20 Jahre SYNNECTA

Warum ich bei der SYNNECTA bin …

  • weil ich dort meine berufliche Heimat gefunden habe.
  • weil es stets Kolleginnen und Kollegen gibt, mit denen man neue Ideen entwickeln und spannende Projekte starten kann.
  • weil wir mit wenig Struktur und viel Leidenschaft leben.
  • weil wir gemeinsam so viel stärker, bunter und wirksamer sind.
  • weil ich dort jeden Tag Neues entdecken und lernen kann.
  • weil sich bei uns ruhige Fahrwasser mit frischer Brise, steifen Wind und stürmischer See abwechseln, wir aber immer wieder in einen sicheren Hafen einlaufen.
  • weil wir ein agiles Team sind und ich unsere Reise genieße.
  • weil ich selbst entscheiden mag, für wen und mit wem ich wann wie viel arbeite.
  • weil dort mehr so verrückte Menschen arbeiten wie ich.
  • weil wir viele fantastische Kunden haben, die partnerschaftlich mit uns zusammenarbeiten.
  • weil wir Gastfreundschaft, gute Gespräche, Humor, Leichtigkeit und Tiefgang gemeinsam genießen können.
  • weil Gemeinschaft und Solidarität nicht nur leere Worte sind.
  • weil es dort gleich ist, ob Mann oder Frau, schwarz, rot, gelb oder grün, Homo oder Hetero, monogam oder vielseitig, maximalpigmentiert oder blass, Christ, Moslem, Jude, Buddhist oder Atheist – auf jede und jeden von uns kommt es an.
  • weil wir uns auch mal mit Farbe bewerfen, eine Sahneschlacht zelebrieren, uns schweigend in Mönchskutten im Kloster begegnen und uns nachts gemeinsam mit unseren Kunden im Wald verstecken.
  • weil wir wahre Helden, empfindsame Bildhauer, mutige Elfchen und heimliche Zen-Meister lieben.
  • weil es einfach Spaß macht mit SYNNECTA erfolgreich zu sein, auch in den nächsten 20 Jahren.

Renate Standfest
(bei der SYNNECTA seit 2005)

Wirtschaftsunternehmen und soziale Unternehmen können gut kooperieren

Rüdiger war uns im Jahr 2013 auf die Spur gekommen, via Sabine Römisch. Soweit ich mich erinnere war SYNNECTA bzw. Rüdiger an unserem Projekt interessiert und wollte unsere Ideen, Projekte und Teams kennenlernen. Wir haben einen Termin bei uns im Jugendzentrum anyway vereinbart und – ich erinnere mich an die Situation noch sehr genau – unser Medienteam »JULIAN – junge Liebe anders« hat sich bei ihm vorgestellt. Dazu gab es von uns eine Präsentation zur Geschichte des ersten Jugendzentrums für LSBT* Jugendliche in Europa.

Eine Unternehmensberatung bei uns im Haus – wir hatten damals noch nicht so viel Erfahrung mit Wirtschaftsunternehmen – das war sehr spannend für uns, und wir wollten das richtig gut machen. Diese erste Begegnung war stark – da saß ein ganz erspannter Geschäftsführer – auch noch ein Dr. – vor uns und hat etwas ganz Unerwartetes gemacht… er hat uns einfach intensiv zugehört! Zunächst waren wir etwas verunsichert, weil wir glaubten, wir müssten was »Besonderes liefern« … aber nach ein paar Minuten hatten wir das gute Gefühl: da nimmt uns jemand ernst und findet das richtig klasse, was wir und die Jugendlichen da gezeigt haben. Und am Schluss ging Rüdiger raus mit einer tollen Spende an uns und den Worten: »Wir machen mal was zusammen!«

Am meisten hat mich überrascht, wie nah die Themen der Welt der Wirtschaft und der sozialen Initiativen und Unternehmen beisammen sind, das war mir nicht bewusst. Großartig empfanden wir auch die ausgesprochen positiven, von Neugier und Respekt geprägten Reaktionen, wenn wir uns bei Veranstaltungen von SYNNECTA vorstellen konnten. Wirtschaftsunternehmen und soziale Unternehmen laufen sich abwechselnd in den Themen hinterher.

Was mich ganz persönlich bei Begegnungen mit Rüdiger und Jörg und auch dem ganzen Team beeindruckt: die unglaubliche Freundlichkeit, Herzlichkeit und der entgegengebrachte Respekt von allen dort Arbeitenden – das ist wirklich berührend … und das meine ich ganz ohne übertriebene Schmeichelei. Ohne SYNNECTA, Rüdiger und Jörg hätte ich nie erlebt und erfahren: Die Erkenntnis, dass das, was wir im Jugendzentrum anyway machen, einen echten erfahrbaren Mehrwert für Menschen in Unternehmen hat. Eine wichtige Erkenntnis, die Ihr mir näher gebracht habt, ist, dass wir uns als sozialer Träger in unserer Wirksamkeit nicht unterschätzen sollten.

