sind sie nicht von unbeeinflussbaren Faktoren wie etwa Wetterschwankungen ausgelöst, sondern sie beruhen auf menschlichem Versagen und hätten vermieden werden können. Diese These scheint gewagt, aber Harari untermauert sie gekonnt mit seiner gewohnt stichhaltigen, absolut klaren und zugänglichen Argumentationsweise.

Doch er wäre nicht Harari, wenn er nicht wie in »Sapiens« eher die Schattenseiten dieser scheinbaren Erfolgsgeschichte betonte. Entsprechend düster, aber erschreckend überzeugend ist das Zukunftsszenario, das er entwickelt: Befreit von der Notwendigkeit, sich ständig mit Krieg, Hunger und Epidemien herumschlagen zu müssen, stecken die Menschen ihre ganze Kreativität in technischen Fortschritt und die Suche nach dem ewigen Leben. Das führt dazu, dass es möglich wird, Menschen biologisch upzugraden, etwa durch Körperteile und Organe, die länger halten, besser arbeiten oder mehr können. Schon am Ende von »Sapiens« hatte Harari angedeutet, dass der Mensch durch die Schaffung künstlicher Intelligenz die seit Millionen von Jahren geltenden Regeln des Evolutionsprozesses außer Kraft setzt.

Solche evolutionsüberspringende Upgrades werden sich aber nur die Reichen leisten können, die sich dadurch immer weiter vom Rest der Menschheit entfernen. Dieser Rest wird gleichzeitig durch den technischen Fortschritt ziemlich überflüssig: Computer werden Menschen nicht nur in den meisten Bereichen als Arbeitskräfte ersetzen, sondern zum Beispiel auch als Soldaten. Die Masse der Menschen wird also sowohl für Arbeitgeber als auch für Machthaber entbehrlich, da sie weder als Arbeitskräfte noch als Soldaten oder als Wähler gebraucht werden.

Entsprechend gering wird das Interesse der Reichen und Mächtigen sein, diese Überflüssigen am technischen Fortschritt zu beteiligen. Möchte man nun darüber spekulieren, wie das Verhältnis zwischen Reich und Arm aussehen wird, überlegt Harari, muss man sich nur ansehen, wie weiter entwickelte Aliens in Science-Fiction-Filmen mit der Menschheit umspringen – oder Menschen mit Tieren.

Wie schon in »Sapiens« gelingt es Harari, den Leser dazu zu bringen, Dinge zu hinterfragen, die man sonst als selbstverständlich hinnimmt. Mit den Wörtern human und Humanismus etwa verbinden die meisten etwas Positives. Sie beinhalten aber auch, dass nicht-menschliche Lebensformen zu Lebewesen zweiter Klasse degradiert werden. Harari zeichnet die Entstehungsgeschichte des Humanismus nach und zeigt, auf welchen philosophischen und biologischen Annahmen er beruht – und wie wenig gerechtfertigt diese rein logisch betrachtet eigentlich sind.

Genauso wie Harari mit »Sapiens« die Zivilisationsgeschichte als Erfolgsgeschichte in Frage stellte, lässt einen »Homo Deus« zweifeln, ob man als Mensch eigentlich zu den good guys gehört oder nicht doch eher zu den bad guys. In Science-Fiction-Filmen stellen Menschen sich üblicherweise als Opfer von Alien-Angriffen dar, die die Menschheit für ihre Zwecke ausrotten oder missbrauchen wollen. Wir porträtieren uns selbst als die good guys. Schaut man sich aber unseren Umgang mit Tieren an und denkt sich einmal, die Tiere wären Menschen, die Menschen die Aliens, wird einem mit Schrecken bewusst, dass man vielleicht eher auf der Seite der bad guys steht – und im Verlauf der Menschheitsgeschichte schon immer gestanden hat.


Yuval Noah Harari, Foto © Daniel Thomas Smith

Trotz aller Düsternis ist »Homo Deus« eine inspirierende Lektüre. Harari will sein Buch ausdrücklich nicht als beklemmende Prophezeiung verstanden wissen. Er will dadurch gerade erreichen, dass Menschen darüber nachdenken, wie sie mit den Möglichkeiten, die durch technischen Fortschritt entstehen, umgehen könnten: Ähnlich wie Karl Marx laut Harari den Kapitalismus gewissermaßen gegen seinen Willen rettete, indem er seinen Untergang vorhersagte.

»Homo Deus« steckt so voller origineller Gedankengänge und Ideen, dass man es gleich noch einmal lesen möchte, um alles aufzunehmen und zu verarbeiten. Es konfrontiert einen mit Fragen wie: Ist es okay, die Bewegungen einer Ratte mithilfe in ihr Gehirn implantierter Elektroden zu steuern, wenn sie sich super dabei fühlt? Welche Rolle spielt Politik in Anbetracht der Tatsache, dass über die Dinge, die die Welt am meisten verändern, oft gar nicht abgestimmt wird – etwa die Einführung des Internets?

Kurz gesagt: Wem »Sapiens« gefallen hat, der sollte sich »Homo Deus« auf keinen Fall entgehen lassen.

