Roxanne Dunbar-Ortiz: An Indigenous Peoples‘ History of the United States

The absence of even the slightest note of regret or tragedy in the annual celebration of the US independence betrays a deep disconnect in the consciousness of US Americans.

Seinem neuesten Roman »Hart auf hart« hat T.C. Boyle als Epigraph ein Zitat von D.H. Lawrence vorangestellt: »The essential American soul is hard, isolate, stoic and a killer.« Lawrence bezieht sich bei dieser Feststellung auf die Hauptfigur der Lederstrumpf-Romane von James Fenimore Cooper aus dem 19. Jahrhundert. Der bekannteste dieser Romane dürfte »Der letzte Mohikaner« sein, der auch denjenigen irgendwie vertraut ist, die ihn nie gelesen oder eine Verfilmung gesehen haben. Das zeigt, wie tief die Version der amerikanischen Geschichte, die Cooper darin festgeschrieben hat, in unseren Köpfen verankert ist. Höchste Zeit, dass die Geschichte der USA einmal aus der Perspektive der Gegenseite erzählt wird: aus der Sicht der Indianer.

Dieser Aufgabe hat sich die amerikanische Historikerin Roxanne Dunbar-Ortiz in ihrem Buch »An Indigenous Peoples‘ History of the United States« gewidmet, von dem leider bis jetzt keine deutsche Übersetzung vorliegt. Geht Boyle nun schon, wie es typisch für ihn ist, in seinem Roman mit beliebten amerikanischen Mythen hart ins Gericht, so geht Dunbar-Ortiz noch weiter. Sie stellt die Geschichte Amerikas von 1607 bis ins 21. Jahrhundert als eine einzige, lange Widerstandsbewegung der ursprünglichen Bevölkerung gegen europäische Kolonisierung und Imperialismus dar. Dabei spannt sie einen weiten Bogen – von den Kreuzzügen und der Leibeigenschaft europäischer Bauern über Hexenverbrennungen bis hin zum aktuellen Krieg der USA gegen den Terrorismus.

Das Klischee, das uns vor allem von Western vertraut ist, stellt Amerika immer als eine unberührte, nur von vereinzelten nomadischen Indianerstämmen bewohnte Wildnis dar, als die Europäer dort ankamen. Vielmehr lebten aber auf dem Gebiet der heutigen USA zu dieser Zeit Schätzungen zufolge rund sieben Millionen Indianer, und zwar nicht wie steinzeitliche Jäger und Sammler, sonder überwiegend von der Landwirtschaft und in Dörfern, sogar Städten und Stadtstaaten. Ein Jahr nach der Ankunft der ersten Europäer war ihre Zahl um 90 Prozent reduziert, aber das war, wie Dunbar-Ortiz zeigt, nicht in erster Linie den Krankheitserregern geschuldet, die die Europäer zufällig einschleppten, sondern den gezielten Ausrottungsaktionen der neuen Siedler, die eigentlich Eroberer waren.

Sie zeigt außerdem, wie das Töten von Indianern zum identitätsstiftenden Merkmal für Generationen von Amerikanern wurde und wie sehr sich die USA belügt, wenn sie behauptet, sie verabscheue eine Kriegsführung, die Zivilisten in Mitleidenschaft zieht. Denn genau das war das Hauptmerkmal beim Vorgehen gegen die Indianer: Die Siedler aus Europa vernichteten gezielt die Lebensgrundlage der Ureinwohner, indem sie ihre Häuser und ihre Erntevorräte verbrannten sowie ihre Felder verwüsteten. Dunbar-Ortiz führt zahlreiche Beispiele an, in denen Siedlermilizen extreme Gewalt gegen Frauen, Kinder und Alte anwendeten und dafür als Helden in die Geschichte eingingen.

Coopers Helden sind Menschen, die erkennen, dass der ganze Schnickschnack der europäischen Zivilisation nicht viel nützt, wenn man in Amerika überleben will, wobei Überleben vor allem heißt, den Kampf gegen die Indianer nicht zu verlieren. Wer sich an christliche Gebote hält, etwa nicht zu töten oder auch die andere Wange hinzuhalten, überlebt in Coopers Romanen höchstens durch die Hilfe anderer. Daraus hat sich die Vorstellung entwickelt, in der Auseinandersetzung mit den Indianern und der Natur habe sich ein speziell amerikanischer Charakter im Unterschied zum Europäer herausgebildet, ein Typ Mensch, der auf sich allein gestellt in der Natur überleben kann, Gewalt als legitimes Mittel zur Konfliktlösung ansieht und dafür nicht auf staatliche Einmischung wartet, weil die Regierung erstens weit weg und zweitens unfähig ist – genau so ein Typ also wie Boyles Adam.

Dunbar-Ortiz ist es mit ihrem Buch gelungen, die dunklen Seiten dieses amerikanischen Charakters zu erhellen. Obwohl ihr Buch eine vernichtende Kritik der üblichen Geschichtsschreibung darstellt, macht es auch Hoffnung, dass die USA – und Europa – irgendwann doch einmal anerkennen, welche Schuld sie im Umgang mit indigenen Völkern weltweit auf sich geladen haben, und Schritte zur Wiedergutmachung einleiten könnten. Auf jeden Fall ist ihr Buch ein Muss für alle, die sich für Amerika interessieren.