Was Rüdiger und Jörg unbedingt tun sollten, hier eine kleine Liste:

  • Beraterposten in der Bundesregierung bekommen – oder
  • Beraterposten bei den größten Parteien bekommen und ein gemeinsames Programm für die Themen erarbeiten, die nichts (mehr) mit Macht zu tun haben, sondern die die Frage klären: wie wollen wir weiterleben.
  • 120 – 150 Jahre alt werden
  • Reden halten
  • mal lange Urlaub machen…ich komme zu Besuch, ok?

Ich wünsche Euch beiden und der SYNNECTA alles erdenklich Gute, Kraft, Zuversicht, Weitsicht und Freude! Jedes Mal, wenn wir uns treffen, freue ich mich auf die good vibrations von allen! SYNNECTA ist mit einem Wort beschrieben: Einzigartig!

Thomas Haas
anyway e.V.

In Bewegung

Was war vor zwanzig Jahren? SYNNECTA gegründet! Seitdem ist viel Wasser den Rhein hinuntergeflossen. Und so hat sich SYNNECTA auch verändert. Konzepte kamen und gingen oder verwandelten sich, entwickelten sich. Neue Menschen kamen zu uns, andere gingen. Aber es blieb etwas gleich – das was unsere Gründungsidee ausmachte.

Es ging uns nicht um eine weitere Beratungsfirma. Die Energie zur Gründung kam aus dem Willen, Organisationen zu einem Ort zu machen, in dem Menschen nicht nur engagiert arbeiten wollen, sondern in dem Wissen arbeiten, etwas Sinnvolles für die eigene Organisation und für die Gesellschaft beitragen zu können. Zu diesem Willen passte keine gängige Organisationsform. Unsere Organisation musste der Idee entsprechen. Und so lässt sich SYNNECTA besser als eine Bewegung beschreiben. Hier kommen Menschen zusammen, die in der SYNNECTA Gemeinschaft etwas zur Veränderung von Organisationen beitragen wollen, Menschen, die ihre Freiheit schätzen und SYNNECTA zu der Gemeinschaft machen, in der sie arbeiten wollen.

Eine Bewegung zu sein und zu bleiben ist keine leichte Aufgabe. Eine Bewegung braucht emotionale Momente, braucht Verbundenheit und immer wieder neu die Frage, sind wir auf dem richtigen Weg? So ist SYNNECTA eine sehr flache Organisation, eine strukturschwache Organisation, die gerade dadurch viel Raum zur Entfaltung individuelle Stärken schafft. Das hat auch Nachteile. Denn es stellt sich für jeden immer wieder die Frage, ist es noch mein Ort. Was muss jetzt geschehen. Nehme ich mir meine Verantwortung? Nutze ich die schwache Struktur, um etwas zu verwirklichen, was mir am Herzen liegt, wie gewinne ich andere für meine Idee? Das gibt jedem viel Freiraum und zugleich ein sehr hohes Maß an Verantwortung: für sich selbst und für die Anderen.

Nur so, in der Balance zwischen Freiheit und Verantwortung, können wir unsere Energie erhalten, und sind so eine Wahlgemeinschaft. Bewegungen, wenn sie denn nachhaltig sein und genug Bindungskraft aufweisen sollen, brauchen immer wieder den Mut, sich neu zu erfinden, ohne dabei den Kern des Engagements zu verlieren: Organisationen dabei zu unterstützen eine Kultur zu entwickeln, die für die Menschen einen Ort der Gemeinschaft und der individuellen Entwicklung schaffen. Wenn man sich als Bewegung organisiert, dann bleibt man auch in Bewegung und so sind die zwanzig Jahre wundervoll bewegte Jahre.

Rüdiger Müngersdorff
Titelbild: Brian Yurasits on Unsplash

Bahnfahren, Coaching und KI

Auf der Rückfahrt von einem Coachingtermin, die Züge überraschend pünktlich, auch einen Sitzplatz finde ich noch. Körperlich müde und gleichzeitig erstaunlich wach richte ich mich in meinem Sitzplatz ein. Dösend frage ich mich: Was ist da eigentlich gerade passiert in den letzten Stunden, in einem sehr intensiven Coachingprozess? Menschen zahlen Geld dafür, dass man sechs Stunden miteinander redet. In diesem Fall ein Mensch, der einen hoch dotierten Managment-Job und einen 12-h-Tag hat. Ein Mensch, der sich viel Zeit nimmt, bevor er einen anderen hinter seine gepflegte Fassade blicken lässt.

Wir sprechen über Konflikte, die ihm unter die Haut gehen. Und darüber, was er als Person beim Gegenüber auszulösen vermag. Wir schauen uns gemeinsam an, was das mit seiner Biographie, seiner Lerngeschichte zu tun hat. Der Mensch hat über einschneidende, emotional prägende Erlebnisse berichtet aus seiner Jugend, die tief in ihm verschlossen waren. Beim Erzählen bemerkt er, es sei, »als würde da erstmals Sauerstoff drankommen«, was da in ihm eingeschlossen war. Es ist ein Mensch, der in seinem beruflichen Alltag eine gewisse Härte zeigt. Wir verfolgen die biographische Spur der Härte. Wir finden gemeinsam heraus, dass sie ihm – früher, viel früher – einmal das Leben gerettet hat. Und heute? Emotion und Kognition verstehen einander – auf einmal.