Yuval Noah Harari: Homo Deus. A Brief History of Tomorrow
Harper 2017 | 464 Seiten

Deutschsprachige Ausgabe:
Homo Deus. Eine Geschichte von Morgen | Deutsch von Andreas Wirthensohn
C.H. Beck 2017 | 576 Seiten

Sabine Anders

Yuval Noah Harari: Sapiens. A Brief History of Humankind

Most history books focus on the ideas of great thinkers, the bravery of warriors, the charity of saints and the creativity of artists. They have much to tell about the weaving and unravelling of social structures, about the rise and fall of empires, about the discovery and spread of technologies. Yet they say nothing about how all this influenced the happiness and suffering of individuals. This is the biggest lacuna in our understanding of history. We had better start filling it.

Es kommt nicht oft vor, dass ein Geschichtsbuch ein Bestseller wird. Der Autor Yuval Noah Harari, der an der Universität Oxford in England promoviert hat und zur Zeit als Geschichtsprofessor in Jerusalem tätig ist, hat das mit einem Werk geschafft, das den leicht ironisch anmutenden Titel »Sapiens. A Brief History of Humankind« (»Eine kurze Geschichte der Menschheit«) trägt. Ironisch, weil der Zeitraum, den er beleuchtet, nicht weniger als 2,5 Millionen Jahre umfasst, von der Entstehung der ersten Menschenarten in Afrika bis heute. Das Buch ist mit knapp 500 Seiten auch nicht kurz, aber äußerst kurzweilig.

Harari argumentiert in einer glasklaren Sprache, seine Thesen sind logisch aufgebaut und sehr gut nachvollziehbar. Sogar schwierige Konzepte erklärt er fast nebenbei auf leicht verständliche Art, von der Relativitätstheorie bis zum Bankensystem, das zur Wirtschaftkrise 2009 geführt hat. Dabei holt er jeden Leser völlig ohne historische Vorkenntnisse ab. Die Geschichte der Menschheit wird in diesem Buch weder als Fortschrittsgeschichte präsentiert, noch als Untergangsszenario. Harari beschreibt sie ganz nüchtern, ohne Pathos, wodurch seine Aussagen umso effektiver rüberkommen. Zugespitzte Gegenüberstellungen machen das Buch unterhaltsam zu lesen, wobei einem das Lachen manchmal im Hals steckenbleibt.

Die extrem großen Zeiträume, die der Historiker betrachtet, ergeben originelle Perspektiven: Vor 200.000 Jahren entstand die Menschenart, der wir heute angehören, Homo Sapiens. Ewig lang existierten wir dann als nur eine von mehreren Menschenarten, bis wir es vor rund 13.000 Jahren schafften, alle anderen Menschenarten ausgerottet zu haben. Wenig später, vor 12.000 Jahren, wurden wir sesshaft und verlagerten uns vom Jagen und Sammeln auf die Landwirtschaft. Das war, wie Harari überzeugend argumentiert, einer der katastrophalsten Entwicklungsschritte für das Glück des Individuums: Anstatt den ganzen Tag lang genau das zu tun, wofür die Natur unseren Körper und unsere Psyche über viele Jahrtausende hinweg geformt hat – Jagen und Sammeln –, fingen wir an Tiere zu halten und Ackerbau zu betreiben. Damit einher gingen alle möglichen Nachteile: längere Arbeitszeiten, eine unangenehmere Art der Arbeit, alle möglichen Krankheiten – von Tieren übertragene Seuchen bis Rückenschmerzen –, ein einseitigeres Nahrungsangebot, soziale Hierarchien und Ausbeutung.

Harari schlägt nun nicht vor, dass wir uns bemühen sollten, zu einem Leben als Jäger und Sammler zurückzukehren. Das sei sowieso unmöglich. Er erklärt nur, dass unsere Art zwar von dieser Entwicklung profitierte – wir sind mehr als je zuvor –, der Einzelne aber wahrscheinlich deshalb nicht glücklicher wurde. Genauso könnte man, so Harari, auch Nutztiere, die meist elende Existenzen führen, oder Weizen von einer evolutionären Perspektive aus als erfolgreiche Art ansehen.

Das Buch dürfte für alle lesenswert sein, die immer schon Antworten auf folgende Fragen wissen wollten: Was hat Homo Sapiens, was der Neandertaler oder Homo floresiensis nicht hatten? Was ist sein Erfolgsgeheimnis? Welche Rolle spielten Religion, Sprache, Schrift und Geld in der Evolution? Was macht Menschen wirklich glücklich? Gibt es Gerechtigkeit in der Geschichte? Warum kommen Frauen im Machtgefüge meist schlechter weg? In welche Richtung entwickelt sich die Menschheit? Was passiert, wenn der Mensch durch moderne Technik die Mechanismen der natürlichen Auslese ausschaltet und selbst zum Schöpfer wird?

Yuval Noah Harari: Sapiens. A Brief History of Humankind
Harvill Secker 2014 | 456 Seiten

Auf deutsch ist das Buch im Pantheon Verlag erschienen.

Sabine Anders