Blaming Game

Gespräche in Unternehmen – quer durch die Organisation. Immer wieder das gleiche Bild: Die da unten tun es nicht! (häufig mit der Bitte an uns – repariere sie) und die Antwort der anderen Seite: die da oben verstehen nicht (häufig mit der Bitte, sag es ihnen). Oben hilflose aktive Macht, unten passive beharrende Macht. Mittendrin die Orte von energetischem Miteinander (in der Regel zu wenige).

Gruppen unterscheiden. Sie wissen, wer zum »uns« gehört und wer die anderen, die »die da« sind. Das vereinfacht die Welt und schafft eine schützende Zugehörigkeit. Leider erfolgt das oft mit einer Wertung: Wir sind ok – die da sind irgendwie nicht so ok. In dieser Unterscheidungsdynamik kommt es dann oft dazu, die anderen als Bedrohung des eigenen Status zu sehen, Neid zu entwickeln, nicht zu vertrauen oder sich selbst zu stabilisieren, in dem andere abgewertet werden. Oben und Unten ist dabei nur eine der vielfältigen Varianten. Es ist am Ende ein Spiel, in dem niemand gewinnt – es sorgt für Stillstand oder zumindest für eine beträchtliche Verlangsamung der Entwicklung gruppenübergreifender Strukturen.

In unserer dynamisch, emergenten und kontingenten Entwicklung der Gesellschaft und so auch der Märkte ist die starre Unterscheidung zwischen »uns« und »denen« nicht mehr hilfreich. Es ist unsere Lernaufgabe, fluide Zugehörigkeiten zu bilden, engagierte Zugehörigkeit auf Zeit. Das heißt, die sozialen Kompetenzen zu entwickeln, bei anderen ankommen zu können, engagiert da zu sein und wieder gehen zu können.

Das setzt ein stabiles Ich voraus, ein hohes Maß an Eigenständigkeit und Resilienz und das tiefe Wissen, in mir und mit mir selbst Heimat sein zu können. In unserem Verhalten werden wir vielleicht eine soziale Maxime verankern: Verhalte dich zu den »Die Da’s« so, wie Du als wahrscheinlich künftiger Teil eines »Die Da« behandelt werden möchtest. Ohne dieses Lernen werden wir Agilität als Eigenschaft eines sozialen Systems nicht verwirklichen können.

Rüdiger Müngersdorff

Spiritualität

Erfahrungen aus intensiven Coachings – Anlass für ein paar Gedanken

Es ist eine lange Tradition des »Beraterstammes«, sich mit dem Gottesbezug auseinanderzusetzen. Hier wurden Erlösungsfragen, Gotteszweifel, das Gefühl der Sicherheit und Aufgehobenheit besprochen – ein Verhältnis zwischen Hoffnung und Zweifel – doch immer wieder ein Rückbezug, der Sicherheit und Gelassenheit gewährte. Heute jedoch müssen wir uns mit der Gottesleere beschäftigen – der Zweifel hat sich als Nicht-Erfahrung des Göttlichen manifestiert. Und in diese Leere fließen viele Inhalte hinein, die uns über diese Leere hinweghelfen sollen. Es gibt einen Boom an magischen und esoterischen Angeboten, die die Leere füllen und uns einen neuen Boden der Sicherheit gewähren sollen. Die meisten sind sehr individualistisch – keine Stammesmagie, sondern individuelle Programme zur Steigerung der persönlichen Leistungsfähigkeit und des eigenen Glücks. In vielen Fällen bringen die spirituell – magischen Praktiken spürbare Resultate – Menschen fühlen sich mehr aufgehoben, sicherer, gehalten. Leider bleibt diese Erfahrung in der rücksichtslosen Realität nicht sehr lange stabil – die individuelle Leere kehrt zurück.

Für heutige Berater ist es sicher nötig, gesprächsfähig zu sein, wenn das Thema Spiritualität in den Vordergrund rückt. Und es kann für manchen Zweifel hilfreich und lösend sein. Jedoch führt uns der individuelle Ansatz nicht weiter, er ist eine Art Reparaturbetrieb für einen wesentlich umfassenderen Zweifel. Spiritualität ist nicht nur ein individuelles Thema, sondern ein wesentliches Thema der Gemeinschaft, der ich mich zugehörig fühle. Es ist in unserer persönlichen und gesellschaftlichen Entwicklung, die konsequent auf Individualisierung und Unterscheidung setzt, folgerichtig, die Gottesleere auch individuell überwinden zu wollen, sich zumindest individuell mit ihr auseinanderzusetzen. Das aber unterschätzt den gemeinschaftlichen Aspekt der Spiritualität. Zugehörigkeit ist einer der Aspekte, der uns Sicherheit gibt, weil sie reale Aufgehobenheit bedeutet. Damit ist das Thema Spiritualität, die Auseinandersetzung mit der Erfahrung der Gottesleere, auch ein Thema der Unternehmen.