Was passiert im Coaching? Wir sind Indianer, die gemeinsam Spuren lesen. Wichtig ist, es gemeinsam zu tun. Jeder hat nur seine Hypothesen, Coach wie Coachee. »Wenn man aber sagt: ›Wie soll ich wissen, was er meint, ich sehe ja nur seine Zeichen‹, so sage ich: ›Wie soll er wissen, was er meint, er hat ja nur seine Zeichen.‹« (Ludwig Wittgenstein). Wir spielen mit den Hypothesen. Und gelegentlich dekonstruiere ich die Interpretation meines Gegenübers. Dafür biete ich eine andere Bedeutung, eine andere Interpretation an. Manchmal wird sie genommen. Oder wir verwerfen sie wieder. So erweitern wir den emotionalen Möglichkeitsraum. Und natürlich auch den Handlungsraum.

Dieser gemeinsame Suchprozess ist ein sehr kreativer. Ja, es gibt Methoden. Aber im Grunde ist es ein großes Sprachspiel, das jedoch das begrenzende Feld der Kognition ständig zu sprengen versucht, um auf unbekanntes emotionales Terrain vorzustoßen. Dazu ist es wichtig, in jedem Moment die emotionale Verbindung zwischen Coach und Coachee im Blick zu haben. Wofür erteilt mir der andere in diesem Moment »einen Auftrag«? Wo ist eine Grenze? Welches ist die (optimale) »mittlere Irritation«?

An diesem Punkt angelangt im Coaching bewegen wir uns auf einem Spielfeld jenseits des Image-Managements – übrigens beide an diesem Prozess beteiligten Menschen.

Ich denke an die Forschungsergebnisse von Klaus Grawe aus den 90er Jahren. Seine bahnbrechende Psychotherapiestudie, die zeigte, dass der bedeutsamste Wirkfaktor in der Psychotherapie nicht die angewandte Methode (Gesprächstherapie, Psychoanalyse, Verhaltenstherapie u.s.w.), sondern die Qualität der Beziehung zwischen Klient und Therapeut ist. Natürlich gilt es, Coaching von Therapie abzugrenzen (das halte ich sogar für extrem wichtig!) – doch die Bedeutung der Beziehung für den Erfolg und die Wirkungsmacht des Coachings ist die gleiche.

In diesem Sinne: Methoden sind gut und wichtig im Coaching. Die professionelle Beziehung, die getragen ist von Empathie, Sensitivität, Nahbarkeit und »respektvoller Respektlosigkeit« ist wichtiger!

Und an dieser Stelle will ich einmal meinem Optimismus Ausdruck verleihen: Obwohl es die ersten Chat-Bots (Computergestützte automatisierte Programme zum Einsatz für die Psychotherapie) gibt, die z.B. auf den Namen »Noni« hören und die in den USA von mehr und mehr Menschen genutzt werden, glaube ich, dass oben beschriebene von »Mensch-zu-Mensch-Interaktion« noch eine kleine Weile unersetzbar bleibt. Warum?

Das hat Nick Cave neulich sehr schön begründet. Er wurde gefragt, ob KI schon bald in der Lage sein wird, einen guten Song zu schreiben.

»Ein großartiges Lied gibt uns ein Gefühl der Ehrfurcht, und das hat einen Grund. Ehrfurcht zu empfinden beruht nahezu ausschließlich darauf, dass wir als menschliche Wesen begrenzt sind. Es beruht auf unserem Wagemut als Menschen über unsere Fähigkeiten hinaus gehen zu wollen. (…) Was wir eigentlich hören bei einem großartigen Song, ist die menschliche Begrenztheit – und den Wagemut, diese zu überschreiten. KI hat diese Fähigkeit nicht, trotz ihrer unbegrenzten Möglichkeiten. Wie könnte sie auch? Genau das ist ja die Essenz der Transzendenz. Wenn wir grenzenlose Möglichkeiten haben, was gibt es dann noch zu transzendieren?«

Schöner lässt es nicht ausdrücken, warum ich mich nach 20 Jahren SYNNECTA auf die nächsten 20 Jahre freue! Gutes Coaching ist wie gemeinsam einen neuen Song schreiben. Dankbar gebe ich mich dem Bahn-Schlaf hin.

Jutta-Anna Schroer

Wo steht die SYNNECTA in der Dynamik neuer Arbeits- und Unternehmensentwürfe?

Ein Anfang

Wir haben viel zu sagen.
Viel über: New Organization, New Work, New Mindset.

Vor fünf Jahren hätten wir das, was wir zu sagen haben, auch noch in einem Vortrag konzis sagen können – das können wir heute nicht mehr. Es ist zu facettenreich, es ist zu differenziert. So greifen wir Aspekte heraus, die uns in unseren internen Diskussionen und in Gesprächen mit Kunden beschäftigen.

Wir erleben, neben viel Beständigem, Umbrüche, Experimente, Ausbrüche, Neues – und das auf allen Ebenen, in den Organisationen als neue Formen der Organisation, in Gruppen als neue Dynamik der sozialen Vergemeinschaftung, bei einzelnen Menschen mit neuen, nicht dem Karrieremainstream gehorchenden Lebensentwürfen.

Was treibt da eigentlich?

