Blogreihe: Agile Transformation braucht Achtsamkeit (2)

Für alle Teams, die ich bis jetzt im agilen Kontext getroffen habe, bedeutet agiles Arbeiten immer die zumindest von Außen herangetragene Erwartung effektiver, beweglicher und schneller Outputs zu liefern. Mit der agilen Transformation soll etwas Neues entstehen. Die bisherigen Strukturen, Entscheidungsbereiche, Machtstrukturen und persönlich erarbeiteten Aspekte von Status, Einfluss, Sicherheit und Respekt stehen auf dem Spiel. Was kriege ich dafür, wenn ich das hier aufgebe?

Wenn etwas auf dem Spiel steht, löst das bei vielen Menschen Kampf- und Fluchtdynamiken aus, weil sie schlichtweg Angst haben. Aus den Neurowissenschaften wissen wir, dass unter Angst verstärkt die alten Routinen zur Lösung von neuen Bedrohungen herangezogen werden. Eine eher ungünstige innere Dynamik, um Erneuerung zu gestalten.

Sowohl Führungskräfte als auch Mitarbeitende erleben diese Situationen häufig als kritisch und gefährdend für ihren Verantwortungsbereich, Status und ihre Reputation. Wenn eine Vielzahl von Akteuren in Transformationsprozessen in alte archaische Muster von Kampf, Verteidigung und Flucht verfallen, wird das gemeinsame Gestalten von neuen Formen der Zusammenarbeit richtig schwierig.

Hürden, wenn es um das Erlernen neuer Fähigkeiten geht

Gerade auch Menschen in Projekt- und Führungsverantwortung können in solchen Prozessen dank einer häufig sehr starken Selbstkontrolle und Disziplin äußerlich solche inneren Zustände (Überlebenskampf-Modus) überspielen. Im inneren Verabeitungsprozess sind die alten archaischen Muster aber trotzdem dominant. Der Überlebenskampf-Modus und die daraus resultierenden Denkmodi und Verhaltenstendenzen sind von einigen Neurowissenschaftlern und Stressforschern ausreichend beschrieben worden.

Tendenziell könnte man sagen, dass im aktuellen Bedrohungsmodus alte Routinen aktiviert werden, die häufig erprobt wurden (Wir können an Kampfsportler denken, die Bewegungen tausendmal im Training optimieren. Im Kampfmodus können diese kaum erprobt werden. Nur viele tausendmal erprobte Abläufe funktionieren in diesen Situationen). Mentale Bewertungsprozesse im Kampf- und Flucht-Modus führen jedoch immer wieder dazu, dass neue Ideen, kreative Gedanken anderer und neue Kooperationsformen tendenziell eher negativ bewertet werden und alte Lösungen und Ideen sich auf mentaler, interner Verarbeitungsebene stärker durchsetzen und Erneuerung behindern.

Generell werden Umwelt sowie andere Gestalter und Akteure im Überlebenskampf-Modus eher als feindlich und Bedrohung erlebt. Das kann der eine oder andere dann nachvollziehen, wenn sie/er einen stressigen Tag erlebt hat und dann nach Hause, womöglich zu Partner/in und und Kindern kommt. Sehr leicht werden diese geliebten Menschen dann auch situativ als bedrohlich erlebt….

Folgende ungünstige Effekte werden durch den Überlebenskampf-Modus bei Akteuren verstärkt:

  • Sieger-Verlierer-Wettbewerb: Es geht insbesondere ums Verlieren und Gewinnen. Das verstärkt Effekte auf das Selbstwertsystem und wird beim Verlieren verstärkt Kränkungseffekte hervorrufen.
  • Überlebenskampfmechanismen rücken in den Vordergrund: Der Bruch von Regeln, verdecktes Handeln und Taktieren werden ausgebaut.
  • Sunk Cost Bias (z. B. Studie INSEAD): Wenn man in alte Modelle, Projekte und Strukturen investiert hat, dann kann man diese ganz schlecht loslassen (Tote Pferde werden weiter geritten). Debiasing the Mind Through Meditation: Mindfulness and the Sunk-Cost Bias
  • Alte Routinen zur Durchsetzung, Koalitionsbildung, Verteidigung und Gestaltung werden deutlich stärker fokussiert. Die Offenheit für neue Kooperationsmöglichkeiten und Gestaltung sinkt deutlich.

Persönliche und kollektive mentale Denkmuster verstärken, die Erneuerung begünstigen

Stattdessen macht es also Sinn auf kollektiver und persönlicher Ebene daran zu arbeiten, dass möglichst viele Akteure in einem Transformationsprozess nicht zu oft in diese archaischen Denk- und Interaktionsmuster (Überlebenskampf-Modus) hineingeraten. Möglichst viele Akteure sollten immer wieder in mentale Zustände kommen, die Zuversicht, Verbundenheit und kreatives Neu-Denken ermöglichen. Was das im Detail bedeutet, darüber schreibe ich in meinem nächsten Blogartikel »Achtsamkeit: Individuelle und kollektive Ebenen.«

Herbert Bittorf
Titelbild: Josh Calabrese on Unsplash

1. Achtsamkeit als mentale Plattform und Nährboden für Agilität
2. Wie Menschen in agilen Transformationsprozessen reagieren
3. Achtsamkeit: Individuelle und kollektive Ebenen
4. Achtsamkeit und agiles Arbeiten