Wir setzen uns heute unter dem Begriff Sinn, die meine Arbeit machen soll, mit diesem Thema auseinander. Und so müssen wir immer wieder die Frage stellen, warum eigentlich tun wir, was wir tun? Und die Antwort kann heute nicht heißen, weil wir Geld verdienen, verdienen müssen.

Die Antwort ist vielschichtiger – sie betrifft die Frage, warum eigentlich akzeptiert die Gesellschaft uns in unserem systemeigenen Gewinnstreben? Warum verstehen wir, was wir tun, als wertvoll und bedeutungsvoll? Wie rechtfertigen wir unser Gewinnstreben im Kontext unser aller Verantwortung für die alle umschließende Gemeinschaft der Erdenbewohner? Und wo sehen wir, dass wir etwas zur Entwicklung der Menschheit beitragen? Es reicht nicht aus, wenn wir zur Beantwortung dieser Fragen auf unsere (sehr wertvollen) sozialen Projekte verweisen. Eine reflektierte Antwort greift tiefer in die ideelle Konstitution der Unternehmen ein, denn es geht nicht um eine mit Sinnelementen angereicherte Visionsbildung. Vielmehr stellt sich die Frage: Können wir als Unternehmen, zumindest für eine Zeit, einen Ort bilden, der sinnhafte kollektive Zugehörigkeit schenkt? Und was ist die Aufgabe der begleitenden Beratung in diesem Prozess?

Ein Aspekt mag das verdeutlichen: Nehmen wir die oben genannte Aufgabe ernst, dann müssen wir uns zugleich mit dem Thema der Diversität auseinandersetzen und lernen hilfreich zu sein, wenn sich Unternehmen die Aufgabe stellen, eine sehr inklusive, respektgetragene Einladung zu einer emotional tragenden Gemeinschaft zu formulieren und zu leben – akzeptierend, dass es für manche ein lange schützendes Dach ist, für manche ein vorübergehendes – sie kommen, beteiligen sich und lösen sich. Es geht um eine Gemeinschaftsbildung, die Widersprüche und Abweichungen zu respektieren vermag und sie zugleich als Erfahrung zu nutzen weiß. Wenn wir kritisch auf die Beratungslandschaft blicken, dann ist die Diversity-Kompetenz nicht sehr ausgebildet.

Zygmund Baumann hat, lange bevor das Wort Agilität in Mode kam, von fluiden Organisationen gesprochen – fließend sind unsere Verhältnisse heute – Menschen kommen, sind ganz bei uns und dann lösen sie sich, gehen weg oder kommen zurück. Grenzen sind nicht mehr fest – wir bestimmen individuell unsere Zugehörigkeit. Was Unternehmen heute tun können, ist, einen lebendigen, attraktiven Ort zu bilden, an dem Menschen für eine Weile Heimat finden. Spiritualität, also das Gefühl in einem tieferen Sinne das Richtige zu tun und zu einer tragenden Gemeinschaft zu gehören, ist so ein wichtiges Thema in der Organisationsentwicklung – eines, das heute zu oft auf den Einzelnen und das Persönliche geschoben wird, jedoch eigentlich ein Thema der Gemeinschaft ist.

In unserer Überzeugung wird es kein gelingendes Diversitätsprogramm geben, das sich nicht zuvor mit der Frage des spirituellen Bezugs der Organisation beschäftigt hat. Erst dann kann sie auch vorübergehende Heimat für die so umworbenen High Potentials sein. Und das stellt ganz andere Anforderungen an die Qualität einer Visionsbildung, als sie heute noch vertreten werden.