Vordergründig treibt die Unternehmen vielleicht die Angst, Anschluss zu verlieren, Anschluss an die chinesische Dynamik – vielleicht –, vielleicht treibt der Vertrauensverlust in die europäische Erfolgsgeschichte: der systematischen Planung, des Managen von Projekten, der doch einmal so erfolgreichen Wasserfallplanung, vielleicht der Zweifel an der Voraussagekraft der strategischen Abteilungen? Vielleicht die Konfrontation mit dem Zweifel vieler an der Qualität der Führung? Möglicherweise der so breite Vertrauensverlust in die »Eliten«? Vielleicht aber auch, weil es unübersehbar ist, dass wir nun mehr und mehr mit unlinear dynamisch deterministischen Systemen konfrontiert sind: in den Märkten, im Wettbewerb, in der Gesellschaft, in der Gemeinschaft unseres eigenen Unternehmens, und wir doch so sehr daran gearbeitet haben, die Welt linear dynamisch deterministisch zu gestalten. Wir können noch so oft »Warum« fragen, wir werden nicht die Ursache finden –, aber wir finden Bedingungen, Bedingtheiten, Relationen.

Für NEW WORK sticht da eine Bedingung hervor, eine gesellschaftliche, eine globale Tendenz, die sich seit sehr langer Zeit stabil durchsetzt: Der Gewinn von mehr und mehr individueller Freiheit. Wir erleben es deutlich in den Metropolregionen – dort, wo die soziale Kontrolle minimiert ist und es Raum für viele Nischen, für viel Andersheit gibt, eine Andersheit, die sich als Gruppe und Gruppenzugehörigkeit organisieren kann.

Es geht um Eigenbestimmtheit, um die je eigene Individualität und ihre gesellschaftliche Anerkennung, es geht, um ein altes Konzept zu nutzen, um Selbstverwirklichung. In den gerade gängigen Motivationstheorien wird es mit den Begriffen Autonomie und Lernen (Wachsen) benannt und mit der Idee, dass wir Purpose-geleitet sind. Dies ist heute ein elementarer Aspekt einer Unternehmenskultur. Mit der Orientierung an Purpose, der die Prozesse der Visions- oder Missionsbildung ersetzt, wird auch das Anstrengende, das Herausfordernde deutlich – wie können wir das Eigene mit dem Gemeinsamen in eine Balance bringen, die sich durch eine gewisse Beständigkeit auszeichnet? Wie kann der je eigene Purpose zu einem gemeinsamen werden und wie beständig kann dies sein? Im Hintergrund die Frage nach dem Verhältnis von Solidarität zu individueller Selbstheit. Individualität und die Qualität der Vergemeinschaftung gehören zusammen und sie machen die neuen Arbeitsformen so interessant, so aufregend und zugleich so herausfordernd. Denn wir sind dabei, auf den großen versorgenden Bruder zu verzichten.

Und natürlich ist die Freiheit vieler, die gelebte Diversität der Vielen, ein Treiber von Komplexität, und im Zulassen dieser Vielheit, der Eigenheiten erleben wir auch den Verlust der einen bindenden moralischen, der Sicherheit gebenden Institution. Die wird ja nicht nur politisch, sondern auch in den Unternehmen gerade eingefordert – leider nicht nach vorne schauend, sondern mit einer wachsenden Sehnsucht nach alter Autorität, um im psychoanalytischen Bild zu sprechen, nach dem alles richtenden Vater. New Work geht den anderen Weg – New Work will die Freiheit gestalten, so dass dennoch Zusammenarbeit und Gemeinschaft möglich sind.

So lassen sie uns Aspekte nachzeichnen, Aspekte, denen wir in unserer Arbeit begegnen und bei denen es keine einfachen Rezepte gibt.

Die agile Organisation – im Kern die Suche nach einer Organisation, die in der Lage ist sich schnell anzupassen, in der Innenorientierung reduziert wird und in der es möglich wird, in kleineren Einheiten eine Außenperspektive intern wirksam zu machen. Zygmunt Bauman nannte dies schon vor Jahrzehnten eine fluide Organisation. Die Blueprints liegen vor – die soziale und psychologische Dynamik solcher Unternehmen lassen jedoch noch viele Themen offen.

Was können wir beobachten – neben den trivialen Themen, dass solche Veränderungen nicht von allen gemocht werden, dass sich Skepsis breitmacht, dass Herren der Beständigkeit (es sind meistens Herren) um Machtverlust fürchten:

Flucht in die Methode

Methoden sind hilfreich und notwendig – aber sie sind bestenfalls die Hälfte der Reise. Wir stehen etwas verwundert vor der Gründlichkeit, mit der das methodische Set mehr und mehr ausformuliert wird und mehr und mehr der kleinteiligen Prozesslandschaft ähnelt, die man ja grade mit der neuen Organisation zumindest vermindern wollte. Beschriebene Methoden geben Sicherheit, sie entlasten das Individuum der Eigengestaltung und sind oft eine Flucht vor der Freiheit. Um die geht es aber, will man Flexibilität, den Reichtum der Vielstimmigkeit erreichen. Sie sind zu oft eine Flucht vor der Chance der Selbstwirksamkeit und der mit ihrer kommenden Verantwortung.