Roxanne Dunbar-Ortiz: An Indigenous Peoples‘ History of the United States
Englisch | Beacon Press 2015 | 312 Seiten

Sabine Anders

T.C. Boyle: Hart auf hart

Er trug seinen Kampfanzug und hatte das Messer umgeschnallt. Die Stiefel waren schmutzig, und Gesicht und Kopfhaut waren gebräunt wie bei einem Rettungsschwimmer. Hinter ihm, in dem Flur, der zum Wohnzimmer führte, sah sie die dunklen Umrisse seines Rucksacks und den schmalen Schatten des Gewehrs, das an der Wand lehnte.

Der pensionierte Schuldirektor Stensen, kurz Sten, und seine Frau Carolee sind auf einem Kreuzfahrtschiff in der Karibik unterwegs. Sie haben in Puerto Limón in Costa Rica angelegt und brechen mit einer kleinen Reisegruppe auf ins Landesinnere, zu einer Naturwanderung. Am Ziel angekommen werden die Touristen von drei jungen Bandidos überfallen. Was die Ticos nicht wissen: Sten ist Vietnam-Veteran und trotz seines hohen Alters noch immer geübt im Nahkampf. Er nutzt einen Moment ihrer Unachtsamkeit und setzt sich zur Wehr – mehr oder weniger erfolgreich. Der Ausgang dieses Raubüberfalls ist jedenfalls dramatisch.

Erzählt ist damit lediglich der Prolog von T.C. Boyles neuem Roman »Hart auf hart«, der in diesen Tagen auf Deutsch erscheint und damit noch vor der amerikanischen Originalausgabe erhältlich ist. Fokussiert ist die Erzählung allerdings weniger auf Sten, sondern vielmehr auf seinen Sohn Adam, ein eigenbrötlerischer, wortkarger Psychopath, der zurückgezogen in einer einsamen Waldhütte lebt, Schlafmohn anbaut und sich in beängstigender Schizophrenie für eine moderne Ausgabe des legendären Trappers John Colter hält.

Als Anhalter lernt Adam die 40jährige und damit nicht unwesentlich ältere Sara Hovarty Jennings kennen. Sie ist im Gegensatz zu Adam äußerst redselig und durch eine freiberufliche Tätigkeit als Hufschmiedin halbwegs in der Gesellschaft verankert. Dennoch hadert auch sie – als Anhängerin der Sovereign Citizen Movement – mit den Realitäten des Lebens, sieht in staatlichen Institutionen ihren größten Feind und ist nach einer bewussten Missachtung der Gurtpflicht, eigentlich ein recht banales Vergehen, nur allzu bereit, diese Feindschaft offen und eskalierend auszutragen. Dass ihr ausgerechnet jetzt der kompromisslose Adam über den Weg läuft, kommt ihr nicht ungelegen. Hart und hart treffen aufeinander. Der Titel der deutschen Ausgabe ist Programm und bemerkenswert gut gewählt.

Man ahnt an dieser Stelle schon, wie sich die Geschichte fortsetzen wird, zumal T.C. Boyle ihr Schöpfer ist. Es ist kennzeichnend für seine Romane und Kurzgeschichten, dass er die Menschen sehenden Leserauges ins offene Messer laufen lässt, sie scheitern lässt, an sich selbst – und an der Natur. Letzteres, das Scheitern an der Natur, zieht sich wie ein roter Faden durch Boyles Gesamtwerk. Und so nimmt es auch hier kein gutes Ende, für keinen der beteiligten Akteure.

Nach der letzten Seite ist man beinahe froh darüber, dass es kam, wie es kommen musste. Denn anders als sonst in Boyles Romanen, gibt es dieses Mal – bis in den kleinsten Winkel der Geschichte hinein – nicht eine einzige Figur, die man in sein Herz schließen möchte. Zu destruktiv sind ihre Handlungen, zu dämlich ihre Ansichten, zu groß ihre Vorurteile.

Am schlimmsten aber ist: Boyle liegt damit hart an der Realität, nicht nur an der amerikanischen, sondern auch an der europäischen. Denn man hat sie beim Lesen des Buches unweigerlich vor Augen, die Attentäter auf Charlie Hebdo, die unzähligen Verschwörungstheoretiker in den Sozialen Medien, die xenophoben Wutbürger der Pegida-Bewegung. Sie alle spiegeln sich in Adam und Sara und in den Nebenfiguren der Geschichte auf erschreckende Weise wider.

Deshalb wäre es falsch, bei »Hart auf hart« von einem großen Lesespaß zu sprechen. Nein, das Buch macht keinen Spaß. Aber gute, lesens- und empfehlenswerte Bücher, und zu dieser Kategorie zählt Boyles neuer Roman, haben ja nicht nur die Aufgabe, einem Freude zu bereiten.

T.C. Boyle: Hart auf hart
Deutsch von Dirk van Gunsteren | Hanser 2015 | 400 Seiten

Holger Reichard