Rüdiger Müngersdorff

Agile Transformation

Fred Turner (Standford University) verglich die Kultur »digitaler Unternehmen« mit der traditioneller Unternehmen:

»Was es hier (Silicon Valley) braucht um erfolgreich zu sein: intellektuelle Feuerkraft, gute Ausbildung, soziale Flexibilität, die Fähigkeit, sich schnell um zu orientieren und mit verschiedenen sozialen Milieus klar zu kommen. Was wichtig war, um in einer Fabrik in Detroit gut zu sein, waren Beständigkeit, Verlässlichkeit, Pünktlichkeit und generell eine Arbeitsethik, die allem entgegensteht, was dich hier (Silicon Valley) erfolgreich macht.«

Dazu gehören heute globale Netzwerke der digitalen Eliten, denen oft nicht vernetzte und nicht globale Eliten der Produktion gegenüberstehen. SYNNECTA spricht hier von der zweiten Dichotomie, sie folgt auf die erste, die mit der Identifizierung von wertschöpfenden und nicht wertschöpfenden Tätigkeiten die soziale Ordnung in Unternehmen grundlegend geändert hat und damit den mindset der Mitarbeiter.

Heute verläuft die mindset ändernde Zuschreibung zwischen digitaler Welt mit neuen Geschäftsmodellen und der »alten Produktionswelt« – die Generierung von ökonomischen Werten verschiebt sich hin auf die Seite der Vernetzung, der digitalen Geschäftsmodelle und der damit verbundenen Serviceleistungen und bringt die Erstellungs- und Ausbringungsorganisation in größten Kostendruck.

Eine Folge für Unternehmen, die sich auf die Reise zu der digitalen/agilen Transformation aufgemacht haben: Sie können nicht mehr glaubwürdig von dem einen mindset, der einen Kultur sprechen – sie brauchen heute je nach Ort und Aufgabe differenzierte Einstellungen, Werteorientierungen und Urteilsmodelle. Die Rede von dem einen mindset ist veraltet. So kann man sehen, dass Diversität nicht bei den klassischen Themen stehen bleibt – wir brauchen auch ein Lernen im Umgang mit der Binnendiversität und der damit verbundenen umverteilten Wertschätzung in Unternehmen.

Rüdiger Müngersdorff

»Von einem der auszog, Agilität zu lernen«, Teil 2

Passen »Agilität« und »Controlling« zusammen? – Der große Münchner »Congress der Controller« 2017 trug den Titel »Agiles Controlling in der digitalen Realität – Umbrüche erfolgreich managen«. Ich habe ein fantastisches Angebot bekommen: Tiefer Eintauchen ins Thema mit einer professionellen Ausbildung zum »Agile Culture Coach«. In Beiträgen für das ICV-ControllingBlog berichte ich davon. Heute: Modul 3: Agile Methoden und Scrum.

War es im ersten Modul I der Ausbildung, wie hier berichtet, um »Agile Führung und Beteiligung« gegangen, folgte im Mai Modul II zum Thema »Agilität und Persönlichkeit«. Hier rückte »Das Konstrukt Persönlichkeit« in den Mittelpunkt, wurden u.a. Struktur- und Persönlichkeitstests behandelt.

Im Juli stand mit Modul III das Thema »Agile Methoden und Scrum« auf dem Programm. Es wurden verschiedene agile Formate, Design Thinking, Strategietools sowie Konferenzformate behandelt. Wir 14 Teilnehmer sollten die Logik agiler Methoden und die damit verbundenen wichtigsten Werkzeuge kennenlernen. Ziel: In Organisationen Scrum-Teams aufbauen und fundiert begleiten können.

Beim Schwerpunkt Scrum ging es zunächst um das Scrum Framework mit Rollen, Artefakten, Regeln etc., es ging um Fragen wie Emergent Architecture und Reporting. Ausführlich wurden Scrum Teams und die Aufgaben des Scrum Masters behandelt. Gut aufpassen war auch deshalb angesagt, weil ein weiteres Ziel dieses Moduls darin bestand, das nötige Wissen für eine erfolgreiche Prüfung zum Professional Scrum Master zu bekommen.

Als Ausbilder hatte Veranstalter SYNNECTA mit Jean Pierre Berchez und Johannes Ries zwei ausgewiesene Experten aufgeboten. Sie führten souverän und fesselnd durch einen ganzen Berg von neuem Wissen. Berchez (Bild) ist seit 1995 mit Scrum vertraut. Der zertifizierte Scrum-Trainer und -Coach organisiert u.a. Scrum-Zertifizierungsworkshops mit den Erfindern von Scrum, Dr. Jeff Sutherland und Ken Schwaber. Johannes Ries hilft Menschen in Organisationen in der unvorhersehbaren VUCA-Welt Antworten zu finden für Unternehmensplanung, Strategie und Organisationsentwicklung.