Der Mangel an gruppendynamischer Kompetenz

Was geschieht, wenn wir Hierarchie einebnen und die Rolle so beschreiben, dass sie mehr ein Enabler für Eigenverantwortung wird. Tatsächlich fehlt uns das Verständnis gruppendynamischer und sozialdynamischer Prozesse. Es wird mit dem Konzept Empathie gewunken, aber das, in sich selbst schon schwierig, greift zu kurz, wenn wir Menschen in der Gestaltung informeller, also emotional nicht entlastender, sozialer Führungsprozesse alleinlassen. Es wird Zeit gruppendynamische Kompetenz wieder einzuüben. Informelle Führung öffnet ein weites Feld für Egomanen und Narzissten und wir kennen die verheerenden Folgen des Bullying im Schulkontext. Gruppendynamik als Erfahrungslernen tut not.

Wir wollen Deine Seele, Dein Herz

Dies wird umso mehr wichtig, je mehr wir beginnen das Arbeits- und das Privatleben nicht mehr zu trennen. Wir verschmelzen zwei bisher trennbare Identitäten. Und wir tun es, weil wir verstanden haben, dass wir in den neuen Organisationen den ganzen Menschen brauchen und nicht nur die Zeit, die er uns zur Verfügung stellt. Der alte Deal war klar: Du bekommst Geld und Sicherheit (die berühmte goldene Uhr später) und du gibst uns deine vereinbart begrenzte Zeit, deinen Gehorsam und deine Loyalität. Wenn wir an die motivierende Kraft eines Purpose glauben, also daran, dass ein Mensch sich mit seiner ganzen Existenz für etwas einsetzt, weil sein tiefer eigener Sinn und der der Arbeit mehr und mehr übereinstimmen, dann geht der alte Deal nicht mehr. Ich kann das Herz, die Seele eines Menschen nicht kaufen – das Unternehmen muss mehr bieten – Orte, Räume, Plätze, Beziehungen, soziale Strukturen, sinnstiftende Konzepte, die es Menschen ermöglichen, sich ganz einzubringen. Und eben die Freiheit, die Angebote anzunehmen, für eine Zeit, die Freiheit, sie auch wieder zu verlassen – in der längeren Perspektive werden Unternehmensgrenzen fließend werden. Und so wird die Attraktivität als »Lebensplatz« immer wichtiger.

Die Endlichkeit von Purpose

Purpose kommt oft sehr gravitätisch daher – mit so einem Hauch von Ewigkeit. Aber das ist eine Verengung. Wir folgen nicht dem einen Sinn in unserem Leben, den wir irgendwie auf dieser Lebensreise entdecken müssen. Unsere Energie, das Engagement finden viele »Sinne« und sie suchen sich soziale Zusammenhänge, in denen sie gelebt werden können. Sie sind leitend für eine Zeit, dann verlassen wir sie für etwas, was nun in dieser Lebensphase, in diesem sozialen Zusammenhang uns mehr berührt. Hier findet man die zweite Bedeutungsebene von Zygmunt Baumans Begriff der fluiden Organisation – auch wir fließen in unserer Organisation, aber auch zunehmend zwischen den Organisationen und immer mehr auch zwischen unterschiedlichen Lebenskonzepten. Unternehmen stehen vor der Aufgabe, immer wieder und immer neu einladende Orte, Strukturen zu schaffen, die ein Sinnangebot in sich tragen und so fähig sind, die Sinnsucher anzuziehen. Wir werden lernen müssen, das Fließende selbst als Stabiles zu erleben.

Der psychologische Fokus

Für uns, in unserer Arbeitstradition, kommt dem psychologischen Fokus, also der Verfasstheit des Menschen in diesen Veränderungen, große Bedeutung zu. Wie lernen Menschen ihre Rollen, ihre Möglichkeiten in den neuen Formen kennen, wie geben wir ihnen eine Chance, sich im Neuen auch selbst in bisher verschlossenen Möglichkeiten neu zu erfinden? Hierzu bedarf es z.B. tiefer Eingriffe in die selten thematisierten normativen Grundannahmen eines Coachings oder der Führungstrainings. Wenn wir lateral arbeiten und eher laterale Möglichkeiten erkunden, dann lassen wir den bisher dominanten vertikalen Aspekt, den Organisationen heute primär als Karriere anbieten, hinter uns. Karriere, bisher an Aufstieg als Hoffnung und als Schmerz gekoppelt, wird anders definiert – mehr und mehr als die Fähigkeit immer wieder Orte der Attraktivität zu finden, selbst sich als fluid zu begreifen. Da stoßen Unternehmen allerdings recht schnell an die Grenzen der Gesellschaft, die ja immer noch den Helden des Aufstiegs feiert.

Wie lernen wir?

Schließlich stellt sich die Frage, auf welche Lebenskonzepte hin wir denn Menschen bilden. Mehr denn je wird Gregory Batesons Unterscheidung vom Lernen erster Ordnung und Lernen zweiter Ordnung bedeutsam. Wir werden mit einem PISA-orientiertem Ansatz kaum weiterkommen, denn das trainiert und lehrt, was sich bewährt hat, bewährt in einer alten und stabilen Welt. Lernen für das Neue, das, was wir noch nicht eingeübt haben, das bedarf einer Öffnung zu dem Teil unserer Gesellschaft, den wir mit den Worten Kunst gerne etwas ausgrenzen und als ein Ort der Glückseligen beschreiben. Aber gerade dort kann man mehr über die Zukunft lernen, als in jeder Strategie- oder Marketingabteilung der großen Konzerne und Beratungen. Lange bevor Unternehmen das nennen konnten, was sie heute VUCA nennen, hat die Kunst uns mit einer performativen Wendung gezeigt, was Ereignis bedeutet, was Brüche bedeuten und was es heißt, fluid agieren zu können. Aber unsere derzeitigen Führungseliten sind recht kunstavers geworden.

Das Glück der Andersheit

Für uns rückt zudem in den Vordergrund, was unter dem Stichwort Diversität abgehandelt wird. Es geht hier um mehr als Statistiken, in denen man zeigt, man habe ja Vielfalt … Frauenquoten, Inderquoten, LGBTIQ*Quoten und so weiter. Wie lernen wir tatsächlich Respekt voreinander, wie lernen wir über Differenzen so zu sprechen und zu handeln, dass sie eher Reichtum als Ausschluss bedeuten. Es wird keine wirkliche Agilität geben, ohne sich mit der Diversität auseinanderzusetzen. Und das beginnt bei den kleineren Unterschieden, über die in der alten Arbeitswelt (Trennung von Privat und Beruf) eben nicht gesprochen wurde, und die im Verschweigen oder der fehlenden Plattform für den Ausdruck erhebliche Energien zurückhalten. In meiner Arbeit in den in sich vielfältig unterschiedlichen asiatischen Kulturen weiß ich, dass wir nun wirklich etwas erreicht haben, wenn die Menschen sagen, »du hast mein Herz berührt« und wenn sie mein Herz berührt haben. Dann beginnen wir voreinander und so miteinander Respekt zu haben.

Das Zauberwort – Mindset Change

Klingt ja einfach. Aber um was geht es denn? Es gibt dafür viele Beschreibungen. Z.B. von inside–outside thinking and acting zu outside–inside thinking and acting. Oder vom Gefangensein in der Inbox zur Öffnung zur Outbox, oder in dem Wortspiel ist es dein Ziel to come forward or to come along. Wie immer es genannt wird, es geht darum, aus der Perspektive der Egozentrik, des Egos auszusteigen. Nicht wirklich weltbewegend neu, jedoch wichtig, weil in der Wirtschaft und den Wirtschaftswissenschaften zu lange der Egomaximizer im Zentrum stand. Die Egomaximizer in ihrem Wettkampf um immer geringer werdende Ressourcen wurden als der Garant von Dynamik gesehen – die kooperierenden Mitglieder der Gemeinschaft eher als die etwas dummen Mitglieder der Herde. Ein sehr verkürzter Darwinismus, bei dem schon früh klar war, dass der wirkliche Egoist eben keiner ist, sondern jemand der kooperiert und darin und dadurch erfolgreich ist. Dafür gab es früher einmal in der christlichen Welt das Wort vom Geben ist seliger denn nehmen. Kooperation ist hier nicht eine weitere Methode oder, nach buddhistischen Selbstoptimierungskonzepten, ein neuer Trick des Egoismus, sondern die Selbsterfahrung, dass in einem sich selbst einklammernden Ich die Freude, die Erfüllung, das Glück von Kooperation gefunden werden kann. So kann das, was Kooperation oder heute gerne auch Kollaboration genannt wird, die tiefe Struktur des eigenen Denkens und Fühlens verändern, in der wir der Welt begegnen. Und dies eben ermöglicht, über Differenzen, Abgrenzungen, Zugehörigkeiten hinweg Gemeinsames zu gestalten.

Gegenseitigkeit

Ich erinnere mich gerne an Gespräche mit Helm Stierlin, einer der Gründerväter der systemischen Therapie, der Kooperation als Gegenseitigkeit verstand. Nicht im Sinne eines Deals, sondern eher als Gabe, in der ein Verhältnis begründet wird, das dem anderen Freiheit ermöglicht. Hier scheint ein Widerspruch zur These des Individualismus aufzutreten – denn in den neuen Arbeitsformen ist das Kollektiv der Held.

Nun leben wir unseren Individualismus in Kollektiven, in Gruppen, in denen wir uns in unserem Sosein aufgehoben fühlen, und die wir je nach Identitätsverlauf auch wechseln. In der Gegenseitigkeit der Kooperation bleibe ich in meiner Individualität gewahrt und bin zugleich Teil eines für das Ganze verantwortliche Kollektiv. Dies ist die Stelle, an der in die Diskussion um den mindset, der so abstrakt, neutral klingt, eine spirituelle Note eindringt. Es ist die Idee der Allverbundenheit, die wiederum der Erfahrung, dass wir in einer nicht linear dynamisch deterministischen Welt leben, sehr entspricht.

Organisationen doch oder endlich politisch denken?