Potenziale von Teams vereinen

Agile Teams sind VUCA-resilient, wenn sie sich für jede Situation durch ein Höchstmaß an Diversität und Interdisziplinarität gewappnet haben. Schnell können Teams bzw. Projekte »anschwellen«, der »Aufgabendschungel« immer unübersichtlicher werden. Oft arbeiten Team-Mitarbeiter an verschiedenen Standorten, evtl. sogar in diversen Zeitzonen. Da sind wirksame Tools für die Aufgabenverwaltung unerlässlich.

Für »Agiles Projektmanagement« behandelte das Ausbildungsmodul Scrum – eine agile Methode für komplexe Entwicklungsprojekte. Scrum macht effektiv, indem es die Fähigkeit der Beteiligten fördert, ihr Potenzial zu vereinen. Dafür sieht das Scrum-Konzept verschiedene, klar definierte Rollen vor, wie Product Owner, Development Team, Scrum Master. Der aus dem Entwicklungsteam heraus gewählte Scrum Master etwa unterstützt und überwacht den gesamten Prozess. Die Arbeitsabläufe sind klar strukturiert, in einem gemeinsam gepflegten Taskboard sind die zu erledigenden und die erledigten Aufgaben für das Team transparent. Wir Teilnehmer lernen verschiedene Scrum-Tools genauer kennen – und probieren sie selbst mit einem eigenen fiktiven Scrum-Projekt aus. Da ist z.B. das »Product Backlog«, eine vom Product Owner gepflegte Liste mit User Stories bzw. Anforderungen. Da gibt es z.B. die »Sprints« – jedes Inkrement ist eine Time-Box von i.d.R. 30 Kalendertagen – und da ist das »Sprint Backlog«, eine Liste von Aufgaben, die erforderlich sind, um die für den Sprint ausgewählten Anforderungen des Product Backlogs in ein auslieferbares Produkt umzusetzen.

Auch unser Ausbildungsmodul III war in (vier) Sprints gegliedert. Im Sprint 1 bildeten wir Kursteilnehmer Teams, in denen wir in diesen zwei Tagen Scrum aktiv erleben konnten. Im Sprint 2 lernten wir als »Scrum-Team-Member« das »Warum« für Agile und Scrum verstehen, um es später in unseren Organisationen nutzbringend vertreten zu können (Warum Agilität? #Cynefin #VUCA #Simulation). Im Sprint 3 lernten wir Teilnehmer das Scrum Framework verstehen, um es effektiv einsetzen zu können (und die Zertifikatsprüfung zu bestehen) (#Rolle #Practices/Tools #Events #Artefakte #Mythen). Und im Sprint 4 schließlich führten unsere Teams ein Scrum-Übungsprojekt durch, bei dem wir Scrum in Aktion erleben konnten (#Vision #Product Backlog mit User Stories #Priorisieren der Backlog Items #Schätzen).

Einleuchtend, aber keineswegs simpel

Das agile Vorgehen und Scrum leuchten mir nun ein: Durch klare Priorisierungen werden z.B. wirklich jene Produkte verfügbar gemacht, die der Kunde am dringendsten braucht. Auslieferbare (Teil-)Produkte werden in z.B. monatlichen Abständen, am Ende jeder Iteration vorgelegt. In der gesamten Produktentwicklung ist der jeweils erreichte Stand jederzeit transparent. Läuft etwas in die falsche Richtung oder türmen sich Hindernisse auf, kann mit den täglichen Überprüfungen durch das gesamte Team schnell reagiert werden. Dieses häufige, regelmäßige Feedback im Tagesrhythmus sorgt für kontinuierliche Verbesserungen, sowohl im Prozess als auch beim Produkt.

Die Grundprinzipien klingen einleuchtend, Scrum ist aber sicher nicht simpel. Trainer und auch einige Kursteilnehmer mit ersten Scrum-Erfahrungen machen in spannenden Diskussionen deutlich, dass die praktische Umsetzung in komplexen Systemlandschaften und Organisationen alles andere als einfach ist. Denn in der Praxis gibt es keine homogenen Systemumgebungen. Und die größte Herausforderung sehe ich in den notwendigen Veränderungen der Organisation für einen geeigneten Rahmen.

(Berichte von weiteren Modulen der Agile Culture Coach Ausbildung folgen.)

Hans-Peter Sander
blog.icv-controlling.com