Und mit all dem, was wir heute schon tun, greifen wir zu kurz, wenn wir nicht tiefer in die Art und Weise eingreifen, in der in Unternehmen heute Zukunft verhandelt wird (Zukunft heißt hier, Markt, Produkt, Prozess, Strategie usw.) Wenn wir die Grundidee der Agilität, die Fähigkeit schnell und flexibel auf Änderungen reagieren zu können oder auch iterativ vorausschauend agieren zu können, nur in den operativen Einheiten verankern, dann werden wir weiter langsam bleiben und eher das tun, was in der Vergangenheit erfolgreich war. Wenn wir die oligarchische Struktur der Unternehmen, wo eine mehr oder weniger homogene Gruppe, die über lange Zeit in großen Programmen eingenordet worden ist und dabei Süden, Westen und Osten vergessen hat, über die Themen der Organisation bestimmen lassen, dann wird New Work keinen Platz in den Unternehmen finden.

Es stellt sich an die Organisationsentwicklung die Frage: Wer darf sprechen, wer wird gehört, wer hat Orte um zu sprechen und um sich Gehör zu verschaffen. Es geht um einen genuinen Diskursprozess, an dem die vielen Unterschiedlichen Teil haben an den Entscheidungen, die festlegen, was im Unternehmen und was in den Märkten geschehen soll. Gesellschaftlich wird es kaum eine Teilhabe an den Besitzverhältnissen sein, aber eine echte Teilhabe an der Gestaltung der Gemeinschaft, die das Unternehmen mit engagiertem Einsatz gestaltet. Wir haben mit unseren Durchwegungskozepten leicht gangbare Wege aufgezeigt, um das Oligarchische der Unternehmen aufzubrechen und so Stimmen Raum verschafft, die sehr viel eher als die lang gedienten Führungsmenschen verstehen, was denn Zukunft bedeuten wird und wo der Platz sein kann, den das Unternehmen in dieser Zukunft mit seinen Leistungen einnehmen kann.

Und zum Ende etwas nach vorne greifend – wie verändern wir unsere innere Einstellung zu dem, was als Neues in den Lebenskonzepten auf uns zukommt? Wie verstehen wir sie? Ein Ausflug in die Pop-Welt einer Generation, die noch gar keinen Buchstaben hat.

Demographie – wie radikal sind die Veränderungen in den Lebensentwürfen?

BTS – eine koreanische Boy-Band (Nr. 1 in den US Billboard Charts als erste koreanische Band mit »Idol«): Eine vollständig inszenierte Boy Group – jede Information, jede Äußerung, jede Bewegung ist choreographiert oder kuratiert. Zugleich die einzige K-Pop Band, die politische Botschaften sendet – stark auf Individualismus bezogene Kernbotschaft: Sei du selbst, was immer Du auch bist oder sein willst. Die Videos senden neben dem Identifikationsangebot – die Gruppen bestehen immer aus einem Angebotsmix von Personen (würde die Besetzungsstrategien für Vorstände deutlich ändern) – eine inklusive Botschaft – Du bist ein Teil von uns – wir sind divers und du gehörst zu uns. Die Videos werden auch beschrieben als Repräsentanten einer hyperinklusiven Ästhetik. Es gibt in den Performances nicht mehr die Differenz zwischen Oberfläche (der Performance) und den eigentlichen Identitäten – die Oberfläche ist das Ganze. So ist Beuys in der Jugendkultur angekommen.

Unser tiefes Denken – es gibt den Vordergrund und den Hintergrund, es gibt die Erscheinung und dahinter das Eigentliche, der tiefsitzende Platonismus wird hier ausgehebelt; die Frage, was denn dahinter sein wird, obsolet, weil die Oberfläche das Eigentliche schon ist.

Was heißt das für die Arbeitswelt? Auflösung der Differenz von Privat und Arbeit? Das Ende der Rollenspiele und damit eine neue Art der Authentizität? Orte der Arbeit als Lebensorte, an denen Identität gebildet, gelebt wird? Orte der Arbeit als Ereignisräume – die in schnelleren Schnitten durchlaufen werden – die Schwächung der Kontinuitäten zugunsten der Bruchlinien und Lebenssprünge? Auch das sind Aspekte von New Work.

Ein Blick in Coaching-Erfahrungen der letzten Zeit. Auf welcher Folie von Lebensentwürfen formuliere ich meine Fragen? Wie sehr ist das ganze Setting von den Alt-Erwartungen der Unternehmen geprägt? Michelle Obama schreibt in ihrer Autobiographie über ihren Großvater, in dem sie die Bitterkeit zerstörter Träume sah. Einer Bitterkeit, der ich im mittleren Management großer Unternehmen immer wieder begegne. Während diese Bitterkeit im Hintergrund von Organisationen spürbar ist, ist die junge Welt von der Kraft der Träume bewegt. Lassen sie uns der Hoffnung folgen und nicht der Bitterkeit.

 


 

Anhang: Geschichten zum Vortrag

I.
Die Gruppe schwieg, sie schwieg länger als eine Stunde. Sie war traumatisiert. Dabei war es ein so guter Start – hierarchiefreies Arbeiten, Arbeiten in kleinen Gruppen mit gemeinsamem Interesse, tun können, was man immer schon wollte. Dann kamen die Einschläge – zuerst das Einstellen von Projekten, die in der Gruppe weiterhin als sehr aussichtsreich erlebt wurden, aber nun aus strategischen Gründen kein Budget mehr hatten. Wie Abschied nehmen? Und wie damit umgehen, dass man nun auch selbst umgesteuert wurde und sich in Projekten und Gruppen fand, die man ohne Not nicht gewählt hätte. Dann nahm die Gruppendynamik ihren Lauf – informelle Führer bildetet sich heraus, die zwar über gute soziale Manipulationsskills verfügten, aber nicht wirklich geeignet waren, die Aufgabe einer steuernden Funktion auszuüben, und dann der Wunsch der Organisation, es wirklich hierarchiefrei zu machen, und die Einführung einer Peerbewertung. Das Letzte war dann definitiv zu viel – so schwieg die Gruppe und hatte all die Energie, das Engagement des Anfangs verloren.

II.
Aus einem Gespräch mit einem Betriebsrat. Er war wirklich besorgt. Er blickte in den Raum und sah, dass all die ergonomischen Errungenschaften der organisierten Arbeitnehmerschaft verloren waren. Mitarbeiter saßen auf Holzpaletten, die Tische, die es vereinzelt gab, völlig ungeeignet – und er sagte, wie wird deren Rücken wohl aussehen, wenn sie zwanzig Jahre lang gearbeitet haben? Die jungen Menschen haben sich von uns gelöst, sie verstehen nicht mehr, dass im Gegeneinander von Unternehmen und Betriebsrat für sie um die bessere Lösung gestritten wird. Sie liefern sich ganz den oberen Herren aus.

III.
Aus einem Coaching. Ich traf diesen sehr begabten Menschen, als er noch Teamleiter war und vom CEO erfahren hatte, dass er über alle Hierarchiestufen hinweg in den Vorstand der für die Zukunft wichtigsten Division berufen war. In dem ersten Treffen sprachen wir viel über Theater und vor allem Literatur – wir verglichen unsere Leseerfahrungen, es war ein zartes und sehr energiereiches Gespräch. Nach einem Jahr sprach ich mit ihm, der immer noch feurig und energetisch war, über seine Leseerfahrungen der letzten Monate. Und er erbleichte, weil ihm auffiel, er hatte nur noch Managementratgeber gelesen und in seinem Reflektieren verstand er, dass seine tiefste Quelle für »Leadership« nicht aus den Ratgebern stammte, sondern aus den tiefen Schichten literarischer Erfahrungen. Er liest jetzt wieder.

IV.
Ein völlig ratloser Manager. In seinem Führungsbereich hat er eine sehr begabte Frau, die viel mehr tut, erfolgreich tut, als sie müsste und was ihrer Position entspräche. So kämpfte er in seiner Fürsorge und in seinem Gerechtigkeitsempfinden um eine Beförderung und konnte sie dann stolz der jungen Frau anbieten. Er erwartete Freude und Dankbarkeit, doch er erhielt ein freundliches, doch bestimmtes Nein – sie wollte es nicht. Und er fragte nach der Begründung: Und sie sagte, was ich jetzt tue, tue ich freiwillig und es macht mir Spaß, wenn ich dein Angebot annehme, dann muss ich es tun und das will ich nicht.

V.
Ein anderes Gespräch mit einem Boten, der einem das im Internet ausgesuchte Essen eines Restaurants vorbeibringt. Ich sagte, du weißt, dass du dich ausnutzen lässt? Du bekommst wenig Geld, nur wenn du dich zeitlich ganz auf die Bedürfnisse deines Unternehmens einlässt, das keinerlei Fürsorgepflicht dir gegenüber hat, bekommst du gute Schichten, und selbst den Kasten auf deinem Rücken hast du selbst bezahlst, das Fahrrad ist dein eigenes – warum tust du das? Aber ich bin frei sagte er und das war alles.

VI.
Ein letztes: Eine Expat Führungskraft in Thailand. Sie mokiert sich über diese Magiegläubigkeit der Thais, lacht über ihre Gaben in den Tempeln und dieses tägliche Verehren eines Schreins. Er ist aufgeklärt, hypermodern, rational. Der Abend ist lang, und nach dem sich zu Ende neigen des rituellen Berauschungsprozesses (es waren vor allem Cocktails) erzählte er von seinen großartigen Erfahrungen mit positiven Affirmationen. Er hatte einen Dienstleister (früher nannte man sie Priester) gefunden, der ihm gegen kleines Geld jeden Morgen einen positiv affirmierenden Satz zusandte und den er dann vor sich hinsagte. Es sei sehr wirksam, sagte er, und war sich der Ironie der Situation nicht bewusst.

VII.
Es ist nun 30 Jahre her. Ich sprach mit einer Franziskanerin in einem Krankenhaus, sie schob Bücherwagen durch die Zimmer und sprach mit den Kranken – wobei das Sprechen wohl das wichtigste war. Wir unterhielten uns und so erfuhr ich, dass diese Frau, die nun in der untersten Hierarchiereihe der Franziskaner stand, noch vor einem Jahr in Rom war und dort Äbtissin des gesamten Frauenordens. Und es war keinerlei Bitterkeit in ihr zu spüren. Sie war glücklich und fröhlich. Es gibt sie schon lange, die andere Besetzung der Hierarchieposten.

Rüdiger Müngersdorff